Wahlrecht für Kinder

Ich finde es sollte darüber nachgedacht werden wie die Interessen der Kinder besser in der Politik vertreten werden könnten.

Mein Vorschlag:
Bis zum Wahlalter von 16 teilen sich die Erziehungsberechtigten die Stimme. Bei zwei Erziehungsberechtigte erhält jeder eine halbe Stimme, Alleinerziehende erhalten demnach eine ganze Stimme.
Einfach durchzuführen, ohne wesentliche Mehrkosten.
Es dauert nur ein wenig länger beim Auszählen.

Dann wird Politik vollkommen neu gedacht werden müssen, weil knapp 13,75 Mio Stimmen haben schon ein wesentliches Gewicht.

Welche Gründe würden dagegensprechen?

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So richtig und gut ich den Impuls finde darüber nachzudenken, wie man die Repräsentation der Kinder in der Politik verstärken kann, halte ich den Vorschlag des s.g. Familienwahlrechts für falsch.

Das liegt daran, dass es erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gibt.
Im Kern der verfassungsrechtlichen Kritik steht m.E., dass die Wahlen der wichtigste und unmittelbarste Ausfluss der Volkssouveränität sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Maastricht-Entscheidung (BVerfG 89, 155, 182) aus diesem Grunde ein gewisses „Legitimationsniveau“ gefordert, für welches notwendig ist, dass die Wählerschaft eine gewisse legitimatorische Qualität aufweist. Im Kern dieser steht, dass die Wählerschaft diskursfähig ist, also an der politischen Willensbildung mitwirken könnte. Es wird also verfassungsrechtlich eine Fähigkeit zur politischen Meinungsbildung fingiert, und zwar, im Sinne der Allgemeinheit der Wahl völlig richtigerweise für jeden Menschen, sobald er ein bestimmtes Wahlalter erreicht hat. Dieses Alter herunterzusetzen, sodass auch 16- oder gar 14-jährige wählen können, steht auf einem anderen Blatt. Anders verhält es sich aber bei Menschen, die naturgemäß nicht einmal zur Meinungsbildung in der Lage sein können, wie Entmündigte oder psychisch Kranke, welche durch §§ 12, 13 BWG im Wahlrecht beschränkt sein können.

Hier sehe ich also das Kernproblem: Der Legitimationszusammenhang zwischen dem Wahlvolk, welches allein deswegen wahlberechtigt ist, weil es als aufgeklärtes und politisch informiertes Volk angesehen wird, zu den sich daraus ableitenden Legislativorganen (und am Ende auch verschiedenen Exekutivorganen, siehe Legitimationskette (aus der Legislativen gehen Minister hervor, diese ernennen Beamte in ihren Ministerien usw. usw,)) wäre durchbrochen, wenn man diese juristische Fiktion aufheben würde.

Dabei bildet diese Fiktion demokratie-theoretisch einen Kerngedanken unseres Wahlrechts: Jeder Mensch ist ab einem bestimmten Punkt (in Bezug auf Wahlen) als mündig anzusehen und geknüpft wird dies, m.E. richtigerweise, nur an das Alter. Bei Wahlen umfasst diese Mündigkeit aber weit mehr als die bloße Stimmabgabe, nämlich auch die Teilnahme am Diskurs, das Auseinandersetzen mit anderen Meinungen und vieles mehr. Ob die Menschen dies auch wahrnehmen ist zweitrangig, wichtig ist aber, dass man Wahl und die aus ihr ausfließende Legitimation unserer Staatsgewalt nicht derart reduzieren darf, dass es zu einem reinen „Stimmenzählen wird“. Rundfunkfreiheit, Meinungsfreiheit … All das ist ein wichtiger Teil der politischen Meinungsbildung, der in Wahlen ganz besonders zum Tragen kommt, da, wie gesagt, diese nun einmal das stärkste Mittel der Volkssouveränität sind. Dies würde aber verkommen, wenn all diese Aspekte den Kindern, für die die Stimme durch die Eltern abgegeben werden, nicht zukommen. Und so wichtig ihre Interessenvertretung ist, sehe ich eine Durchbrechung des demokratietragenden Legitimationszusammenhangs.

Kurz etwas dazu, dass eine solche Änderung „einfach durchzuführen“ sei: Es wäre ein ganzer Rattenschwanz an Gesetzesänderungen notwendig, von Art. 39 II 1 Hs. 1 GG bis zu § 12 I Nr. 1 BWG bis hin gar zur Durchbrechung einer jahrzehntelang gepflegten Rechtstradition, nämlich dass sich höchstpersönliche Rechte nicht übertragen lassen (wie die Ehe, das Testament, die Adoption und eben auch das Wahlrecht). Her müsste also eine Änderung der §§ 1616 ff BGB, welche zwar prinzipiell machbar ist, aber bestimmt nicht auf einfache Weise.

Aber wie gesagt halte ich das Anliegen für unbedingt wichtig; Danke, dass du die Diskussion aufgemacht hast.

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Alle diese Argument verstehe Ich.
Und jetzt das aber: wenn nicht diskursfähige Menschen, welchen Einschränkungen habe wie z.B. geistig Behindert, Senil, etc. wählen dürfen, fällt doch diese ganze Argumentationskette in sich zusammen.

Mit der einfach Durchführbarkeit meinte ich den Wahlakt selber.
Das dies eine enormen Aufwand an gesetzlichen Änderungen nach sich zieht, war mir bewusst, aber von mir als ’nicht Juristen’ nicht überschaubar.

Dem würde ich zustimmen. Entweder, wir sagen, dass wir gewisse Voraussetzungen an das Wählen stellen („Mündigkeit“) oder eben nicht. Setzen wir eine gewisse „Mündigkeit“ voraus, wäre es rechtlich nachvollziehbar, sowohl Menschen mit schweren geistigen Behinderungen, Menschen unter Vollbetreuung, Menschen mit stark fortgeschrittenem Alzheimer und eben auch Kinder von der Wahl auszuschließen.

Setzen wir keine Mündigkeit voraus, müssen auch Kinder wählen dürfen - zumindest sollten sie nicht durch eine Fiktion, vor allem nicht durch eine extrem weltfremde Fiktion („Menschen unter 18 verstehen nicht genug von Politik“), von der Wahl ausgeschlossen werden. Fakt ist, es gibt 12-jährige, die sich stark mit Politik beschäftigen - und das nicht erst seit Friday for Future. Als Extremfall könnte man z.B. den jüngsten Träger eines Doktor-Titels der Neuzeit nennen, den damals 15-jährigen Kim Ung-Yong. Stellt sich bei solchen Personen ernsthaft die Frage, ob sie eine mündige Wahl treffen können? Nein - und trotzdem gäbe es keinerlei Möglichkeit für diese Menschen, zu wählen.

Ich bin daher schon durchaus für ein Kinderwahlrecht - wobei ich in jedem Fall dagegen wäre, die Stimme des Kindes den Eltern zu überlassen („Familienwahlrecht“), denn das verstößt in vielfacher Hinsicht gegen tragende Grundsätze unseres Wahlsystems (Gleichheit, Wahlgeheimnis, Direktheit…). Das ist juristisch einfach ein No-Go, eben weil auch gar nicht klar ist, ob die Eltern die Stimme ihrer Kinder im Sinne ihrer Kinder einsetzen würden. Oder kann sich irgendwer vorstellen, dass der CDU-Papa die Stimme des rebellischen 15-jährigen, der gerade aus Protest den Jusos beigetreten ist, tatsächlich die Stimme des Sohnes der SPD überlassen würde? Wohl kaum.

Ein Familienwahlrecht würde schlicht bedeuten, dass Eltern ihre politischen Überzeugungen stärker in den Wahlprozess einbringen könnten - es würde nichts an dem Problem ändern, dass Kinder keine Stimme hätten.

Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass jedes Kind unabhängig vom Alter das Recht haben sollte, an der Wahl teilzunehmen. In der Praxis würden natürlich nur wenige 13-15-jährige und die wenigsten 8-12-jährigen dieses Recht wahrnehmen, aber sie sollten dieses Recht haben. Briefwahl sollte bei Kindern hingegen ebenso wenig zugelassen werden wie die Begleitung in die Wahlkabine durch die Eltern - das Kind muss schon selbst in der Lage sein, in der Wahlkabine (oder wenn es am Wahltag verhindert ist vorher im Wahlbüro) den Stimmzettel korrekt auszufüllen.

Es ist aber tatsächlich ein schmaler Grat zwischen „den Kindern zu ihrem Recht verhelfen“ und „Missbrauch Tür und Tor zu öffnen, indem Eltern über ihre Kinder mehrere Stimmen bekommen“.

Als Alternative für den Übergang fände ich es schön, wenn es für Kinder einfach z.B. grüne Stimmzettel am Wahltag gäbe, die getrennt ausgezählt werden und nicht in das Wahlergebnis eingehen, aber halt ausgewertet und publiziert werden. Auf diese Weise kann man Kinder ohne „Schaden für die Demokratie“ an das Thema „Demokratie“ heranführen und zugleich zumindest einen Überblick davon bekommen, was die Kinder wählen würden, wenn sie wählen dürften. In einem zweiten Schritt könnte man dann einen zusätzlichen Kandidaten der Partei, die von den Kindern die meisten Stimmen bekommen hat, als Vertreter der Kinder ähnlich wie den Wehrbeauftragten oder den Datenschutzbeauftragten als eigenes Amt ohne Abgeordnetenstatus einführen, der den klaren Auftrag hat, sich (auch bei Anhörungen im Bundestag) für die Rechte der Kinder und Themen wie die Generationengerechtigkeit einzusetzen.

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Dass es wieder etwas juristisch wird, tut mir schon im Vorfeld leid, doch sprechen wir hier von einer ziemlich umfassenden Reform der Allgemeinheit der Wahl, da muss man sich einfach aus einer Verfassungsrechtlichen Sichtweise nähern. Ich sage aber auch noch etwas zu der praktischen Umsetzung, denn ich bin hier in vielen Punkten bei @Daniel_K .

Ich möchte nochmal meinen Punkt von meinem vorherigen Kommentar verdeutlichen, und da das Thema des Wahlrechts für behinderte Menschen angesprochen wurde, ist es eine gute Idee, dies nochmal zu betrachten, da sich die Argumentation davon gut auf das Familienwahlrecht übertragen lässt.

Ich stelle jetzt kurz ein Urteil des BVerfG dar – erstmal nur den blanken Inhalt und dann, was es für das Familienwahlrecht bedeutet. Ich verlinke das Urteil unten, da es aber sehr lang ist (aber unbedingt lesenswert!) zitiere ich wesentliche Passagen und schreibe die Randnummern dazu.

Das BVerfG (BVerfG, Beschluss vom 29.Januar 2019 – 2 BvC 62/14) hat sich mit § 13 Nr. 2, 3 BWG der alten Fassung (a.F.) auseinandergesetzt. Dort war ein ziemlich kategorischer Wahlrechtsausschluss für Behinderte, die einen Betreuer nach § 1896 BGB benötigten und zweitens Straftäter, die nach § 63 in Verbindung mit § 20 StGB aufgrund von Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhausuntergebracht sind, vorgesehen. Beide Normen wurden, richtigerweise, vom BVerfG damals als verfassungswidrig betrachtet (und finden sich deswegen nicht mehr im Bundeswahlgesetz vor).

Art. 3 III 2 GG sieht nicht nur ein umfassendes Diskriminierungsverbot für Behinderte, sondern auch ein Bevorzugungsgebot vor. Dies, in Verbindung mit dem demokratietragenden Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl, Art. 38 I 1 GG, knüpft enorm hohe Anforderungen an Wahlausschlüsse an. Kurz gesagt: Der Grund, warum ein dermaßen kategorischer Ausschluss der besagten Gruppen verfassungswidrig war, ist der, dass sie zu sehr über einen Kamm geschert wurden; Im Beschluss finden sich Belege für zu große Verallgemeinerungen in der Rechtspraxis, medizinisch nicht indizierte Schlussfolgerungen usw. Folge: Es handelt sich um verfassungswidrige Normen, da sie willkürlich und nicht verhältnismäßig waren.

Aber: So enorm wichtig dieses Urteil für die Gleichheits- und besonders Behindertenrechte war, hat das Bundesverfassungsgericht folgendes unmissverständlich deutlich gemacht:

Es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, die Allgemeinheit der Wahl so inklusiv wie möglich zu gestalten. „Doch auch der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl unterliegt keinem grundsätzlichen Differenzierungsverbot“ (Rn. 43). Und nun bestätigt den BVerfG das, was ich im vorherigen Kommentar dargestellt habe in den Randnummern 44 und 45:

„Zu den Gründen, die geeignet sind, Einschränkungen der Allgemeinheit der Wahl und mithin Differenzierungen zwischen den Wahlberechtigten zu legitimieren, zählen insbesondere die mit demokratischen Wahlen verfolgten Ziele der Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes […]. (Dazu) gehört die Sicherung der Kommunikation der Wahl.
Dem liegt zugrunde, dass die Demokratie, soll sie sich nicht in einem rein formalen Zurechnungsprinzip erschöpfen, freie und offene Kommunikation zwischen den Regierenden und den Regierten voraussetzt. […]. Nur auf dieser Grundlage kann der Wahlakt die ihm zugedachte integrative Wirkung entfalten*. Ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht* kann daher verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen ist, dass die Möglichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem Maße besteht."

Konkret heißt dies: Wir haben auf der einen Seite die Anforderungen an den Gesetzgeber, durch einfache Gesetze (vgl. dazu Art. 38 III GG) die Allgemeinheit der Wahl zu gewährleisten, und zwar so inklusiv wie möglich. Bei Behinderten tritt Art. 3 III 2 GG als besondere Anforderung hinzu.

Auf der anderen Seite aber steht der dargestellte Charakter der Wahl, dazu das obige Zitat aus dem Beschluss des BVerfG.

Im Bezug auf Behinderte hat der Gesetzgeber mit § 13 Nr. 2, 3 BWG a.F. also eine rote Linie überschritten, da er nicht differenziert hat, ABER: Dass Behinderte deswegen nun generell und immer wählen dürfen, heißt dies in der Konsequenz eben nicht. Denn wie das Urteilsagt, kann auch bei manchen Personengruppen ein Wahlrechtsausschluss gerechtfertigt sein. Auch bei Behinderten kann dies der Fall sein, denn wie das BVerfG in Rn. 58 sagt:

„Ein zwingender Grund [zur Einschränkung des Wahlrechts] liegt vor, wenn einer Person gerade aufgrund ihrer Behinderung bestimmte geistige und körperliche Fähigkeiten fehlen, die unerlässliche Voraussetzung für die Wahrnehmung eines Rechts sind.“

Deswegen möchte ich deinen Punkt aufgreifen, @ThorstenIb , und dir Recht geben: Diese Argumentation würde in der Tat völlig zusammenbrechen, wenn Behinderte wählen gehen können und das tun sie dank des Urteil ja glücklicherweise auch in einer viel inklusiveren Weise. Aber mit dieser sehr wichtigen Differenzierung: Bei aller Stärkung der Allgemeinheit der Wahl und Erstreckung dieser auf Behinderte steht auf der anderen Seite der dargestellte Charakter der Wahl, welcher seinerseits auch Verfassungsrang hat. Und eine Einbeziehung von Menschen, wie sie das BVerfG in Rn. 58 des Beschlusses (vgl. oben) dargestellt hat, würde wiederum diesen Charakter letztlich verletzen können.

Das BVerfG greift dann noch kurz die Argumentation des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf, welcher sagt, vgl. dazu Rn. 81 f., dass ein legitimes Ziel der Einschränkung des Wahlrechts in der Beschränkung auf Menschen besteht, die die Folgen ihres Handelns zu beurteilen vermögen. Dieses zugegeben sehr vage Urteil wird vom BVerfG im Anschluss, Rn. 82, so zusammengedampft, dass auch der Rechtsprechung des EGMR kein absolutes Wahlrechtsverbot für Menschen mit Behinderung entnommen werden kann.

Wendet man diese Rechtsprechung analog für das Familienwahlrecht an, ergibt sich folgendes. Die „Personengruppen“ (welche das BVerfG mit dieser Formulierung bewusst sehr allgemein gefasst hat), die aufgrund all der oben genannten Gründe eben nicht Teil dieses demokratischen Integrationsvorgangs der politischen Willensbildung des Volkes sind (vgl. dazu nochmal Rn. 44, 45), zählen auch Babys und Kleinkinder. @Daniel_K , ich gebe dir ja völlig recht. Die Fiktion, so wie du sie darstellst, ist in der Tat völlig weltfremd. Aber es stand mit keinem Wort von mir zur Debatte, ob Kinder mit 16, 14 oder von mir aus auch 12 Jahren nicht wählen sollen. Im Gegenteil habe ich doch gesagt, dass Grenze, die zwischen der Allgemeinheit der Wahl (und hier konkret nur auf das Wahlalter bezogen) und des besagten Charakters der Wahl (Rn. 44, 45) durch den Gesetzgeber durchaus beeinflusst werden kann, ich bin da doch völlig bei dir. Die Frage, die sich hier aber stellt ist, und hier wird das oben dargestellte Urteil wichtig:

Wie weit kann man das Wahlalter der Menschen herabsetzen, bis die Schwelle überschritten ist, bei der man von einem Menschen sprechen muss, von denen das BVerfG spricht, wenn es sagt, dass jene Menschen die Möglichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen (nicht haben). Für die ganz konkrete Formulierung siehe nochmal Rn. 58, oben zitiert.

Wendet man diese Formel nun auf unsere Debatte an, kommt man zu folgenden Ergebnissen:

Wahlrecht für…

  1. 16-jährige? Auf jeden Fall!
  2. 14-jährige? Hell yeah!
  3. Zwölf-jährige? Und wie!
  4. Babys? Nein.

Babys, und diese sollen nach deinem Vorschlag @ThorstenIb, ja mit einem Wahlrecht (treuhänderisch durch die Eltern ausgeübt) ja ausgestattet werden, sind genau die Personengruppe, von denen das BVerfG spricht, wenn es sagt, dass unerlässliche geistige und körperliche Fähigkeiten zur Ausübung eines Rechts fehlen. Dann würden diese Stimmen nämlich genau dazu degradiert werden, was das BVerfG in Rn. 45 sagt: Einer Erschöpfung der Stimmen in einem reinen Zurechnungsprinzip.

Ich hoffe, meinen Punkt deutlich gemacht zu haben. Wie gesagt lässt sich aus dieser Argumentation des BVerfG nicht ableiten, dass meinetwegen Jugendliche nicht wählen dürfen. Die Frage ist aber, wie weit man die Schwelle nach unten schieben darf, bis es verfassungswidrig wird. Und diese ist bei Babys und Kleinkindern, mithin bei diesem umfassenden Familienwahlrecht, definitiv erreicht.

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2019/01/cs20190129_2bvc006214.html

Zur Praktischen Umsetzung folgt ein eigener Kommentar, in dem ich aber @Daniel_K in seinen Gegenargumenten zum Familienwahlrecht vorbehaltlos zustimme.

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Und hier kommt meine Ergänzung zu @Daniel_K :

Gehen wir Modellhaft davon aus, dass Kinder ab 16 Jahren aktiv wählen dürfen, während vorher die Eltern treuhänderisch das Wahlrecht ausüben - so, wie es ja im Raum steht.

Wenn wir nun richtigerweise sagen, dass dieser/e Jugendliche/r politisch klare Meinungen vertritt und bleiben wir bei Daniels Bild des Juso-Kindes mit dem CDU-Vater, dann schließt sich die Frage an, wie eine Meinungsverschiedenheit zwischen Eltern und Kindern bzgl. der Wahlentscheidung gelöst werden soll. Aufgeklärte Eltern wären sich natürlich der fundierten Meinungen ihrer Kinder im Klaren, würden sich ihrer Verantwortung bewusst werden und die Wahlentscheidung des Kindes adaptieren, doch was, wenn nicht?

Es liegt auf der Hand, dass den Streit (mit einer klaren Wahlentscheidung für die Eltern im Ergebnis) kaum von einem Sachbearbeiter in irgendeinem Wahlamt getroffen werden darf. Diese sind nicht hinreichend kontrolliert, geschweige denn demokratisch legitimiert. Allerhöchstens die Judikative würde diese Anforderungen erfüllen. Doch auf welcher Rechtsgrundlage hat der Richter oder die Richterin nun die Entscheidung zu fällen? Anhand dessen, welche Wahlentscheidung besser für das Kind wäre? Grob verfassungswidrig. Sollen vielleicht die Meinungen der Kinder in dieser Frage ignoriert werden, denn das Gesetz würde ja eindeutig vorsehen, dass die Eltern das Wahlrecht für die Kinder ausüben? Damit hättest du, @ThorstenIb , vermutlich auch ein Problem, immerhin würde CDU-Papa dann ja doch gegen die Interessen des Kindes wählen (da können wir uns ja einig sein?), und der Zweck dieses Familienwahlrechts wäre verfehlt.

Es schließt sich die Frage an, wann eine solche Gerichtsentscheidung gefällt werden darf. Um bestmöglich zu gewährleisten, dass allen Wählern die gleichen Chancen zur Vorbereitung und Willensbildung bis zur Wahl gewährt werden, darf dies frühestens zum Wahlabend passieren. Nun wären die Richter gezwungen, potenziell tausende von Verfahren in Stunden zu bearbeiten, und alles in Fragen, die die Wahl, also den Kern der Demokratie, betreffen. Die Wahl würde zur Farce.

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Über die Probleme des vikarischen Wahlrechts wurde auch in anderen Threads ja schon debattiert, deshalb hier nur eine interessierte Nachfrage: Würde die vorgestellte Anwendung der Rechtssprechung auf das Wahlrecht von Minderjährigen nicht eigentlich jede Altersgrenze nachgerade obsolet machen? Wenn man davon ausgeht, dass einige Personen, z.B. Babys, durch mangelnde „geistige und körperliche Fähigkeiten“ nicht in der Lage sind, ein Wahlrecht auszuüben, dann würde ja schlicht nichts passieren, wenn man ihnen dieses Wahlrecht zuerkennt - sie können ja nicht wählen. Anstatt eine Altersgrenze festzulegen könnte man also einfach abwarten, bis diese Personen die geistigen und körperlichen Fähigkeiten erlangen, die zur Ausübung des Wahlrechts notwendig sind.

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Ich verstehen alle diese Bedenken und kann Sie auch nachvollziehen.

Nur verlieren wir uns, meiner Meinung nach, in den Details der Ausgestaltung
und der rechtlichen Einordnung des Vorschlags.
Viel wichtiger wäre es doch, erstmal einen Diskurs anzuregen, ob und in wie
weit die Bevölkerung eine entsprechende Änderung mittragen will oder würde.
Es geht ja im Endeffekt darum, der demographische Entwicklung entgegenzutreten.

Hey @less_ink
Ja, das ist ein Vorschlag, der sich m.E. schon viel eher hören lässt. In eine sehr ähnliche Richtung geht ja auch @Daniel_K . Der ausschlaggebende Unterschied zum Familienwahlrecht wäre hier, dass sich der Legitimationszusammenhang quasi „von selbst einpendeln“ würde, da die Wahlberechtigten (Kinder) erst dann wählen gehen würden, wenn sie selbst ihres eigenen Erachtens nach dazu bereit sind. Das verfassungsrechtliche Problem von oben sehe ich hier nicht. Beim Familienwahlrecht hingegen würde für die Babys/Kleinkinder, die sich nicht nach eigener Einschätzung wahlbereit fühlen, dennoch eine Stimme abgegeben werden - anders, als bei deinem und Daniels Vorschlag.

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Da bin ich doch voll bei dir. Wie Kinder und Jugendliche besser in die demokratischen Institutionen eingebunden werden, auch mit Blick auf die demographische Entwicklung, ist wirklich ein wichtiges Thema. Doch was ich dargestellt habe, sind keine Details der Ausgestaltung, sondern der Kernpunkt aus Sicht des Verfassungsrechts, an dem das Familienwahlrecht schlicht scheitern würde.
Gerne können wir über diverse andere Möglichkeiten diskutieren, @Daniel_K und @less_ink haben ja Vorschläge eingebracht, aber ich fürchte, dass das Familienwahlrecht einfach nicht dazu gehört.

Vielleicht wäre es auch interessant einfach Mal zu testen, wie das so ablaufen würde, wenn Kids einfach auch wählen dürften.

Ich denke da so ein bisschen an diese bundesweite modellhafte Volksabstimmung die im Moment auch Grad läuft. Wäre vlt schon interessant und hilfreich, so etwas auch für eine Wahl für die unter 18 jährigen zu organisieren und dann das ganze auszuwerten. Ohne natürlich, dass die Stimmen direkt zur Wahl gezählt werden. Einfach nur um Mal herauszufinden, wie viele da wirklich wählen würden und auch ob sie sich mit dem Thema auseinander gesetzt haben oder nur ihren Eltern zu einer weiteren stimme verhelfen.

Auch davon Mal abgesehen, wäre das für die politische Bildung wäre das bestimmt nicht ganz verkehrt.

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Äh, gibt’s schon. Sogar relativ lange.

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@emil.brandenburg , @Daniel_K , ihr als (offensichtliche) Juristen habt den Sachverhalt erstklassig herausgearbeitet, bin völlig einverstanden. Eine Idee würde ich mal beisteuern: Jede Staatsbürgerin, also auch Kinder und Behinderte ohne Altersbeschränkung und sonstige Beschränkung kann das Wahlrecht ausüben. Diese Wahlrechtsausübung würde aber nicht allein im Akt des Ankreuzens der Wahlzettel bestehen, vielmehr wäre Voraussetzung dafür, dass die Person zuvor sich aktiv in eine Wählerliste eintragen müsste. Diese zusätzliche Bemühung würde das Verständnis und die geforderte Kommunikationsfähigkeit der Person mE eindeutig zum Ausdruck bringen . Es wäre sehr schwer, dann eine „Unreife“ zur Wahl zu behaupten.

Abgesehen vom Kinderwahlrecht würde ich eine Wählerliste für Alle vorteilhaft finden, weil die Leute sich doch ernsthaftzer mit der Wahl beschäftigen müssten und die höhere Motivation würde eine quasi höhere Qualität der Wahlentscheidungen wahrscheinlich machen. Die zu erwartende niedrigere Wahlbeteiligung wäre für mich kein negatives Kriterium. Sie wird nach meinem Geschmack besonders in der Presse ein bisschen wie ein Fetisch behandelt, als wäre sie der Ausdruck der Qualität der Demokratie. Aber wenn man bedenkt, wie „schlampig“ und schlecht informiert viele Wählerinnen abstimmen, wäre eine Wählerliste doch ein gewisser Filter zum Besseren.

Es gibt bereits die Kinder-Wahl, kenne aber die Ergebnisse nicht im Detail.
Habe gelesen, dass Grüne und Union vorne lagen.

Grundsätzlich halte ich es nicht für richtig, Eltern treuhänderisch für Kinder abstimmen zu lassen, die Interessen sind nun mal nicht die gleichen.

Meiner Meinung nach:
Wenn ein Kind wählen will, darf es sich in der Gemeinde ins Wahlverzeichnis eintragen lassen und dann auch wählen gehen. Mit dem 18. Lebensjahr wird es dann von Amts wegen eingetragen.
Mit der Geburt ist das Kind steuerpflichtig, warum nicht auch wahlberechtigt?

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@Matti:
Der Staat gibt den Eltern ein umfassendes Recht alle Dinge für Ihre Kinder festzulegen und zu bestimmen. Darunter fallen Kindergartenwahl, Schulwahl, etc. Und dann halten Sie die Eltern für zu befangen für Ihre Kinder abzustimmen? Das leuchtet mir nicht ein. Grundsätzlich wollen alle Eltern das beste für ihre Kinder.
Bis wann die Eltern dies Recht wahrnehmen dürfen/sollten/müssen, sollte schon diskutiert werden.
Ich denke ab 12 haben manche Kinder schon Ihre eigene Meinung.
Aber auch diese ist nicht frei vom Vorbild der Eltern.

Für mich stellt sich vielmehr die Frage: Was muss am Grundgesetz geändert werden, damit dies möglich ist.

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Ich halte Eltern nicht für befangen, ich sehe aber das Problem, dass Eltern, die im Namen ihrer Kinder abstimmen, nicht auch zwangsläufig in ihrem Sinne abstimmen.

Das kann unabsichtlich geschehen, wie es ja auch immer wieder bei der Schulwahl geschieht, wenn Kinder auf das Gymnasium geschickt werden, obwohl das Kind die Fähigkeiten dazu nicht hat, oder, wie es in meiner Generation noch üblich war, überdurchschnittlich viele Mädchen auf der Fachoberschule landen, da deren Eltern der Meinung waren, dass für eine Frau, die eh mal heiratet, die Realschule auch reicht.

Das kann aber auch absichtlich geschehen, wenn die eigenen Bedürfnisse bei der Wahlentscheidung dann doch mehr wiegen als die Bedürfnisse des Kindes (z.B. Steuersenkung für den Mittelstand vs. besser ausgebauter Nahverkehr).

Als das Verfassungsgericht zu Gunsten von Menschen entschieden hat, die unter Betreuung stehen, hat es auch entschieden, dass nicht deren Betreuer für sie die Wahl treffen, sondern der Betreute, unabhängig von seiner geistigen Verfassung, die Entscheidung selbst zu treffen hat.

Selbstverständlich prägen die Eltern die Meinung der Kinder - mal in Richtung Zustimmung, mal in Richtung Ablehnung. Aber auch die Freunde, Fernsehen und andere Dinge beeinflussen die Meinung. Damit sehe ich keinen Unterschied zu mir. Auch meine Entscheidungen und Meinungen werden in der ein oder anderen Weise von meinem Umfeld beeinflusst.

Bei der aktuellen Wahl haben übrigens in der Altersgruppe 35-44 prozentual doppelt so viele (15%) die AFD gewählt als von den 18-24 Jährigen (7%).
Ähnliches Bild bei der CDU: 19% zu 10%.
Quelle: tagesschau

Abgesehen vom Verfassungswiderspruch: nicht alle Eltern wollen das beste für ihre Kinder, und viele von denen die das Beste wirklich wollen, sind nicht in der Lage es zu erkennen und vor allem, es zu tun. Auf keinen Fall kann der Wille von Eltern den Willen des Kindes ersetzen. Sobald ein Kind in der Lage ist, seine Aussichten ansatzweise zu überblicken, wird in sehr vielen Fällen der Wille des Kindes vom Willen der Eltern abweichen, wie ja jetzt beispielhaft der Fall ist in der Haltung zum Klimaschutz. Es können ja nicht nur die Ü65 sein, die knallhart gegen jede Veränderung in ihrem Lebensstil stimmen, es muss beinahe der selbe Anteil in der Gruppe der Eltern sein, die ganz offensichtlich gegen die Interessen ihrer Kinder abstimmen, ob aus Unkenntnis, mangelnder Weitsicht oder „nach mir die Sintflut“- Einstellung.

Ich habe weiter oben einen Vorschlag für das Kinderwahlrecht gemacht. Würde dir das nicht gefallen?

Ich finde den Vorschlag sehr gut, würde ihn aber gerne erweitern.

Die ersten 18 Jahre darf eine Person nicht wählen - es wäre dann nur gerecht, dass im Gegenzug dann auch die letzten 18 Jahre keine Wahlrecht mehr besteht. Wie umsetzen ? Durchschnittliche statistische Lebenserwartung minus 18. Bis dahin darf Mann/Frau wählen.

Alternative 1: Wahlrecht ab 0 Jahren - die Eltern dürfen bis etwa 12 Jahren ersatzweise die Kinder-Stimme ausüben.

Alternative 2: Eine Wahl entscheidet über die Zukunft, d.h. die Personen mit der längsten Zukunft sollten die größte Stimmen-Gewichtung haben. z.B. Wähler 20 Jahre - Stimme mal 0,8, Wähler 60 Jahre - Stimme mal 0,4.

Zugegeben ziemlich radikale, ungewöhnliche Vorschläge, aber ich halte es wichtig etwas dafür zu tun, dass die Demokratie lebendig bleibt und keine „Rentner:innen-Demokratie“ entsteht.

Hallo rlinner:

ich halte ein Liste in die man sich eintragen muss für nicht praktikabel.
Man schaue in die USA und überlege sich,
ob ein Wahllisten System wirklich eine so kluge Möglichkeit ist.
Ich halte das wirklich für eine ganz schlechte Idee.

Zum Punkt das die Eltern nicht das beste für Ihre Kinder wollen:
Diesen Eltern ist sowieso nicht zu helfen - diese sind aber wirklich in der Minderheit.
Eltern sind laut dem BGB die gesetzlichen Vertreter Ihrer Kinder (Abs.1)
Dort ist klar geregelt das beide Elternteile die Kinder vertreten,
bzw. bei Alleinerziehenden nur ein Elternteil. Warum das bei einer Wahl nicht gelten
sollte, muss schon konkret begründet werden (nicht mit persönlichen Meinungen).
Bei allen anderen Rechtsgeschäften, etc. gilt die gesetzliche Vertretung ja auch.
(außer vor Gericht)

Ich bleibe dabei:
Wahlrecht wird bis 14 durch die gesetzlichen Vertreter ausgeübt. (§1629 BGB)
Ab 14. Jahren durch die Kinder bzw. Jugendlichen selber ausgeübt.

Viele Grüße
Thorsten