Was ist eigentlich Populismus

Ausgehen von der Diskussion um die Videos von Mai Thi möchte ich diesen Vorschlag aufgreifen, da auch hier im Forum m. E. sehr viel unterschiedliche Verständnisse des Begriffs kursieren. Deshalb habe ich - follow the science :wink: - mal ein bekanntes Sprachmodell gebeten, mir den Forschungsstand in der Politikwissenschaft zum Begriff Populismus zusammenzufassen. Hier die Antwort:

In der Politikwissenschaft ist Populismus ein umstrittener und vielschichtiger Begriff, und es besteht kein Konsens über eine einzige Definition. Es gibt jedoch mehrere Definitionen und Ansätze zum Studium des Populismus, die in der Fachwelt häufig verwendet werden. Hier sind einige davon:

  1. Populismus als eine dünnzentrierte Ideologie: Laut Cas Mudde ist Populismus eine „dünnzentrierte Ideologie“, die „das reine Volk“ gegen „die korrupte Elite“ ausspielt und die Volksmeinung über die Elite priorisiert. Diese Definition betont den anti-etablierten und anti-elitären Diskurs populistischer Bewegungen und Parteien.
  2. Populismus als ein Stil der politischen Kommunikation: Andere Wissenschaftler definieren Populismus als einen Stil der politischen Kommunikation, der einfache, emotionale und moralisierende Sprache betont, um an das Volk zu appellieren. Diese Definition betont die performativen und retorischen Aspekte des populistischen Diskurses.
  3. Populismus als eine Mobilisierungsstrategie: Einige Wissenschaftler argumentieren, dass Populismus eine Mobilisierungsstrategie ist, die versucht, eine Massenbasis durch Appell an die Klagen und Ängste gewöhnlicher Menschen aufzubauen. Diese Definition betont die instrumentellen und taktischen Aspekte der populistischen Politik.
  4. Populismus als eine Pathologie der Demokratie: Andere Wissenschaftler sehen Populismus als eine Pathologie der Demokratie, die entsteht, wenn demokratische Institutionen und Normen schwach oder bedroht sind. Diese Definition betont die Gefahren populistischer Bewegungen und Parteien für die demokratische Stabilität und Legitimität.
  5. Populismus als ein hybrides politisches Phänomen: Schließlich argumentieren einige Wissenschaftler, dass Populismus ein hybrides politisches Phänomen ist, das Elemente der Ideologie, des Stils, der Strategie und der Pathologie kombiniert. Diese Definition erkennt die Komplexität und Vielfalt populistischer Bewegungen und Parteien an und betont die Notwendigkeit einer nuancierten und kontextualisierten Analyse.
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Definition laut Encyclopedia of Democracy:

“A political movement that emphasizes the interests, cultural traits, and spontaneous feelings of the common people, as opposed to those of a privileged elite. For legitimation, populist movements often appeal to the majority will directly – through mass gatherings, referendums, or other forms of popular democracy – without much concern for checks and balances or the rights of minorities.”

Passt nach meinem Verständnis auch ganz gut zu der Beschreibung in der MaiThinkX Show.

Das ist eben eine Definition. Ich wollte mit meinem vorherigen Post gerade zeigen, dass es aber keine einheitliche Definition gibt und die von Dir genannte vor allem die erste der genannten 5 Dimensionen abdeckt.
Allein schon auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung finden sich zwei verschiedene Politik-Lexika, die den Begriff recht unterschiedlich definieren - siehe

und

https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-junge-politik-lexikon/320956/populismus/

Jep, kein Widerspruch. Finde nur, wir sollten hier auch die Quellen sammeln, um das einordnen zu können.

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Die WildMics haben sich des Themas neulich auch ausführlich angenommen:

Sowohl die Definition der Encyclopedia of Democracy als auch beide zitierten Definitionen der BPB haben nach meinem Verständnis mindestens eine Schnittmenge, nämlich

eine Bewegung, die die Emotionen und Ängste der Menschen ausnutzt und damit einen Gegensatz aufbaut zwischen einer Mehrheit, die sie behaupten zu vertreten und einer abgehobenen, herrschenden Elite.

Das habe ich so auch in den meisten Artikeln zu diesem Thema gefunden (als alleinige oder zumindest häufigste Definition) und es ist ja auch Bestandteil des Mailab Videos. Danach beginnt es zu divergieren, aber vielleicht ist das ja ein Kern auf den man sich schon mal einigen könnte.

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Ich frage mich ja warum Populismus nicht auch von der herrschenden Elite eingesetzt werden kann um sich gegenüber einer vermeintlichen Minderheiten abzusichern oder Mehrheiten zu gewinnen.

Beispielsweise könnte man hierfür die Breit-Kampagne unter May und Johnson nennen oder nun die Asyldebatte unter Sunak. Auf existierenden Populismus aktueller und ehemaliger deutscher Regierungsparteien gehe ich hier lieber nicht ein, da das hier nur wieder zu Streit führt.

Will sagen, ich halte wenig davon den kleinsten gemeinsamen Nenner als Basis zu nehmen. Wenn es offensichtliche, unbegründete Fehlstellen in einer Definition gibt, sollte man die doch nicht als Basis für einen KGN Vergleich nutzen.

Wer sagt, dass das nicht so ist? M. E. wurde die Frage spätestens beantwortet, als ein Multimillionär US-Präsident wurde mit der Behauptung, er würde „gegen das Establishment“ antreten.

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Würde ich anders sehen. Populismus WIRD z.T. von einer Elite verwendet. Und die aufgeführten Beispiele Brexit und Trump sind valide. Trotzdem funktioniert er genau nach dem beschriebenen Schema. Und zwar weil man sich die Gruppen "Volk’ und „Elite“ genau so definiert wie es einem gerade in den Kram passt bzw. wie es von der Wählergruppe wahrgenommen wird.

Ich glaube dann verstehe ich die Definition falsch. Für mich wirkt der Wortlaut eher so als würde es bei Populismus ausschließlich darum gehen sich als die Mehrheit darzustellen und gegen eine abgehobene Elite abzugrenzen.

Tatsächlich wird Populismus ja aber auch von vielen angewandt, die sich als die wissende Minderheit darstellen, die von der dummen Mehrheit ignoriert wird. Dadurch erzeugt man dann ein Underdog-Szenario mit dem man die eigene Gruppe stärker an sich binden und mobilisieren kann.

Ich dachte, es sei umgekehrt. Populisten thematisieren doch oft die „schweigende Mehrheit“. :thinking:

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Das finde ich schwierig abzugrenzen. Es ist ja doch oft auch so, dass es große Überschneidungen gibt zwischen Menschen, die Populist:innen nachlaufen, und Verschwörungstheoretiker:innen.

Die meisten, die an Verschwörungstheorien glauben, sind sich ja durchaus bewusst, dass die Mehrheit da nicht mit ihnen mitgeht. Ich glaube, es ist beides: Man glaubt, die „schweigende Mehrheit“ zu vertreten, die quasi das richtige „Wahrheitsgefühl“ (oder: Common sense) hat, aber gleichzeitig glaubt man, selbst noch besser informiert zu sein und deshalb deutlicher zu sehen, wie die „Eliten“ das System beeinflussen.

Kannst du ein Beispiel angeben? Vielleicht wird es dann für mich deutlicher.

Naja es gibt halt Verschwörungstheoretiker, die Populisten sind, sich also dieser Methoden bedienen. Aber es sind nicht alle Populisten Verschwörungstheoretiker. Denke also bzgl. der Begriffsdefinition kann man das schon ganz gut abgrenzen.

Beispielsweise die FDP wenn sie von Trickle Down fabuliert. Sie sprechen damit ganz sicher nicht die Mehrheit, sondern ihre kleine Gruppe der Kernklientel an. Sie stellen sich dann als Underdogs dar, denen man nur mal zuhören müsse, dann würde es für alle besser und gute Arbeitsplätze vom Himmel regnen.

Oder um fair zu bleiben, wenn die Grünen sich gegen Gen-Technik positionieren.

Muss das denn Populismus sein? Du schreibst, „tatsächlich“ würde Populismus auch von diesen angewandt, aber damit setzt Du das Ergebnis ja schon voraus. Ich würde nicht ausschließen, dass denjenigen, die diee Strategie anwenden, Populismus vorgeworfen wird (kenne aber beim Bsp. Trickle Down positiv keine solchen Vorwürfe). Aber dann kann der Vorwurf eben unzutreffend oder ungenau sein.

Es gäbe ja noch andere Möglichkeiten, diese Strategie zu bezeichnen (Elitarismus, Technokratie o.ä.?). Ich hab im ersten Thread (zu Mais Video) schon versucht, den auch hier von @MarkusS angewandten, minmalen Populismusbegriff mit den Elementen homogene Elite gg. homogene Volksmehrheit und Denken in Gegensätzen (oben bei @Flixbus Nr. 1, aber Überschneidungen mit 2 und 3) auf Technosolutionismus anzuwenden und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass die begriffliche Anbindung an den populus fehlt. Populismus würde dadurch als Begriff verwässert.

Strategien/Topoi wie die Underdog-Strategie oder Technosolutionismus kann man aber sicher mit Populismus verbinden, s. Trump oder (Technosolutionismus) wenn auf innovative Technologie verwiesen wird, um Veränderungen im Lebensstil der „einfachen Bürger:innen“, vermeintlich durch eine Öko-Elite vorangetrieben abzuwehren („Technologieoffenheit“) oder auch sonst als „Zumutungen“ für die „normalen“ Menschen abzuwehren. Bei Trickle Down bin ich mir weniger sicher, nach meinem Empfinden wird das aber gern mit der „hart arbeitenden Mitte“, dem „Mittelstandsbauch“ des Steuersystems verbunden - davon kann sich dann fast jeder als Teil dieser Mehrheit angesprochen fühlen. Will man nur eine Minderheit ansprechen, spricht man eher von „Leistungsträger:innen“.

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Würde tatsächlich in beiden Fällen nicht unbedingt von Populismus sprechen, denn es werden ja hier keine Stimmungen im Volk ausgenutzt (was für mich rein von der Wortherkunft das absolute Minimum Requirement wäre).
FDP Standard-Beispiel für Populismus wäre für mich der kleine Mann der morgens aufsteht und seine Steuern zahlt, die dann von der regierenden Elite verprasst werden.
Das Gentechnik Beispiel wäre dann Populistisch wenn man die Stimmung instrumentalisieren würde, dass eine unvertraute Technik ihren Weg in unser Essen findet und sich große Konzerne daran bereichern möchten. Das Narrativ gibt es auch, aber zumindest nicht offiziell von den Grünen.

Mein Versuch mit diesem Thread war eigentlich, den Begriff des Populismus etwas zu qualifizieren, d. h. also idealerweise eine Einigung auf bestimmte Kriterien. Eine notwendige Bedingung wäre dabei aus meiner Sicht, dass es sich um eine Struktur oder zumindest eine politische Strategie handeln muss. Anders gesagt: nicht alles, was mir nicht gefällt, was polemisch und unsachlich ist oder bei dem eine bestimmte Gruppe darauf pocht, als einzige „die Wahrheit“ erkannt zu haben, ist gleich Populismus und bestimmte Themen nicht nach meiner Meinung nicht per se populistisch. Ich habe außerdem versucht, diese Basis-Definition nicht völlig aus dem Bauch heraus zu entwickeln, sondern zumindest grob an dem zu orientieren, was in der Wissenschaft so diskutiert wird. Ich bin aber nach dem bisherigen Verlauf dieses Threads etwas skeptisch, ob das Vorhaben so umsetzbar ist.

Ich dachte eigentlich das „follow the science“ im Zusammenhang mit Chatgpt wäre ein Witz gewesen.

Finde eigentlich es läuft doch genau in die Gewünschte Richtung. Gemeinsamkeiten der genannten Quellen werden herausgearbeitet und das Kondensat schließlich an vermeintlich Populistischen Thesen getestet und hinterfragt. Würde zumindest sagen der Thread ist bisher mehr on topic als die meisten.

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Hmm in Ordnung, ich bin überzeugt und habe wahrscheinlich ein zu breites Verständnis von Populismus. Danke @tacuissem und @MarkusS fürs Challengen und Erklären.

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Ein Merkmal des Populismus ist wohl auch ein pragmatischer Umgang mit Positionen aber auf Fakten. Gerade Verschwörungsgläubige glauben ja gerne mal widersprüchliche Erzählungen.