Da gibt es vielleicht zwei unterschiedliche Denkweisen. Natürlich sind viele Maßnahmen miteinander kompatibel. Allerdings muss man nicht zwangsläufig alle Maßnahmen ziehen, sondern nur soviele wie zum Erreichen eines festgelegten Ziels benötigt werden.
Natürlich kann man auch mehr machen, aber das verursacht halt auch mehr „Kosten“ und wäre dann eben nicht mehr optimal.
Ach schade, jetzt sind wir doch wieder in die Art frustrierende Internet-Debatte geschlittert, die wir hier doch eigentlich bekämpfen wollten. Ironischerweise obwohl alle auf der selben Seite sind.
Ich finde das eigentlich nicht, das Tempolimit ist gerade nur das Thema, an dem die These abgearbeitet wird und gerade @pitus ordnet das mMn. immer sehr schön ein. Du hattest ja immer mal wieder gesagt, das Ganze sei dir zu pauschal und unterkomplex - du hast ja auch schon an manchen Stellen punktuell beschrieben, wie du es siehst: Wie wäre es, wenn du jetzt eine Gegenthese formulierst und das Ganze nochmal anheizt? Dann müssen wir uns auch nicht am Tempolimit abarbeiten ^^
Sagen wir modellhaft, es gäbe zwei Massnahmen zur Erreichung eines Ziels. Wenn sie sich ergänzen und in der Summe noch immer nicht das Ziel erreichen, ist es logisch, beide Massnahmen zu ziehen. Wenn das Ziel mit der wirkungsvolleren Massnahme allein schon erreicht wird, kann man die weniger wirkungsvolle weglassen - falls die Übererfüllung überhaupt keinen Mehrwert hat. Wenn sie einen Mehrwert (vielleicht auf einem anderen Gebiet) hat, aber die Kosten diesen Mehrwert doch wieder überwiegen, lässt man sie weg, und umgekehrt.
Wenn mit beiden Massnahmen das Ziel nur halb erreicht wird, dann MUSS man beide Massnahmen ziehen. Und wenn dann jemand kommt und sagt, die Kosten wären durch die Massnahmen (oder eine der beiden) zu hoch, dann muss das Ziel selbst in Frage gestellt werden, bzw der Kritiker muss plausibel machen, dass die Kosten zu hoch sind und das Ziel nicht wichtig genug.
Ich will jetzt das T-Wort nicht in den Mund nehmen (@apual ), aber auf diesen ominösen Sachverhalt passt das mE genau.
Das kommt doch alles darauf an wie das Ziel gesetzt wurde. Wir haben eine Trajektorie zu welchem Zeitpunkt wievielt CO2 Emissionen eingespart werden sollen. Ich bin mir sicher, dass es etliche Möglichkeiten gibt die Ziele mit unterschiedlichen Maßnahmen zu erreichen, nur ihnen unterschiedlich beliebte Maßnahmen zu Grunde.
Paris verlangt von uns nur, dass wir mehr erreichen müssen, nicht gleich alles. Folglich gibt es Alternativen.
Dein Beispiel würde meiner Ansicht nach nur ziehen, wenn wir als Ziel definieren, dass wir sobald als möglich CO2 neutral werden müssen. Damit gäbe es tatsächlich keine Alternativen mehr.
Wir sind schon so weit hinter den Zielen zurück, die wir auf jedes Jahr aufgeteilt jeweils hätten erreichen müssen. Und für das aktuelle Jahr sieht es nicht gut aus, und im Verkehrssektor sogar ganz schlecht. Wenn man davon ausgeht, dass man irgendwann noch vor 2030 durch Wundermassnahmen, die noch niemand kennt, die Ziele doch noch erreichen wird, und man überhaupt davon ausgeht, dass das superkomplexe System Klima sich an die Berechnungen von 2015 hält, dann kann man sich Zeit lassen.
Da es aber Wundmassnahmen wahrscheinlich nicht geben wird und es doch schon ein wenig brennt, müssen wir tatsächlich als …
Es gibt da eine Studie vom UBA in der das Einsparpotential eines Tempolimits abgeschätzt wurde, da steht das drin. Ich meine, dass sich etwa die Hälfte an Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen halten. Der ADAC hat mal rausgekriegt, dass sich die Durchschnittsgeschwindigkeit bei 30 statt 50 faktisch nicht ändert => siehe meine Posts aus der damaligen Diskussion.
Das ist halt die Frage: in Deutschland wird erst geblitzt, wenn man mehr als 10km/h zu schnell ist. Das ist wahrscheinlich in der Statistik auch gemeint.
In Holland z.B. direkt ab 1-2 km/h zu viel.
Es gibt also Kontrollen, die aber eine Toleranz haben.
Nein, das ist keine Frage, das steht im UBA-Bericht mit Balkendiagramm wie viel Fahrzeuge mit und ohne Tempolimit wie schnell fahren. Und auch der Balken mit >180 ist bei Tempolimit vorhanden.
Aber darum geht es hier nicht. Die Frage ist eher, warum Du hier die Tempolimit-Diskussion versuchst aufleben zu lassen indem du zwei Mal bereits Dinge postet, die am Thema vorbei gehen. Ich kann sie nicht genau einordnen, aber im Prinzip dienen Deine Posts schlicht und einfach dazu meine Fakten in Zweifel zu ziehen. Ohne Gegenargumente. Selbst die 10 km/h stimmen nicht. Google sagt mir, dass es ab 100 km/h 3% sind.
Frage an den Rest: Geht Euch das auch so in Diskussionen? Früher war das hier im Forum nicht der Fall, zumindest nicht in dem Ausmaß.
Schade, dass ich so spät auf diese extrem interessante Diskussion gestoßen bin (danke an @Nick_Linden für den Thread und @apual, @MarkusS und andere für super Beiträge!), dass sie praktisch schon vorbei war, als ich sie wahrgenommen habe! Ich will aber trotzdem noch einen Aspekt einbringen, der, wenn überhaupt, nur implizit Gegenstand war, der aber für mein Weltbild zentral ist:
Ich betrachte mich als einen Vertreter der Vernunft und bin stolz darauf, eher ein „langsamer Denker“ im Sinn Kahnemanns zu sein. Trotzdem finde ich eine Feststellung sehr wichtig: Die Vernunft ist ein Diener der Emotion. Alles menschliche Handeln hat letztlich nur ein Ziel, nämlich positive Emotionen zu erzeugen. Letztendlich geht es nur um Zufriedenheit. Alles, was nicht unmittelbar dazu dient, jemanden zufrieden zu machen, ist nur ein Hilfsmittel.
Deswegen ist es immer ratsam, sich dieses Endziel bewusst zu machen, auch wenn man rationale Argumente vorbringt, um einen Standpunkt zu begründen. Das heißt dann nicht, dass diese rationalen Argumente gegenüber mehr emotionalen entwertet würden, aber man muss sich immer fragen, ob der Gewinn an Zufriedenheit, den man durch Verfolgung einer vernünftigen Gedankenkette erreichen kann, den Verlust aufwiegt, der durch Überstimmen der unmittelbar emotionaleren Option erzeugt wird.
Interessanter Beitrag. Ich habe mich bisher nicht mit Kahnemann auseinandergesetzt, daher übersehe ich vielleicht etwas, aber dies klingt für mich nach einer Rechtfertigung, kurzfristigen persönlichen Zufriedenheitsgewinn über gesamtgesellschaftliche Interessen und die kommender Generationen zu stellen.
Mir ist klar, dass das so missverstanden werden kann. Aber ich schreibe hier nichts von kurzfristigem Zufriedenheitsgewinn. Ich will nur klarstellen, dass unsere ganze Vernunft keinen Sinn hat, wenn nicht als Fernziel irgend ein emotionales Bedürfnis befriedigt wird.
Bleiben wir beim Beispiel Tempolimit. Das Tempolimit ist ja kein Wert an sich, sondern soll dazu beitragen, den CO2-Gehalt der Atmosphäre möglichst gering zu halten. Auch der ist nicht das Endziel, sondern die Verhinderung einer immensen Menge menschlichen und tierischen Leides durch die Folgen der Klimazerstörung. Wenn wir dieses Leid auf eine Weise verhindern könnten, die kein Tempolimit oder keine CO2-Reduktion erfordert, dann wären alle damit happy. (Wobei ich alle anderen positiven Effekte kurz mal vernachlässigt habe).
Das ist jetzt ein recht triviales Beispiel. Anstrengungen, die man unternimmt, um Bildung zu fördern, brauchen dagegen eine deutlich längere Argumentationskette. Steuereinnahmen sind kein Selbstzweck, eine Schule ist kein Selbstzweck, Bildung ist kein Selbstzweck, eine Arbeitsstelle ist kein Selbstzweck, ein Gehalt ist kein Selbstzweck…Am Ende stehen Essen, Kleidung, Urlaubsreisen, Kinokarten oder ein Haus, also Dinge, die dazu dienen Bedürfnisse zu befriedigen. Nichts davon ist kurzfristig zu erreichen, aber immer zu berücksichtigen. Freilich muss das nicht jedesmal explizit gemacht werden, denn die Zusammenhänge sind ja größtenteils bekannt.
Ja, auch „Ich will meinen Kindern und Enkelkindern einen lebenswerten Planeten hinterlassen“ kann ein emotionaler Bedürfnis sein. Emotion ist in meinen Augen aber etwas sehr persönliches, und ich denke bei emotional argumentieren immer an impulsive, unbedachte Äußerungen. Bei Debatten, die das Gemeinwohl betreffen, müssen Emotionen sicherlich eingepreist werden und dürfen auch gerne Grundlage vertretener Positionen sein, aber da sollte dann schon noch was zu kommen. Letztlich braucht es das ja auch, um die zu überzeugen, deren Emotionen zu anderen Postionen führen bzw um den Ausschlag zu geben, wenn sowohl auf der einen als auch der anderen Seite widersprüchliche Emotionen vorliegen aber man zu einem Ergebnis kommen will.
Um den Gedanken noch zu ergänzen: Ein Gedankengebäude, das an vermeintlichen Vernunftgründen festhält, ohne die zu erreichende Zufriedenheit im Blick zu behalten, würde ich als Ideologie bezeichnen. Die in einer Ideologie manifestierten Ideen sind grundsätzlich irgendwann mal aus solchen Zielen abgeleitet worden, aber daran festzuhalten, auch wenn sich Fehler in der Argumentation herausgestellt haben oder die Grundannahmen nicht mehr stimmen, ist typisch ideologisches Verhalten.
Was Du beschreibst entspricht aber nicht meiner Vorstellung von rational. Wenn man an wissenschaftlichen Thesen festhält, obwohl diese widerlegt wurden, nur weil man es immer so gemacht hat und sich besser anfühlt, dann ist ideologisch, ja, aber auch nach meinem Verständnis eher emotional als rational, um auf die (vermeintlichen?) Gegensätze aus dem Eingangspost zurück zu kommen.
Vielleicht ist die Schwierigkeit auch, dass die Trennung von Team Ratio und Team Emotion doch nicht so eindeutig ist und die Übergänge eher fließend sind. Um es mal am Beispiel Tempo 30 innerorts deutlich zu machen: Team Ratio: Studien belegen, dass es zu weniger Unfällen kommt und wenn doch, diese weniger schwer ausfallen (basierend auf dem, was ich im Hinterkopf habe, bitte nicht zu genau nehmen). Team Emotion: Ich fühle mich sicherer, wenn Autos langsamer fahren.
Du hast da schon einen Punkt. Im Grund beschreibst Du das Bauchgefühl, was bei Kahnemann das „schnelle Denken“ ist.
Ich denke aber an andere Zusammenhänge, wo sich das scheinbar (?) rationale Denken vom emotionalen Fernziel löst, weil eine einfache allgemein anerkannte Wahrheit dazwischen steht, die aber inzwischen überholt ist. Hier ist ein gutes Beispiel die Verwendung des BIP zur Messung des Wohlstands, obwohl das Wohlergehen oder eben die Zufriedenheit der Bevölkerung eines Landes ab einem gewissen Niveau eben nicht mehr mit dem Einkommen korreliert. Die Begründung von Maßnahmen mit ihrem Effekt auf das BIP (in einem Land wie Deutschland) ist der Klassiker einer rationalen Argumentation, die sich von ihrem emotionalen Ziel gelöst hat, und die ich als ideologisch bezeichnen würde.
Volkswirtschaftslehre ist eben keine Wissenschaft, sondern ähnelt eher einer Religion, da die Abhängigkeiten zu komplex sind, um sie realistisch zu modellieren. Insofern ist das mit dem BIP ein gutes und schlechtes Beispiel zugleich, es wirkt rational und ist auch einfacher messbar als vieles andere. Auf der anderen Seite ist es ein Instrument der Volkswirtschaftslehre (siehe oben).
So gesehen kann jedes Beispiel, das ich bringen kann, eigentlich nur schlecht sein. Warum? Wir sollten unterscheiden zwischen
A) den Gefühlen, auf die all unser Handeln ausgerichtet ist.
Das sind so unterschiedliche Dinge wie Hunger oder eine Depression als Gefühle oder emotionale Zustände, die zu vermeiden sind, oder die Freude bei einem Waldspaziergang oder der Genuss eines heißen Kaffees, als solche, auf die wir hinarbeiten.
B) den gefühlten Argumenten oder dem Bauchgefühl, die in einer scheinbar rationalen Diskussion immer wieder auftauchen. (Das sind aber nicht die, die ich meine, wenn ich sage „Die Vernunft ist Diener der Emotion.“)
Tatsächlich sind diese beiden Kategorien (wie das immer so ist bei Kategorien) nicht klar trennbar, sondern wie immer gibt es da einen fließenden Übergang:
Die Angst vor einer migrantischen Gesellschaft kann man z.B. nicht klar einsortieren. Aber auch das ist ein Gefühl, an dem zu arbeiten ist. Wegwischen („ist ja nur ein emotionales Argument“) hilft nicht, weil die Emotion trotzdem da ist. Und ganz klar ist Angst eines der negativen Gefühle, gegen die etwas getan werden muss. (Das führt jetzt vielleicht etwas zu weit auf die inhaltliche Ebene, und es ist vielleicht auch keine ganz glücklich gewählte Analogie, aber dass man gegen eine Katzenphobie nicht vorgeht, indem man alle Katzen beseitigt, sollte klar sein).
Also nochmal: Warum sind meine Beispiele in dem obigen Sinn immer schlecht? Weil meine Beispiele zeigen sollen, dass sich vernunftgetriebene Argumentation leicht missbrauchen lässt, indem eine einfache Grundprämisse aufgestellt wird, die rein technisch leichter zu behandeln ist als komplexe Gefühle (Beispiel: „Ich will mehr Geld verdienen.“ statt „Ich will ein erfülltes Leben führen.“) Diese Grundprämisse wird gern akzeptiert, weil sie einigermaßen einleuchtend ist, und sich damit viel leichter arbeiten lässt. Andererseits handelt es sich aber nur um eine gefühlte Wahrheit, und ist somit eigentlich etwas, was vermieden werden sollte. Mit anderen Worten: Gerade was besonders vernünftig daherkommt, weil es sich in einfache, knackige Wahrheiten packen lässt, ist oft vom Bauchgefühl getrieben.