Pazifisten sollten mal Clausewitz lesen. Es geht um Politik. Hat mir jedenfalls im jugoslawischen Buergerkrieg sehr geholfen. Macht immun gegen Propaganda.
Es sind doch nur militaerische Fragen. Die im Krieg nur zweitrangig sind. Clausewitz lesen. Reclam reicht schon. Wenn man den Frieden will, muss man politische Fragen stellen. Krieg ohne Politik ist nur Metzgerei. Sagt er.
Mit so einer Antwort öffnet sich Dein Gegenüber ganz sicher ganz schnell und frei Deinen Argumente
So? Ich meine dagegen, dass es tatsächlich sehr wichtig ist, eine Haltung zu solcherart von Fragen zu haben.
Putin (und vermutlich nicht unbedingt „die Russen“) will ein großrussisches Reich, d.h. unter Einbeziehung von „Neurussland“, also auch der Ukraine. Hat er jedenfalls gesagt (es sei denn, auch das hältst Du für Propaganda).
Wenn ja, sehe ich nicht, wie wir damit einem Kompromiss näher kommt. Der könnte ja nur so aussehen, dass die Ukrainer auf (große Teile) ihres Staatsgebiets, ihre Souveränität, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit verzichteten.
Leben und Gesundheit, Ende der Gewalt, Unversehrtheit ihrer staatlichen Souveränität auf ihrem Staatsgebiet = Abzug der Russen, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit.
Dann hältst Du die ÖR und seriösen privaten Medien für so was wie „Lügenpresse“, oder was? Auch wenn wir natürlich von Ukrainer Seite ebenfalls Propaganda erwarten dürfen: Der Völkermord ist hinreichend dokumentiert und belegt. Ebenso wie die Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Sorry, aber da ist dann mein Interesse an einem Diskurs am Ende.
Ja, das habe ich auch immer wieder gehört. Aber selbst wenn das stimmt: Das rechtfertigt das, was Putin gerade macht? WhatAboutIsm!!!
Krankenhäuser, Schulen, Kirchen und sehr, sehr, sehr viele zivile Wohngegegenden. … .Sprachlos!
Eben gerade nicht! Die Fragen nach dem Ziel (unserer militärischen Unterstützung) sind eben politisch!
Und hier nochmal ein pointierter, ironischer Kommentar zum offenen Biref von Nuhr, Schwarzer, Zeh & Co.
Ich liebe den Humor von Bosetti …
Gelesen habe ich Carl von Clausewitz nicht. Doch der eine Satz von ihm: „Krieg ist eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ ist schwerlich zu widerlegen. Ich halte es durchaus so, dass hinter der Motivation zu einem Krieg immer ein politisches Ziel steht. Dieses Ziel zu kennen, bzw. zu erkennen ist die Kunst.
Haltung, übrigens, ist auch nur eine weitere Ausdrucksform eines politischen Willens. Und als solche würde ich sie nicht als Unfug bezeichnen.
Meinst du den Versuch der Ukraine, die Integrität ihres Staatsgebietes gegenüber dem gewaltsamen Abspaltungsversuch einer vom Ausland gesteuerten Minderheit zu erhalten? Das ist gerade NICHT „gegen“ den Donbass.
Ich bin beim Thema Lieferung schwerer Waffen ja weiterhin überrascht, wie sicher viele Menschen sich in ihrer Einschätzung sind und wie schnell manche Menschen (sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Bekanntenkreis) ihren Standpunkt massiv verschieben, ohne, dass sie dabei merkbar nachdenklich werden. Vielleicht ist das die „Selbstgewissheit“, die Habermas kritisiert hat. Falls ja kann ich das gut verstehen.
Nach etlichen Diskussionsrunden wird auch für mich das Bild eindeutiger. Klar ist für mich inzwischen, dass die Frage nach den schweren Waffen eben keine ist, die an grundlegenden moralischen Standpunkten hängt, sondern einzig an der Einschätzung der Lage. Sehr überzeugend haben das m.E. Ranga Yogeshwar und Marina Weisband trotz ihrer sehr verschiedenen Positionen übereinstimmend herausgearbeitet.
Waffenlieferungen in Krisengebiete grundsätzlich abzulehnen hat als Position genauso wenig eine absolute Gültigkeit, wie die Forderung, dass die Ukraine „nicht verlieren darf“. Mit anderen Worten: sowohl die grundlegenden moralischen Positionen der Befürworter als auch der Ablehner der Lieferung von schweren Waffen sind im Allgemeinen gleichsam sinnvoll. Allerdings ist eine rein gesinnungsethische Position immer sinnfrei. Zielführender wäre dagegen eine verantwortungsethische Position, die sich nach dem Lagebild richtet. So trivial das vielen erscheinen mag, hat es für mich vieles klarer gemacht.
Gut ausgedrückt hat das auch nochmal die Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff, indem sie sagte, dass sich beide Positionen gleichermaßen auf Spekulationen berufen. Spekulationen nicht zuletzt auf Putins Verhalten, das niemand wirklich einschätzen kann.
Damit kann man beide Positionen ad absurdum führen. Beispiele:
Position Pro (Lieferung schwerer Waffen) sagt, dass man Waffen liefern muss, weil die Ukraine nicht verlieren dürfe. Nur – was passiert denn, wenn die Ukraine trotz Waffenlieferung zu verlieren droht? Ein militärisches Eingreifen der NATO wird auch diese Gruppe nicht fordern. Am Ende hätte man also dasselbe Ergebnis nur mit signifikant mehr Leid und Kriegsverbrechen.
Position Kontra sagt, dass man den Konflikt durch Waffenlieferung nuklear eskalieren könnte und sich Verhandlungsoptionen verbaut. Aber was, wenn Putin jegliche Verhandlung ablehnt? Dann haben wir ihm nur den Durchmarsch einfacher gemacht und die nukleare Drohung kann er dann beim nächsten Einmarsch wieder aus der Tasche ziehen (hat ja gut funktioniert).
Das Spiel kann man mit allen Aspekten der Diskussion durchspielen und man wird sehen, dass am Ende immer eine nicht verifizierbare Spekulation steht. Den Schritt kann man also überspringen.
Im Gegensatz zur Corona-Krise, bei der sich ebenfalls die Welt auf eine völlig neue Situation einstellen musste, werden die so essentiellen Erkenntnisse viel weniger öffentlich gewonnen, sondern vielfach durch Geheimdienste und nicht öffentliche bilaterale Gespräche (aus z.T. guten Gründen). Während ich mir bei Corona sehr wohl zugetraut habe, Politikern konkrete Vorwürfe in der Sache zu machen, finde ich das hier deutlich schwieriger. Nicht nur, weil sie einen Informations-Vorsprung haben, sondern auch, weil sie ihre Verhandlungspartner z.B. in Russland z.T. selbst am besten kennen und einschätzen können.
Ich kann Olaf Scholz wohl für seine schlechte Kommunikation kritisieren, aber für seine Entscheidung? Woher weiß ich denn auf welcher Grundlage er sie getroffen hat? Tatsächlich gehen die Berichterstattungen nun auch vermehrt in diese Richtung.
Die Entscheidung ist Pro schwere Waffen gefallen und das erscheint sinnvoll. Aber das Dilemma ist damit nicht vorbei. Nach Einschätzungen von US-Geheimdiensten nimmt das Eskalationspotential des Konfliktes weiter zu. Wir werden also wohl wieder an einen Punkt kommen, an dem wir folgenschwere Entscheidungen fällen müssen. Ich hoffe, dass wir dann als Gesellschaft sofort auf Basis von Lageeinschätzungen und Unterstützungsbereitschaft / Güterabwägung diskutieren und uns nicht wieder grundlegende moralische Standpunkte um die Ohren hauen.
Ich stimme dir in weiten Teilen zu, allerdings mit einer kleinen Korrektur: Die deutsche Entscheidung, schwere Waffen zu liefern ist jetzt erst gefallen.
Das RND hat schon Ende April mal aufgelistet, was (damals) schon alles an, teilweise auch schweren Waffen, geliefert wurde:
Großbritannien und Schweden haben z.B. zusammen 15.000 hochmoderne Panzerabwehrraketen geliefert, die speziell gegen Abwehrmaßnahmen russischen Panzer (reaktiv-Panzerung) entwickelt wurden.
Ohne diese Waffen hätten es die Russen in der Ukraine deutlich schwerer, denn von den reinen Abschüssen abgesehen, ändern solche Waffen auch die Taktik der Russen, verlangsamen den Vormarsch und wirken auch psychologisch.
Aber wo bleiben die Forderungen nach dem Einstellen dieser Lieferungen? Wo ist die Forderung, dass die USA ihre angekündigten schweren Waffenlieferungen (Haubitzen, Hubschrauber) aussetzen sollen?
Und warum kamen solche offenen Briefe nicht, als die Bundesregierung, trotz des Jemenkrieges, schwere Waffen (Patrouillenboote) an die Kriegspartei Saudi-Arabien lieferte?
Mir persönlich erscheinen die Forderungen der EMMA-Brief-Unterstützer daher in höchstem Maß eigennützig und bedenkt man, dass die Menschen in der BRD Jahrzehntelang unter dem nuklearen wie konventionellen Schutz der USA standen sogar, tut mir leid, als feige.
Wichtiger Hinweis - danke.
Ja, ein wichtiger Punkt ist, dass der Brief an vielen Stellen einen unehrlichen Eindruck macht, weil man nicht zugeben will, dass es um die eigenen Interessen geht, obwohl das ja grundsätzlich fair ist. In dieser Hinsicht kann ich „feige“ nachvollziehen. Hinsichtlich der Angst vor Eskalation und nuklearer Bedrohung wäre der Begriff für mich unpassend.
Ich bin leider in Summe etwas enttäuscht über die Aufarbeitung des Themas in der Lage. Zum einen hätte ich es sinnvoll gefunden, bei so einem über alle Maßen zentralen Thema einen Experten einzuladen (z.B. einen Konfliktforscher) statt aus dem Nähkästchen zu plaudern. Zum anderen hatte ich das Gefühl, dass hier genau die Aspekte meiner o.g. Kritik wieder zum Vorschein kamen. Es entstand der Eindruck, dass es hier nicht um Abwägung sondern um etwas Grundsätzliches geht. Die Tatsache, dass die EMMA Position nicht zuende gedacht ist, wurde zu Recht kritisiert. Die Tatsache, dass man mit einer gegenteiligen Position an vergleichbare Grenzen stößt dabei aber ignoriert. Sinnvoll wird die gegenteilige Position nicht durch ihre grundsätzliche moralische Überlegenheit, sondern durch ihre bessere Einschätzung der Lage bzw. intelligentere Abwägung.
Zum Grübeln gebracht hat mich auch die Aussage zur nuklearen Eskalation. Es wird davon gesprochen, dass wir das erhöhte Risiko eines Atomkrieges eingehen müssen, um für unsere Werte zu kämpfen.
Aus der zivilen Nutzung der Kernenergie sind wir ausgestiegen, weil wir das Risiko nicht auf Basis einer üblichen Risikomatrix bewerten, sondern die Folgen eines GAUs als so inakzeptabel bewerten, dass das Eintreten unter allen Umständen ausgeschlossen werden muss.
Zitat @vieuxrenard (aus dem Atomkraft ist Kokolores Thread, aus dem automatisch Zitieren gerade nicht funktioniert):
„Mir ist keine andere Energiequelle bekannt, die im Falle eines Unfalls derart fatale Folgen hat. Es gibt einfach Risiken, die man unabhängig von der - ja auch sehr umstrittenen - Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens nicht eingehen sollte.“
Gegen einen - selbst wenn lokal begrenzen - Atomkrieg wäre ein GAU harmlos. Im Umkehrschluss bedeutet dass, wir müssen auch einen Atomkrieg unter allen Umständen vermeiden. Ein kalkuliertes Risiko erscheint vor dem Hintergrund fragwürdig. Die Position für schwere Waffen wäre also nur dann akzeptabel, wenn man argumentieren kann, dass dadurch die Gefahr eines Atomkrieges nicht größer wird (was ja einige auch tun).
Wenn wir wiederum ein kalkuliertes Risiko zulassen (was der oben zitierten Position widerspricht) oder das Risiko mit den Folgen der russischen Invasion „verrechnen“, dann muss man sehr viel präziser werden, wo für uns rote Linien sind und wann uns dieses Risiko aus welchen Gründen zu hoch wird. Denn: die Entscheidung für schwere Waffen verschiebt nur die rote Linie, eliminiert sie aber nicht.
Genauer betrachtet wäre es nicht ganz dasselbe Ergebnis. Wenn die Ukraine keine Waffen bekäme und kapitulieren würde, würden einerseits vermutlich kaum noch Kriegswaffen gegen die Ukraine eingesetzt. Was Russland mit seinen dann wehrlosen Opfern machen würde, ist nicht ganz klar. Frei wären sie jedenfalls nicht. Andererseits hätte eine Kapitulation der Ukraine geringere Kosten für den Agressor, was ihn und möglicherweise andere Staaten mit imperialistischen Absichten eher dazu motivieren würde, bald das nächste Land zu überfallen. Und ganz unmittelbar hätte Putin auch mehr Militär übrig, mit dem er weitere Staaten überfallen könnte. Diese beiden Seiten zu vergleichen, ist nicht einfach und hängt von Bewertungen ab.
Ein weitere Aspekt ist, dass die Wahrscheinlichkeit einer Niederlage der Ukraine nicht von den Waffenlieferungen unabhängig ist. In keinem der beiden Fälle ist es sicher, dass die Ukraine verliert oder gewinnt, aber mit Waffenlieferungen hat sie eine bessere Chance.
Ein wichtiger Unterschied ist, dass die deutsche Politik entscheiden kann, dass Deutschland aus der Nutzung der Kernenergie aussteigt, und es nach Umsetzung dieser Entscheidung praktisch sicher ist, dass es zu keinem GAU in einem deutschen Kernkraftwerk kommt. Aber was immer die deutsche Politik entscheidet, Russland wird immer die Möglichkeit haben, Deutschland mit Kernwaffen anzugreifen. Die deutsche Politik hat nicht die Möglichkeit, einen Krieg mit Kernwaffen sicher zu vermeiden.
@Helmut, danke für dein feedback.
Ich denke, an deinen Einschätzungen ist sicher was dran. Mir ging es jetzt gar nicht so sehr darum, die Positionen im Detail darzustellen, sondern eher den Mechanismus. High Level betrachtet:
Position „Pro“ spekuliert z.B. darauf, dass die Ukraine den Krieg mithilfe schwerer Waffen gewinnt, ohne dass dieser auf gefährliche Weise eskaliert. Liegt eine dieser beiden Spekulationen daneben, kommt es zur Katastrophe, für die es keinen Plan B gibt.
Position „Contra“ spekuliert z.B. darauf, dass Putin sich durch Zurückhaltung in den Waffenlieferungen eher zu Verhandlungen bewegen lässt und dass dies eine Eskalationsgefahr mindert. Treffen diese Spekulationen nicht zu, so bedeutet dass eine Katastrophe für die Ukraine und ggf. eine Motivation für ähnliche Vorhaben in der Zukunft (auch für andere Staaten). Auch dafür gibt es keinen Plan B.
Gut oder schlecht werden diese Positionen erst durch die Lageeinschätzung. Dabei muss logischerweise nicht nur die Wahrscheinlichkeit des Gelingens sondern auch die Folge eines Scheiterns abgewogen werden. So ist z.B, die Wahrscheinlichkeit Putin an den Verhandlungstisch zu bekommen eher gering. Die Folgen einer nuklearen Eskalation wären wiederum fatal.
Das ist keine allgemeingültige Schilderung der Positionen, aber ein mögliches Beispiel.
Mein Wunsch wäre, dass BEIDE Positionen sich hinsichtlich dieser Logik ehrlich machen. Zum Glück passiert das nach anfänglichem moralischen Säbelrasseln inzwischen mehr und mehr.
Stimmt, allerdings würde ich auch hier Parallelen zum AKW-GAU sehen. Wir können z.B. nicht oder nur sehr schwer beeinflussen, ob Frankreich Tihange abschaltet. Falls es hier einen GAU gibt, wären die Folgen für Deutschland aber ähnlich fatal, wie bei einem GAU im eigenen Land. Auch der zivile Ausstieg aus der Atomkraft ist nur wirklich sicher, wenn alle mitmachen. Aber tendenziell hast du schon Recht, dass die Logik bei der militärischen atomaren Drohung extremer ist.
Ja, ich finde auch, es müssen Wahrscheinlichkeiten und Auswirkungen der verschiedenen möglichen Szenarien betrachtete werden.
Insofern hoffe ich auch, dass die Entscheidungsträger oder ihre Stäbe auch Szenarien betrachten, die nach weniger wahrscheinlichen Entweicklungen entstehen könnten.
Das wurde alles schon vor mehr als einem halben Jahrhundert durchdacht. Aber vermutlich wäre es sinnvoll, wenn die Logik der nuklearen Abschreckung auch in der LdN einmal erklärt würde.
Kurzum: der Versuch einen Atomkrieg um jeden Preis zu vermeiden, birgt ein hohes Risiko, diesen erst recht heraufzubeschwören. Denn die Partei, die sich in der Lage sieht, mittels Androhung von Kernwaffeneinsätzen ihre Ziele zu erreichen, weil alle anderen unbedingt deeskalieren wollen, wird irgendwann damit zu weit gehen.
Am ehesten stabil ist dagegen ein Zustand, in dem Nuklearwaffen einzig und allein als Mittel anerkannt werden, das eigenen Land gegen eine existenzielle Bedrohung zu verteidigen. Alle darüber hinaus gehenden Andeutungen von Drohungen werden dagegen ignoriert/tabuisiert. So verhält sich die NATO gerade gegenüber Russland.
Da bin ich bei dir. Aber die Lage ist doch folgende:
Seit 2014 wurde permanent mit Putin verhandelt, es wurden den Ukrainern sogar die „Minsker Abkommen“ aufgedrückt, die sie zur Waffenruhe zwingen aber mit keinem Wort die annektierte Krim oder die Separatistengebiete erwähnen.
Und was ist passiert?
Russland ist vor 3 Monaten in die Ukraine einmarschiert. Das war das Ergebnis von 8 Jahren Zurückhaltung und Verhandlung. Dieses Vorgehen ist gescheitert. Diese Option hat Russland verbrannt.
Und die selben Leute, die das nicht wahr haben wollen, glauben gleichzeitig, dass Russland, entweder einen konventionellen Krieg mit der Nato vom Zaun brechen würde, den es nicht gewinnen kann oder wahlweise einen Atomwaffen-Konflikt anzetteln würde, den Niemand gewinnen kann. Und das nur, weil Putin mal kurz „Atomwaffen“ nuschelt?
Für mich klingt das wie eine Kombination aus Realitätsverweigerung und Leichtgläubigkeit.
Und beides taugt nicht gut für eine Lage-Einschätzung. Und da muss man auch nicht mit Moral argumentieren. Die reinen Fakten reichen aus.
Aus meiner Sicht eine schwierige Formulierung, weil sie unterstellt / voraussetzt, dass man die falschen Maßnahmen zur Vermeidung anwendet.
Es gibt in letzter Zeit ja einige Experten aus Akademia und Militär, die das nukleare Dilemma einordnen. Und auch wenn es da Unterschiede gibt, kristallisiert sich da für mich schon ein klarer Konsens heraus. Zum einen ist es kontraproduktiv, sich von einer nuklearen Drohung erpressen zu lassen, was recht gut mit dieser These
übereinstimmt. Da gibt es sicher in der aktuellen Debatte auch einige, die das tun, aber die zentrale Befürchtung ist ja eher, dass es (völlig unabhängig von Russlands Rhetorik) eine schnelle und unüberschaubare Eskalationsspirale geben könnte. Letztere wiederum – das ist der andere Konsens, den ich aus der Diskussion heraus höre – ist durchaus eine ernstzunehmende Gefahr, die die Wahrscheinlichkeit eines atomaren Konfliktes vergrößern könnte. Eine Kombination aus Missverständnis, Eskalation und sich schnell ändernder Lage kann demnach durchaus zu einem Zustand führen, bei dem Russland sich „existenziell bedroht“ sieht. Uneinigkeit besteht lediglich darin, wann und wie so ein Punkt erreicht werden könnte → Lageeinschätzung.
Dass sämtliche NATO Partner sich sehr genau überlegen, welche Waffen sie wohin liefern (siehe z.B. das Hickhack um die Kampfjets USA / Polen), zeigt für mich ganz deutlich, dass sie die Gefahr als sehr real einschätzen.
Die Lage (der Nation) setzt ja aber (unabhängig von der o.g. Diskussion) bereits voraus, dass wir mit der Lieferung schwerer Waffen die Gefahr einer nuklearen Konfrontation erhöhen könnten (wenn auch weiterhin auf geringem Niveau). Wenn man das wiederum tut, stellen sich für mich einige Fragen, wie man da bzgl. Risikoabwägung vorgehen kann / darf.
Dieses Streitgespräch zwischen
- Antje Vollmer (geb.1943), Grüne (seit Anfang der 80er), 1983-2005 Bundestagsabgeordnete (mit Unterbrechung), 1994-2005 Bundestagsvizepräsidentin, ev. Theologin
-
Jamila Schäfer (geb. 1993), Grüne (seit 2011), stellvertretende Parteivorsitzende (2018-22), seit 2021 Bundestagsabgeordnete (Direktmandat), Mitglied des Ausw. Ausschuss
bringt die beiden Positionen in der Diskussion ganz gut auf den Punk.
Leider hinter Paywall - bei der SZ kann man einen Tagespass kaufen.
Was ich mitgenommen habe:
- Frau Vollmer hat recht: Wenn die Weltgemeinschaft viel früher gefährliche Entwicklung verhindern würde/könnte, könnte man Krieg vielleicht verhindern.
- Frau Schäfer hat recht: Nun ist aber das Kind in den Brunnen gefallen.
Daher haben wir die Wahl:
- entweder, wir tun nichts und beugen uns faktisch der Gewalt, mit allen Konsequenzen: Völkermord, Signal an alle Aggressoren: „Ihr kommt damit durch“, faktische Entkräftung des Völkerrechts
oder - wir unterstützen den Angegriffenen (mit Waffen und Sanktionen) dabei, sich, sein Land, seine Souveränität, seine Entscheidung, in Freiheit, Demokratie und Rechtstaatlichkeit zu leben. Mit allen Konsequenzen: Auch viele Tote, Verletzte, Traumatisierte. Das Risiko, als Kriegspartei behandelt zu werden. Das Risiko eines Atomkriegs.
Die beiden letztgenannten Risiken liegen allein in der Hand von Putin (solange wir im Rahmen des Völkerrechts bleiben). Die Höhe dieses Risikos kann niemand beziffern. Berücksichtigt man es in seiner Entscheidung, gibt man faktisch Putin einen wesentlichen Einfluss auf unsere Entscheidung. Berücksichtigt man es nicht … ein Dilemma, für das ich auch keine gute Lösung
weiß. In unsere Entscheidung, Atomkraftwerke abzuschaffen, haben wir letztlich ja auch gesagt: Das Risiko eines GAUs kann niemand beziffern. Aber die Auswirkungen eines GAUs sind so drastisch, dass wir auch ein ganz kleines Risiko nicht ertrage können (von der Belastung zukünftiger Generationen durch die Endlagerung mal ganz abgesehen). Aber: Hier haben wir diese Entscheidung souverän getroffen. Sie hat uns niemand aufgezwungen.
Wer für für Sanktionen und Waffernlieferungen ist, der muss für sich entscheiden,
A. was den das konkrete Ziel ist
(1) Putin zu Verhandlungen zwingen
(2) Stopp der Kriegshandlungen (Waffenstillstand wird meist dazu missbraucht, seine Truppen in eine bessere Ausgangsposition für die Fortsetzung der Kriegshandlungen zu bringen)
(3) Rückzug des russischen Militärs. Auch bis hinter die Grenzen der Ostgebiete und der Krim? Ist es an uns, so eine Frage zu entscheiden? Oder können das nur die Ukrainer entscheiden?
(4) Beeinträchtigung des russischen Militärs, damit die so etwas in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr tun können und werden
(5) Entschädigung der Ukraine
B. Wie weit wir bereit sind, zu gehen:
(1) strickt innerhalb der Grenzen des Volkerrechts (wozu die Lieferung von schweren Waffen und die Sanktionen gehören!). Dies aber möglichst verdeckt.*)
(2) wir raten, welche Maßnahmen Putin wohl provozieren könnte und welche nicht und richten uns danach aus. Scheint mir keine sehr stringente Politik zu sein-
*) Es ist im Krieg meist nicht hilfreich, wenn Politiker oder Medien immer gleich alles - unsere Ziele, unsere Grenzen, unsere Maßnahmen - heraus posaunen. Das gilt vor allem für Politiker. Aber auch verantwortungsvolle Verleger sollten sich fragen: Inwieweit spiele ich dem Völkermörder und Agressor Putin in die Hände, wenn ich die Information du veröffentliche? Beispiel: Dass, wann und wo ukraine Soldaten an der (ich glaube) Panzerhaubitze ausgebildet werden. Oder dass die Ukraine mithilfe US-Amerikanischer Geheimdienstinformationen die Moskwa versenkt sowie die 12 Generäle getötet hat.
Und noch jemand, der meine Position sehr gut auf den Punkt bringt (englisch):
In Summe eine Analyse, die ich unterschreiben kann. Das
würde ich etwas weniger digital beurteilen. Die Tatsache, dass Putin am Ende festlegt, ob er uns als Kriegspartei definiert und ob er auf den roten Knopf drückt, heißt ja nicht, dass wir darauf Null Einfluss haben. Er würfelt ja nicht jeden Morgen und wenn’s eine 6 ist, startet er Atomraketen. Damit befreit es uns auch nicht von der Verantwortung, den nuklearen Konflikt zu vermeiden (nach dem Prinzip: wir können es eh nicht beeinflussen, also können wir eigentlich machen, was wir wollen).
Ich teile die Auffassung, dass es da keinen sauberen Ausweg gibt (daher ja die breite Diskussion). Das ständige offen halten eines Gesprächskanals und das unter Kontrolle halten der Eskalationsgeschwindigkeit wären aber aus meiner Sicht sinnvolle Risikominderungsoptionen.
Wichtig wäre auch (das geht in die Richtung dessen, was du schon geschrieben hast) dass im Falle einer Zuspitzung nicht nur die Politiker, sondern auch Medien und Bevölkerung besonnen reagieren. Mit besonnen meine ich, keine Panik aber auch keine Kriegsrethorik zu verbreiten.
Hier schließt sich der Kreis zum offenen Brief um Schwarzer, Merkel, Yogoshwa und Co… Während den Autoren die Ablehnung einer militärischen Unterstützung der Ukraine zugedichtet wurde (auch in der Lage), haben diese sich sehr deutlich gegen eine vermeintlich schon jetzt vorhandene Kriegsrhetorik in den Medien ausgesprochen.
Soll heißen, kommunikativ sollten wir ALLE massiv abrüsten und lieber das Gespräch suchen statt unsere Position als die Richtige zu anzusehen und dafür mit allen medialen Mitteln (bis hin zu Verleumdungen, Stichwort Russland-Verstehen) in der Öffentlichkeit zu kämpfen.