Hallo zusammen!
Mir fällt schon lange auf, dass viele Debatten in einem ganz bestimmten Muster verlaufen. Ich bin mir sicher, dass ich nicht der Erste bin, dem das auffällt, aber ich habe noch nie eine Diskussion zu diesem Thema gesehen. Lasst mich das Muster erklären, aber ich möchte hier nicht inhaltlich über die Themen selbst sprechen, sondern nur über das Muster. Es ist eine Meta-Diskussion.
- Mein erstes Beispiel ist das Tempolimit. Auf der Seite der Befürworter wird meistens eine Kaskade von Argumenten erwähnt: Tote & Verletzte, Stress, CO2-Einsparung, Feinstaub, Verschleiß von Straßen & Autos, Lärm, Mikroplastik durch Reifenabrieb, höherer durchschnittlicher Verkehrsfluss. Diese Punkte sind sämtlich belegbar und die Wissenschaft positioniert sich eindeutig. Demgegenüber stellt sich die Contra-Front und argumentiert praktisch ausschließlich mit der Relativierung dieser Argumente („sind doch nur 5 Mio. Tonnen - das ist nichts!“) sowie Whataboutism („Deutschland macht eh nur 2% des Ausstoßes aus“ / „dann soll man erstmal die Häuser dämmen!“) oder anderen PLURV-Argumentationsmustern („Wir haben nicht genügend Schilder!“), ohne aber ein einziges wissenschaftliches oder rationales eigenes Argument zu nennen - zumindest habe ich noch nie eines gehört.
Kurz wieder alle mal runterkommen: Ich möchte hier niemandem bewusste unfaire Gesprächsführung unterstellen, jedoch erarbeiten, woran ich glaube, dass es liegt:
Das meiner Meinung nach einzige Argument gegen ein Tempolimit ist der Fahrspaß und ein Identitäts- / Freiheitsgefühl. Das Auto stellt für Viele Identität dar. In unserer gesellschaftlichen Debatte haben emotionale Argumente aber allzu oft keinen Platz, die Ratio und Wissenschaft hat Vorrang. Das ist meiner Meinung nach auch grundsätzlich sehr wichtig und sollte immer der Maßstab politischer Entscheidungen sein.
Gleichzeitig kritisiere ich den Umgang mit einem Menschen, der einen emotionalen Standpunkt offenbart. Dieser Mensch wird schnell als Egoist gebrandmarkt, so nehme er doch das Erreichen der vielen o.g. rationalen und tollen Argumente in Kauf. Dieser Mensch sieht sich innerlich oft auch selbst als Egoisten, möchte sich diese Einschätzung von sich selbst aber gerade nicht eingestehen („Ich kann unmöglich Egoist sein“) und beginnt genau so zu argumentieren, wie ich es oben beschrieben habe. Oder er findet seine emotionale Haltung okay, hat aber Angst vor der Reaktion, wenn er nur das emotionale Argument nennt und verfällt in dieselbe Argumentationsweise („Ich kann doch nicht nur sagen, dass der Spaß bei diesem Thema für mich über allem steht“).
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Schonmal eine Gender-Debatte mitverfolgt? Die Gegner preschen hier regelmäßig und oft anlasslos mit Kritik vor und werfen den Befürwortern vor, ihnen ihre Sprache aufzuzwingen. Und dadurch werden sie „the very thing they swore to destroy“. Hier sind es vor Allem liebgewonnene Gewohnheiten, die verteidigt werden, ebenfalls wieder durch vorgeschobene Argumente a la „Sprachvergewaltigung“ oÄ.
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Oder Normal- vs. Sommerzeit: Die Wissenschaft plädiert aus gesundheitlichen Aspekten eindeutig für die Normalzeit (= Winterzeit). Dennoch positionieren sich viele - und hier hauptsächlich mit Whataboutism und anekdotischer Evidenz - für die Sommerzeit. Hintergrund ist, dass man es einfach gerne mag, abends noch draußen zu sitzen. Hier ist „Gründe vorschieben statt emotional argumentieren“ mit am geringsten augesprägt, aber diese Debatte finde ich mit am interessantesten zu beobachten, da sie politisch wenig aufgeladen ist. Hier gibt es keine „Parteilinie“, an der man sich orientieren kann, weshalb man hier die sonst so Wissenschaftstreuen reihenweise „umfallen“ und den Weg der Emotion gehen sieht.
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Die Legalisierung von Cannabis geht nicht ganz so eindeutig in nur eine Richtung, das Gewicht der Argumente liegt aber sehr sehr stark auf der Pro-Seite. Contra hört man dagegen selten wirklich etwas, das nicht durch eine Legalisierung sogar gebessert wird.
Diese Debatten sind keine Frage, ob A oder B besser ist. Diese Debatten sind dadurch gekennzeichnet, dass A wissenschaftlich sinnvoll ist, aber aus Gründen von Emotion und Gewohnheit blockiert wird. Jetzt möchte ich aber eine Lanze für die Blockierenden brechen. Es ist völlig okay, dass man hier auf der Seite der Emotion steht und der Grund dafür ist einfach: Wir alle haben solche Themen. Beispiel: Ich bin ein Fan von Einfamilienhäusern und wenn jemand mit dem Energieverbrauch von Videospielen ankommt, werde ich wahrscheinlich auch nicht sofort einsichtig der Wissenschaft folgen.
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