LdN 327 Grundmandatsklausel abgeschafft - warum nicht?

Ich halten den Begriff „Regionalparteien“ in diesem Zusammenhang nicht für angemessen. Wir haben in Deutschland die Situation, dass bestimmte Parteien in manchen Regionen die Rolle einer anderen Partei einnehmen. Dies mag nach Absprache geschehen, wie bei der Aufteilung in CDU und CSU oder historisch bedingt sein, wie in vielen Regionen in Ostdeutschland, wo die SPD quasi nicht existent ist und deren Rolle von den Linken eingenommen wird.

Stattdessen fände ich es besser, von „regional verwurzelten Parteien“ zu sprechen, die in bestimmten Regionen starke Strukturen haben oder gerade dort gewählt werden, wo andere Parteien keine starken Strukturen haben.

Dein Argument, dass regional verwurzelte Parteien

halte ich auch für nicht schlüssig, denn die Linke und die CSU haben ja gerade bundesweite und internationale Anliegen, für die sie ausführliche Programme aufstellen und deretwegen sie in den Bundestag wollen.

Was mich an dieser Aktion so auf die Palme bringt, ist diese Wurschtigkeit und Arroganz, die hier zu Tage tritt. Es tut mir weh als jemand, der die Politik der Ampel in vielen Punkten unterstützt, das hier schreiben zu müssen. Aber wenn über Nacht, ohne den Hauch einer gesellschaftlichen Diskussion, ohne Not, in der Annahme dass das Thema eh zu technisch sei, um die Menschen im Land zu interessieren, mit Regierungsmehrheit zwei unliebsamen Oppositionsparteien das Leben deutlich schwerer gemacht wird, dann fühle ich mich an Dinge erinnert, die wir eher aus Polen oder Ungarn gewohnt sind. Die Pandorrabüchse des Gerrymandering ist nun geöffnet.

Ich sage nicht, dass die Grundmandatsklausel in dieser Form hätte bleiben müssen und ich halte sie auch nicht für die elegenateste Lösung. Aber aus dem Stegreif fallen sofort Vorschläge ein, mit denen man den real existierenden regionalen politischen Disparitäten auf ähnliche Art hätte Rechnung tragen können (Senkung der 5%-Hürde, andere regional bedingte Wege um die 5%-Hürde, etc.). Dass dazu nicht einmal eine Debatte gestartet wurde, ist ein grobes Faul.

Mir graut vor der ersten Wahl, bei der die Linke oder die CSU (oder eine andere Partei) wegen dieser Reform aus dem Bundestag fliegt und die „Big Steal“-Debatte losgeht.

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Die Stimmen müssen in gleicher Weise bei der Ermittlung des Wahlergebnisses berücksichtigt werden, nicht in gleicher Weise im Parlament abgebildet sein.

Jedes Anliegen, das das Wahlvolk in einem Wahlkreis dazu gebracht hat, den Kandidatys dieser Partei ihre Stimme zu geben obwohl die Partei woanders eher geringe Zustimmungswerte hat, sprich dass die Eigenwerbung im Wahlkampf dort in besonderer Weise verfangen hat. Die Wahl ist ein Indiz dafür, dass sich das Wahlvolk in diesen Wahlkreisen von dieser Partei besonders repräsentiert fühlt.

Bayern sind keine nationale Minderheit wie Dänen, Friesen, Sorben oder Sinti und Roma.

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Es gab eine sehr langwierige Diskussion mit allen im Bundestag vertretenen Parteien. Die Problematik des Wahlrechts und des ständig wachsenden Bundestages ist schon lange bekannt.

Die Union war lange an der Regierung beteiligt und hätte selbst Vorschläge machen können oder zumindest das Thema mal bearbeiten können. Hat man nicht nachdrücklich gemacht. Der letzte Vorschlag von Seiten der Union hätte zum Resultat gehabt, das alle verlieren außer der Union (wurde im Forum breit diskutiert).

Jetzt haben die Regierungsparteien ein Gesetz verabschiedet, das der CSU nicht nützt. Vielleicht hätte die Union einfach nicht so bräsig sein sollen und sich einfach mal um ein Thema kümmern sollen, mit dem man keine Stimmen gewinnt und das in einer Weise die einen nicht als die Partei darstellt, die man einfach ist. Hat die Union nicht hinbekommen.

Jetzt muss man halt damit leben. Gehört auch zum demokratischen Umgang dazu, das man sich bis zu einem gewissen Grad wehren kann und Dinge danach einfach akzeptieren muss.

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Für alle, die den Artikel nicht ganz lesen wollen:

Grob vereinfacht muss eine nationale Minderheit in Deutschland aus weniger als 100.000 Menschen bestehen und es gibt deren zurzeit vier (Zitat aus Wikipedia folgt):

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Ich denke das sollte man unbedingt tun. Aus meiner Sicht ist das einzige wirkliche Problem mit dem Wegfall der Grundmandats Klausel, dass in jedem Fall noch mehr Stimmen des Wählers nicht zählen und das hat mir insbesondere 2021 auch so schon Sorgen gemacht. Zählt man alle Stimmen je Wahl zusammen, die in den letzten Jahren unter 5 % lagen, sind das zwischen 5-15% der gültig abgegeben Stimmen, die auf die Art sicher raus gefallen wären. Falls 2025 Linke, FDP und CSU auch noch knapp rausfallen könnten das 25% werden.

Einen so großen Anteil des Wähler Willens für „ungültig“ zu erklären ist schon sehr bedenklich.
Die bisherige Reglung mit der GrundMandatsklausel hatte das Problem, das eine Partei im Extremfall mit 3 direkt Mandaten mit ca. mit 0.5% der Stimmen rein kommen kann, eine ohne aber mit 4.9 % dagegen rausfällt.

Mein Vorschlag wäre daher eine flexible Hürde, die man nach der Wahl solange absenkt, bis nicht mehr als 5% der gültigen Stimmen rausfallen.

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Das ist in meinen Augen eine verzerrende Darstellung. Es gab zwar eine lange Debatte, die in einen (sehr vernünftigen) vorliegenden Reformvorschlag mündete. Vor 8 Tagen wurde dann auf den letzten Metern über Nacht ohne echte Begründung die Abschaffung der Grundmandatsklausel hineingeschrieben. Dazu gab es gar keine Debatte, keine ehrliche Begründung und, wie von Ulf und Philip dargestellt, scheinbar niemanden, der/die dafür verantwortlich sein will. Selbst hier, in einem Forum voller Politnerds hatte ich Mühe, überhaupt eine Diskussiondazu zu starten. Große Teile der Diskussion drehten sich dann auch nur darum, ob das gerade wirklich passiert. Vier Tage später war das neue Wahlrecht durch und erst dann ging die gesellschaftliche Diskussion los.

Das ist richtig. Allerdings rechtfertigt die Dummheit der Union weder, dass man es nun den Linken heimzahlt, noch rechtfertigt eine inkompetente, machtgeile Neuoppositionspartei, es ihr jetzt mal so richtig heimzuzahlen und am Wahlrecht zu drehen. Orbans Umkrempelung des Staates Ungarn ging auch eine extrem verbockte Regierungszeit einer sozialdemokratischen Regierung voraus.

Auch wurde wurde in der Debatte in Deutschland in den vergangenen Jahren nie ernsthaft über die Abschaffung der Grundmandatsklausel diskutiert. Ich habe hier im Forum in den letzten Monaten mehrfach dagegen gewettert, dass die CSU durch das bisherige Wahlrecht einen Vorteil von bis zu 0,4% der Wahlmasse des Bundestags bekommen hat. Da tut es mir weh, wenn auf einmal knapp 10% der Wahlmasse des Bundestags über Nacht wegverhandelt wird und so sehr ich gegen die Unionsvorschläge argumentiert habe, so sehr finde ich nun diese Tat der Ampelkoalition in dieser Form unagemessen.

Wir sollten auch nicht vergessen, dass die großen Verlierer bei dieser Reform die Linken sind. Laut Philips und Ulfs Recherchen kam die Last-Minute-Änderung vor allem aus den Reihen der SPD, die eine Gelegenheit sahen, es den Linken heimzuzahlen.

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Ich teile die Sorge von @philipbanse, dass diese Gesetzänderung die Tür zu Gerrymandering öffnet.

Erstaunlich an dem Behandlung des Themas in der Lage ist, dass es in den Hintergrundgesprächen es keiner gewesen sein will. Es gibt einen Kanzler mit Richtlinienkompetenz. Der Name Scholz taucht in der Besprechung aber nicht auf. Wie man es von ihm kennt, duckt er sich weg - wenn man die Besprechung der Lage als Maßstab nimmt - sehr erfolgreich.

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Hallo zusammen,

ich weiß, dass ihr, @vieuxrenard und @philipbanse, generell nicht im Verdacht steht die CSU in eurer Berichterstattung zu positiv darzustellen, aber in der aktuellen Lage ist das meiner Meinung nach passiert.

Ihr habt sehr stark ihre Perspektive eingenommen und dabei einige triftige Argumente für die Abschaffung der Grundmandatsklausel ausgelassen.

Ihr argumentiert sinngemäß, dass dadurch das Gewohnheitsrecht der CSU in Bayern verletzt würde und sie massiv Einfluss auf Bundesebene verlieren würde.

Dem gegenüber steht, aber die Frage: ist es überhaupt verfassungsrechtlich in Ordnung, dass die CSU so viel Einfluss auf Bundesebene hat, obwohl sie nur eine Regionalpartei ist?

CSU Verkehrsminister haben regelmäßig Bayern unverhältnismäßig stark bevorteilt [1] und sich dafür sogar feiern lassen.
CSU Politiker:innen nehmen regelmäßig in an medialen Runden Teil, in denen sie Bayerns Interessen offen über die des Bundes stellen.

Die CSU versucht die Quadratur des Kreises: einerseits möchte sie als eigenständige, bundesweite Partei wahrgenommen werden, andererseits vertritt sie in erster Linie die Interessen Bayerns.

Letzteres ist völlig OK, aber eben nicht im Bundestag. Dafür gibt es den Bundesrat. Wozu haben wir denn dieses föderale System, wenn man der CSU erlaubt das zu verwischen?

Ihr habt es als problematisch dargestellt, die CSU dazu zu bringen, mit der CDU zu verschmelzen. Aber das wäre genau der richtige Schritt:
Auf Bundesebene vertritt die CSU in den Bereichen, in denen sie nicht (problematischerweise) nur Bayerns Interessen in den Vordergrund stellt, nahezu 1:1 die Positionen der CDU.

Es liegt nun in der Hand der CSU: entweder sie stellt sich der Realität, dass sie auf Bundesebene Teil der CDU werden muss (in Bayern kann das Spitzenpersonal ja bleiben) oder sie setzt sich der Gefahr aus, unter die 5% Hürde zu rutschen.

Was die Linke angeht: Hier sehe ich auch kein Problem. Viele Politiker:innen der Linken haben sich mit kruden, russland-freundlichen Theorien so weit ins Aus manövriert, dass ihnen nun die Wähler:innen verständlicherweise abhanden kommen.

[1] Andreas Scheuer (CSU) lenkt Gelder für den Straßenbau bevorzugt in seine Heimat Bayern - DER SPIEGEL

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Ich finde, man muss sich hier nochmal vor Augen führen, wie eine nicht-Berücksichtigung der CSU-Stimmen, sollte sie nur 4,9% erhalten, zu einer massiven Verzerrung führen würde:

Die CSU hat bei der letzten Bundestagswahl 45 Wahlkreise gewonnen. Das sind 15% (!) aller Wahlkreise in Deutschland und mehr als Linke, Grüne, FDP und AfD zusammen.
Von diesen 45 Wahlkreisen haben in 14 die CSU Kandidaten mehr als 40% erhalten. Nur 5 Wahlkreisgewinner der CSU hatten weniger als 30%. Somit bleiben 26 Wahlkreise, die irgendwo zwischen 30% und 40% liegen.
Hätte die CSU nur 0,3% (~150.000 Stimmen) weniger erhalten, wäre nach neuem Wahlrecht keiner dieser Kandidaten im Bundestag.
Das würde bedeuten, dass 5% der Wahlkreise in Deutschland nicht mit deren Gewinnern im Bundestag vertreten sind, die/der Gewinner/in aber in diesen Wahlkreisen mehr als 40% (!) der Stimmen geholt haben.

Wie das den Wählerwillen gut abbilden soll, kann ich wirklich nicht nachvollziehen.

Die anderen Probleme, z.B. das die Änderung

kam oder das es die Linke auch trifft und das darüber die SPD und Grünen wahrscheinlich nicht sehr traurig sind, das es niemand gewesen sein will und von @Herbert gut angemerkt, dass Scholz Name in der gesamten Debatte gar nicht auftaucht, haben schon andere dargelegt.

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Ein eher technischer Punkt: Wenn die CSU-Abgeordneten als parteilose Kandidaten antreten und ihre Wahlkreise gewinnen würden, dann kämen sie seit der Reform (wenn ich das richtig gelesen habe) als Fraktionslose in den Bundestag. Wenn sie gemeinsam als Partei antreten hingegen nicht. Das ergibt überhaupt keinen Sinn oder sehe ich das falsch?

Sind Einzelkandidaten noch möglich? Aufgestellt werden können Kandidaten auch ohne Parteibeschluss, ich habe aber die Regelung nicht gefunden, die die Wahl Parteiloser regelt.
Auf jeden Fall ist das keine ernsthafte Alternative. Ohne Prozente fällt die Wahlkampfförderung weg.

Doch, Einzelkandidaturen sind weiterhin möglich und werden anders behandelt. Steht auch hier im Verfassungsblog: Abschied von der Personenwahl (Fortsetzung) – Verfassungsblog

So wenig ich die CSU mag, es kommt mir wie gesagt komplett widersinnig vor, dass ihre KandidatInnen potenziell so gravierend schlechter gestellt werden als EinzelkandidatInnen.

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Gebe ich dir vollkommen recht, zur Abschaffung der Grundmandatsklausel gab es keine Diskussion und die kam tatsächlich aus heiterem Himmel.

Es gibt in Bayern übrigens auch keine Grundmandatsklausel. Die ist dort irgendwann mal abgeschafft worden mit Stimmen der CSU.

Ich kann das politische Beben auch nachvollziehen. Ich gebe aber mal zu bedenken, das wenn man befürchtet, das die Linke oder die CSU hier einen auf Orban machen, dann ist es halt mit deren demokratischer Gesinnung auch nicht unbedingt weit her.

Die Linke wird bestimmt auch in der Lage sein ihre internen Probleme zu lösen und wieder eine vernünftige Forderungen zu stellen. Dann klappt es auch mit den 5%. Das die Linken so Schwierigkeiten haben ist nicht die Schuld der SPD.

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Es stimmt, dass es in Bayern keine Grundmandatsklausel gibt.
Dass diese aber von der CSU abgeschafft worden ist, stimmt hingegen nicht!

In Bayern musste eine Partei bis einschließlich 1970 in einem Wahlkreis mindestens zehn Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten, um in den Landtag einziehen zu können. Erst seit 1974 gilt eine landesweite Fünf-Prozent-Hürde, d. h., Wahlvorschläge bleiben unberücksichtigt, wenn auf sie nicht wenigstens fünf Prozent der im gesamten Wahlgebiet abgegebenen gültigen Stimmen entfallen sind.
Quelle: Wahlsystem der Landtagswahl 2018 in Bayern

Diese Änderung wurde durch einen gemeinsamen Antrag von CSU, SPD und FDP (also von allen im damaligen Landtag vertretenen Parteien) umgesetzt, siehe Drucksache Nr. 7/3946 vom 15.03.1973.

Edit: Nachdem ich deinen Beitrag nochmal gelesen habe @anon47028507 ist mir aufgefallen, dass da „mit Stimmen der CSU“ steht. Das habe ich überlesen, deswegen ist mein zweiter Satz nicht korrekt. Lass ihn trotzdem aus Transparenzgründen so stehen.
Nichtsdestotrotz sieht man gut, dass die Änderung durch einen Konsens aller Parteien umgesetzt wurde und eben nicht von einer Regierungsmehrheit.

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Der SSW ist aber gar nicht im Bundestag.
Der hat nur eine Sonderklausel für den Schleswig Holsteinischen Landtag.

Doch einer hat’s geschafft.

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Nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil ^^

Danke für die Aufklärung.

Ich verstehe die Trennung zwischen CSU und CDU eh nicht, da gibt es bestimmt eine Lösung.

Die Linken können ruhig untergehen. Bitte die AFD gleich mitnehmen.

Die Union ist nach dem Krieg regional entstanden, mit zuerst mehreren relativ zeitgleichen aber voneinander unabhängigen Parteigründungen (unter anderem in Köln, Frankfurt, Berlin, Hannover, München) von denen sich die meisten 1950 zur gemeinsamen Union zusammengeschlossen haben. Und die CSU wollte da halt nicht mitmachen, in der Tradition der Bayerischen Volkspartei aus Weimarer Zeiten.