In Kap. 5, z. B. auf S. 34ff., geht es auch im das politische Wissen junger Menschen (ist zugegeben nicht mega elaboriert, aber ja). ich gebe zu, dass die Einordnung von ‚Wissen‘ unter ‚Einstellungen‘ wirklich unglücklich ist, aber das zeigt vielleicht auch, dass es mit dem ‚Lesen‘ von Inhaltsverzeichnissen, einem Fazit oder Abstracts (oft) nicht getan ist.
Das meinte ich eigentlich, als ich schrieb, dass man die eigenen Normalitätsbegriffe bzw. -vorstellungen durchaus kritisch reflektieren sollte. Hier schwingt eine Vorstellung von einer ‚guten‘ Entscheidung, die anderen automatisch überlegen ist, mit – aber wie wird das begründet? Was genau heißt „auf Kosten der Qualität der Entscheidung“? Auch Erwachsene müssen nicht zwingend qualitativ hochwertig entscheiden [was auch immer das sein soll: es ist ein subjektiver, mithin nur/sehr wertebezogener Eindruck], dürfen aber trotzdem wählen. Es gibt keinen ‚Gesinnungs- oder Wissenstest‘, um an einer Wahl partizipieren zu können. Warum auch? Schließlich geht es ja um die res publica…
‚Teilhabe‘ kann man auch in diese Richtung interpretieren, aber die inklusionsthereotischen Überlegungen spare ich hier mal aus.
Da ich selber schon Wahlhelfer war, würde ich zukünftig gern – Achtung, ich überspitze bewusst/Ironie – alle über 80-Jährigen von der Wahl ausschließen: Die meisten schaffen es nicht einmal, den Stift zum Ankreuzen gerade zu halten, brauchen stundenlang in der Kabine und blockieren einen geregelten Ablauf (und lassen sich verbotenerweise von Ehepartner/in zeigen, wo das Kreuz zu setzen ist) und haben mit ihrer Entscheidung einen exorbitanten Einfluss auf mein Leben – das mutmaßlich noch ein bisschen länger dauern wird – was diese Leute aber nicht mehr erleben werden.
Eine ‚Qualität der Entscheidung‘ zu erkennen, fiel mir da ehrlich gesagt schwer. Ob die wissen, was sie da eigentlich tun? Zweifelhaft. Trotzdem dürfen sie wählen.
Das Thema des politischen Wissens tangiert einen meiner Arbeitsschwerpunkte, daher muss ich da etwas hartnäckig sein. Wir wissen in Deutschland leider viel zu wenig darüber, da es praktisch keine längsschnittlichen Erhebungen gibt, nur vereinzelte Studien aus dem internationalen Kontext mit deutscher Beteiligung (z. B. ICCS 2016). Viele der Studien, die bspw. im Frankfurter-/DIPF-Umfeld vor 20 Jahren im Zuge des BLK-Programms bzw. der Evaluation desselben entstanden sind, sind aber aufgrund des Designs nur bedingt aussagekräftig. Vor 10 Jahren hatten wir die Diskussion über Kompetenzorientierung in der Politischen Bildung mit verschiedenen Modellen, die teilweise unversöhnlich gegenüberstehen. Um es auf einen Punkt zu bringen: Muss man wissen, wie viele Abgeordnete im Bundestag sitzen oder wie viele Wahlkreise Deutschland hat? Muss man wissen, wie die drei letzten MPs bzw. (Reg.) Bürgermeister/innen im eigenen Bundesland hießen? Oder wie viele Ministerien mit Bezeichnung und Besetzung es gibt? Was genau soll das bringen? Führt dieses deklarative Wissen zu einer informierteren (= besseren) Entscheidung? Oder reicht es vielleicht einfach, zu wissen, wie ich an diese Informationen komme und sie ggf. validieren kann?
Was sich sagen lässt, ist, dass höheres Wissen i. d. R. mit einer höheren politisch-sozialen Selbstwirksamkeit einhergeht und bspw. die Wahrscheinlichkeit zur Teilnahme an Wahlen vergrößert wird. Aber es muss schon sehr deutlich gemacht werden, was man unter ‚Wissen‘ versteht und wie man es operationalisiert und auch testet.
Die Autoren haben noch auf einen anderen Aspekt hingewiesen, der auch zu bedenken ist: Wahlalter ab 16 heißt ja nicht, dass man dann auch wählen kann, also die faktische Möglichkeit gegeben ist: Das funktioniert nur, wenn auch eine Wahl in zeitlicher Nähe stattfindet. Real sind diese Personen dann vielleicht doch schon 17, 18 oder 19 Jahre, wenn die erste Wahl, z. B. zum Bundestag, stattfindet.