Meta-Diskussion: Muster von Debatten a la Tempolimit

Ich habe den Eindruck, dass es einen dritten Typ gibt, nämlich die, die als Team Ratio starten und auch ohne emotionalen Bias auf die andere Seite wechseln, weil sie im Glauben an ihre Rationalität und die vermeintlich fundierten Argumente der ursprünglichen Gegenseite, sich von diesen überzeugen lassen. Um es konkret zu machen, ein Bekannter, der selber nicht unmittelbar von Windkraft betroffen ist, erzählte mir von der Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, bei deren Erstellung ein systematischer Fehler unterlaufen ist. Dies weckte Zweifel und Bedenken ggü Windkraft bei ihm. Und genau hier liegt die Gefährlichkeit dieses Vorgehens, die sicherlich, da gebe ich Dir mit „Typ Mitch McConnell“ recht, bewusst genutzt wird.

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Ich merke hier im Forum sehr deutlich eine Polarisierung. Es gibt bei vielen Themen zwei Mainstream-Meinungen. So ziemlich egal was man postet, man wird in eine der beiden Schubladen gesteckt und bekommt entsprechend von der einen Seite die übliche Unterstützung oder von der anderen Seite die üblichen Gegenargumente.

Dann hier mal ein paar: Ungewissheiten z. B. aufgrund von Annahmen in der UBA Studie. Sehr geringe Wirksamkeit von Tempolimits in Deutschland. Es gibt alternative Maßnahmen, die mehr Einsparungen bringen und weniger Prestige kosten.
Ich will die Diskussion hier nicht wieder anfangen. Da habe ich lange genug diskutiert. Ich will hier nur aufzeigen, dass es sehr wohl noch weitere Positionen gibt, diese gehen jedoch unter. Und dabei habe ich echt viele Beiträge geschrieben. Gefühlt redet man mit Waäden.

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Hallo zusammen,

erst mal danke an @Nick_Linden und die anderen für die spannende Diskussion.

Ich denke auch, dass die Einteilung in Team Ratio und Team Emotion zu kurz gegriffen ist. Sie hilft meiner Meinung nach auch nicht bei der Verbesserung der Debattenkultur. Jeder Mensch scheint in sich, vereinfacht gesprochen, ein intuitiv-emotionales und ein rationales System zu vereinen (System 1 und System 2 bei Daniel Kahneman; the elephant and the rider bei Jon Haidt). Es wird immer wieder gezeigt, dass wir extrem gut darin sind unsere (oft intuitiven) Handlungen, Meinungen und Moralvorstellungen zu rationalisieren. Dazu führen diverse kognitive Verzerrungen dazu, dass wir nur schwer von unseren Meinungen abweichen und andere Meinungen einfach wegargumentieren. Je höher unser IQ, desto besser sind wir darin.

Das ist eigentlich ein tolles Beispiel. Was für einen Tempolimit-Verfechter klingen mag wie rein emotionale Argumente, kann für einen Tempolimit-Gegner durchaus rational sein. Für ihn ist der Tempolimit-Verfechter plötzlich der Emotionale, der in seiner „Klima-Angst“ in Aktionismus verfällt und die Effektivität von Maßnahmen und Opportunitätskosten außer Acht lässt.

Zugang zur Beeinflussung von Meinungen anderer erhält man vornehmlich über das intuitive/emotionale System, nicht über das rationale (In diesem Youtube-Video wird das Konzept von Jonathan Haidt sehr schön, aber vereinfacht, erklärt). Populisten („Typ Mitch McConnell“) nutzen das und das macht sie so erfolgreich (so wie auch charismatische Politiker wie Barack Obama). Und das macht auch Debatten im Internet so frustrierend, denn dort ist die emotionale Ebene kaum erreichbar. Stattdessen bewerfen sich einfach anonyme, gesichtslose Menschen mit Argumenten, die die andere Seite dann wieder wegargumentieren kann.

Das ist mir auch schon aufgefallen - ich finde es hier aber im Vergleich zu anderen Plattformen noch sehr angenehm. Eigentlich bietet das Forum ja eine tolle Grundlage für einen fruchtbaren Austausch, da schon das gemeinsame Interesse für den Podcast einen kleinen Zugang zur intuitiv-emotionalen Ebene gewährt. Die Frage, wie sich das hier noch verstärken lässt, und darüber hinaus auch an anderen Orten, beschäftigt mich sehr. Mich würde brennend interessieren, ob Leute dafür Lösungsvorschläge haben.

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These (aufgrund langjähriger Beobachtung): Wenn ein Thema von gesellschaftlicher Wichtigkeit auftaucht und eine Diskussion noch nicht wirklich begonnen hat, positionieren sich die (betroffenen/interessierten) Individuen irgendwo auf einer Skala, oder besser in einem 3-dimensionalen Raum. Es gibt so viele Positionen wie beteiligte Individuen. Die Positionen ergeben sich aus dem Zusammenwirken von emotionalen Reflexen, stabilen Grund-Emotionen (grob die Persönlichkeit) und ersten rationalen, unfertigen Überlegungen.

Anfangs sind die Positionen noch nicht gefestigt. Dabei ist die Geschwindigkeit der Positionierung und die Positionstreue individuell verschieden, wiederum aufgrund der Persönlichkeit und der hyperkomplexen Motivationslage jeder einzelnen Person. Man würde zunächst in dem Raum eine „Punktwolke“ aus Positionen sehen, die schon eine gewisse Form annimmt, aber doch noch verteilt.

Mit fortschreitender Diskussion verdichtet sich die Punktwolke zu einer Wurst mit zwei Enden (lustig). Das ist die natürliche Polarisierungsdynamik würde ich sagen. Die Moderaten sind näher an der Wurstmitte und an den Enden sind die Extremen. Es bilden sich Meinungsführer auf beiden Seiten heraus und je nach Diskussionskultur beschleunigen sie die Polarisierung mit mehr oder weniger unsauberen Mitteln (manipulativer Gewichtung von Fakten, falschen Fakten, Schüren von Angst vor allem Möglichen).

Mich wundert dieser Vorgang gar nicht. Hier im Forum ist - wie @apual sagt - die Polarisierung recht milde ausgeprägt und erträglich. Verbesserungsfähig wäre die Diskussionskultur aber auch hier. Natürlich sollte man sowohl im 1v1 wie auch in der allgmeinen Diskussion die Gefühle der schon zweifelsfrei erkennbaren „Gegenseite“ ernst nehmen. Hinter den Gefühlen könnten gute rationale Gründe stecken, die noch nicht herausgearbeitet worden sind. Wenn also eine rhetorisch überlegene Person diese guten Gründe überfährt, ist das ein Verlust.

Bei einer ehrlichen, vom jeweils eigenen Ego absehenden, wahrheitsgetriebenen Diskussion müsste man aber hinter den Gefühlen irgendwann schon auch die letzten versteckten Vernunftgründe herausgekitzelt haben. Das geht nicht bei einer Schlangenphobie, aber beim Tempolimit geht es schon.

Rationalisierung von Gefühlen (Jonathan Haidt, wie schon erwähnt hier), ist hier ein Hinderniss, aber das kann beseitigt werden, indem man hinter die Tricks kommt (wie beim Zauberkünstler). Dafür braucht man halt Zeit, die scheint hier im Forum etwas knapp zu sein (Faden werden zu schnell geschlossen, und manche Foristen sind nicht sehr beweglich, so dass eine Diskussion mit dem Austausch von Haltungen zu einem Ende kommt. Vielleicht mache ich das auch, weil ich noch schnell etwas loswerden will, bevor es zu spät ist …

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Kurze Frage: Sind die von mir angeführten Argumente aus Deiner Sicht rationale oder emotionale Argumente?

Letztendlich ist es so, dass nur 5% der EU-Bürger so leben, wie es für das 1,5°-Ziel nötig wäre (wie ich kürzlich in einem Podcast hörte). Da fordere ich lieber ein Tempolimit (was mir nicht weh tut), als mir vor Augen zu führen, auf was ich alles verzichten müsste, um zu den 5% zu gehören.
Insofern: es ist ein no-brainer und die Fakten sprechen dafür, aber ohne Emotionen ist in den Diskussionen keine Seite.

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Das beantwortet meine Frage die ich an @apual gestellt habe leider nicht. Ich habe sachliche Argumente gebracht, diese wurde jedoch anscheinend als emotionale interpretiert. Dadurch frage ich mich, ob dies ein generelles Problem in den Diskussionen hier im Forum ist.
Wenn man bei der Diskussion Emotionen hat, ist dies überhaupt kein Problem. Schwierig wird es, wenn die Argumentation emotional und nicht mehr sachlich ist.

Die Frage Tempolimit oder nichts tun, ist ein no-brainer. Aber die tatsächliche Frage ist doch, welche Maßnahmen sollten wir in welcher Reihenfolge umsetzen? Und ist in diesem Katalog das Tempolimit unter Berücksichtigung von allen wesentlichen Punkten (Einsparung, Kosten, Akzeptanz, Langzeitwirkung,…) im Ranking oben mit dabei?

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Das ist jetzt das Beispiel, das ich beschrieben habe: Die Prioritätensetzung IST für sich genommen ein rationales Argument, deren ständige Wiederholung in der Tempolimitdebatte unter Verkennung, dass mehrere Maßnahmen parallel umgesetzt werden können und das Tempolimit mit einem Fingerschnipsen eingeführt werden kann, zeigt aber die emotionale Motivlage hinsichtlich der Verwendung des Prioritätarguments.

Denn dieses Argument tut so, als stünden verschiedene Maßnahmen in einem Alternativverhältnis, was mitnichten so ist. Das ist weder juristisch komplex wie die Cannabislegalisierung noch verwalterisch komplex wie damals die Impfkampagnen. Es ist sehr simpel einzuführen, entfaltet sofort Wirkung und an Tag 2 kann wieder mit Status Quo weitergemacht werden.

Damit ist das Prioriätenargument in 99% der Fälle ein Strohmann für das eigentlich dahinterstehende emotionale Störgefühl. Es gibt aber die 1%: Wenn bspw. die FDP sich das Tempolimit teuer zulasten deutlich wertvollerer Maßnahmen erkaufen lässt. Dann ist aber dieser HANDEL emotional begründet (weil der Wert des Tempolimits angesichts des langen Streits im Verhältnis überbewertet wird), an den beiden Seiten der Tempolimitdebatte SELBST ändert sich nichts. So ein Handel wäre dann auch so ein Aktionismus, den @apual beschreibt. Ein Tempolimit aber für sich einfach so einzuführen ist es wegen der eben beschriebenen Sachlage und der vielen Argumente gerade nicht

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Ich sträube mich wirklich gegen die Beantwortung dieser Frage und das war gerade nicht die Ebene, auf der ich unterwegs war. Mir ist diese Klassifizierung zu eindimensional.

Was ich ausdrücken wollte: Dem Original-Post nach könnte es Menschen geben, die deine, @FlorianR, Argumente als emotional bezeichnen würden („Relativierung“). Ich wollte ausdrücken, dass ich diese Einschätzung schwierig finde, da die Rationalität von Argumenten im Auge des Betrachters liegt, und dass eben niemand eine rein rationale Sicht auf Themen hat.

Es gibt eine Methode namens Double Crux zur Auflösung von Konflikten. Eine Crux ist ein Frage, die, wenn ich sie anders beantworten würde als ich es im Moment tue, meine Meinung zum Thema ändern würde. Eine Double-Crux ist eine Frage, bei der dies für beide Konfliktparteien gilt. Man bohrt also so lange, bis man eine Double-Crux gefunden hat und versucht dort eine Antwort zu finden. Dann hat man eine Grundlage, auf der es sich lohnt zu diskutieren. Aber ja, das kostet Zeit. Im Beispiel Tempolit: Die Frage, wie viele Emissionen wir durch ein solches einsparen können ist für die meisten Tempolimit-Gegner nicht entscheidend. Es bringt also auch nichts, ihnen diesen Fakt immer wieder um die Ohren zu hauen.

Vielleicht also: Gibt es Maßnahmen, die wir stattdessen umsetzen können, die eine größere Wirkung haben und die sonst blockiert werden?

Anmerkung: Das sollte nur als Beispiel dienen. ich möchte hier auch keine Debatte über das Tempolimit führen.

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Diese Aussage ist schlicht falsch. Die Studie des UBA nennt explizit alternative Möglichkeiten der Umsetzung. Eine Erhöung des Spritpreises z. B. Die ist nicht wirklich schwieriger Umzusetzen als ein Tempolimit, die Kontrolle dagegen wäre automatisch gegeben, wärend Tempolimits momentan de facto nahezu wirkungslos sind.

Sei mir nicht böse, das mit dem Tempolimit hört sich so einfach an, ist es aber nicht. Das Thema ist unendlich hochgepuscht und es finden sich nur noch die üblichen oft überzogenen Argumente. Und das ist auch hier im Forum so. Wenn ich in den Tempolimit Debatten nur die alten, tausendfach hergebrachten Argumente höre, zeigt dies mir, dass es in diesen Diskussionen gar nicht darum geht, dass da jemand eine neue Meinung verbreiten oder diskutieren möchte.

Ich gebe zu, dass es nicht immer eindeutig möglich ist ein Argument in rational oder emotional zu Klassifizieren. Für mich ist ein fachliches Argument eines, das sich überprüfen lässt, z. B. anhand von Studien. Ich hatte meine Argumente auf Basis der UBA Studie gewählt und versucht sie dadurch möglichst rational zu gestalten.

Z. B. eine konsequentere Kontrolle der bestehenden StVO. Da ist keinerlei Gesetzesinitiative notwendig, ob das mehr ist als das Tempolimit ist unklar und vor allem kann sich keiner darüber aufregen, denn das ist die bestehende Gesetzeslage.

Eigentlich dito, aber mit den ganzen Beispielen fühle ich mich da schon wieder viel zu sehr in der Debatte.

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Die Partei, die das Tempolimit verhindert, hat Tanken aber billiger nicht teurer gemacht.
Die gesellschaftliche Akzeptanz wäre in jedem Fall geringer.

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In den Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften gibt es ein einfaches Prinzip zum finden einer (annähernd) optimalen Lösung, die Paretooptimierung.

Bezogen auf das Beispiel CO2 Reduktion würde man sich ein Emissionziel setzen, das man erreichen muss.

Dann würde im einfachsten Fall (2 Dimensionen) mögliche Maßnahmen sammeln und hinsichtlich ihrer Emissionsreduktion (ER) und dem Zustimmungsverlust (ZV) in der Bevölkerung bewerten.

Nun könnte das Verhältnis R=ER/ZV bestimmt und der Größe nach sortiert werden. Nun wählt man solange Maßnahmen der Reihe nach, beginnend mit großem R, bis ER erreicht ist. Damit wäre annähernd (!) sicher gestellt, dass man das Set an Maßnahmen gewählt hat, welches am wenigsten Unmut in der Bevölkerung erzeugt.

Natürlich lässt sich dieses Optimierungsprinzip auch beliebig um weitere Dimensionen erweitern.

Man kann mit diesem Verfahren also Prioritätensetzung leicht rationalisieren.

Ich bleibe im Beispiel, aber nur zur Veranschaulichung, wie ich mir solche Debatten vorstellen könnte. Ich würde mich freuen, Meinungen dazu zu hören (nicht zum Tempolimit).

Wenn dir jemand glaubhaft machen würde, dass das Tempolimit schnell und parallel zu deiner Alternativ-Maßnahme umgesetzt werden kann - würdest du dann deine Meinung zur Einführung des Tempolimits ändern? Sonst könnten wir uns nämlich einer anderen Frage widmen. Oder wir könnten das auch umdrehen: Was müsste man dir glaubhaft machen, um dich bezüglich der Einführung des Tempolimits umzustimmen? Ich hoffe du gestattest mir, dich so ungefragt als Fallbeispiel heranzuziehen.

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Erstmal vielen Dank für die Kritik, ich würde nämlich jetzt an diesem Punkt die These erweitern - gerade auch im Hinblick auf das, was @pitus eben noch beigetragen hat.

Wenn ich dich richtig verstehe, erkennst du die Notwendigkeit eines Tempolimits an, widersprichst aber dem Weg: Du willst keine gesetzliche Vorgabe, sondern eine Preissteigerung, die hoch genug ist, dass die Leute freiwillig langsamer fahren, um Sprit zu fahren. D.h. du revolvierst eigentlich gar nicht um die Frage, ob ein geringeres Tempo überhaupt her muss, sondern auf welchem Wege?

Wenn du von dort kommst, ist deine Argumentation keineswegs irrational, lass mich erklären:

  1. Bisher wurde mir noch immer kein Argument für - und ausdrücklich für! - den Standpunkt kein Tempolimit genannt, weshalb weiter für diesen Standpunkt nur der Fahrspaß der Raser spricht - das ist für sich genommen ein emotionaler Standpunkt, aber natürlich trotzdem im Grundsatz erstmal unter Art. 2 I GG schutzwürdig.

  2. Wenn nun zwei alternative Maßnahmen existieren, die aber kumulativ wirken, dann wäre das Ausspielen gegeneinander eine Strohmann-Taktik, bekannt als Whataboutism. Beispiel: Mit einem verpflichtenden hohen KfW-Standard für Neubauten ließen sich - hypothetisch - 50 Millionen CO2-Tonnen einsparen, mit einem Tempolimit 5 Millionen Tonnen. Zusammen wären es 55 Millionen, die kumulativ wirken könnten, aber gegeneinander ausgespielt werden. Hier würde die Alternativmaßnahme rein destruktiv benutzt werden, um das emotionale Motiv zu bedienen. Das wäre auch nicht weiter schlimm, wenn wir keinen Klimawandel hätten, siehe Schutzwürdigkeit durch Art. 2 I GG. Wären die Emissionen (inkl. Feinstaub, Mikroplastik, Lärm etc.) kein Problem, dann wären sie auch kein Argument. Aber das ist eben schlicht nicht so.

  3. Wenn es aber zwei alternative Maßnahmen gibt, die ein und dasselbe erreichen, von der aber eine Maßnahme im Übrigen besser sein könnte, dann ist so ein Alternativvorschlag konstrukiv. Er wird nicht bloß als Manöver benutzt, sondern ernsthaft vorgeschlagen. Zwar ist die Motivlage auch eine Emotionale („ich mag halt schnell fahren“), aber es wird ein rationales Angebot gemacht, das - vorausgesetzt es erreicht den angestrebten Wirkungsgrad - ein Win-Win sein könnte. Und das ist immer ideal. Und was ideal ist, ist rational. Insoweit würde ich meine These also erweitern.

  4. Dann ist bloß die Frage, ob die Alternativmaßnahme wirklich besser ist:

  • Hierzu würde ich nun zunächst Folgendes sagen: Der Sprit ist jetzt in kurzer Zeit um teilweise 100% gestiegen, dennoch wird (derzeit noch) kein sparsameres Fahren beobachtet. D.h. man muss den Sprit noch deutlich teurer machen, um auf den Autobahnen die allerallermeisten Fahrzeuge freiwillig auf 130 runterzuregulieren.
  • Das trifft dann aber nicht nur die Raser, sondern eben alle - auch die, die bereits langsam fahren, was den sozialen Sprengstoff erhöht. Da ich aber annehme, dass der Spritpreis über eine CO2-Abgabe erhöht werden würde, könnte man die Mehrbelastung hier ohne weiteres über die schon in der Lage mehrfach angesprochene Klimadividene wieder dämpfen. Die Mehrkosten dafür treffen also vor allem die Schnellfahrer, während Leute, die den ÖPNV nutzen, über die Klimadividende sogar profitieren (bei einem Tempolimit gingen sie finanziell gesehen leer aus)
  • Nun hat man aber das Problem, dass eine Preissteigerung beim Sprit gerade e-Autos und die, die es sich leisten können, gerade nicht juckt. D.h. eine Wirkung hat eine Preissteigerung umgekehrt nur bei Mineralöl-Autofahrern, die sich das Rasen zudem nicht leisten können, im Übrigen aber zeigt die Alternativmaßnahme keine Wirkung - kann natürlich trotzdem sein, dass die e-Autos und Wohlhabenden Raser einen so geringen Anteil ausmachen, dass die Preissteigerung trotzdem auf 90-95% der Tempolimit-Einsparungen kommt, das müsste man ermitteln.
  • Weiter ist die Einführung einer echten (= 200 €, nicht 50€ pro Tonne!) CO2-Bepreisung zwar sehr wohl ein extrem guter und richtiger Vorschlag, jedoch deutlich, deutlich, deutlich komplexer und aufwendiger in der Einführung als ein bloßes Tempolimit - von der Direktzahlung Klimadividende mal ganz zu schweigen und das sehen wir ja gerade ganz akut. Und dann muss man sich schon im Sinne der Verhältnismäßigkeit (Erforderlichkeit) fragen: Es mag - wenn der Wirkungsgrad erreicht wird und das Tempolimit ersetzen könnte - langfristig milder sein, aber ist es wirklich gleich effektiv? Sollte man dann nicht das annähernd sofort Wirkende einführen, weil das Langfristige nicht mehr rechtzeitig kommt?
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Der Knackpunkt hier ist, welche Dimensionen braucht man denn überhaupt. Das ist ja genau das, was ich gemacht habe. Ich habe weitere Aspekte reingebracht.

Gerne. Zwischen dem Tempolimit und den Alternativen ist vermutlich nicht viel um. Alle sind schwer zu bewerten, da unzureichende Daten vorliegen. Die Studie des UBA hat z. B. als eine Alternative zum Tempolimit angeführt, dass der Diesel um 10-15 ct/L verteuert werden müsste. Diesel ist jetzt doppelt so teuer und wir haben nicht die zig-fache Einsparung eines Tempolimits. Ob das Tempolimit so viel bringt, wie prognostiziert, ist daher noch fraglicher als bisher.
Ich war in den Diskussionen im letzten Jahr der Meinung, dass ein wesentliches Ziel ist, möglichst viele Leute mitzunehmen und möglichst wenige vor den Kopf zu stoßen. Ich fand damals und finde es immer noch, dass die Abschaffung der Wild-West-Mentalität auf den Straßen hier in Deutschland uns weiter bringen würde, als ein Tempolimit. Die StVO erlaubt ein schnell Fahren auf Autobahnen jetzt bereits nur sehr eingeschränkt.
Was meine Meinung geändert hat, ist eine neue Sichtweise - ja ich bin gar nicht mehr gegen ein Tempolimit. Für das Klima resultiert nicht aus der CO2-Einsparung, sondern das Tempolimit ist das Instrument, um die Leute wachzurütteln und das Thema Klima auf die Tagesordnung zu bringen.

Ich bin Befürworter eines Tempolimits, aber wie geschildert nicht primär wegen CO2-Einsparung, sondern um ein Zeichen zu setzen. Ich revoltiere nicht, ich zeige lediglich Gegenargumente auf.

Ich habe mehrere genannt:
Tempolimits sind de facto in Deutschland wirkungslos, da keine Kontrolle vorhanden ist. Ein weiteres Tempolimit wird da nicht helfen.
Wie schnell die Leute auf der Autobahn fahren ist doch eigentlich egal, so lange sie dabei kein CO2 ausstoßen bzw. diesen Ausstoß auch entsprechend kompensieren.

Das spricht z. B. auch gegen ein Tempolimit, siehe oben.

Die CO2-Bepreisung gibt es doch bereits und wurde jetzt ausgesetzt oder irre ich mich da?

Ich möchte hören, was dafür spricht, mit unbegrenzter Geschwindigkeit auf der Autobahn zu fahren - da wird nach wie vor nichts vorgetragen.

Abgesehen finde ich das Argument extremst schwach, weil auf Abschnitten, auf denen bereits jetzt das Limit gilt, auch die Regeln eingehalten werden. Im Übrigen kann man solche Kontrollstrukturen ohne weiteres aufbauen, das geht natürlich nicht von heute auf morgen, aber dauert auch keine 5 Jahre. Das Argument wirkt auf mich wie die Krankenkassen damals mit „Wir haben nicht genug Papier“ oder das Zauberargument „Datenschutz. Geht nicht.“

Das habe ich ja in meinem letzten Posting so unterstützt, ist aber leider nur maximal mittelfristig realisierbar. Wobei ich auch mehrmals gesagt habe, dass es dabei nicht nur um CO2 geht und man dann immer noch Argumente braucht, warum man jetzt auf weniger Tote, Verletzte, sonstige Schäden, Stress, Mikroplastik, Feinstaub, Verschleiß von Autos und Straßen, weniger Lärm etc verzichtet - dafür, dass manche wenige rasen können.

Das verstehe ich schlicht nicht. Wenn die Leute nicht - wie du vorgeschlagen hast - durch Preise zum langsam fahren motiviert werden, dann muss es eben gesetzlich angeordnet werden. Freiwilliges Maskentragen funktioniert auch nicht.

Die gibt es, aber erstens viel zu niedrig - sagte ich: aktuell 50 statt 200 Euro pro Tonne - und nicht flächendeckend. Das spontan zu vervierfachen ist ein deutlich schwierigeres Unterfangen als ein simples Tempolimit einzuführen.

Für mich ist die Frage nach dem Tempolimit weiter sehr simpel: In der einen Waagschale (Contra) liegt nichts, in der anderen (Pro) immerhin etwas bis viel - für manche mehr, für andere weniger. Aber 10 ist genauso mehr als 0 wie 100 mehr als 0 ist. Also noch ein letztes Mal: Was spricht rational gesehen dafür (!), dass man unbegrenzt schnell auf der Autobahn fahren darf und all die Vorteile - egal wie groß oder klein sie sein mögen, in den Schatten stellt. Solange hier nichts vorgetragen ist, gilt das im Eingangspost Gesagte, abgesehen von deinem Vorschlag einer gleich wirksamen Win-Win-Alternative, die aber mMn. in unserem Fall schlicht nicht schnell und umfassend genug Abhilfe verschafft, sodass sie keine echte Alternative ist.

Eigentlich heisst „alternativ“ in diesem Zusammenhang: sich gegenseitig ausschliessende zwei oder mehr Möglichkeiten zur Erreichung eines Ziels (was ja beim Tempolimit NIE der Fall ist, kann zu allen übrigen Massnahmen problemlos und sofort dazugenommen werden). Mir fällt gar keine Klimaschutzmassnahme ein, die eine andere Massnahme ausschliessen würde.

Wirklich alternative Optionen gäbe es z.B. bei einer privaten Kaufentscheidung zwischen einer Wärmepumpe und einer Wärmedämmung, die angenommen beide für 20T zu haben sind, aber nur 20T zur Verfügung stehen. Da muss man rechnen, um die Option mit der besseren Wirkung zu ermitteln.

Aber klasse Beitrag!

@FlorianR, höherer Spritpreis wäre zusätzlich eine gute Massnahme, da nicht nur zu schnell gefahren wird, sondern auch zu viel. Könnte man dadurch die gefahrenen Auto-km bis auf das tatsächlich Notwendige reduzieren (70% sollen laut einer Studie von ewig lange her und nicht mehr zu finden - aber meiner Beobachtung nach plausibel - unnötig sein), würde das ein Vielfaches der Einsparungen durch das Tempolimit bringen. Aber wie gesagt, das sind keine alternativen Massnahmen sondern beides Massnahmen, die sogar besonders gut zusammenpassen.

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Genau das meine ich, WENN es diese zwei sich ausschließenden Maßnahmen wirklich gäbe, oder die eine Maßnahme die Wirkung der anderen schlicht mitverschluckt, wie @FlorianR es ja mit den Preisen beim CO2 grundsätzlich angedacht hätte, dann ist die Ablehnung der „kleineren“ Maßnahme zugunsten der Besseren schlicht rational - egal aus welcher Motivlage sie erfolgt.

Aber genau, das sehe ich hier eben schlicht auch nicht, weil das Tempolimit noch einiges mehr bringt als CO2-Einsparung vom alleinigen Schnellfahren, zudem die Preiswirkung länger dauert und das Limit so einfach schneller ist und auch beim CO2 überbrückend wirkt. Es hat schlicht einen eigenen Wert, während die Gegenseite kaum etwas eigenes in ihrer Waagschale hält, stattdessen vergeblich versucht, die andere Waagschale zu erleichtern, die aber dennoch immer schwerer bleibt.

Das glaube ich nicht. Ein einheitliches Tempolimit kontrolliert sich doch fast von selbst. Wenn du mit den dann vorgeschriebenen 100km/h auf der Autobahn fährst und jemand fährt auch nur mit 120 an dir vorbei, dann weiss jeder der sich an die Regeln hält, dass da ein Regelbrecher unterwegs ist. Glaubst du wirklich, dieser Schnellfahrende hält das lange durch, von jedem als solcher gesehen zu werden, und riskiert, dass da jemand dabei ist, der ihn anzeigt? Und was noch wirkungsvoller wäre: du kannst auf der linken Spur mit 100 fahren, und das würden Viele tun, schliesslich erhöht das die Kapazität der Strasse.

Auf reationaler Ebene hast du Recht. Nach Pareto spricht aber die hohe Emotionalität des Themas dagegen. Das muss man einpreisen, auch wenn es unnötig erscheint.

Ein wissenschaftlich-rationaler Ansatz wäre entsprechend alle möglichen Maßnahmen wie oben beschrieben zu bewerten und auszuwählen. Wenn dann das Tempolimit ein schlechteres Kosten-Nutzen-Verhältnis hat als bspw. der Weiterbetrieb von Atomkraftwerken statt Kohlekraftwerken (um mal ein anderes leidenschaftlich diskutiertes Thema zu benennen in dem die Mehrheit aktuell deutlich positioniert ist) dann sei es halt so.