Meta-Diskussion: Muster von Debatten a la Tempolimit

Hallo zusammen!

Mir fällt schon lange auf, dass viele Debatten in einem ganz bestimmten Muster verlaufen. Ich bin mir sicher, dass ich nicht der Erste bin, dem das auffällt, aber ich habe noch nie eine Diskussion zu diesem Thema gesehen. Lasst mich das Muster erklären, aber ich möchte hier nicht inhaltlich über die Themen selbst sprechen, sondern nur über das Muster. Es ist eine Meta-Diskussion.

  • Mein erstes Beispiel ist das Tempolimit. Auf der Seite der Befürworter wird meistens eine Kaskade von Argumenten erwähnt: Tote & Verletzte, Stress, CO2-Einsparung, Feinstaub, Verschleiß von Straßen & Autos, Lärm, Mikroplastik durch Reifenabrieb, höherer durchschnittlicher Verkehrsfluss. Diese Punkte sind sämtlich belegbar und die Wissenschaft positioniert sich eindeutig. Demgegenüber stellt sich die Contra-Front und argumentiert praktisch ausschließlich mit der Relativierung dieser Argumente („sind doch nur 5 Mio. Tonnen - das ist nichts!“) sowie Whataboutism („Deutschland macht eh nur 2% des Ausstoßes aus“ / „dann soll man erstmal die Häuser dämmen!“) oder anderen PLURV-Argumentationsmustern („Wir haben nicht genügend Schilder!“), ohne aber ein einziges wissenschaftliches oder rationales eigenes Argument zu nennen - zumindest habe ich noch nie eines gehört.

Kurz wieder alle mal runterkommen: Ich möchte hier niemandem bewusste unfaire Gesprächsführung unterstellen, jedoch erarbeiten, woran ich glaube, dass es liegt:

Das meiner Meinung nach einzige Argument gegen ein Tempolimit ist der Fahrspaß und ein Identitäts- / Freiheitsgefühl. Das Auto stellt für Viele Identität dar. In unserer gesellschaftlichen Debatte haben emotionale Argumente aber allzu oft keinen Platz, die Ratio und Wissenschaft hat Vorrang. Das ist meiner Meinung nach auch grundsätzlich sehr wichtig und sollte immer der Maßstab politischer Entscheidungen sein.

Gleichzeitig kritisiere ich den Umgang mit einem Menschen, der einen emotionalen Standpunkt offenbart. Dieser Mensch wird schnell als Egoist gebrandmarkt, so nehme er doch das Erreichen der vielen o.g. rationalen und tollen Argumente in Kauf. Dieser Mensch sieht sich innerlich oft auch selbst als Egoisten, möchte sich diese Einschätzung von sich selbst aber gerade nicht eingestehen („Ich kann unmöglich Egoist sein“) und beginnt genau so zu argumentieren, wie ich es oben beschrieben habe. Oder er findet seine emotionale Haltung okay, hat aber Angst vor der Reaktion, wenn er nur das emotionale Argument nennt und verfällt in dieselbe Argumentationsweise („Ich kann doch nicht nur sagen, dass der Spaß bei diesem Thema für mich über allem steht“).

  • Schonmal eine Gender-Debatte mitverfolgt? Die Gegner preschen hier regelmäßig und oft anlasslos mit Kritik vor und werfen den Befürwortern vor, ihnen ihre Sprache aufzuzwingen. Und dadurch werden sie „the very thing they swore to destroy“. Hier sind es vor Allem liebgewonnene Gewohnheiten, die verteidigt werden, ebenfalls wieder durch vorgeschobene Argumente a la „Sprachvergewaltigung“ oÄ.

  • Oder Normal- vs. Sommerzeit: Die Wissenschaft plädiert aus gesundheitlichen Aspekten eindeutig für die Normalzeit (= Winterzeit). Dennoch positionieren sich viele - und hier hauptsächlich mit Whataboutism und anekdotischer Evidenz - für die Sommerzeit. Hintergrund ist, dass man es einfach gerne mag, abends noch draußen zu sitzen. Hier ist „Gründe vorschieben statt emotional argumentieren“ mit am geringsten augesprägt, aber diese Debatte finde ich mit am interessantesten zu beobachten, da sie politisch wenig aufgeladen ist. Hier gibt es keine „Parteilinie“, an der man sich orientieren kann, weshalb man hier die sonst so Wissenschaftstreuen reihenweise „umfallen“ und den Weg der Emotion gehen sieht.

  • Die Legalisierung von Cannabis geht nicht ganz so eindeutig in nur eine Richtung, das Gewicht der Argumente liegt aber sehr sehr stark auf der Pro-Seite. Contra hört man dagegen selten wirklich etwas, das nicht durch eine Legalisierung sogar gebessert wird.

Diese Debatten sind keine Frage, ob A oder B besser ist. Diese Debatten sind dadurch gekennzeichnet, dass A wissenschaftlich sinnvoll ist, aber aus Gründen von Emotion und Gewohnheit blockiert wird. Jetzt möchte ich aber eine Lanze für die Blockierenden brechen. Es ist völlig okay, dass man hier auf der Seite der Emotion steht und der Grund dafür ist einfach: Wir alle haben solche Themen. Beispiel: Ich bin ein Fan von Einfamilienhäusern und wenn jemand mit dem Energieverbrauch von Videospielen ankommt, werde ich wahrscheinlich auch nicht sofort einsichtig der Wissenschaft folgen.

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Ich denke, „Team Ratio“ sollte lernen, etwas entspannter zu sein, auch emotionale Argumente anzuerkennen und auf dieser Basis gemeinsame Lösungen suchen. Schließlich haben wir diese Standpunkte irgendwo anders selbst - niemand ist überall Team Ratio, also überlegt selber mal, wo ihr vielleicht nicht ganz wissenschaftstreu seid. Ich denke, wenn mehr Leuten solche Muster auffallen und dann entsprechend die Diskussion für das „Team Emotion“ zu einem sicheren Ort statt einem Pranger machen, dann werden wir auch schnell ganz andere Lösungen finden. Man überzeugt Leute nicht, indem man sie mit einem Holzhammer erschlägt - man überzeugt Leute, indem man sich mit ihnen auf Augenhöhe trifft und beide Seiten das Gefühl haben, ernst genommen und gehört zu werden.

Gleichzeitig sollte „Team Emotion“ sich klar werden, dass viele (nicht alle!) dieser Fragen oft nur eine Frage der Zeit sind und lernen zu akzeptieren, dass nicht alles bleiben kann, wie es ist. Für mich sind die besten Beispiele für „nur eine Frage der Zeit“ die Ehe für Alle, Cannabis-Legalisierung und - ja - das Tempolimit. Die Zeit bleibt nicht stehen und irgendwann werden diese Themen durchkommen (1,5 davon sind bereits durch), weil die rationale Argumentation schlicht irgendwann zu gewichtig wird. Auf dem Weg dorthin ist es aber okay, dafür zu kämpfen, dass man genug Zeit zur Anpassung bekommt, aber man sollte zu seiner emotionalen Haltung stehen und davon absehen, auch unabsichtlich unfair zu diskutieren - vielleicht wird man ja überrascht und kann in einem Kompromiss eine Lösung finden, dass man die liebgewonnene Gewohnheit doch auf die ein oder andere Art beibehalten kann… Kostenloser Eintritt auf dem Nürburgring für Alle!

Selbst wenn man nicht zusammenkommt, lernt man so wenigstens, die andere Seite und ihre Argumentation zu verstehen. Eine Änderung wird dann womöglich eher akzeptiert, die Wissenschaft als solche wohl auch, weil man nicht mehr gezwungen ist, sie zu leugnen, um die eigene Identität zu wahren. Natürlich ist das alles leichter gesagt als getan, aber wichtig ist, diese Muster erstmal zu erkennen und dadurch die Chance zu bekommen, richtig statt wie üblich zu reagieren.

Vielen Dank fürs Lesen und erfolgreiches diskutieren! Fröhlichen Feiertag euch!

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Hallo @Nick_Linden,

das ist ein tolles Thema, danke für den Vorschlag. Mich beschäftigt diese Fragestellung auch schon seit langem und ehrlich gesagt zunehmend immer mehr.

Bei all den von dir genannten Themen stimme ich mit dir völlig überein. Mir scheint es allerdings, basierend auf der Themenauswahl, dass du Konservativ mit Team Emotion und Progressiv mit Team Ratio gleich setzt. Meinst du wirklich, dass das so ist oder ist das nur zufällig so zusammen gestellt?

Bei Hart Aber Fair ging es heute um ähnliche Fragen. Dort wurde als Grund für solche unmöglich versöhnlichen Diskussionsmuster viele Dinge zusammen getragen. So zum Beispiel, dass Diskussionen häufig identitär geführt werden. Man definiert sich mittlerweile über Positionen die man selbst oder seine Peergroup vertritt. Und der, der nicht auf der eigenen Seite steht wird herabgewürdigt, statt sich mit ihm auseinander zu setzen. Was das mit der sachlichen Diskussion macht wenn der andere mir bei Widerspruch sofort erklärt, dass er doch viel besser sei dürfte uns allen klar sein.

Und auch ein anderes Thema wurde angeführt. Viele prominent und progressiv diskutierte Themen gehen an den Realitäten und Problemen großer Teile der Gesellschaft vorbei. So sprechen wir zum Beispiel unter anderem viel (aber zugegebenerweise nur in kurzen Zeiträumen) über Cannabis-Legalisierung, Gendern, Winnetou und vieles mehr statt uns auf die großen Probleme zu fokussieren (z. B. Klimawandel, Deutsche Bahn, Rentengerechtigkeit, Wohnraum, Bildungsverluste durch Corona-Maßnahmen) und diese zu lösen.**

Daher möchte ich eine Hypothese formulieren. Eine Gesellschaft kann nur eine begrenzte Anzahl Probleme gleichzeitig im Blick behalten. Vor allem in Krisenzeiten ist es daher absolut notwendig die gesellschaftlich diskutierten Themen zu reduzieren und schnelle, Lösungen nach dem 80-20 Prinzip (gerne auch andere Quoten hier einsetzen) herbei zu führen um eine Gesellschaft überhaupt gesprächsbereit zu halten. Ansonsten werden sich Emotionen bei vielen (den meisten?) Menschen eher durchsetzen.

Im Grunde können deine Hinweise aber unabhängig davon voll und ganz so stehen bleiben. Und vielleicht kann man sie zur fünfstufigen Daumenregel zusammenfassen:

  1. Vor dem Antworten tief durchatmen
  2. Darüber nachdenken, ob man sich und seine Position nicht selbst zu wichtig macht
  3. Einen Moment darüber nachdenken, ob der andere nicht auch recht haben könnte
  4. Beweggründe des anderen nachvollziehen und ernsthaft(!) bewerten

Schlussendlich sollte man hinterfragen wie ein Kompromiss aussehen könnte. Nichts ist per se alternativlos. Über alles kann man reden und Vor- und Nachteile abwägen. Nichts wird dadurch gewonnen, dass man nicht mehr konstruktiv miteinander redet.

** Nicht falsch verstehen, ich meine nicht, dass über die großen Sachen nicht gesprochen wird. Natürlich wird es das. Nur die Lösungen lassen halt auf sich warten, während die anderen Themen eben auch Aufmerksamkeit binden. Die Kombination aus nicht erreichten Lösungen und gebundener Aufmerksamkeit aufgrund von geschicktem (und gerechtfertigtem) Minderheiten-Lobbying erzeugt dann Unzufriedenheit bei denen, die bzw. deren Peergroup der angesprochenen Minderheit nicht nahe steht.

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Nein, keineswegs ist das zwingend: Gerade die sehr aktuellen und gewichtigen Themen um Klima- und Umweltschutz sind meines Erachtens naturgemäß sehr konservative Themen - nämlich die Erhaltung unserer Lebensgrundlage. Allerdings wurden gerade diese Themen in der Vergangenheit sehr von Progressiven besetzt, die sich natürlich zur Validierung ihrer Position einer wissenschaftlichen Grundlage bedient haben. Konservative, die die letzten 40 Jahre damit verbracht haben, in den Neoliberalismus zu schlittern, müssen jetzt entweder der „linken“ Seite Recht geben, oder zwangsläufig die Wissenschaft nicht so beinernst nehmen.

Hierzulande betrifft das vor allem das Klima, in den USA beispielsweise haben die Republikaner sogar fast alle „rationalen“ Positionen an die Demokraten verloren und können wegen der extremen Spaltung keinen Millimeter Raum geben. Wenn die nicht so einen Bullshit verbreiten würden, wären die Nullkommanix ihre Wähler los. Kurz: Viele Themen sind traditionell Konservativen auch einfach mehr oder weniger abhanden gekommen, obwohl es eigentlich ihre sind. Das trägt natürlich zur tendentiellen Wirkung „progressiv = rational“ bei, liegt aber nicht an einer Überlegenheit linker Ideen, sondern schlicht an der historischen Themenfindung. Dass diese Themen nun zufällig auch noch die Zentralen unserer Zeit sind, verstärkt das eben nur noch.

Das Thema Gendern fällt zwar von der Diskussionsführung unter obiges Muster, ist aber inhaltlich nicht ganz so klar. Beispielsweise kenne ich keine eindeutig (! - Korrelation gibts, ja) wissenschaftlichen Belege, dass es eine Wirkung hat. Damit sind beide Seiten irgendwie Team „Irratio“, weil jeder halt ohne einen explizit rationalen Grund redet, wie sie oder er möchte.

Dass rationale Themen nicht zwingend progressiv sein müssen, zeigt auch das bekannte Zitat aus Jurassic Park: „Your scientists [machen wir politicians draus] were so preoccupied with whether they could, they didn’t stop to think if they should.“ Was ich damit sagen will, ist, dass viele Dinge, die wir heute für eine sehr schlechte Idee halten, einmal progressiv und neu waren. Im Nachhinein stellten diese Dinge sich im Global Picture aber als ziemlich irrational und schädlich heraus, wenn das nicht sowieso schon klar war oder von Warnungen der Wissenschaft begleitet war - Beispiel autozentrische und allgemein flächenfressende Stadtplanung. Hier hätte eine etwas konservativere Herangehensweise aus heutiger Planungssicht Wunder gewirkt. Heute ist das Thema „nicht autofrei“ freilich wieder progressiv besetzt mit entsprechendem wissenschaftlichen Backing aber wie gesagt - das war auch mal anders.

Das von mir angesprochene Thema Gaming ist von Progressiven als sehr positiv besetzt, hat aber auch eine ganze Menge negativer Aspekte, die man gerne unter den Tisch kehrt.

Nicht nur das, viele definieren ihre politischen Positionen auch nach Parteizugehörigkeit. Weil meine Partei X blöd findet, finde ich auch X blöd. Das habe ich hautnah erlebt, als ich hier im Forum versucht habe, eine Aktienrente und ETFs zu verteidigen :smiley: Da sind viele ohne näheres Wissen über das Thema trotzdem voreingenommen, weil das eben irgendwie nicht zur „Linie“ passt. Gleiches fällt mir übrigens oft auch hinsichtlich (progressiver!) Kritik an Fallpauschalen in Krankenhäusern auf - ein Thema, über das ich damals meine Studienarbeit geschrieben habe. Dabei habe ich selbst erstmal gelernt, dass man manche Dinge ohne Wissen sehr vorverurteilen kann, dann aber nach viel Recherche seine Meinung zähneknirschend ändern muss.

Abgesehen von der Cannabis-Legalisierung gebe ich dir hier absolut Recht. Einerseits ist das tatsächlich ein Problem, da Kapital von den zentralen Themen gestohlen wird, andererseits werden diese Debatten meistens als Stellvertreter für die echten Probleme dahinter geführt, bspw. Gendern als (mMn!) Strohmann für das große Problem des Sexismus, Winnetou für Rassismus. Vielleicht sollte man hier immer bewusst auf das Relevante verweisen.

Und wieder andererseits fällt mir gerade bei diesen „Nebenthemen“ oft auf, dass die sehr gerne von einem ganz bestimmten Boulevardblatt hochgejazzt werden. Das habe ich ja auch im Ausgangspost beschrieben: Genderdiskussionen werden fast nie von Befürwortern gestartet, meistens beginnt es mit einem Meme Anti-Gendern.

Ich hoffe, das macht es ein bisschen klarer :slight_smile:

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Ich denke wir stimmen in vielen Punkten überein, aber das hier

erscheint mir schon sehr parteiisch und verkennt mit Einschränkungen die Mehrdimensionalität der Klimakrise und den Zielkonflikt der Konservativen.

Im Gegensatz zu Linken ist Wohlstandsbewahrung bis -vermehrung nämlich auch ein sehr gewichtiges Thema im Konservativen Denken. Muss man hier nicht auch konstatieren, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland durch seinen international (fast?) einmaligen Ausstieg aus Kohle und Atomenergie (plus mittlerweile erzwungenermaßen Gas) eben zumindest temporär international an Wettbewerbsfähigkeit verliert? Läuft das der Wohlstandsbewahrung/-vermehrung nicht entgegen? Und begründet das nicht warum Konservative lange die Energiewende abgelehnt haben?

Ich vermute die Konservativen in den westlichen Staaten hätten weniger Probleme mit der Energiewende wenn die größten Verschmutzer mitziehen würden (USA, China) und man nicht Angst haben müsste durch Klimapolitik Industrie und Arbeitsplätze zu verlieren.

Oder siehst du hier andere Ursachen?

Agree. Das ist ein schönes Beispiel dafür wie sich progressive und konservative Denkmuster abwechseln können.

Auch hier verspüre ich den dringenden Drang der Gerechtigkeit willen ein wenig zu relativieren, auch wenn ich grundsätzlich zustimme. Ist es wirklich nur das besagte Boulevard-Blatt? Ich nehme einen Teil der früheren Qualitätsmedien zunehmend mit mehr Berichterstattung mit Haltung, wie es zum Beispiel der Spiegel in der Vergangenheit bezeichnete, wahr. Meinung und Skandal verkauft sich halt besser als abgeklärtes Für-und-Wider mit abschließendem Urteil „Es ist kompliziert“, wie auch Alexander Neubacher (Ressort Leiter Meinung&Debatte beim Spiegel) seine Haltung im DLF Podcast Provokation oder Bestätigung - Wozu journalistische Kommentare? | deutschlandfunk.de beschrieb.

Aber ich fürchte damit entfernen wir uns vom eigentlichen Thema.

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Ich wollte eigentlich nur plakativ den Punkt mit den Themen rüberbringen, aber ja, ich nehme es zurück :smiley:

Das unterstreicht doch gerade meinen Punkt. Wohlstand und Klimaschutz schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander. Klimaschutz wäre das konservative Thema, um Wohlstand zu erhalten. Hätte man rechtzeitig auf die Wissenschaft gehört oder nach dem Solar- & Windboom der frühen 2000er diese nicht aus welchen Gründen auch immer zugunsten von Kohle und Gas torpediert, dann hätten wir heute nicht nur diese mannigfaltigen Probleme, sondern die CDU könnte diese Energien (frei angelehnt an Lindners Freiheitsenergien) Wohlstandenergien nennen. Jedenfalls fällt es mir schwer zu glauben, dass es an China und den USA lag, dass man hier unsere Weltmarktführerstellung insb. beim Thema Solar schlicht torpediert hat.Wir hätten eben niemals Wettbewerbsfähigkeit verloren, hätte die Partei, die in den letzten fast 40 Jahren für 32 Jahre den Kanzler gestellt hat, hier nur auf die Wissenschaft gehört. Umgekehrt - die Union würde heute vielleicht alleine regieren. Ich verliere mich schon wieder.

Kurzgesagt möchte ich damit nur ausdrücken: Das Beispiel Klimaschutz ist kein Thema, das insbesondere eine konservative Partei sich nicht zu eigen machen könnte, ohne dabei ihre anderen Werte zu verraten. Das zeigten in der Vergangenheit u.a. die Tories im UK sehr schön mit ihrem vorreitenden CO2-Schattenpreis. Ich glaube aber, das Motiv, das ich oben beschrieben habe, drängt viele Konservative dazu, jedenfalls bei diesem Thema auf Abwehr zu schalten und einzumauern, weil gerade auch von progressiver Seite, die das Thema eingenommen hat, viel Antagonismus kommt. Da nehme ich mich selbst nicht raus.

Eben, Progressive brauchen Konservative und umgekehrt. Das Optimum wäre beispielsweise beim Klima, dass Progressive und Konservative sich auf die zwingende Notwendigkeit des 1,5 Grad Ziels einschwören könnten - no matter what it takes, weil die Wissenschaft und das BVerfG das unzweideutig verlangen. Dann ist die Frage nur noch nach dem wirksamen (!) Weg dorthin und da wäre es ein interessanter Wettbewerb konservativer und progressiver Ideen. Die einen forcieren dann vielleicht eher einen CO2-Preis mit sozialer Umlage, die anderen setzen auf große Aufforstungs- und Nationalpark-Projekte (Heimatbonus Inklusive). Das ist natürlich Utopie, aber ich versuche ein Bild zu malen.

Selbstverständlich nicht, das steht ebenso plakativ für meine persönliche Beobachtung, warum wir so viel Zeit auf Nebendebatten verschwenden: Wenn ein Kindergarten in Berlin an Fasching Indianerkostüme verbietet und das deutschlandweit Wellen schlägt, dann hat diese Wellen sicher keine woke Twitter-Szene aufgerührt.

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@Nick_Linden, stimmt, die emotionale Abwehr von irgendwas hat insoweit eine Berechtigung, als sie menschlich (verstehbar) ist und deshalb zunächst zu respektieren ist. Es ist also die Frage, wie jemand mit logisch hergeleiteten Argumenten und mit einem entsprechenden Wissensvorsprung darauf antwortet.

Es ist verlockend, die Überlegenheit der eigenen Argumente so schnell wie möglich herauszustellen und zu erwarten, die andere Person müsste
das sofort einsehen - andernfalls kann sie einfach nur unbelehrbar sein. Damit baut man aber eine nun wirklich unüberwindliche Schranke der Abneigung auf. Man sollte zuerst einfach nur nachfragen, woher die Ablehnung kommt. So baut man wenigstens eine gewisse zwischenmenschliche Brücke. Ausserdem sehr wichtig: wie spreche ich? Persönlich achte ich strikt darauf, mich der Sprache des Gegenüber anzupassen, das heisst, ich verwende ungefähr dessen Wortschatz, den ich ja heraushören kann. Dazu muss ich halt wirklich zuhören, mit welchem Bildungsstand und welchem sozialen Hintergrund ich es zu tun habe. Ich habe es natürlich leicht, weil ich quasi zweisprachig bin, in der einfachen Sprache der Landbewohner aufgewachsen und dann noch was dazugelernt. Wer in einer Akademikerfamilie gross geworden ist, sollte sich trotzdem wirklich vornehmen, sich dem Sprachniveau des Gegenüber anzupassen und ggf. Fremdwörter umschreiben, so dass die Rede sicher verstanden werden kann. Auf diese Weise habe ich mir noch nie Jemanden zum Feind gemacht, auch wenn sich selten Jemand überzeugen hat lassen auf die Schnelle.

Dann ist die Frage im Grossen, wie lange man auf die Einsicht des Team „emotional“ warten möchte. Es läuft ja immer darauf hinaus, dass die Konservativen einfach mitgeschleift werden und eines Tages vergessen haben, wogegen sie einst wetterten - um dann dieses nun nicht mehr neue Element in ihr konservatives Denken zu integrieren (Beispiel Gleichberechtigung Zug um Zug).

Das möchte man meinen. Die Konstante des konservativen Denkens ist aber: „es war immer schon so und es wird so bleiben“. Das heisst, wenn die Gegenwart erträglichl ist und der materialle Wohlstand gesichert, ist dieser Zustand gut, und gegen jede Veränderung zu verteidigen. Es funktioniert doch alles, die Jahreszeiten wechseln sich ab, es gibt jede Menge Vögel und Insekten, alles normal, kein Grund, irgendetwas zu ändern. Und wenn, dann sollen zuerst die „Anderen“, da bleibt der eigene Wettbewerbsvorteil … usw.

In dieser Zeit der schnellen Veränderungen haben es konservative Menschen schwer. Vor 300 Jahren waren sie gut aufgehoben. Ich sage das ohne Sarkasmus.

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Um auf der Meta-Ebene zu bleiben bei diesem sehr spannenden Thema:

Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Wesen. Das macht ihn nicht zu einem konstant vernünftig agierendem Wesen. Eine gewisse irrationale Emotionalität wohnt jedem Menschen, inne, mal mehr, mal weniger.
Sonst würde die Werbung selten funktionieren.
Zum einen kann uns diese Emotionalität sicher böse auf die Füsse fallen, wenn sie Fakten ignoriert (und Gefahren), sie ist aber auch der Motor für Innovation, für menschliche Neugier und Entdeckertum.

Die Ratio hält uns auf dem Boden der Tatsachen, kann aber auch bremsend wirken, da Veränderung rein faktisch immer Unwägbarkeiten, damit Gefahren birgt.

Wir sind schon ambivalente Wesen. Das macht uns einerseits liebenswert, aber gleichzeitig brandgefährlich.

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Positive Veränderungen haben mE. mehrheitlich einen rationalen Antrieb (Analyse - Nachdenken - Problem lösen). Mir fällt gerade kein Fall von Fortschritt ein, der hauptsächlich emotional begründet wäre. Dagegen würde ich die Menschheitstragödien (Kriege) vor allem auf „böse“ Gefühle zurückführen. Abgesehen von Politik und Technik sind Gefühle natürlich überragend wichtig.

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Du setzt voraus, dass konservative Haltungen stets rückwärtsgewandt und falsch wären. Ist dem wirklich so? Beispiel gefällig? Wenn es nach den progressiven Kräften im Land (v.a. Linke und Grüne) geht hätten wir im April Russland die Gasverträge gekündigt und stünden jetzt mit halb-leeren Speichern da. Und auch die sozialistischen Diktaturen haben ihren Ursprung im Progressiven Denken und der Ablehnung konservativer Haltungen.

Mir gefallen die Idealismen und Utopien des Linken Denkens während ich an den Konservativen oft den größeren Hang zum Realismus und Skeptizismus gegenüber radikalen Ideen schätze.

Daher denke ich, dass eine Gesellschaft stets beide Lager mind. gleichberechtigt benötigt.

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Ich möchte mich jetzt einmal als Threadersteller selbst reinwerfen und klarstellen, dass das Thema dieser Diskussion NICHT ist, ob Progressive generell überlegen sind und ebensowenig ist meine These, dass rationale Themen generell solche Progressiver sind. Ja, ich habe gesagt, dass viele der aktuellen und populären Themen (obwohl eigentlich sogar von konservativer Natur - siehe Klima) momentan eher bei den Progressiven zuhause sind. Umgekehrt war das nicht immer so und es gibt eine Menge anderer, unbekannter Themen, bei denen Konservative alles andere als „ideologisch“ oder „irrational“ sind.

Mir ist auch wichtig, dass jetzt nicht bei jedem einzelnen Thema auf eine rationale und eine irrationale Seite heruntergebrochen wird, Viele Themen sind dafür schlicht zu komplex, weshalb der Titel heißt „a la Tempolimit“, es gibt also manche Themen, die so aufgeteilt werden können, aber eben nicht alle. Bei den komplexen Themen ist wahrscheinlich jede und jeder von uns in den einzelnen Details mal Team Ratio, mal Team Irratio. Diese Themen fallen also schon aus dem Thread per se raus.

Insoweit tatsächlich ein vom Thread erfasstes Thema berührt ist, stimmt dann die Aussage - mit einer kleinen von mir vorgenommenen Anpassung.

Das ist die Konstante aus dem Blickwinkel eines Progressiven. Ein Konservativer würde das vielleicht eher mit „Das war bisher gut so und deshalb sollten wir nichts überstürzen“ beschreiben.

Spontan fielen mir hier die Unternehmer ein, deren Angehörige einen Unfall/eine Krankheit hatten und die dadurch motiviert waren, eine innovative Pille oder Prothese zu erfinden.

Umgekehrt ist das ein denkbar schlechtes Beispiel. Erstens wissen wir nicht, was die Grünen - wenn es nach Ihnen ginge - gemacht hätten. Ich jedenfalls kann in den vergangenen Debatten keine Anzeichen für so einen starken Schritt erkennen, war es doch Habeck, der nach Katar oÄ reiste und die Gasspeicher-Checkpoints schon deutlich vor Deadline erreichte. Bei den LINKEN ist das Beispiel noch schlechter - die wollen ja gerade keine Sanktionen, geschweige denn eine Einstellung von Gaslieferungen.

Auch das ist mir viel zu pauschal und Schublade und geht völlig am Thema rationale vs. irrationale Motivlage in bestimmten Debatten, ihre jeweilige Daseinsberechtigung und den Umgang damit vorbei. Ich muss mich da aber wohl mit in die Kritik aufnehmen, ich habe mich ja oben auch darauf eingelassen, manche meiner Argumente unter den Konservativ/Progressiv Dualismus zu subsumieren. Mir ist jetzt aber aufgefallen, dass das vom Thema wegführt.

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Bei diesem Beispiel war der Auslöser ein emotionales Erlebnis. Die Lösung wurde aber rational/technisch erarbeitet.
Es ist aber ein gutes Beispiel wie wir bei Themen zwischen emotional und rational hin und her wechseln.

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Sich bei dieser Meta-Diskussion auf rational vs emotional einzuschränken ist imho zu kurz gedacht.
Ich erkenne immer noch mindestens 3 weitere diametrale Ebenen auf denen Debatten heutzutage geführt werden:

Allgemeinwohl vs Individualismus
Komplex vs Einfach
Engagement vs Konsens

Hier ist es schwer einen Mittelweg zu finden der zielführend ist. Meist eskaliert eine Diskussion zu einem Extrem einer dieser Skalen und die andere Seite eskaliert auch oder schweigt.

Dazu kommt, dass das Geschäftsmodell fast aller Diskussionsplattformen (sozial Media) nicht den Konsens oder eine Lösung verfolgt, sondern die extremen Positionen auf allen Ebenen nutzt um Engagement zu bekommen.

jm2c Xyne

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Als Beobachter fand ich der Thread hat sich von einem theoretischen Ansatz zum Praktischen entwickelt. Hat vielleicht seinen Grund.

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Na dann mal zurück zur Theorie. Ich sehe definitiv die Notwendigkeit, emotionale Argumente in einer Diskussion zuzulassen. Allerdings sehe ich auch ein damit verbundenes Problem, für das ich momentan keine Lösung habe:

Will ich ein emotionales Argument in einer Diskussion gelten lassen, dann muss ich ihm nach meiner Auffassung zwingend auch ein Gewicht geben. Alles andere würde dazu führen, dass der Urheber des Arguments sich nicht ernst genommen fühlt. Solange in einer Diskussion von der Gegenseite also nur Verständnis für ein emotionales Argument geäußert, dies aber nicht in den Abwägungsprozess einbezogen wird, ist es logisch, dass der Urheber nach rationalen Ausweichargumenten sucht. Denn zumindest haben diese dann ein Gewicht größer Null in der Diskussion.

Und damit entsteht automatisch das Problem, nämlich: wie messe ich einem emotionalen Argument ein Gewicht zu? Bei rationalen Argumenten ist das verhältnismäßig einfach. Diese kann ich anhand ihrer logischen Überzeugungskraft und Nachweisbarkeit bewerten. Im Idealfall kann ich sie sogar quantifizieren was die Abwägung dann trivial macht.

Beispiel Tempolimit: ich kann die Reduzierung der Verkehrstoten ermitteln und ins Verhältnis zur Gesamtzahl der Verkehrstoten setzen. Ich kann die relative Spriteinsparung berechnen. Ich könnte auch die Zeitersparnis durch verbesserten Verkehrsfluss der Zeitersparnis durch überhöhte Geschwindigkeit gegenüberstellen. All das vermittelt einen Eindruck des Gewichtes des jeweiligen Argumentes. Aber wie gewichte ich dem gegenüber das Argument des Fahrspaßes oder des Freiheitsgefühls? Solange ich emotionale Argumente nicht rationalisieren kann (also z.B. „Studien haben ergeben, dass die Anfälligkeit für Depression um x% sinkt, wenn ich regelmäßig mit Tempo 180 über die Autobahn brettere“) fällt eine Abwägung hier schwer.

Ein emotionales Argument anzuerkennen, aber aus der Diskussion heraus zu halten, scheitert m.E. an demselben Problem. Dazu müsste ich dem Urheber des Argumentes sozusagen eine Entschädigung anbieten – z.B. der kostenlose Nürburgring beim Tempolimit. Die Frage, wie hoch diese Entschädigung ausfallen muss, scheitert aber an o.g. Problematik. Das Verfahren wäre auch in der Praxis nicht umsetzbar, denn es gibt für ausnahmslos jedes Vorhaben ein emotionales Gegenargument und ich muss daher zwingend auch die Möglichkeit haben, emotionale Argumente ähnlich rationalen Argumenten aufgrund ihrer Unwichtigkeit zu verwerfen.

Der Diskussionsprozess mit emotionalen Argumenten dürfte sich aber schwierig gestalten. Ein rationales Argument besticht im Idealfall objektiv durch seine logische Überzeugungskraft. Ein emotionales Argument kann auch überzeugen, allerdings nur dann, wenn das Gegenüber auf die entsprechenden Emotionen anspricht – im Prinzip also eine subjektive Überzeugung. Dadurch komme ich eigentlich vom vernunftbasierten Diskurs automatisch zurück zu einem reinen Mehrheitsentscheid, denn ich kann vermutlich selten eine emotionale Basis schaffen, auf die sich alle einigen können und das würde einem emotionalen Argument auch nicht gerecht. Ein weiteres Problem dürfte die einfachere Manipulierbarkeit durch emotionale Überzeugungsversuche darstellen. Nicht ohne Grund spricht in der Waschmaschinenwerbung nicht mehr der Experte sachlich über die Vorzüge des Modells sondern es werden praktisch ausschließlich emotional ansprechende Spots gedreht. In Diskussionen wird das häufig ausgenutzt, wenn z.B. Kriegseinsätze durch emotionale Bilder gerechtfertigt oder verurteilt werden sollen.

Ich bin leider überhaupt nicht vom Fach, aber auf diese Probleme muss z.B. Habermas ja bei seinen Arbeiten über Diskursethik zwingend gestoßen sein. Wenn also jemand hier im Thema ist, würde ich mich über eine wissenschaftliche Einordnung freuen.

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Stimmt, ich habe hier das äußerst vielschichtige Thema der 80-20 Regel zuliebe sehr stark zusammengekürzt. Vermutlich war das zu viel.

Stimmt, Habeck hat viel gemacht, aber wie viele Lieferungen sind denn aus Katar und Co schon angelandet? Ich dachte das waren alles Lösungen für 2023+? Ausgefallene Gaslieferungen wurde durch erhöhte Produktion bei unseren europäischen Freunden ersetzt, und zwar überwiegend durch hohe Nachfragepreise, nicht Reisen nach Katar oder Kanada (die im Übrigen beide eher ablehnten).

Anyway, die Bezeichnung Linke und Grüne waren eher als gesellschaftliche Gruppen gemeint, nicht Parteinamen, entschuldige die Unklarheit. Hier eine Illustration dazu. Es ist schon deutlich, dass Anhänger von Parteien Grün bzw links der Mitte mehr Zustimmung einem Importstopp zeigten als Konservative.

Das ist ein sehr interessanter Gedanke! Ich bin natürlich auch nicht vom Fach. Spontan ist mir zu deinem Dilemma Folgendes eingefallen:

Man könnte bei meiner These zwischen Diskursen mit Individualpersonen und einer Abwägung auf „gesellschaftlicher“ Ebene unterscheiden.

Da emotionale Argumente ein subjektives Gewicht haben, kann ich sie im 1v1-Gespräch hinterfragen und die Wichtigkeit für mein Gegenüber im Einzelfall herausarbeiten, daran dann ansetzen im weiteren Gespräch. Ziel meines Appells oben ist ja zumindest auch, durch diese Anerkennung eine pauschale Ablehnhaltung zu durchbrechen und im 1v1 hätte man dann die Möglichkeit, die Sinnhaftigkeit einer Maßnahme dem Gegenüber auch unter Einbeziehung des emotionalen Gewichts darzulegen. Das betrifft natürlich nicht nur die Situation am Esstisch, sondern auch im Internet, da beide Fälle eine persönliche Auseinandersetzung sind.

Auf gesellschaftlicher Ebene ist deine Problembeschreibug real. Da die „Masse“ von Team Emotional völlig unterschiedliche subjektive Standards an den Tag legt, kann die Emotion am Ende des Tages nicht quantifizierbar der Entscheidung zugrunde gelegt werden. Die Emotion kommt dann nur abstrakt bei einer Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Freiheitseingriffs zur Geltung. Hier wären wir dann wieder oben bei @rlinner, dass die verbliebenen, nicht zu überzeugenden Team Emotionalis (aufgrund der idR Verhältnismäßigkeit der Maßnahme angesichts der rationalen Argumente) „mitgeschleift“ werden, wenn auf Individualebene insb. durch Anerkennung deren individueller Emotionen genug überzeugt wurden, dass man eine Mehrheit hat (grausamer Satz).

Um dieser sehr theoretische Konstruktion jetzt einen Anwendungsbereich zu geben: Anerkennung von Emotion bzw deren Herausarbeitung macht nur Sinn, wenn ich direkt mit jemandem diskutiere. Wenn ich ein Thema abstrakt evaluiere, kann ich die Emotion kaum seriös einbauen.

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Sehr spannend zu lesen, Fragen von Debattenkultur interessieren mich auch sehr. Was aus meiner Sicht die Situation noch verschärft, ist die zunehmende Generierung von „Fakten“ und „Studien“, die Team Emotional bestätigen. So gelingt es dann, auch Team Rational anzusprechen. Als Beispiel kann ich die Debatte um Windräder und Infraschall anführen, auf die ich durch die interessante Doku Kampf ums Klima aufmerksam geworden bin. Es werden weiterhin inzwischen widerlegte Studien genutzt, um scheinbar rational zu argumentieren, auch wenn die Motive eher emotional sind.

Hinzu kommt ein m. E. emotionaler Aspekt, der Debatten immer mehr bestimmt und alle Beteiligten betrifft: Dissens ist nicht mehr auszuhalten, der Kompromiss zunehmend als Niederlage konnotiert. Es wird kaum noch akzeptiert, dass man unterschiedlicher Meinung bleibt, und sich darauf einigt, sich nicht einigen. Das bedingt eine sich selbstverstärkende Polarisierung bis hin zu Radikalisierung, die sich, wie schon angesprochen, insb. in den USA zeigt.

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Wobei man hier klar differenzieren muss zwischen Zynikern, die diese emotionalen Motive Anderer ausnutzen, um sehr eigennützige, darin aber sehr rationale Ziele zu verfolgen (der „Typ“ Mitch McConnell) und denjenigen, die tatsächlich emotionale Beweggründe haben. Erstere sind diejenigen, die diese verzerrten Fakten und waschechten Fake News generieren und damit argumentieren, Letztere kauen es idR allenfalls wider oder konsumieren es und verstärken damit die Illusion, man habe in Wirklichkeit keine emotionalen Beweggründe. Das ist die Grenze meiner obigen These und ist ja das perfide daran: Damit werden Menschen von der Realität entkoppelt und glauben sogar inständig, sie seiten Team Ratio, weil ihre „Fakten“ andere sind - Beispiel impfen und Coronaleugner. Das ist aber ein ganz anderer, genauso interessanter Themenkomplex.

Da kann ich nicht stärker zustimmen, das zu hinterfragen und den Kreisel zu durchbrechen ist ja auch mein obiger Appell. Ich bezweifle ehrlicherweise aber, dass die Spaltung bei uns so weit gehen kann wie in den USA - schließlich sind unsere Gesellschaft und unser System nicht ganz so extrem auf Polarisierung ausgerichtet.

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