LdN346: Eine völlig andere Perspektive auf die Migrationsdebatte

Auweia, Na da hab ich euch ja was angetan… Also:

Immer langsam mit den jungen Pferden. Es war die Rede von Wirtschaftsflüchtlingen, die -tragischerweise- nunmal vorhanden sind. Und die können nicht alle her, so viel ist klar. Eine Sortierung muss also her. Auswahlkriterium sollte sein, dass diejenigen „benötigt“ werden, und zwar von „uns“. Das setzt schon mal rein logisch eine Unterscheidung zwischen diesen beiden Gruppen voraus, eben in Benötigte und Unbenötigte.
Und bei der Frage, wer denn dann „benötigt“ wird und wer nicht kann man doch wirklich einmal eins und eins zusammenzählen. Was werden das wohl für Eigenschaften sein? Jung, arbeitswillig und -fähig, am besten mit vorhandener Ausbildung, nicht kriminell auffällig usw usw. Welche Nation benötigt schon die Kranken, Schwachen, Alten, Kaputten?
Das spricht zwar mE Bände über die Idee. Aber mit Nationalsozialismus hat das erstmal nichts zu tun. Nützlichkeit für Deutschland steht da, weil es idR genau darum geht, wenn die Interessen von „uns“ ins Feld geführt werden.

Daran ist einiges verständlich, es ist politisch konsequent, usw. Aber es wurde in Anspruch genommen, dass das humaner ist. Und wer das behauptet, der muss sich mMn die Frage gefallen lassen, was an diesem Vorgehen eigentlich so human ist.

Was wiederum den nächsten Punkt ankrazt: ich ging anfangs noch davon aus, dass hier gar nicht Trq selbst mit revolutionären Ansätzen um die Ecke zu kommen behauptet, sondern dass jemand anderes Idee nur vorgestellt wird. Das war offenbar nicht der Fall. Da hätte ich dann tatsächlich etwas behutsamer sein sollen. Jedenfalls können jetzt hoffentlich alle etwas Seelenfrieden finden.

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Liebe LdN-Hörer,

es irritiert mich jedesmal: Kaum wird in einer LdN-Folge über Thema Migration gesprochen (es gab ja nun ein paar Beiträge), habe ich das Gefühl, dass die fachliche Tiefe fehlt. Mich würde mal interessieren, ob es anderen auch so geht?

Um es klar zu machen: Mir geht es nicht um eine Bewertung der Thesen, sondern um die faktischeren und „diskurs-methodischen“ Dinge: erstmal Bestandsaufnahme der Realität, Erklärung von Begriffen, die berühmte „Aufdröselung“ von Themenkomplexen und Debatten etc. Normalerweise sind es diese Dinge, die bei mir während dem Hören den Wow-Effekt auslösen, denn meist bin ich sowieso „einer Meinung“ mit dem was Philip und Ulf so sagen :smiley:

Konkret geht es zum Beispiel um den Unterschied von kontrollierter und unkontrollierter Migration. In der ganzen Debatte, der Problembeschreibung, und, nicht zu vergessen, der Chancenbeschreibung scheint mir das ein absolut zentraler Punkt zu sein, der aber ausgeklammert wird. Interessant fand ich zwar das Faktum, dass nur 5% der nach D Geflüchteten nach aktueller Rechtslage wieder ausreisepflichtig wären, also „irregulär“ migriert sind, aber diese Zahl hat nun wiederum wenig mit Problemen und Chancen von unkontrollierter Zuwanderung zu tun.
Erstaunlich auch der Verweis auf Kanada als Vorbild für Deutschland/Europa. Kanada muss keine Turnhallen zu Notunterkünften für Geflüchtete umrüsten, weil sie ihre kontrollierten Migrationskontigente einfach den Kapazitäten anpassen können. Es bietet (ich kann mich sehr wohl irren) daher keine Lösungen für unkontrollierte Migration?
Irritierend vereinfacht wurde auch bei der Aussage, dass „man Grenzen sowieso nicht dicht machen kann“. Das mag absolut betrachtet stimmen, aber normalerweise geht es in den Debatten darum wie man graduell „dichter“ macht, oder? Die Frage ist dann einfach zu welchem wirtschaftlichen, politischen und vor allem moralischen Preis.

Am Ende bleibt bei mir so ein Gefühl, dass Ulf und Philips Gedanken „abgehoben“ sind, die Problematik nicht Ernst nehmen, an den echten Debatten „vorbeireden“ usw. Was ein bisschen witzig ist, wird es sonst doch immer mir und meiner links-grünen Diskursbubble vorgeworfen…

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Unabhängig von dem, was mein Vorredner gesagt hat: Liegt nicht der wesentliche Unterschied zwischen den Positionen hier in einem unterschiedlichen Ethik-Verständnis?

Gesinnungs-Ethik: Verhalten an sich soll sich an einer bestimmten Wertehaltung orientieren
Verantwortungs-Ethik: Das Ergebnis des Verhaltens sich an einer bestimmten Wertehaltung orientieren

Letzteres bedeutet manchmal, Dinge tun zu müssen, die an sich unethisch sind (Menschen in Not nicht von der Einreise abhalten), aber im Ergebnis ein ethisch besseres Ergebnis bewirken (Menschen „holen“ und aufnehmen, die vor Verfolgung und Flucht fliehen müssen und gezielt solche Menschen „holen“ und aufnehmen, die vor Hunger und Armut fliehen und die hier ein selbstwirksames Leben führen können).

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Ich habe Zweifel, dass diese Unterscheidung als Erklärung dient. In der Praxis ist der ehtische Kompass bei den allermeisten Menschen eine Mischform aus Verantwortung und Gesinnung. Es lassen sich beide Positionen aus beiden Richtungen begründen.

Ich finde die Unterteilung auch schwierig, weil die Konnotation so ist, dass im Ergebnis eine Position auf Kosten der anderen sprachlich aufgewertet wird. „Verantwortung“ ist positiv besetzt, „Gesinnung“ eher negativ.

Im Endeffekt hat es für mich den Beigeschmack, dass der „gesinnungsethischen“ Seite quasi Naivität und Blauäugigkeit unterstellt wird. Das hilft der Diskussion nicht. Wenn jemand aus gesinnungsethischer Richtung argumentiert, ist es besser, diesen Argumenten auch auf derselben Basis zu begegnen (und umgekehrt).

Die aktuelle Lage stellt eine wirklich völlig andere Perspektive dar als die in Medien und Politik (über)präsente.

Potenziale sehen und nutzen.
Ganz besonders gefallen hat mir der differenzierte Ansatz in den Kommunen, die ideenreichen Bemühungen zur dezentralen Unterbringung und der Dolmetscher- und Unterstützungseinsatz von Migranten und Migrantinnen, die schon eine gewisse Zeit in Deutschland sind.
Einfach spitze.
Nicht naiv.
Pragmatisch und kreativ und handlungsoffen.
Danke @vieuxrenard und Philip für diesen Beitrag. Mich beflügeln solche Berichte und geben mir Hoffnung. Genau der richtige Weg.
Mehr Aufmerksamkeit bekommt man in den Medien natürlich für die Negativberichterstattung, aber die funktionierenden Vorgehensweisen gibt es eben auch und gar nicht so selten, wie uns viele Rechte glauben machen wollen.

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Bleibt die Frage, warum das so sprachlos macht. In einer pluralistischen Gesellschaft sollte es ja eher als normal gelten, dass Menschen die Welt mit unterschiedlichen Grundannahmen wahrnehmen. Die entscheidende Frage ist doch, wie man mit dieser Tatsache umgeht. Der zitierte Satz riecht für mich etwas nach Unerverständnis ob der Tatsache, dass andere nicht die eigenen Grundannahmen teilen.

Zu den divergierenden Grundannahmen gehört wohl auch die Frage, ob ich eine Aussage eines staatlichen Repräsentanten für die Wahrheit halte, die es „anzuerkennen“ gilt oder eben für eine Einschätzung, also letztlich eine Meinungsäußerung, der ich mich anschließen kann oder nicht. Zum Topos der Aufnahmekapazität als einer vermeintlich fixen Größe wurde schon viel gesagt, auch hier im Thread. Und angesichts der Äußerungen von Stephan Anpalagan bin ich auch einigermaßen skeptisch, was die „Weite der Herzen“ vieler Menschen in Deutschland angeht. Siehe dazu auch viele - in jeder Hinsicht - bezeichnende Aussagen in dem schon älteren, aber sehr themenverwandten Thread LdN314 / Ein Teil Deutschlands will KEIN Einwanderungsland sein.

Ob „Migration“ (also egal von wo, nach wo, von wem und weswegen) steigen wird, sei mal dahingestellt. Wie dem auch sei: Nicht „Migration“ an sich führt zu einem beschleunigten Rechtsruck. Dafür braucht es a) Politiker:innen, die mit ständigen Negativnachrichten, rassistischen Stereotypen und Horrorszenarien wie „Deutschland schafft sich ab“, einem „großen Austausch“ oder einer „Islamisierung“ Ängste schüren oder aber einem Mindset folgen, das Migration an sich als Problem ansieht und so das Geschäft Ersterer massiv unterstützen. Und es braucht b) Leute, die genau diese Ängste pflegen und darüber hinaus noch glauben (wollen), dass Nationalismus, Rassismus und Abschottung ein wirksames Mittel gegen jene Probleme sind, die angeblich wegen der Migration drohen.

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Neben der klanglichen Schieflage hat der Begriff Verantwortungsethik auch noch das Problem, dass er ja voraussetzt, in die Zukunft gucken zu können. So gewendet kann man auch sagen die verantwortungsethisch handelnde Person handelt unethisch mit der Begründung, dass es sich in der Zukunft positiv auswirken wird, was die Handlung in der Gesamtschau rückwirkend ethisch erscheinen lassen wird.
Das birgt das Risiko, dass man die Annahmen über die Zukunft so zurecht biegt, bis jede unethische Handlung zu rechtfertigen ist.
Extrembeispiel ist da vermutlich der Longtermismus.

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Vermutlich liegt das daran, dass du schon allzu sehr an die gängigen rechten bis rechtsextremen Diskurse gewöhnt bist, die die Debatte derzeit prägen - da löst die Lage sicherlich kognitive Dissonanzen aus. Ich kann dir jedenfalls versichern, dass wir zu dem Thema sehr gut eingearbeitet sind. Vielleicht hörst du bei uns gerade deswegen wenig typische Nebenkerzen oder Scheinprobleme.

Zu dem von dir vermissten Unterschied von kontrollierter und unkontrollierter Migration: Je nach Kontext kommt es darauf einfach nicht an … um nachvollziehen zu können, worum es geht, müsstest du das näher ausführen. Im Kontext des Beitrags jedenfalls war es egal.

Interessant fand ich zwar das Faktum, dass nur 5% der nach D Geflüchteten nach aktueller Rechtslage wieder ausreisepflichtig wären, also „irregulär“ migriert sind, aber diese Zahl hat nun wiederum wenig mit Problemen und Chancen von unkontrollierter Zuwanderung zu tun.

Das stimmt gleich doppelt nicht: Auch diese Menschen kamen legal ins Land, einfach weil jeder Mensch das Recht hat, einen Asylantrag zu stellen. Dass einige letztlich keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus bekommen weiß man ja vorher nicht. Und natürlich ist diese Zahl relevant für die Diskussion von unkontrollierter Migration, weil sie deutlich macht, dass jede Debatte über Abschiebungen am Problem vorbeigeht: Angesichts von rund 3 Mio. geflüchteten Menschen in D ist es einfach egal, ob wir von den rund 50.000 Menschen, die rechtlich abgeschoben werden dürften, mehr als die jährlichen rund 14.000 auch tatsächlich abschieben.

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Ich sehe da irgendwie einen Widerspruch. Wie können offene Herzen in einen Rechtsruck münden? Das sind dann wohl eher Lippenbekenntnisse, die weit sind und an der verdeckten Herzlosigkeit zerschellen, wenn es zum Schwur kommt.

Die Wendung „ökonomische Sicherheit“ scheint mir den Bedingungen auf der Flucht nicht ausreichend gerecht zu werden. Dort geht es ja nicht um ein zu wahrendes Wohlstandsniveau sondern um das Überleben.

Danke @vieuxrenard für deine Antwort, weiß ich sehr zu schätzen! Allerdings ging die Frage eigentlich nicht an Dich :sweat_smile: Ich glaube gerne, dass ihr euch sehr gut eingearbeitet habt, umso mehr stellt sich mir die Frage warum nach meinem Gefühl (und vielleicht auch anderer Hörer*innen) die fachliche Tiefe in Beiträgen zum Thema Migration fehlt.

Du hast Recht, es könnte an den kognitiven Dissonanzen liegen, oder es könnte daran liegen, dass ihr einen zu grossen Sprung vom vorherrschenden Diskurs (so falsch euch der auch vorkommen mag) zu euren Thesen und Gedanken macht.

Im Kontext des Beitrags jedenfalls war es egal.

Das finde ich nicht. Wenn ich es richtig verstanden habe, war in der LdN346 die These, man sollte die in D und EU existierende Migrationsrealität zu allererst als Chance (für den Arbeitsmarkt) begreifen, also sowohl kontrollierte als auch unkontrollierte Migration, Nach meinem Eindruck ist diese These im Bezug auf kontrollierte Migration fast schon ein No-Brainer, im Bezug auf unkontrollierte Migration jedoch umstritten. Viele Argumente, wie zB Kanada als Beispiel heran zu ziehen, funktionieren jedoch nur oder viel besser bei kontrollierter Migration. Ähnlich war es auch im Interview mit Stefan Anpalagan, als er ein schlechtes Ranking für D von Expats (kontrollierte Migration) dem Gefühl „aller“ Deutschen, dass „alle Welt“ nach D migrieren wolle (womit i.d.R. eher unkontrollierte Migration gemeint ist) gegenüber stellte.

Ich bin selbst noch nicht ganz sicher, was ich von Koppmanns Vorschlägen halten soll, ein paar Punkte fand ich aber durchaus beachtenswert.

  1. Selektion
    Es wurde hier bereits viel über die Legitimität bestimmter Selektionskriterien und die Sinnhaftigkeit der Aufteilung nach Asyl und Wirtschaftsmigration diskutiert. Ein wichtiger Punkt, wird in diesem Kontext aber vergessen: Im Moment passiert auch schon eine Selektion, wenn auch meist eine zufällige: Sahara und Mittelmeer töten einen signifikanten Anteil der Migranten und Geflüchteten, bevor sie hier ankommen
    Wer also grundsätzlich gegen den Ansatz von Koopmann (Einfliegen von Kontingenten, Zusammenarbeit mit Ländern in Afrika) argumentiert, da dieser eine Selektion beinhaltet (nach welchen Kriterien auch immer), ignoriert die tödliche Selektion im aktuellen System. Das Arbeiten mit dem Einfliegen von Kontingenten ist der erste Vorschlag den ich kenne, der an diesem Problem etwas ändern will und über das sehr vage „Fluchtursachen bekämpfen“ hinausgeht.

  2. Zwischenlösungen und Zielsetzung
    Ich bin der Überzeugung, dass ein Großteil der Gegenargumente gegen Koopmann sinnvoll und richtig sind, in dem Sinne, dass das aktuelle europäische System definitiv das Potential hat, deutlich besser zu sein als es ist und viele Probleme angegangen und behoben werden könnten.
    Trotzdem glaube ich, darf man es nicht bei dieser Feststellung belassen:
    Sowohl in Deutschland als auch in der EU und vielen anderen Mitgliedsstaaten gibt es Stand heute keine Mehrheiten für die aus dieser Position folgende, notwendige, fundamentale Verbesserung des Asylrechts. Wenn wir uns also einig in der Feststellung sind, dass die starken rechten und konservativen Kräfte auf EU-Ebene das europäischen Asylsystem nicht im grünen oder linken Sinne reformieren werden und offensichtlich auch kein Problem mit dem Sterben auf dem Mittelmeer haben, dann frage ich mich, woher diese absolute Selbstsicherheit kommt, mit der mögliche Alternativ- und Kompromissvorschläge wie die von Koopmann abgebügelt werden.

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Vielleicht können wir uns auf folgenden Kompromiss einigen:

Aktuell ist die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlingen kein Problem:
Wenn wir mal von den ukrainischen Kriegsflüchtlingen absehen (von denen, ich annehme, dass die allermeisten mehr als gerne wieder in ihre Heimat zurückkehren wollen [rein vorbeugend: Das heißt nicht, dass die ich „loswerden“ will!!])

  • sprechen wir für 2023 bislang von ca. 220.000 Flüchtlingen [1].
  • Das sind zwar knapp 70% mehr als im Vorjahr,
  • aber immer noch weniger als 50% der Asylanträge in 2015 [2] - und ich hoffe, dass wir inzwischen unsere Aufnahmekapazitäten/-fähigkeiten deutlich verbessert haben.
  • Und, viel wichtiger, das sind immer noch nur etwa die Hälfte der Menschen, die wir als Immigranten benötigen [Deutung als Selektion anhand Nützlichkeit oder ähnliches weise ich zurück!], um die schrumpfende Zahl von Arbeitnehmer (Stichwort „Alterspyramide“) auszugleichen und damit etwas Konkretes gegen den Mangel an Arbeitnehmer hierzulande zu unternehmen.

[1] https://mediendienst-integration.de/ (sehr zu empfehlen für Fakten rund um Flucht und Migration. Disclaimer: Wird durch die Stiftung finanziert, in ich mich als Kurator engagiere).
[2] https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/BundesamtinZahlen/bundesamt-in-zahlen-2015.pdf?__blob=publicationFile&v=16

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Wie wäre es mit folgenden Vorschlägen:

  1. Wir verbessern weiter die Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft, unsere Infrastruktur, unseres Wohnungsmarktes, unserer Gesundheits- und Bildungssystem, etc. (u.a. durch all die guten Vorschläge in diesem Thread sowie im Beitrag in der LdN348). Dazu gehört auch, Wirtschaft und Staat in die Pflicht zu nehmen, um jeden, der hier ins Land kommt, in die Lage zu versetzen, ein selbstbestimmtes, selbstwirksames Leben zu führen. Dazu gehört auch, seinen Lebensunterhalt selbst verdienen zu können.
    • Gutes Deutschkurs-Angebot,
    • gutes Aus- und Fortbildungsangebot (und zwar nicht einfach in die bestehenden Systeme gestopft, sondern Erweiterung der Systeme für die besonderen Anforderungen und Fähigkeiten der Immigranten),
    • wirklich gute Integrationskurse, usw.

Ganz wichtig: Hier ist „die Wirtschaft“ gefordert. Sich einfach nur zurückzulehnen und vom Staat die Lösung des Fachkräftemangels (wobei es ja weit mehr sind als nur Fachkräfte) zu verlangen, geht nicht. Gerade von Unternehmern darf man erwarten, dass sie Probleme anpacken, statt nach dem Staat zu rufen! Das machen eher „Manager“, nicht Menschen, die ein Selbstverständnis als Unternehmer haben.

  1. Unabhängig davon: Um Tod, Verletzungen, Missbrauch und Raub auf den Fluchtrouten zu bekämpfen, errichtet und betreibt die EU entlang dieser Fluchtrouten human und professionell organisierte Auffanglager (Voraussetzung: Verträge mit den entsprechenden Ländern - was sollten die dagegen haben?), in denen Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Armut/Hunger fliehen Rast machen oder Schutz suchen können. Die Menschen werden dort versorgt, registriert, sie können dort Asylanträge stellen. Sie erhalten dort neben Sicherheit, Nahrung, Unterkunft, Gesundheitsversorgung, Schulen auch Rechtsbeistand usw. Im Ergebnis sollte es ihnen dort so gut ergehen wie den Menschen, die bereits in unserem Land sind und noch nicht auf eigenen Beinen stehen. Mit solch einer Lösung können die Menschen selbst entscheiden, ob sie sich weiter auf den beschwerlichen Weg mit unsicherem Ausgang machen wollen oder ob sie erst einmal in Sicherheit und bei guter Versorgung „durchatmen“ und den Ausgang des Asylverfahrens abwarten wollen.

  2. Unabhängig davon: Weiterhin holt (wenigstens erst einmal) Deutschland ein politisch großzügig definiertes Kontingent an Menschen, die vor Krieg und Verfolgung bedroht sind, aber nicht flüchten können. Wir gewähren ihnen in Deutschland (oder, sofern gewünscht, Heimatort-näher in einen der o.g. EU-Lager) Asyl. Diese „Asylanten“ erhalten ganz genauso alle Möglichkeiten, ein selbstbestimmtes, selbstwirksames Leben zu führen (s.o.)

Ergebnis:

  • Wir gehen mit denjenigen, die bereits unter uns sind, noch menschlicher (statt abweisend) um
  • Wir haben eine Effektive Maßnahme gegen Tod, Verletzungen, Missbrauch und Raub auf den Fluchtrouten
  • Wir geben endlich den Menschen, die bislang komplett durchs Gitter gefallen sind, eine Chance
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Ja, die Umsetzung v.a. des 2. Vorschlags wirft Fragen auf. Aber ich gehe davon aus: Wenn wir das wirklich wollen (z.B. die Lager nicht einfach an Unrechtsstaaten delegieren, sondern selbst betreiben), wird es uns auch gelingen, wirklich humane Lager entlang der Fluchtrouten zu organisieren.

Ja, alle 3 Vorschläge kosten Geld, vermutlich sogar viel Geld. Aber das wäre gut investiertes Geld in Humanität. Und wir investieren, um „Wirtschaftssprech“ zu bemühen, in „Humankapital“. Weil es eben Investment ist, darf eine reformierte Schuldenbremse so etwas nicht ausbremsen!

Wenn weniger Menschen nach Deutschland kommen, als wir benötigen, um die schrumpfende Zahl von Arbeitnehmer auszugleichen, bietet der Staat / die EU der Wirtschaft effektive Strukturen und Abläufe, Arbeitskräfte direkt in den o.g. Lagern zu akquirieren.

Wenn trotz guter und vieler Lager und einer stark erhöhten Aufnahmefähigkeit der Gesellschaft eines Tages mehr Menschen nach Deutschland kommen sollten, als wir mehrheitlich glauben, aufzunehmen zu können, müssen wir noch einmal als Gesellschaft verhandeln, wie wir damit umgehen.
Bis dahin hätten wir aber schon mal sehr viel Gutes erreicht.

Weitreichende Zustimmung.

Bei den „entlang dieser Fluchtrouten human und professionell organisierte Auffanglager“ hätte ich noch paar Fragezeichen wie dies konkret aussehen und operativ ablaufen könnte, z.B. wenn ein solches Auffanglager eine Kapazität für x Menschen hat, um eben human und professionell ablaufen zu können, aber dann „x + deutlich mehr“ vor der Tür stehen.

Was mir fehlt wäre ein gutes Programm wie es auch andere Länder haben, um gezielt Fachkräfte anzuwerben, wo der Bedarf besonders groß ist. Ich halte es für legitim, dass sich ein Staat und eine Wirtschaft solche Gedanken machen und das es solche Modelle für wirtschaftliche motivierte Zuwanderung gibt.

Zum Schluss: Erschreckend wie oft Du in den letzten Beiträgen neben den eigentlichen Ausführungen, erklärende Worte abgibst, um ja nicht Missverstanden zu werden. Ja, anderes Thema, aber traurig auffällig.

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Erst mal danke, dass Du immer wieder versuchst, die unterschiedlichen Ansichten hier auf einen Nenner zu bringen und Dir so umfangreiche Gedanken darüber zu machen, wie eine humanere und funktionierendere Asyl- und Migrationspolitik aussehen könnte.
Allerdings ignorieren diese Vorschläge aus meiner Sicht eines der dringendsten Probleme. Dein Punkt 1. klingt aus meiner Sicht ziemlich administrativ. Ich weiß, dass Du das nicht so gemeint hast und dass Du auch die Gesellschaft erwähnt hast, aber allein schon die Diskussion hier zeigt doch, dass es so grundsätzlich divergierende Annahmen und Wahrnehmungen des Themas gibt und zudem eine extrem hohe Emotionalisierung, die m. E. allein durch vernünftige Vorschläge nicht eingefangen werden kann. Wenn Menschen beispielsweise überzeugt sind, dass Migration per se problematisch ist und zudem noch zwingend zu einem politischen Rechtsruck führt, wird man diese Überzeugungen m. E. weder durch „technische“ Verbesserungen der Aufnahme von Geflüchteten, noch durch die anderen vorgeschlagenen Punkte ändern. Mehr noch: Ohne eine deutliche und überzeugende Absage an das „Überfremdungsnarrativ“ wie ich es jetzt einmal nenne, ohne eine Überwindung des bisherigen Taktikerens zwischen rhetorischer Kritik an rechten Abschottungsversuchen und deren klammheimlicher Nachahmung wird es eine solche vernünftige Politik nicht geben - erst recht nicht auf EU-Ebene. Und Letzteres ist - an dem Punkt muss ich sogar Koopmanns recht geben - eine notwendige Bedingung. Zudem: Wenn wir es noch nicht mal hinbekommen, trotz aller Gelder und Beteuerungen in der EU einigermaßen menschenwürdige Bedingungen zu schaffen (siehe Griechenland), wer oder was soll dann gewährleisten, dass das irgendwo auf dem afrikanischen Kontinent besser funktioniert?

TL/DR: Was wir beim Thema Asyl und Migration brauchen, ist vor allem eine Art Mentalitätswechsel und eine glaubwürdige Opposition gegen den Diskurs einer angeblichen Überfremdung. Bevor dieser Prozess nicht zumindest begonnen hat, sind Vorschläge für eine humanere Politik m. E. dazu verdammt, zum Objekt der nächsten rassistischen Kampagne zu werden und so zu scheitern.

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Vielleicht noch ein Punkt: Ich gehe immer davon aus, dass es in diesem Forum eher um einen Meinungsaustausch zwischen den Beteilgiten (also den Nutzer:innen des Forums) geht, als darum, tatsächlich die Realität zu verändern. Das macht mich ehrlich gesagt immer etwas zurückhaltend, was so ausgefeilte realpolitische Vorschläge angeht. Und für die Diskussion hier selber finde ich es manchmal produktiver, festzuhalten, wo genau ein Dissens besteht, als zu versuchen, sich gegenseitig widersprechende Positionen auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen. In diesem Sinne war meine vorherige Antwort gemeint.

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Volle Zustimmung.

Geht es hier nicht um einen Punkt, der für viele Politikfelder gilt? Die Politik scheut sich, populistisch oder noch schlimmeren Narrativen und Framings offensiv entgegen zu treten - vermutlich aus Angst, die „Stammtische zu verlieren“. Aber allein dadurch entstehen erst die Stammtische, weil eben die handelnden Politiker weder eine Haltung zeigen, noch bereit sind, Gestaltungswillen und „Führung“ bei unpopulären Maßnahmen zu übernehmen.

Das ist in der Migrationspolitik so, aber eben auch z.B. in der Klimapolitik.

Gerade weil die Politiker nicht sofort den aufkommenden populistischen Narrativen („Boot ist voll“, „Aber unser Wohlstand …“) mit klarer Haltung entgegentreten, breiten sich diese aus. Und am Schluss zucken die Politiker mit den Schultern und verweisen darauf, dass man in einer Demokratie nun mal Mehrheiten formen müsse - worauf sie ja dediziert verzichtet hatten.

Wenn jetzt so viele Leute sich gegen die Abschaffung von fossilen Heizungen stemmen, dann doch vor allem, weil Politiker - egal ob Regierung oder demokratische Opposition - , die fast alle ganz genau wissen, dass dies alternativlos ist, sich gegenüber dem Populismus lieber wegducken und nicht das Risiko eingehen wollen, eventuell nicht wiedergewählt zu werden. Nach dem Motto: Lieber meine Wiederwahl als Wohlergehen zukünftiger Generationen.

Und genau so ist das auch im Fall der Migration: Man lässt sehenden Auges rassistische Narrative und Framings sich ausbreiten und zuckt dann hilflos mit den Schultern …

LL/DR: Es ist der mangelnde Gestaltungswillen, Führungsanspruch und Risikobereitschaft der meisten Politiker, die den Populismus groß machen.

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Völlig d’accord. Das Problem dabei ist allerdings, dass es m. E. nicht einfach nur um Meinungen geht, sondern um verfestigte Überzeugungen und zum Teil auch einfach Ängste. Und jeder der schon mal Angst vor etwas hatte, weiß, dass Ängste noch so unsinnig und irrational sein können: sie haben trotzdem einen riesigen Einfluss darauf, wie man die Welt und die Menschen um einen herum wahrnimmt und wie man handelt (bzw. das von anderen erwartet). Das gilt m. E. auch für die beiden genannten Themen. Das bedeutet aber, dass eine progressive Politik diese vorhandenen Ängste aufnehmen und darauf reagieren müsste. Das betrifft das zum Beispiel Dinge wie eine soziale Abfederung von Klimaschutzmaßnahmen oder eine ausreichende personelle und finanzielle Ausstattung von Kommunen, Schulen etc. Solange die Schere zwischen politischer Rhetorik und praktischem Handeln so groß ist wie derzeit, werden immer mehr Leute ihr Vertrauen in die etablierte Politik verlieren - mit fatalen Folgen für alle. So, das war jetzt endgültig das Wort zum Sonntag :wink:

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