Hallo Zusammen,
ein paar Takte und Gedanken von mir als selbsternanntem Junior-Wahlrechtsexperten:
Die kürzlich veröffentlichte Befragung von Allensbach im Auftrag von der Bertelsmann Stiftung finde ich sehr aussagekräftig, eine große Mehrheit der Wahlbevölkerung will einen Bundestag mit Regelgröße: Umfrage zur Wahlrechtsreform
In der Tat schlägt die aktuelle Rhetorik der Union, vor allem der CSU, völlig über die Stränge, das überrascht mich aber leider gar nicht. Bei diesem Thema hat vor allem die CSU nie ein konstruktives Verhalten an den Tag gelegt und den ansatzweise kompromissbereiten Kräften in der Unionsfraktion keine Chance gelassen.
In der Sache: wenn man den Bundestag auf Normalgröße beschränken will und dabei das Grundprinzip der beiden Stimmen nicht über Bord werfen will (was man durchaus wollen kann), gibt es nur drei (oder 2,5) Möglichkeiten: Direkt-/Überhangmandate/Direktmandate nicht zuteilen, Listen-/Ausgleichsmandate nicht zuteilen, und/oder Zahl der Wahlkreise verringern. Ganz nebenbei, so sehr ihr oder sonst wer sich die Abschaffung der (in alter Benennung) Erst- oder Zweitstimme wünscht: das wird nicht passieren, vergebene Liebesmüh.
Call me Klugschei*er, aber die Bundesregierung hat hier die Finger tatsächlich gar nicht im Spiel (maximal mit Unterstützung auf Referatsebene aus dem Bundesinnenministerium). Im Wesentlichen haben die drei Obleute der Ampelfraktionen in der Wahlrechtskommission hier das Heft des Handelns in der Hand. Von denen kam auch vor einigen Monaten der ursprüngliche Vorstoß für das nun abgeänderte Modell. Die Ersatzstimme wurde meines Erachtens fallengelassen, weil sie verfassungsrechtlich eine Achillesferse des Vorhabens darstellte. U.a. Sophie Schönberger auf dem Verfassungsblog hat es so eingeschätzt, dass diese sich mit der Gleichheit der Wahl wahrscheinlich nicht ausgeht: Krokodilstränen der Demokratie
Ich persönlich und verschiedene andere Wahlrechtsinteressierte bis -experten neigen mittlerweile dazu, eine größere Änderung hin zu Mehrpersonenwahlkreisen zu befürworten. Dafür stehen aber die kurzfristigen politischen Chancen wohl nicht allzu hoch. Die unmittelbare Volksnähe / Bekanntheit von Kandidierenden ist bei Bundestagswahlen ohnehin empirisch nachgewiesen kaum vorhanden und vielmehr Folklore, wie sehr schön hier dargestellt: