Wahlrechtsreformvorschlag der Ampel steht

Es scheint sich eine Lösung zur Wahlrechtsreform abzuzeichnen, über welche wir zum Beispiel auch hier diskutiert haben:

Der Vorschlag, auf den sich die Ampel nun geeinigt zu haben scheint, sieht wohl vor, dass

  • der Bundestag grundsätzlich auf 630 Mandate begrenzt wird,
  • Alleine die Zweitstimme (künftig „Hauptstimme“) entscheidet über die Zahl der Mandate, die eine Partei im Bundestag erhält,
  • Die Erststimme heißt „Wahlkreisstimme“ und es gibt keine Überhangmandate mehr; auch „gewonnene“ Wahlkreise garantieren keinen Einzug in den Bundestag mehr.

Bis hierhin halte ich das für sinnvoll, allerdings besagt der Vorschlag auch:

  • Die „Grundmandatsklausel“ soll wegfallen.

Das bedeutet, dass eine Partei mit weniger als 5% Hauptstimmen gar keine KandidatInnen in den Bundestag entsenden darf, auch wenn sie in drei oder mehr Wahlkreisen Direktmandate erringt. Das würde in erster Linie die Linken treffen, aber es würde auch absehbar die CSU gefährden.

Das kann komische Effekte haben, die man eigentlich nicht in einem modernen Wahlsystem haben will:
So könnten sehr wenige konservative Menschen in Bayern durch eine Wahlentscheidung für FDP und/oder AfD dafür sorgen, dass die CSU aus dem nächsten Bundestag fliegt und eine Rot-Grüne Regierung möglich wird.

So lange wir an der 5%-Hürde festhalten (Warum tun wir das eigentlich überhaupt noch?) halte ich eine Reform, die die 5%-Hürde noch ein wenig höher macht, für problematisch.

Meine Wunschreform wäre die Ampelvariante, aber ohne 5%-Hürde. Dann säßen noch die Freien Wähler (14), Tierschutzpartei (9), dieBasis (8), die PARTEI (6), Team Todenhöfer (3), die Piraten (3), Volt (3) und ÖDP (1) im Bundestag. Die Ampel hätte immer noch eine Mehrheit, aber jede Stimme würde (bis zur durch die Bundestagsgröße gegebenen Rundungsungenauigkeit) zählen.

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Ich finde auch wichtig über diese Änderung des Entwurfs (Streichung der Grundmandatsklausel), ihre Geschichte und Auswirkung zu reden. Eine Demokratie hängt halt maßgeblich an ihrem Wahlsystem.

Dementsprechend finde ich wichtig, dass erklärt wird was passiert, warum und was die Auswirkungen sind. Bisher bin ich da von den restlichen Medien eher enttäuscht und die Lage war da bis jetzt eine freudige Ausnahme ( und sprach schonmal über den Vorschlag vor der Änderung).

Ist das denn tatsächlich so? Wäre nett, wenn irgendwer mal irgendwo den genauen Gesetzesentwurf zur Verfügung stellen könnte, denn eigentlich ist das absolut nicht das, was die Grundmandatsklausel (bzw. dann ihre Abschaffung) bewirkt. (Und bei CDU/CSU bin ich mir nicht sicher, ob die den Entwurf überhaupt gelesen haben, und wenn ja, ob sie sich nicht wie üblich bei ihren Äußerungen einfach nicht durch Fakten beirren lassen.)

Was die Grundmandatsklausel derzeit nämlich tut, ist ab 3 Direktmandaten den Parteien zusätzliche Listenmandate zuzusprechen. Die Direktmandate selber sind nicht Gegenstand der Grundmandatsklausel und gelten unabhängig davon. Man kann das anhand der Partei die Linke ganz gut erklären:

Bei der Bundestagswahl 2002 errang die Vorgängerpartei PDS nur 2 Direktmandate und 4,0% der Stimmen. Das bedeutete aber nicht, dass sie keine Abgeordneten entsenden durfte, sondern nur keine zusätzlichen, saß also bis zur nächsten Wahl mit exakt 2 Abgeordneten im Bundestag an einer Art Katzentisch.

Bei der letzten Wahl 2021 errang Die Linke dagegen 3 Direktmandate und 4,9%, weswegen die Zahl ihrer Abgeordneten wegen der Grundmandatsklausel von 3 auf 39 über die Landeslisten aufgestockt wurde. (Was dann wiederum mehr als 5% des Bundestags sind, und deswegen sogar eine Fraktionsbildung ermöglichte. Hätte Die Linke etwas weniger Zweitstimmen und deswegen bspw. nur 35 Sitze erhalten, hätte sie nur eine Gruppe bilden können.)

Ein Wegfall der Grundmandatsklausel im eigentlichen Sinne würde daher nicht bedeuten, dass Parteien unter 5% gar nicht in den Bundestag kämen. Für Die Linke wär’s natürlich trotzdem ein Desaster, denn sie säße dann jetzt halt mit 3 statt 39 Sitzen drin.

Für die CSU allerdings nicht so, denn die gewinnen ja reihenweise Direktmandate in Bayern. Da käme es sogar zu einem ganz anderen Problem, denn wenn die Direktmandate ohne Grundmandatsklausel wie bisher als Einzelmandate behandelt würden, wäre das Ergebnis, dass 45 Direktmandate bei mehr als 5% Zweitstimmen auf etwa 35 Sitze reduziert würden, aber unter 5% Zweitstimmen als 45 Einzelmandate gewertet würden. Das wäre ein so offensichtliches negatives Stimmgewicht, dass das BVerfG in Karlsruhe eine ganze Reihe neuer Tischkanten bestellen müsste.

Es wäre aber natürlich möglich, auch ohne Direktmandatsklausel die Direktmandate dann durch das Zweitstimmenergebnis zu deckeln, aber eben bloß nicht von irgendwelchen Landeslisten aufzustocken. Also Die Linke 4,9% → 3 Abgeordnete, CSU 4,9% → ~35 Abgeordnete.

Irgendwas an der derzeitigen Berichterstattung, wo anscheinend alle untereinander abschreiben, ist jedenfalls verkehrt. Entweder es stimmt nicht, dass die CSU bei unter 5% aus dem Bundestag fliegt, oder die Umschreibung „Grundmandatsklausel fällt weg“ ist grob falsch und müsste irgendwie „Wegfall aller Direktmandate bei Scheitern an der 5%-Hürde“ lauten oder so ähnlich, und dann würde sich sofort die nächste Frage aufdrängen: Was passiert mit den Wahlkreisen, wo das passiert?

Deswegen, bevor man das seriös weiter diskutieren kann: Wer hat den genauen Gesetzesentwurf?

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Der Gesetzestext ist Hier (PDF) :
zur Landingpage (Bundestag. de)
Da steht auch:

Das Gremium verabschiedete den entsprechenden Gesetzentwurf…in modifizierter Fassung.

Der entscheidende Teil fehlt also im Text (das mit der Grundmandatsklausel).
Es soll aber „der Grundcharakter der Verhältniswahl konsequent“ weitergeführt werden.

Die erfolgreiche Kandidatur im Wahlkreis setzt also künftig neben der relativen Mehrheit eine Deckung durch Hauptstimmen voraus.
Entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 41, 399, 416 f. [1976]) können weiterhin auch parteiunabhängige Kandidaten in Wahlkreisen antreten. Das Wahlvorschlagsrecht ist auch künftig nicht bei den Parteien monopolisiert.

So ganz ist nicht klar, was das im Endeffekt heißt. Sollen nur parteilose Direktkandidaten direkt gewählt werden? Oder kloppen die sich mit den gescheiterten Direktkandidaten der Parteien um die Plätze 599-630?

Exakt das ist offensichtlich geplant. Die Grünen schreiben:

Entscheidend ist nicht der Erfolg in einzelnen Wahlkreisen, sondern das Ergebnis der Zweitstimmen in allen Bundesländern. Nur dieses Ergebnis bildet die Mehrheitsverhältnisse im gesamten Bundesgebiet sicher ab. Es gibt keine besondere Legitimation von Wahlkreisersten, die inzwischen nicht selten nur noch etwa 20 Prozent der Erststimmen im Wahlkreis erringen.
(Quelle: Verkleinerung des Bundestages auf eine Regelgröße von 630 Abgeordneten)

Und die FDP:

Das neue Wahlrecht sieht eine sogenannte Zweitstimmendeckung von Wahlkreismandaten vor: Wahlkreisgewinner kommen nur dann zum Zug, wenn ihre Partei die entsprechende Sitzanzahl nach dem Zweitstimmenergebnis errungen hat. Ist die Anzahl der Wahlkreisgewinner einer Partei nicht von deren Zweitstimmenergebnis gedeckt, so erhalten nur die Kandidaten mit den meisten Stimmen ein Mandat. Dabei stellt das neue Wahlrecht zugleich sicher, dass möglichst viele Wahlkreise durch direkt gewählte Abgeordnete vertreten sind.
(Quelle: Wahlrecht: XXL-Bundestag wird endlich verkleinert | FDP )

Augenscheinlich gehen Wahlkreise, in denen die Wahlkreisersten einer Partei angehören, die an der Sperrklausel scheitert, dann leer aus. Es sollen „möglichst viele“ Wahlkreise direkt vertreten werden, dass sind offensichtlich nicht zwingend „alle“! Die CSU hat es 2021 auf 5,2% und 45 Direktmandate gebracht, die Linke auf 4,9% und drei Direktmandate. Mit einem etwas schlechteren Ergebnis für die CSU wäre es demnach also möglich, dass etwa jeder sechste Wahlkreis niemanden direkt in den Bundestag entsendet. Die Logik besagt, dass diese 48 Sitze dann per Listenmandate der anderen Parteien gefüllt werden müssten.

Danke. Leider ist die modifizierte Fassung in diesem Fall aber absolut relevant.

Genau genommen schreiben die Grünen und FDP (zumindest soweit zitiert) überhaupt nichts über genau dieses Szenario. „Von den Zweitstimmen gedeckt“ könnte auch bedeuten, dass eben diese Deckelung unabhängig von der 5%-Hürde berechnet wird, und die 5%-Hürde eben nur verhindert, dass die Landeslisten zusätzlich ziehen. Was die vernünftige Lösung wäre, wenn man „die Grundmandatsklausel abschaffen“ möchte.

Die Frage ist halt, ob die „Modifikation“ des von @der_Matti zur Verfügung gestellten Gesetzesentwurf eine entsprechende Regelung beinhaltet, oder ob einfach schnell zwischen Tür und Angel § 4 (2) Punkt 2. zweiter Halbsatz (die Direktmandatsklausel) gestrichen wurde.

Sollte letzteres der Fall sein, ist das ein totaler Bullshitentwurf von Dilettanten und wird vermutlich schon im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vom Verfassungsgericht zu Recht gestoppt werden. Die Auswirkungen bei einem Fall der CSU unter 5% wären nämlich völlig absurd:

  1. Die „Hauptstimmendeckung“ wäre dann in der Tat 0. Daher würde keines von angenommen 40 Direktmandaten der CSU zustande kommen.
  2. Aus diesen Wahlkreisen würde aber auch niemand nachrücken. Die Wahlkreissitze fielen weg. Es gäbe dann also aus ganz Bayern nur ca. 5 Wahlkreisabgeordnete.
  3. Da die Hauptstimmensitze in der Oberverteilung erst auf die bzgl. 5% erfolgreichen Parteien aufgeteilt werden, und erst dann in der Unterverteilung nach Hauptstimmenzahl auf die jeweiligen Bundesländer, würden die entsprechenden Sitze auch nicht bei anderen bayerischen Landeslisten landen, sondern zum großen Teil in anderen Bundesländern, da die bayerischen Stimmen für erfolglose Parteien nicht den Konkurrenten zugerechnet werden.

Im Endergebnis hätte also Bayern insgesamt fast die Hälfte weniger Abgeordnete (wegen CSU + Sonstige u.a. Freie Wähler, Linke) im Bundestag als dem Land vom Bevölkerungsanteil zustünde und knapp die Hälfte der Bevölkerung wäre nicht repräsentiert, von „Verbesserung des föderativen Proporzes“ (Gesetzesbegründung) könnte also keine Rede sein. (Lustig wär’s aber auf jeden Fall.)

Aber wie bereits gesagt, ohne den exakten Entwurf, der Gegenstand der Abstimmung war/ist, kann man darüber nur spekulieren. Vielleicht bekommen Ulf @vieuxrenard und Philip ja jemanden aus der Koalition an die Strippe und können da mal nachhaken.

Ich lese das ziemlich eindeutig so, dass für Direktkandidatys der Parteien künftig zwei Bedingungen zwingend gemeinsam erfüllt sein müssen um erfolgreich zu sein: Erstens die meisten Stimmen im Wahlkreis („Wahlkreiserste“), und zweitens das Überspringen der Sperrklausel durch die Partei („Zweitstimmendeckung“). Nur für Einzelbewerbys ohne Parteimitgliedschaft würde Bedingung eins alleine reichen, um ins Parlament einzuziehen, weil es dort ja keine Deckung geben kann, aber da dieser Fall sowieso noch nie vorgekommen ist dürfte diese Überlegung eher akademisch sein.

Es ist genau so, wie @Eule oder @der_Matti , schreiben.

Das geht jedenfalls aus einem Brief von Ralf Mützenich an die Abgeordneten der SPD hervor:

Den habe ich aus dem Tweet von Moritz Rödle, ARD-Korrespondent in Berlin:
https://twitter.com/moritz_roedle/status/1635368253370560512?s=46&t=3_uaXIV91_LB6oL3f6HWFw

Warum man das so machen musste erschließt sich mir nicht und jeden Kommentar, den ich dazu gelesen habe auch nicht.

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Gem. des Verfassungsblog (Kein schöner Zug – Verfassungsblog) tritt genau der beschriebene Fall ein. Liegt eine Partei unter den 5% bekommt derjenige das Direktmandate deren Partei im Bundestag vertreten ist. (Dies könnte in Bayern auch gern mal der 3. oder 4. platzierte sein.)

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@Eule Das ist so wie du das interpretierst. Tatsächlich sind die Formulierungen aber nicht eindeutig. Ohne den genauen Gesetzestext kommen wir hier nicht weiter.

@derimmi Da steht nirgendwo, dass irgendein 2. oder 3.platzierter ein Direktmandat übernimmt, und das ist nun auch wirklich noch nirgendwo so geschrieben worden. Nach dem veröffentlichten, nicht endgültigen Entwurf, den der_Matti verlinkt hat, bleiben Wahlkreissitze einfach unbesetzt, wenn es jemand nicht über den Cut schafft, und landen im bundesweiten Landeslistenpool.

@LightingMcK Das scheint mir dagegen ziemlich eindeutig zu sein, und wenn man mal nicht davon ausgeht, dass Mützenich den Gesetzesentwurf seiner eigenen Fraktion missverstanden hat – was ich allerdings auch nicht völlig ausschließen würde – dann werden die damit meiner Einschätzung nach gehörig auf die Schnauze fliegen, aus den oben ausgeführten Gründen.

Meine Theorie ist ja eigentlich immer noch, dass die mit dem Ding im Grunde die Union bloß unter Druck setzen wollten, damit die dann im Gegenzug gegen die Rücknahme dieser kurzfristigen Änderung endlich den Rest des Gesetzes unterstützen, statt weiterhin stur auf ihren absurden unausgeglichenen Überhangmandaten zu bestehen, und dass das dann mit einer breiten Mehrheit durch den Bundestag geht statt nur mit der knappen Regierungsmehrheit. Die Union denkt aber einfach gar nicht daran und lässt lieber den gesamten Bundestag in eine Verfassungskrise laufen, um sich für eine zukünftige Regierungsbeteiligung die Option offen zu halten, das Wahlrecht doch noch parteiisch zu ihren Gunsten zu drehen.

Also: Es wird doch irgendwo irgendein Journalist die Möglichkeit haben, einen aktuellen Gesetzesentwurf beschaffen und zur Verfügung stellen zu können, über den im Bundestag abgestimmt wird. Irgendwelchen Sekundärquellen darüber, was der angeblich bedeutet, traue ich einfach nicht mehr. Insbesondere wenn nicht einmal der Verfassungsblog darauf kommt, dass dann nicht nur die CSU im Bundestag eliminiert, sondern die bayerischen Sitze insgesamt praktisch halbiert würden. (Sollte ich mich dabei vertan haben, lasse ich mich wirklich sehr gerne korrigieren, aber dann bitte anhand eines Gesetzestextes und nicht Hörensagen.)

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Tatsächlich ist das der Fall. Die Auslegung von @Eule u.a., dass die Direktmandate alle wegfallen, war und ist wirklich korrekt. Über einen „Wegfall der Grundmandatsklausel“ geht das aber weit hinaus. Hier in diesem Dokument steht der Änderungsantrag, natürlich schön als Artikelgesetz :roll_eyes: : https://dserver.bundestag.de/btd/20/060/2006015.pdf

c) Nummer 4 wird wie folgt geändert:
aa) § 4 wird wie folgt geändert:
[…]
cccc) In Satz 2 Nummer 2 wird das Wort „Hauptstimmen“ durch das Wort „Zweitstimmen“ ersetzt und werden die Wörter „wenn sie in weniger als drei Wahlkreisen die meisten Wahlkreisstimmen errungen haben“ gestrichen.

Total gaga. Sowas passiert wohl, wenn man der destruktiven Opposition spontan eins auswischen will und dann ad hoc in irgendwelchen verschachtelten Verneinungen via Artikelgesetz rumkritzelt.

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Argh! Das wäre Dein Wunsch???
Das ist genau der Grund, warum es die 5%-Hürde gibt: damit nicht jede wirre Splittergruppe im Bundestag sitzt!

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Da bei der Bundestagswahl sind ja ohnehin nur Landeslisten zulässig. Wäre es da für die CSU nicht möglich eine gemeinsame Liste CDU/CSU zu machen? Oder ist das nicht zulässig?

Nicht ganz, denn dann gibt es offenbar überhaupt kein Direktmandat und der betreffende Wahlkreis ist nicht im Parlament vertreten (sofern nicht zufällig ein erfolgreiches Listenkandidaty von dort kommt). Der „leere“ Platz wird mit einem Listenmandat gefüllt.

Für die CSU ist das erstmal ein Vorteil, weil sie bei den nächsten Bundestagswahlen mehr taktische Wähler gewinnen wird. Die CSU wäre nur bei über 5 Prozent im Bundestag und das ist ein gutes Argument für unentschiedene Wähler doch lieber die CSU als die FDP, FW oder die AFD zu wählen.

Den Vorschlag sehe ich als sehr kritisch an, weil damit noch mehr Stimmen bei Parteien landen könnten, die nicht im Bundestag vertreten sind. Momentan sind das 8,6 Prozent und fehlen die CSU und die Linke, wären wir bei knapp 18 Prozent. Dann wären 18 Prozent der Wähler nicht mehr im Bundestag vertreten.

Die Beschlussempfehlung des Innenausschusses gibt es mittlerweile hier.

Relevanter Kontext zum Thema Grundmandatsklausel von Veit Medick (Spiegel) auf Twitter: " Was ja schon bemerkenswert ist: Die drei Juristen, die die Ampel beim #Wahlrecht beraten haben, warnten in ihrer Stellungnahme AUSDRÜCKLICH davor, die Grundmandatsklausel zu kippen. Die Klausel sei „für die Glaubwürdigkeit des Entwurfs unabdingbar“." https://twitter.com/vmedick/status/1636375676508045313 (mit Screenshot der einschlägigen Stelle)

Mittlerweile scheint es auch Teilen der Koalition gedämmert zu haben, was für ein Brocken das ist: Wahlen - Berlin - FDP signalisiert neue Kompromiss-Bereitschaft - Bayern - SZ.de.

Ich muss ehrlich gestehen, bei aller Destruktivität des Verhaltens der CSU beim Thema Wahlrecht, und trotz der Tatsache, dass das geltende Landtagswahlrecht in Bayern eben auch keine Grundmandatsklausel vorsieht, hatte und habe ich bei dem Aspekt mindestens gemischte Gefühle. Ich glaube, dass letztlich noch eine Änderung vorgenommen wird, wohl eher weniger bis zur Abstimmung morgen als vielmehr nachträglich. Ist ja noch etwas Zeit bis zum Wahltermin… :slight_smile:

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Ich bin wirklich gespannt, ob die Ampel das so durchdrückt. Es ist tatsächlich erstaunlich, dass die Ampel diesen Entwurf als gut verkaufen will.

Drei Juristen, die die Ampel beim Wahlrecht beraten haben schreiben in einem Gutachten vom 06. Februar 2023, dass die Beibehaltung der Grundmandatsklausel für die Glaubwürdigkeit des Entwurfs „unabdingbar“ sei.
:arrow_right: https://www.bundestag.de/resource/blob/932836/532f24fb314f863f3fd16f7280a9cb5a/20-4-171-H-data.pdf

Hierzu hat auch nochmal die taz recherchiert: Reform des Wahlrechts: Ampel gegen Sachverstand - taz.de

Und man kann nur nochmal sagen, was @otzenpunk schon geschrieben hat: Es ist ein wirklich dilettantischer Vorschlag und mich wundert es, dass es nicht mehr Aufschrei dazu gibt :sweat_smile:

PS.: Die Namensgebung bleibt im Übrigen so wie sie ist. Das heißt, dass Erst- und Zweitstimme so bleiben und nicht umbenannt werden.

Wenn ich mich richtig an meine Schulbildung erinnere, war die fehlende 5%-Hürde einer der Gründe warum die Weimarer-Republik gescheitert ist. Aufgrund der vielen Splitterparteien war kein stabile Koalition möglich. Dies führte dann zu häufigen Neuwahlen und damit mit zum Aufstieg der NSDAP.

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„Wirr“ ist meines Wissens nach kein rechtstaatlicher Grund, Parteien aus dem Parlament auszuschließen. Parteien können verfassungsfeindlich sein oder von niemanden gewählt werden. Aber ob sie im Parlament sitzt, oder nicht, sollte nicht anhand von Sympathien entschieden werden.

Auch hängen die politischen Gestaltungsmöglichkeiten im Parlament insbesondere davon ab, ob sich eine Fraktion bildet. Wir müssen nun wirklich keine Filibuster des VOLT-Abgeordneten oder der PARTEI-Gruppe fürchten.

Ich finde, dass es schon heute ein Geschmäckle hat, wenn die Stimme von ca. 10% der Wählenden nicht zählen. 2021 waren es 8,7% der Stimmen, die einfach gelöscht wurden, mit dem neuen Wahlrecht wären es 13,6% gewesen und 2013 waren es sogar 15,8%. Auch wenn es damals zwei mir zutiefst unsympathische Partien (FDP und AfD) erwischt hat, finde ich, dass es ums Prinzip geht.

Die 5%-Hürde ermutigt auch taktisches Wählen (Beispiel: Ein Bayer steht der FDP nahe und steht nun vor dem Dilemma, der FDP über die 5%-Hürde zu helfen oder der CSU, denn ohne CSU im Bundestag hätte Rot-Grün alleine die Mehrheit im Parlament und alle Machtoptionen der FDP wären gescheitert). Und ein System, das taktisches Wählen ermutigt, ist Mist.

Mathematisch ist ein kompletter Wegfall der 5%-Hürde machbar, siehe Europawahl. Ich denke, dass mittelfristig, wenn mehr als 10% der Stimmen für die Tonne sind, die 5%-Hürde auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigen dürfte. Und die einzige aus meiner Sicht langfristig tragbare Lösung ist der Wegfall dieser Hürde.

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Es gibt alle möglichen abenteuerlichen Begründungen, was in der Weimarer Republik angeblich so das Problem war und was deshalb in der Bundesrepublik nicht wiederholt werden dürfe. Aber eine stabile Regierungskoalition wurde vor allem dadurch verhindert, dass nur drei Parteien (SPD, Zentrum und DDP/DStP) die geltende Verfassung überhaupt aktiv unterstützt haben.

Absolute Zustimmung! Soweit ich mich erinnere, zielte die bisherige Rechtsprechung zur 5-Prozent-Klausel immer auf die „Funktionsfähigkeit“ des Parlaments hinaus. Das ist natürlich einigermaßen unbestimmt. Warum soll ein Parlament mit seinen Ausschüssen und Plenarsitzungen schlechter funktionieren, wenn da 5-10% Leute ohne Fraktionsstatus drinsitzen, die eh kaum was zu sagen haben? Die wesentlichen Dinge werden eh in den großen Fraktionen und durch entsprechende Mehrheiten in den Ausschüssen entschieden. Ehrlicher wäre es vermutlich, zu sagen, dass sich ohne 5-Prozent-Klausel schwieriger stabile Mehrheiten im Parlament herstellen lassen. Allerdings finde ich das nicht unbedingt eine verfassungsgerechte Begründung. Warum soll die Bequemlichkeit für eine Regierungskoalition, leichter eine stabilen Mehrheit zu bilden und durchregieren zu können, schwerer wiegen das grundgesetzlich verbriefte Prinzip der gleichen Wahl, das bedeutet, dass jede Stimme in gleicher Weise im Parlament repräsentiert wird?
Wenn das Ziel stabile Mehrheiten will, sollte man das m. E. ehrlich so sagen und dann vom BVerfG überprüfen lassen. Dann kann man auch gleich Regelungen wie in Griechenland oder Italien einführen, wo die Stärkste Fraktion einfach mal ein paar Sitze on top bekommt.

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