Reform des Wahlrechts und Modernisierung der Parlamentsarbeit zur Verkleinerung des Bundestages

Wenn man schon darauf besteht, das grundsätzlich nicht triviale System der Erst- und Zweitstimme beizubehalten, ist eine Zweitpräferenz keine allzu große Verkomplizierung.
Als Erklärung reicht ja „Die Zweitpräferenz ist dein zweitliebster Direktkandidat“, optional mit der Erklärung „Die Zweitstimme bestimmt, wieviele Plätze im Bundestag eine Partei hat. Die ‚zweite Wahl‘ deiner Erststimme wird nur dann genommen, wenn deine Erstpräferenz es wegen der Zweitstimme nicht geschafft hat“

Passend dazu, eine Visualisierung verschiedener Wahlsysteme mit ihren Vor- und Nachteilen:

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Hallo zusammen,
ich bin gerade wo anders auf die Wahlrechtskommission gestoßen. Ich find das Thema interessant, will aber ehrlich gesagt nicht so viel Zeit investieren, um mir auf der Bundestagsseite (Deutscher Bundestag - Kommission zur Reform des Wahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit) die letzten Tagesordnungen durchzulesen oder die öffentlichen Sitzungen anzuschauen. Hier im Forum ist die letzte Diskussion zur Wahlrechtkommission auch schon wieder einiges an Zeit her.

Daher will ich mein Interesse für einen Bericht in der Lage anmelden. Laut Deutschlandfunk wollte die SPD die Reform noch letztes Jahr durchs Parlament bringen (Wahlrechtsreform - Wie der Bundestag verkleinert werden soll | deutschlandfunk.de). Zeichnen sich also bald konkrete Änderungen in den verschiedenen Themengebieten der Kommission (Wahlrecht, Wahlalter, Dauer der Legislaturperiode, Begrenzung der Amtszeit des Bundeskanzlers, …) ab?

Viele Grüße,
Andreas

Hallo Forum, das ist mein erster Beitrag hier, ich habe mich extra für meine Idee hier angemeldet, ich bin langjähriger stiller Hörer der Lage.
Wie wäre ein Wahlsystem, dass alle Direktmandate berücksichtigt, die Stimmkraft des Mandats entsprechend der Mehrheitsverhältnisse anpasst. Wenn Partei XYZ 32 direkte Mandate gewinnt, aber nach Zweitstimme nur 30 bekommen dürfte, dann würde die Stimmkraft dieser 30 Mandate auf 30/32 reduziert. Ich habe keine Ahnung, ob das verfassungsgemäß ist und welche Detailprobleme das mitsichbringt, finde die Idee aber elegant. Jeder Wahlkreis hat seinen direkt gewählten Vertreter und das Stimmverhältnis im Bundestag wird auch berücksichtigt.

Gruß
Gunnar

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Ich würde mal vermuten an Art. 42 (2) Grundgesetz musst Du mindestens ran:
Zu einem Beschlusse des Bundestages ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt.

Ich glaube aber auch, dass das für viele Parlametnarier_innen nicht gewünscht wäre, wenn Ihre Stimme „weniger wert wäre“ als die von Kolleg_innen. Das ist zwar nicht so ein richtig starkes Argument, ich würde aber fast wetten, dass das die Abgeordneten anders sehen :wink:

Ich sehe jetzt selbst den Schwachpunkt meiner Idee. Bei der letzten Bundestagswahl hatte die FDP z. B. gar kein Direktmandat, da geht es schon gar nicht mit meiner Idee. Und bei den Grünen hätte das eine Direktmandat die komplette Stimmgewalt der Partei. Nichts für ungut.
:slight_smile:

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Hallo,

ja, das ist tatsächlich ein spannendes Thema, das in den kommenden Wochen aktuell wird, da der erste Gesetzesentwurf zur Reform jetzt auf den Weg gebracht wurde.

Die gefundene Lösung ist dabei sehr elegant, weil einfach: statt mehreren komplizierten Berechnungsschritten mit Überhangsmandaten, einem eingeschränkten Ausgleich über Landeslisten (Was natürlich nicht funktioniert, wenn eine Partei nur in einem Bundesland antritt, bei einer Fusion von CDU und CSU hätte der aktuelle Bundestag die Regelgröße von 598) und einem Ausgleich mit Ausgleichsmandaten und unausgeglichenen Überhangsmandaten, mehreren Ober- und Unterverteilungen, etc., soll sich die Sitzverteilung in Zukunft einfach daraus ergeben, dass die Stimmenanteile auf 598 Sitze abgebildet werden. Fertig. Feierabend. So einfach war Wahlrecht in der BRD noch nie.

Wie wird das möglich? Das ist leider der Wehrmutstropfen: Wenn eine Partei mehr Wahlkreise gewinnt als ihr proportional von den 598 zusteht, dann dürfen eben nicht alle „Wahlkreissieger*innen“ in den Bundestag einziehen. Damit trotzdem jeder Wahlkreis im Bundestag vertreten ist und der/die Abgeordnete von einer relativen Mehrheit im Wahlkreis unterstützt wird, wurde eine Ersatzstimme geschaffen. Die kommt dann zum tragen, wenn die Person, die du mit der Personenstimme gewählt hast, im Wahlkreis auf Platz 1 landet, aber aufgrund der neuen Regel nicht in den Bundestag einziehen darf. Diese Ersatzstimmen für den eigentlichen 1. Platz werden zu den anderen Personenstimmen addiert und so ein neuer 1. Platz aus einer anderen Partei (oder ggf, Parteilos) ermittelt. So bleibt jeder Wahlkreis gut im Bundestag vertreten. So wird dieser Wehrmutstropfen mMn gut abgefangen.

CDU/CSU fassen das Ganze jetzt so zusammen, dass Wahlkreissieger:innen der Einzug in den Bundestag verwehrt wird (Faktisch nicht falsch, aber wie oben geschrieben, eine sehr starke Verkürzung) und dies die Legitimität der Wahl angreife. Doch viel wichtiger ist dabei die Frage: Wieviel demokratische Legitimität besitzen eigentlich Direktabgeordnete?

  1. Um einen Wahlkreis zu gewinnen genügten 2021 18,6% der abgegebenen Erstimmen, ein Vorsprung von 35 Stimmen. Bundestagswahlkreis Dresden II – Bautzen II – Wikipedia Ja, mathematisch ist es das „Gewinnen“ eines Wahlkreises, aber wie viel Legitimität daraus gewonnen werden soll konnte mir zumindest noch niemand beantworten.

  2. Nur 30% der Wahler*innen trifft bei der Erststimme überhaupt eine informierte Wahlentscheidung (ZEIT ONLINE | Lesen Sie zeit.de mit Werbung oder im PUR-Abo. Sie haben die Wahl.), die anderen 70% kennen maximal eine:n Kandidat:in. Die primäre Wahlentscheidung fällt auf die Parteien und daher ist der Fokus auf die bisher „Zweitstimme“ und in Zukunft „Hauptstimme“ genannte Stimme richtig und wichtig. Daher muss eben der personalisierte Aspekt über die Direktmandate hinter der proportionalen Verteilung der Sitz gemäß Zweitstimme zurücktreten.

  3. Auch wenn (ironischerweise gerade aus der CSU) immer wieder behauptet wird, dass der Reformvorschlag verfassungswiedrig sei, die Idee, dass der 1. Platz im Wahlkreis doch kein Mandat im Parlament erhält ist keinesfalls neu: Es ist in einem Landtagswahlgesetz seit langer Zeit vorgesehen: Und zwar, genau, Bayern. Artikel 43 sieht vor, dass Wahlkreissieger:innen, deren Partei an der 5%-Hürde scheitern, nicht in den Landtag einziehen dürfen. LWG: Art. 43 Wahl der Vertreter der Stimmkreise - Bürgerservice Dass so der CSU-Generalsekretär mal eben Bayern als Schurkenstaat bezeichnet, ist dabei nur die populistische Kirsche auf der Sahnehaube. https://twitter.com/MartinHuberCSU/status/1614946523321606146

Viele Grüße

Edit: * → : wegen Formatierung

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Das bisherige Wahlsystem, mit Erst- und Zweitstimme, ist einfach ein mathematischer Schildbürgerstreich, man hätte jedem, der damals dafür gestimmt hat sofort alle Studien- und Schulabschlüsse aberkennen sollen.

Die Erststimme gehört einfach abgeschafft und gut. Dass die Ampel das mit ihrem Reformvorschlag im Kleinen bereits anstrebt, ist gar nicht so schlecht. Ich ahne aber, dass die Union dort erbitterten Widerstand leisten und auf jeden Fall nach Karlsruhe ziehen wird.

Bin nur mal gespannt, wie sich das Verfassungsgericht da entscheiden wird. Es könnte einfach argumentieren, dass der Wählerwille bereits durch die Zweit- bzw. dann Hauptstimme ausreichend abgebildet ist.

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Das Mehrheitswahlsystem hat durchaus Vorteile:

  • alle Regionen sind garantiert im Parlament vertreten durch die Wahlkreise
  • direkte Legitimation der gewählten Abgeordneten (Kreuzchen hinter dem Namen)
  • befördert klare Mehrheiten im Parlament (nicht garantiert, aber wahrscheinlicher)
  • direkterer Zugang (Kandidat:innen müssen keiner Partei angehören oder nahestehen)

Umgekehrt hat die Verhältniswahl auch Nachteile:

  • kein direkter Einfluss der Wähler:innen auf einzelne Kandidaturen (man muss die Liste akzeptieren)
  • viele Parteien im Parlament können eine stabile Mehrheitsbildung erschweren
  • Zugang zur Macht ist nur über Parteien möglich

Diese Nachteile werden durch die Kombination beider Wahlsysteme abgefedert.

Wo kann ich denn jetzt Einfluss nehmen auf den Direktkandidaten der Parteien? Das ist doch fast noch schlimmer als die Liste an sich. Und schon jetzt ist es extrem schwer ohne die Geldmaschine einer Spendenfinanzierten Partei gewählt zu werden, da ein Großteil der Wähler die Erst- wie die Zweitstimme stur nach Partei auswählt (wenn der Kandidat nicht direkt ein Rechtsextremer wie Maaßen ist).

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Du kannst den Direktkandidaten z.B. nicht wählen, sondern deine Stimme einer anderen Person geben. Wenn mehrere/genug Wählys so empfinden, können Kandidaturen dann am Wählywillen scheitern. Und klar, es ist sehr unwahrscheinlich, ohne Parteimitgliedschaft als Direktkandidaty gewählt zu werden (mir ist auf Bundesebene kein Fall bekannt), aber das ist immer noch besser als ganz unmöglich.

Dasselbe Prinzip gilt doch auch bei der Erststimme, da man weiß wer wo auf der Liste steht. Wenn da dann ganz oben einer steht den man nicht will wählt man die Partei nicht. Selbes Prinzip für mich. Bei der Erststimme werden mir auch nur Kandidaten vorgesetzt die im schlimmsten Fall im Stil der Union einfach ernannt wurden. Das wäre was anderes wenn man Parteispenden verbieten und harte Budgetgrenzen für Wahlkampf einführen würde. Das würde die Möglichkeiten Parteiloser erhöhen. Ansonsten ist das auch nur eine Pseudochance in meinen Augen.

Aber diese Kombination beider Wahlsysteme ist eher ein „worst of all“.

  • Viele Wahlkreise gelten als „sicher“ für eine Partei. Wer von der CSU in einem von mind. 95% ländlichen Wahlkreisen in Bayern aufgestellt wird, der ist sicher im Bundestag, egal was für’n Trottel er ist.
  • Die derzeitige Kombination erzeugt erst diesen ganzen Rattenschwanz mit Überhangmandaten etc., der kompliziert irgendwie abgefedert werden muss.
  • Das Wahlsystem ist extrem intransparent, weswegen die Leute sowieso meistens nach Parteien abstimmen – im Extremfall sogar aus völliger Unkenntnis, indem die „Erststimme“ der Lieblingspartei und die vermeintlich unwichtigere*„Zweitstimme“* dem gewünschten Koalitionspartner zugewiesen wird.
  • Wer versteht eigentlich wirklich, dass der Wahlkreiskandidat einer Partei eigentlich gar nicht gegen die Wahlkreiskandidaten der anderen Parteien antritt, sondern gegen einen (unbestimmten) Kandidaten der eigenen Partei auf der Liste?

Ich plädiere daher für eine viel einfachere Kombination von Listen- und Personenwahl: Offene (Landes-)Listen mit Personenstimmen. Zum Beispiel könnte jeder 2 Stimmen abgeben (kein Kumulieren!), eine für den Spitzenkandidaten und eine für den lokalen Favoriten des Parteiverbandes. Wenn dann der örtliche Funktionär ein korrupter Arsch ist und sich null um die Wähler im Wahlkreis kümmert, dann wählen eben ein Haufen Leute lieber den aus dem Nachbarlandkreis oder irgendeinen guten Fachpolitiker, und Don Korrupto fällt auf der Liste nach unten ab.

Vorteile:

  • Abgesehen vielleicht vom Spitzenkandidaten und ein paar sehr weit oben gesetzten, prominenten Personen, hat niemand mehr sein Mandat faktisch sicher. Jeder muss politisch so integer arbeiten, dass er bei der Wahl seine Personenstimmen wieder zusammen bekommt, und muss sich öffentlich erklären, warum er auch in das nächste Parlament gehört. Der Wähler gewinnt massiv an Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments.
  • „Unbequeme“ Mandatsträger können von der Partei nur sehr schwer abgestraft werden – indem sie komplett von der Liste ferngehalten werden. Auch wer weit unten auf der Liste steht, aber beliebt ist, kann gewählt werden.
  • Insbesondere in den Volksparteien werden die lokalen Gebietsverbände schon dafür sorgen, dass ihre Kandidaten bei der Listenaufstellung nicht übergangen werden und flächendeckende Repräsentanz gewährleistet ist. Aber sie müssen eben gute Kandidaten haben, ansonsten fallen ihre Kandidaten bei der eigentlichen Wahl durch. Das gilt auch für mittelgroße Parteien, sogar dort, wo sie eigentlich keine Chance auf Direktmandate haben.

Nachteile:

  • Die „Wahlzettel“ werden größer, werden eher zu Wahlheften werden wie in Hamburg und afaik Bremen.
  • Ein paar sehr große Bundesländer wie Bayern oder NRW müssen evtl. aus praktischen Gründen in mehrere Wahlgebiete bspw. nach Regierungsbezirken unterteilt werden, weil sonst die Listen wirklich sehr lang werden.
  • Es gibt keine Möglichkeit für Einzelkandidaturen mehr, aber da meines Wissens seit 1949 niemand mehr auf diese Weise ein Mandat im Bundestag erlangt hat, ist das meiner Ansicht nach vernachlässigbar.
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Dem würde ich zustimmen.
Der Anteil der Personalisierung des Verhältniswahlrechts sollte nicht im Rahmen der Wahl geschehen, sondern im Vorfeld der Wahl. Daher: Die Personalisierung sollte über Vorwahlen geschehen, die möglichst offen und transparent sein sollten (nicht die Hinterzimmer-Kummelei, die aktuell teilweise betrieben wird, um den Wahlkreis-Kandidaten festzulegen).

Das halte ich ehrlich gesagt für obsolet. Dass alle Bundesländer vertreten sein müssen kann ich nachvollziehen, und das würde ja auch bleiben. Dass jede Region einen Vertreter haben sollte ist etwas, das für den Landtag relevant ist, aber nicht für den Bundestag (und schon gar nicht für das Europaparlament, wo das zum Glück auch nicht angestrebt wird).

Desto größer die Struktur ist, daher desto mehr Ebenen es gibt, desto grobgliedriger muss auch die Vertretung sein. Bei der aktuellen Struktur Kommune - Land - Bund - EU macht es daher Sinn, dass im Landtag jede Kommune (über die Wahlkreise große Kommunen auch mehrfach) vertreten ist, ebenso wie es Sinn macht, dass im Bund jedes Bundesland vertreten ist und auf der EU-Ebene jeder EU-Staat vertreten ist. Eine feinere Gliederung ist einfach nicht mehr zeitgemäß.

Ja, ein Mehrheitswahlrecht bedeutet Stabilität auf Kosten der Flexibilität des Systems. Siehe Zwei-Parteien-Systeme wie die USA oder UK. Das ist jedoch nicht erstrebenswert - hätten wir in Deutschland ein Mehrheitswahlrecht eingeführt, würde es heute nur SPD und CDU als relevante Parteien geben. Das ist kein Land, in dem ich leben möchte.

Das blendet die Realität völlig aus und verkehrt sie sogar in’s Gegenteil.
Ein Mehrheitswahlrecht bedeutet in aller Regel, dass über 99% aller Menschen, die gewählt werden, einer von Zwei Parteien angehören. Daher: Dritte Parteien oder Unabhängige Kandidaten haben nahezu keine Chance, sich durchzusetzen.

Dass in Deutschland auch zunehmend mehr Wahlkreise von LINKEN (Tendenz abnehmend) und Grünen (Tendenz zunehmend) und in der Zukunft möglicherweise leider auch AfDlern im Osten gewonnen werden, ist dem Verhältniswahlrecht zu verdanken, denn nur dadurch bekommen die kleineren Parteien überhaupt genug Einfluss und Medienberichterstattung, um irgendwann dann mal einen Wahlkreis gegen „die Großen“ gewinnen zu können.

Der direkte Zugang ohne Parteizugehörigkeit ist jedenfalls kein realistischer positiver Aspekt des Mehrheitswahlrechts, höchstens ein theoretischer auf dem Papier.

Ich bin ausdrücklich gegen ein reines Mehrheitswahlsystem, das halte ich für offensichtlich undemokratisch. In Kombination mit dem Verhältniswahlrecht, wie wir es in Deutschland haben, kann es jedoch Vorteile einbringen ohne dass die Nachteile durchschlagen (denn diese werden von den Vorteilen des Verhältniswahlsystems teilweise aufgefangen). Es bleibt natürlich das Problem, dass beide Systeme nicht dafür gemacht sind, in Kombination verwendet zu werden. Ich finde es aber erstrebenswert, dies trotzdem zu versuchen und ggfs. immer wieder zu verbessern/anzupassen, statt sich rein für eines der beiden Systeme zu entscheiden.

Das stimmt, und mir reicht das auch erstmal schon, gewissermaßen als strukturimmanente Reserve für den Fall eines außergewöhnlichen Zusammenbruchs des Parteiensystems.

Darauf können wir uns denke ich einigen. Der Nachteil des Mehrheitswahlrechtsanteils ist gleichzeitig der Vorteil: Die Stabilität. Der Nachteil daran ist der inhärente Vorteil für CDU/CSU/SPD, da der (teilweise sehr berechtigte!) Sturz in die Bedeutungslosigkeit durch die Direktmandate nahezu unmöglich ist, der Vorteil ist, dass genau das natürlich für viel Stabilität sorgt, weil ein kompletter Wandel der politischen Landschaft, wie man ihn teilweise in Frankreich oder Italien gesehen hat, nicht stattfinden kann. Andererseits wünscht sich ein Teil von mir auch, dass ein radikaler demokratischer Wandel möglich sein sollte, damit wir in bestimmten Fragen (z.B. Umweltschutz) zu schnelleren Ergebnissen kommen könnten.

Wie immer finde ich es wichtig, anzuerkennen, dass es ein schwieriges Thema ist, für das es keine einfachen, optimalen Lösungen gibt…

Die konkrete Problematik mit den Überhang- und Ausgleichsmandaten und damit der Aufblähung des Bundestages liegt, da sind wir uns denke ich alle einig, eben an der Kombination von Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht. Die Entscheidung der Bundesregierung, dieses Problem durch Reduktion des Mehrheitswahlrechtsteils zu beheben, halte ich für richtig, das Geheule der Union, die dadurch einen massiven unfairen Vorteil verliert und nun so tut, als würde sie unfair behandelt werden (bis hin zu Reden von „organisiertem Wahlbetrug“), kann ich nicht nachvollziehen.

Das BVerfG wird meiner Einschätzung nach den Entwurf der Bundesregierung billigen, weil eine geringfügige Schwächung des Mehrheitswahlrechtsanteils in Abwägung mit den Alternativen eine zulässige Option sein dürfte. Aber sicher ist das nicht, auf die Begründung eines etwaigen Urteils bin ich jedenfalls gespannt, weil das zwangsläufig ein Grundsatzurteil werden wird. Besonders gut an dem Entwurf finde ich, dass die Zweitstimme in Zukunft „Hauptstimme“ und die Erststimme „Personenstimme“ heißen wird, das ist ein lange überfälliger Schritt für die Transparenz der Wahl, da erfahrungsgemäß viel zu viele Menschen von dem intuitiv auch sinnvollerem Sachverhalt ausgehen, dass die „Erststimme“ die wichtigere sei, was schlicht nicht der Fall ist.

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Nicht zwingend.
Schweden hat eine personalisierte Listenwahl.

Heißt stecke ich nur den Wahlzettel ein stimme ich für die Liste wie sie ist.
Mache ich ein Kreuz hinter dem Namen auf der Liste stimme ich nicht nur für die Partei, sondern habe auch einen Einfluss auf die Rangfolge.

Ergo wenn der zweite auf der Liste mehr Kreuze bekommt als der erste steigt er auf.

Ausschlaggebend ist die Zahl der direkten Kreuze nicht die Zahl der abgegebenen Stimmen.

Was mir noch als Unterschied einfällt: die Sitze im Parlament sind fest den Regionen zugeordnet. Dort kämpfen die Parteien mit ihren Listen und dort wird dann auch entschieden je nach Verhältnis welche Partei Sitze bekommt erst dann ergibt sich wieviele Sitze eine Partei im Parlament bekommt.
Das führt dazu daß manche der kleineren Parteien nur in einer Region wirklich stark sind.

Fragt mich aber bitte nicht wie dieses System gezäht und berechnet wird.

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Sind sie in Deutschland ja auch, wenn wir mit Regionen Bundesländer meinen.

Jeder Sitz der 598 regulären Sitzen ist entweder einem Wahlkreis (in einem Bundesland) oder einer Länderliste zugeordnet, es gibt keine bundesweite Liste oder ähnliches, jeder zusätzliche Sitz im Rahmen von Ausgleichsmandaten ist auch jeweils einem Bundesland zugeordnet, sodass das Verhältnis der Abgeordnen im Bund gleich bleibt (würde man die ganzen Überhangmandate in Bayern z.B. nur mit bayrischen Abgeordneten ausgleichen, wäre der Bundestag sehr bayrisch…). Eine Partei, die in einem Bundesland keine gültige Landesliste abgibt (z.B. die Grünen im Saarland bei der letzten Wahl) können in diesem Bundesland daher auch keine Stimmen bekommen. Faktisch wählt man daher hier bei der Wahl auch immer nur die Landespartei und nicht die Bundespartei.

Diese Zusammenhänge sind aber vermutlich nur den wenigsten Wählern bewusst (und für die meisten vermutlich auch nicht relevant).

Dazu habe ich Folgendes gefunden:

Klingt erstmal gut. Kann man die Zusatzstimme auch an einen Kandidaten einer anderen Liste geben oder nur der Liste, die man auch gewählt hat?

Auch aus der obigen Quelle:

Bis zum letzten Satz ähnlich wie in Deutschland. In Schweden werden Überhangmandate schlicht komplett gestrichen, bis 2014 wurden sie nicht ausgeglichen.

Die neue Wahlrechtsreform wäre daher eine Annäherung an das schwedische System, da wir ebenfalls die Überhangmandate schlicht streichen. Bei uns hat es nur - wie so oft - länger gedauert. Erst wurden die Überhangmandate wie in Schweden bis 2014 gar nicht ausgeglichen, dann wurden sie vollständig ausgeglichen, dann nicht mehr vollständig und jetzt sollen sie endlich auch wegfallen.

Ich finde die Vergleiche mit anderen demokratischen Systemen interessant, da kann man vielleicht tatsächlich draus lernen, wie wir es besser machen können. Hat noch jemand Beispiele für personalisierte Mehrheitswahlrechtssysteme aus Europa oder anderen Teilen der Welt?

Das geht nur auf der Liste die man wählt.

Ich finde leider kein besseres Bild, aber so sehen die Stimmzettel aus.
Die unterschiedlichen Farben geben an welche Wahl (Kommun/Landsting/Riksdag) und dann gibt es für jede Parteilisten einen Zettel.
Man wählt den Zettel und damit welcher Partei man seine Stimme gibt.
Oder man bringt den Zettel bereits mit, da diese im Wahlkampf fleißig ausgeteilt werden.
Kreuzt man einen Namen an bevor man den Zettel in den Umschlag steckt so ist das die Zusatzstimme.
Legt man zwei Zettel in den Umschlag ist die Stimme ungültig, wie auch wenn man die falsche Farbe in die Urne wirft.

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7 Beiträge wurden in ein neues Thema verschoben: LdN319 Gesetzentwurf für Wahlrechtsreform

Ich sehe das größte Problem darin, dass Wahlkreise nach dieser Regelung künftig auf unterschiedliche Arten gewonnen werden können bzw. sogar auch gar nicht (denn die Idee mit der Ersatzstimme ist doch gestorben, oder?), je nachdem wie sich die Zweitstimmensituation dort konkret auswirkt. Und da würde es mich eher wundern wenn das BVerfG das durchwinkt, weil die Wählys hier nicht abschätzen können was ihre Stimme bewirkt. Man kann Omma Kasuppke schlecht erklären „wenn du hier ankreuzt passiert X, aber nur wenn da Y rauskommt, sonst passiert Z“.

Panaschieren gibt es auch bei Kommunal- und Landtagswahlen in Bremen und Hamburg, das wäre eine Möglichkeit. Der offensichtliche Vorteil ist der von dir benannte: Man „entreißt“ den Parteien die alleinige Entscheidungshoheit über ihre Liste. (Das muss nicht pauschal positiv sein; eine der Aufgaben von Parteien ist es ja gerade, im Rahmen der Möglichkeiten geeignetes Personal auszusuchen und auszubilden.) Ein Nachteil ist, dass es die Wahlhandlung als solche umständlicher machen kann, was wiederum einen unwillkommenen Abschreckungseffekt haben könnte. (Ich weiß leider nicht, inwieweit das in HB und HH eventuell schon erforscht wurde.)