Regierungs- und Parteipolitik im 🇺🇦-Krieg / Strategie- und Werte-Konflikte

Erst mal bin ich hocherfreut, dass die Diskussion nicht mehr nur einseitig geführt wird.
Vorher war der Tenor doch eher „Alternativlos“. Die Kritik man könne keine Richtung erkennen mag berechtigt sein. (Wobei 16 Jahre lang alles ausgesessen wurde).
Die vorherige Diskussion habe ich so verstanden, wie es das folgende Zitat ausdrückt:

Ich könnte noch so häufig Tagesschau gesehen haben und würde trotzdem niemals behaupten „alles klar“, es gibt nur noch den Weg der Gewalt.
Wenn nun unser Bundeskanzler anderer Meinung ist, dann hat der vielleicht weitere Informationen, die wir gar nicht überblicken können.

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Ich denke über einen neuen Titel für diesen Thread nach.
Habt Ihr Vorschläge?

Inhalt:
:ukraine: Solidarität und Kontroversen in Deutschland

Oder wäre es besser, dafür einen neuen Thread zu öffnen und diesen zu schließen? Über Olaf Scholz und die SPD scheint doch alles gesagt zu sein - oder?

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Dank Twitter bin ich auf diese Aufnahme einer Rede von Joschka Fischer auf dem sog. Kosovo-Parteitag 1999 in Bielefeld gestoßen:

Da wird viel wieder in Erinnerung gerufen, das gruselig viele Parallelen zu Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine und Putins „Neurissischen Fantasien“ hat.

Ich wünschte, Scholz würde mit gleicher Leidenschaft eine klare Position verteidigen — nur: die hat er nicht.

Dagegen Habeck:

Ebenso Baerbock

Wenigstens sagt er das:

Ich habe ja nicht gesagt, die Entscheidung könne nur in die eine Richtung fallen. Ich habe gesagt: Es liegen alle Informationen vor und ich kann von einer Bundesregierung erwarten, dass sie diese gewichtet, bewertet und eine Entscheidung fällt. Nicht entscheiden = verschleppen heißt, Fakten zu schaffen. Ist auch eine Entscheidung. Aber eine, die unsere Verbündeten verunsichert und den Aggressor nur noch mutiger macht.

Nach meinem Verständnis geht es (inzwischen?) hier um

  • Pro und Contra schwere Waffen und harte Sanktionen für die Ukraine,
  • das Ziel, das damit verfolgt werden soll
  • die Risiken, die damit verbunden sind (Atomkrieg, Kriegspartei werden, Weltkrieg III)
  • das Abwarten der Bundesregierung (und damit der SPD),
  • die öffentliche Diskussion darüber (einschl. „Emma“ und Habermas).

Vorschlag: Haltung von Regierung / SPD: Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine, harte Sanktionen gegen Russland

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Und da soll noch mal einer sagen, die Partei der Grünen wäre nicht erwachsen geworden.

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Was ist aus der viel zitierten Haltung „Wir sind nie beleidigt“ geworden?

Also für mich, immerhin Teil des deutschen Volks, ist es ein größeres Problem, dass Scholz nicht nach Kiew fährt, als das Steinmeier ausgeladen wurde. Dieses Verhalten finde ich angesichts des Kriegs in der Ukraine mehr als unangemessen. Vor allem was sollte die Ukraine tun, um das „auszuräumen“? Das macht mich tatsächlich etwas fassungslos…

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s. dazu auch

https://talk.lagedernation.org/t/nordstream-i-ii-verzicht-auf-russisches-erdgas/12544/88

Bist du dir da so sicher? Wenn ich mir so die vergangenen Verfassungsschutzberichte anschaue, dann waren die da schon ganz gut im Bilde über die Spionagetätigkeiten der Volksrepublik China und der Russischen Föderation (vom BND gibt es nichts vergleichbares, aber für Spionageabwehr ist ja ohnehin der Verfassungsschutz verantwortlich).

Das Problem war und ist meiner Ansicht nach, dass die Politik hier jahrelang schlichtweg keinen Handlungsbedarf gesehen hat. Selbst als die USA und Großbritannien vor einer Invasion warnten und wirklich jede:r (!) den Truppenaufmarsch Russlands an der Grenze durch frei verfügbare Satellitenbilder nachverfolgen konnte, dachte man in Deutschland: Putin will doch nur Verhandlungsdruck aufbauen. Dass die Zukunftsvisionen Chinas auch nicht unbedingt mit unseren Vorstellungen einer liberalen Weltordnung vereinbar sind, ist ebenfalls noch nicht so wirklich bei allen durchgedrungen.

Es wurde ja auch berichtet, dass Angela Merkel eher auf Distanz zu den Nachrichtendiensten gegangen ist. Insofern stellt sich mir eher die Frage, wie die Erkenntnisse in der politischen Führungsebene rezipiert wurden.

Dazu kommt dann noch, dass die Arbeit der Nachrichtendienste in Deutschland äußerst skeptisch beäugt und deren Sinn oftmals in Frage gestellt wird. Das – und da mache ich mich hier im Forum und bei Ulf vermutlich etwas unbeliebt – ist mitunter auch ungesund und im internationalen Vergleich eher unüblich. Und damit meine ich jetzt nicht, dass BND, MAD und BfV ohne parlamentarische Kontrolle auskommen sollten, die ist nämlich in meinen Augen unabdingbar – das weiß man sogar in den USA, wo nach zahlreichen Skandalen die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste durch die Schaffung des Senate Select Committee on Intelligence gestärkt wurde.

Aber eine bessere Balance zwischen gesunder Skepsis und Verständnis für die Arbeit der Schlapphüte wäre in der aktuellen Weltlage vielleicht nicht ganz verkehrt. Was aber – noch einmal – kein unbedingtes Vertrauen bedeuten soll. Gerade im Verfassungsschutz lief ja so einiges schief…

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Ja, richtig. Das habe ich ganz vergessen.

Wobei ich bei unserem Bundeskanzler nicht davon ausgehe, dass er beleidigt ist. Ich denke, er befindet sich in einer undankbaren Situation; ist doch gemäß Verfassung vom Rang her das Amt des Bundespräsidenten höher angesiedelt, als das Amt des Bundeskanzlers. Er würde damit das Amt des Bundespräsidenten unterminieren. Ist einfach eine blöde Situation.

Bei Olaf Scholz frage ich mich viel eher, was aus dem Spruch „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt auch Führung.“ geworden ist. :wink:

Bei vielen anderen Politikern hingegen habe ich aber durchaus das Gefühl, dass die beleidigt sind. Und hier fehlen mir drei Dinge.

  1. Die Souveränität, darüber hinweg zu schauen. Insbesondere in der höheren politischen und diplomatischen Riege erwarte ich genau diese Eigenschaft. Im Umkehrschluss bedeutet das doch, dass sich unsere Volksvertreter und Diplomaten von ein paar blöden Sprüchen provozieren lassen, anstatt da drüber zu stehen. Das ist kein gutes Bild, dass da gerade abgegeben wird.
  2. Das Verständnis, dass die Ukraine, um zu überleben, einfach alle Register ziehen muss. Die Ukraine hat in der aktuellen Situation sicherlich keine Verwendung für ihre Samthandschuhe. Und dafür muss man Verständnis haben.
  3. Die korrekte Einordnung der Rolle von Botschafter Melnyk. Herr Melnyk ist ein sehr intelligenter Mensch. Gerade von so jemandem erwarte ich nicht, dass er sinnbefreit rumpöbelt. Vielmehr erwarte ich, dass seine Aussagen sehr durchdacht sind. Und als solch durchdachte Aussagen muss man seine Sprüche werten und daraufhin versuchen zu verstehen, was er damit bezweckt. Und hier schließt sich der Kreis zum 1. Punkt. Nicht „Beleidigte Leberwurst“ spielen, sondern adäquat mit dem Botschafter eines bedrohten Landes umgehen.
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Stimme da zu. Auch spielen sicher parteipolitische Erwägungen immer eine Rolle. Irgendwie ist ja immer Wahlkampf, wie auch Herr Merz grad deutlich zeigt.

Ich versteh’ aber nicht, wie man die Kritik nicht trennen kann. Zum einen galt, nach meinem Verständnis, die Kritik an Steinmeier nicht dem Amt selbst, sondern der Person Steinmeier. Zum anderen muss man auch sagen, dass Scholz letztendlich Regierungschef ist. Dieser besitzt deutlich mehr Spielraum und Handlungsbefugnis als ein Bundespräsident.

Aus diesem Grund finde ich persönlich, dass er mit einem Besuch mitnichten das Amt des Bundespräsidenten unterminieren würde.

Edit: Rechtschreibkorrektur…

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Pazifisten sollten mal Clausewitz lesen. Es geht um Politik. Hat mir jedenfalls im jugoslawischen Buergerkrieg sehr geholfen. Macht immun gegen Propaganda.

Es sind doch nur militaerische Fragen. Die im Krieg nur zweitrangig sind. Clausewitz lesen. Reclam reicht schon. Wenn man den Frieden will, muss man politische Fragen stellen. Krieg ohne Politik ist nur Metzgerei. Sagt er.

Mit so einer Antwort öffnet sich Dein Gegenüber ganz sicher ganz schnell und frei Deinen Argumente

So? Ich meine dagegen, dass es tatsächlich sehr wichtig ist, eine Haltung zu solcherart von Fragen zu haben.

Putin (und vermutlich nicht unbedingt „die Russen“) will ein großrussisches Reich, d.h. unter Einbeziehung von „Neurussland“, also auch der Ukraine. Hat er jedenfalls gesagt (es sei denn, auch das hältst Du für Propaganda).

Wenn ja, sehe ich nicht, wie wir damit einem Kompromiss näher kommt. Der könnte ja nur so aussehen, dass die Ukrainer auf (große Teile) ihres Staatsgebiets, ihre Souveränität, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit verzichteten.

Leben und Gesundheit, Ende der Gewalt, Unversehrtheit ihrer staatlichen Souveränität auf ihrem Staatsgebiet = Abzug der Russen, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit.

Dann hältst Du die ÖR und seriösen privaten Medien für so was wie „Lügenpresse“, oder was? Auch wenn wir natürlich von Ukrainer Seite ebenfalls Propaganda erwarten dürfen: Der Völkermord ist hinreichend dokumentiert und belegt. Ebenso wie die Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Sorry, aber da ist dann mein Interesse an einem Diskurs am Ende.

Ja, das habe ich auch immer wieder gehört. Aber selbst wenn das stimmt: Das rechtfertigt das, was Putin gerade macht? WhatAboutIsm!!!

Krankenhäuser, Schulen, Kirchen und sehr, sehr, sehr viele zivile Wohngegegenden. … .Sprachlos!

Eben gerade nicht! Die Fragen nach dem Ziel (unserer militärischen Unterstützung) sind eben politisch!

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Und hier nochmal ein pointierter, ironischer Kommentar zum offenen Biref von Nuhr, Schwarzer, Zeh & Co.

Ich liebe den Humor von Bosetti …

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Gelesen habe ich Carl von Clausewitz nicht. Doch der eine Satz von ihm: „Krieg ist eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ ist schwerlich zu widerlegen. Ich halte es durchaus so, dass hinter der Motivation zu einem Krieg immer ein politisches Ziel steht. Dieses Ziel zu kennen, bzw. zu erkennen ist die Kunst.

Haltung, übrigens, ist auch nur eine weitere Ausdrucksform eines politischen Willens. Und als solche würde ich sie nicht als Unfug bezeichnen.

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Meinst du den Versuch der Ukraine, die Integrität ihres Staatsgebietes gegenüber dem gewaltsamen Abspaltungsversuch einer vom Ausland gesteuerten Minderheit zu erhalten? Das ist gerade NICHT „gegen“ den Donbass.

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Ich bin beim Thema Lieferung schwerer Waffen ja weiterhin überrascht, wie sicher viele Menschen sich in ihrer Einschätzung sind und wie schnell manche Menschen (sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Bekanntenkreis) ihren Standpunkt massiv verschieben, ohne, dass sie dabei merkbar nachdenklich werden. Vielleicht ist das die „Selbstgewissheit“, die Habermas kritisiert hat. Falls ja kann ich das gut verstehen.

Nach etlichen Diskussionsrunden wird auch für mich das Bild eindeutiger. Klar ist für mich inzwischen, dass die Frage nach den schweren Waffen eben keine ist, die an grundlegenden moralischen Standpunkten hängt, sondern einzig an der Einschätzung der Lage. Sehr überzeugend haben das m.E. Ranga Yogeshwar und Marina Weisband trotz ihrer sehr verschiedenen Positionen übereinstimmend herausgearbeitet.

Waffenlieferungen in Krisengebiete grundsätzlich abzulehnen hat als Position genauso wenig eine absolute Gültigkeit, wie die Forderung, dass die Ukraine „nicht verlieren darf“. Mit anderen Worten: sowohl die grundlegenden moralischen Positionen der Befürworter als auch der Ablehner der Lieferung von schweren Waffen sind im Allgemeinen gleichsam sinnvoll. Allerdings ist eine rein gesinnungsethische Position immer sinnfrei. Zielführender wäre dagegen eine verantwortungsethische Position, die sich nach dem Lagebild richtet. So trivial das vielen erscheinen mag, hat es für mich vieles klarer gemacht.

Gut ausgedrückt hat das auch nochmal die Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff, indem sie sagte, dass sich beide Positionen gleichermaßen auf Spekulationen berufen. Spekulationen nicht zuletzt auf Putins Verhalten, das niemand wirklich einschätzen kann.

Damit kann man beide Positionen ad absurdum führen. Beispiele:

Position Pro (Lieferung schwerer Waffen) sagt, dass man Waffen liefern muss, weil die Ukraine nicht verlieren dürfe. Nur – was passiert denn, wenn die Ukraine trotz Waffenlieferung zu verlieren droht? Ein militärisches Eingreifen der NATO wird auch diese Gruppe nicht fordern. Am Ende hätte man also dasselbe Ergebnis nur mit signifikant mehr Leid und Kriegsverbrechen.

Position Kontra sagt, dass man den Konflikt durch Waffenlieferung nuklear eskalieren könnte und sich Verhandlungsoptionen verbaut. Aber was, wenn Putin jegliche Verhandlung ablehnt? Dann haben wir ihm nur den Durchmarsch einfacher gemacht und die nukleare Drohung kann er dann beim nächsten Einmarsch wieder aus der Tasche ziehen (hat ja gut funktioniert).

Das Spiel kann man mit allen Aspekten der Diskussion durchspielen und man wird sehen, dass am Ende immer eine nicht verifizierbare Spekulation steht. Den Schritt kann man also überspringen.

Im Gegensatz zur Corona-Krise, bei der sich ebenfalls die Welt auf eine völlig neue Situation einstellen musste, werden die so essentiellen Erkenntnisse viel weniger öffentlich gewonnen, sondern vielfach durch Geheimdienste und nicht öffentliche bilaterale Gespräche (aus z.T. guten Gründen). Während ich mir bei Corona sehr wohl zugetraut habe, Politikern konkrete Vorwürfe in der Sache zu machen, finde ich das hier deutlich schwieriger. Nicht nur, weil sie einen Informations-Vorsprung haben, sondern auch, weil sie ihre Verhandlungspartner z.B. in Russland z.T. selbst am besten kennen und einschätzen können.

Ich kann Olaf Scholz wohl für seine schlechte Kommunikation kritisieren, aber für seine Entscheidung? Woher weiß ich denn auf welcher Grundlage er sie getroffen hat? Tatsächlich gehen die Berichterstattungen nun auch vermehrt in diese Richtung.

Die Entscheidung ist Pro schwere Waffen gefallen und das erscheint sinnvoll. Aber das Dilemma ist damit nicht vorbei. Nach Einschätzungen von US-Geheimdiensten nimmt das Eskalationspotential des Konfliktes weiter zu. Wir werden also wohl wieder an einen Punkt kommen, an dem wir folgenschwere Entscheidungen fällen müssen. Ich hoffe, dass wir dann als Gesellschaft sofort auf Basis von Lageeinschätzungen und Unterstützungsbereitschaft / Güterabwägung diskutieren und uns nicht wieder grundlegende moralische Standpunkte um die Ohren hauen.

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Ich stimme dir in weiten Teilen zu, allerdings mit einer kleinen Korrektur: Die deutsche Entscheidung, schwere Waffen zu liefern ist jetzt erst gefallen.

Das RND hat schon Ende April mal aufgelistet, was (damals) schon alles an, teilweise auch schweren Waffen, geliefert wurde:

Großbritannien und Schweden haben z.B. zusammen 15.000 hochmoderne Panzerabwehrraketen geliefert, die speziell gegen Abwehrmaßnahmen russischen Panzer (reaktiv-Panzerung) entwickelt wurden.
Ohne diese Waffen hätten es die Russen in der Ukraine deutlich schwerer, denn von den reinen Abschüssen abgesehen, ändern solche Waffen auch die Taktik der Russen, verlangsamen den Vormarsch und wirken auch psychologisch.

Aber wo bleiben die Forderungen nach dem Einstellen dieser Lieferungen? Wo ist die Forderung, dass die USA ihre angekündigten schweren Waffenlieferungen (Haubitzen, Hubschrauber) aussetzen sollen?

Und warum kamen solche offenen Briefe nicht, als die Bundesregierung, trotz des Jemenkrieges, schwere Waffen (Patrouillenboote) an die Kriegspartei Saudi-Arabien lieferte?

Mir persönlich erscheinen die Forderungen der EMMA-Brief-Unterstützer daher in höchstem Maß eigennützig und bedenkt man, dass die Menschen in der BRD Jahrzehntelang unter dem nuklearen wie konventionellen Schutz der USA standen sogar, tut mir leid, als feige.

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Wichtiger Hinweis - danke.

Ja, ein wichtiger Punkt ist, dass der Brief an vielen Stellen einen unehrlichen Eindruck macht, weil man nicht zugeben will, dass es um die eigenen Interessen geht, obwohl das ja grundsätzlich fair ist. In dieser Hinsicht kann ich „feige“ nachvollziehen. Hinsichtlich der Angst vor Eskalation und nuklearer Bedrohung wäre der Begriff für mich unpassend.

Ich bin leider in Summe etwas enttäuscht über die Aufarbeitung des Themas in der Lage. Zum einen hätte ich es sinnvoll gefunden, bei so einem über alle Maßen zentralen Thema einen Experten einzuladen (z.B. einen Konfliktforscher) statt aus dem Nähkästchen zu plaudern. Zum anderen hatte ich das Gefühl, dass hier genau die Aspekte meiner o.g. Kritik wieder zum Vorschein kamen. Es entstand der Eindruck, dass es hier nicht um Abwägung sondern um etwas Grundsätzliches geht. Die Tatsache, dass die EMMA Position nicht zuende gedacht ist, wurde zu Recht kritisiert. Die Tatsache, dass man mit einer gegenteiligen Position an vergleichbare Grenzen stößt dabei aber ignoriert. Sinnvoll wird die gegenteilige Position nicht durch ihre grundsätzliche moralische Überlegenheit, sondern durch ihre bessere Einschätzung der Lage bzw. intelligentere Abwägung.
Zum Grübeln gebracht hat mich auch die Aussage zur nuklearen Eskalation. Es wird davon gesprochen, dass wir das erhöhte Risiko eines Atomkrieges eingehen müssen, um für unsere Werte zu kämpfen.
Aus der zivilen Nutzung der Kernenergie sind wir ausgestiegen, weil wir das Risiko nicht auf Basis einer üblichen Risikomatrix bewerten, sondern die Folgen eines GAUs als so inakzeptabel bewerten, dass das Eintreten unter allen Umständen ausgeschlossen werden muss.
Zitat @vieuxrenard (aus dem Atomkraft ist Kokolores Thread, aus dem automatisch Zitieren gerade nicht funktioniert):
„Mir ist keine andere Energiequelle bekannt, die im Falle eines Unfalls derart fatale Folgen hat. Es gibt einfach Risiken, die man unabhängig von der - ja auch sehr umstrittenen - Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens nicht eingehen sollte.“
Gegen einen - selbst wenn lokal begrenzen - Atomkrieg wäre ein GAU harmlos. Im Umkehrschluss bedeutet dass, wir müssen auch einen Atomkrieg unter allen Umständen vermeiden. Ein kalkuliertes Risiko erscheint vor dem Hintergrund fragwürdig. Die Position für schwere Waffen wäre also nur dann akzeptabel, wenn man argumentieren kann, dass dadurch die Gefahr eines Atomkrieges nicht größer wird (was ja einige auch tun).
Wenn wir wiederum ein kalkuliertes Risiko zulassen (was der oben zitierten Position widerspricht) oder das Risiko mit den Folgen der russischen Invasion „verrechnen“, dann muss man sehr viel präziser werden, wo für uns rote Linien sind und wann uns dieses Risiko aus welchen Gründen zu hoch wird. Denn: die Entscheidung für schwere Waffen verschiebt nur die rote Linie, eliminiert sie aber nicht.

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Genauer betrachtet wäre es nicht ganz dasselbe Ergebnis. Wenn die Ukraine keine Waffen bekäme und kapitulieren würde, würden einerseits vermutlich kaum noch Kriegswaffen gegen die Ukraine eingesetzt. Was Russland mit seinen dann wehrlosen Opfern machen würde, ist nicht ganz klar. Frei wären sie jedenfalls nicht. Andererseits hätte eine Kapitulation der Ukraine geringere Kosten für den Agressor, was ihn und möglicherweise andere Staaten mit imperialistischen Absichten eher dazu motivieren würde, bald das nächste Land zu überfallen. Und ganz unmittelbar hätte Putin auch mehr Militär übrig, mit dem er weitere Staaten überfallen könnte. Diese beiden Seiten zu vergleichen, ist nicht einfach und hängt von Bewertungen ab.

Ein weitere Aspekt ist, dass die Wahrscheinlichkeit einer Niederlage der Ukraine nicht von den Waffenlieferungen unabhängig ist. In keinem der beiden Fälle ist es sicher, dass die Ukraine verliert oder gewinnt, aber mit Waffenlieferungen hat sie eine bessere Chance.

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