LdN379 - Migration UK-Ruanda

Ich halte das Beispiel für sehr schlecht gewählt um zu belegen, dass für den Flüchtling nur gilt EU oder Tod.

  1. ist in Syrien nicht das ganze Land Im Krieg. Konflikte finden nur noch in einem kleinen Teil des Landes statt.

  2. Gäbe es im Umkreis Syrien mehrere Länder, die Flüchtlinge ebenfalls vor Krieg schützen (Libanon, Jordanien, Türkei).

Der Grund, dass ein Teil der Flüchtlinge doch lieber in die EU übersetzen ist offensichtlich, dass sie sich in Europa eine bessere Versorgung erhoffen.

Das ist den Menschen zu gönnen, aber es ist quasi der Beleg, dass es einem Teil der Flüchtlinge nicht nur um Leben oder Tod geht, sondern um die Frage „Besseres Leben“ oder „Armut“.

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Bringt mir nix, wenn die Soldaten weiter gezogen sind und mein Haus trotzdem ausgebombt ist, es keine Jobs gibt, dafür Milizen, die die Kontrolle übernommen haben, willkürlich nehmen was sie wollen und willkürlich misshandeln und erschießen wen sie wollen. Meine Regierung interessiert sich leider gar nicht für meine Region, ist vielleicht sogar froh, dass ein eher regimekritisches Dorf keine Gefahr mehr darstellt.
Sprach der Hahn: was besseres als den Tod werden wir überall finden.

Wir müssen hier unterscheiden. Du steigst ein mit dem Thema Verwüstung und fehlender wirtschaftliche Perspektive. Per Definition ist das ganz sicher kein Fluchtgrund und kann daher nicht als Rechtfertigung der zugespitzt formulierten Behauptung „EU oder Tod“ gelten.

Interessant wäre der Fall politische Verfolgung, was ich in der Vernachlässigung einer Region nicht direkt erkennen kann. Schließlich könnte man in eine andere Region umziehen. Aber selbst wenn müsste man das im Fall Syriens erst einmal belegen. Gibt es dazu handfeste Belege?

Aber auch dann gilt Immer noch der zweite Punkt aus meinem Post. Die EU ist von sicheren Staaten umgeben. Auf dem Weg in die EU kommen Flüchtlinge aus Syrien durch mindestens ein sicheres Land, bleiben dort aber nicht, vermutlich weil die Versorgung (und Akzeptanz) von weiteren Flüchtlingen dort nicht gut ist.

Nochmal, ich kann das verstehen. Ich würde bestimmt auch versuchen in die EU zu kommen. Aber lasst uns doch bitte ehrlich sein. Zu behaupten, die einzige wirksame Abschreckung sei die Hinrichtung an der Grenze halte ich für totalen Humbug. Wenn die Perspektive in der EU (oder halt in einem Drittland, in dass ich gebracht würde) ähnlich schlecht ist wie in dem, aus dem ich gerade weiterziehen will, dann werde ich mich wohl doch eher auf eine UN Kontingentsliste setzen lassen.

Von daher kann man den Plan des UK unmoralisch halten (fände ich ihn auch wenn UK sich nicht bereit erklärt Kontingentflüchtlinge aufzunehmen). Er kann aber auch dann funktionieren wenn man keine Selbstschussanlagen und Minenfelder installiert, selbst für die EU.

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Wenn es Kurden sind: Nein
Wenn sie direkt nach Zypern übersetzen: Nein
Syrien ist näher an der EU als Dir bewusst zu sein scheint.

Okay, da hast du recht.

Das ist die Minderheit und das ist dir sicher bekannt. Noch wichtiger, man muss dann auch unterscheiden, ob sie im Osten oder Süden Zyperns ankommen. Der Osten ist wesentlich näher, aber türkisch und damit nicht EU. Hast du vielleicht Zahlen wieviele Syrer direkt ins europäische Zypern übersetzen?

Komische Einschätzung. Mir ist die Karte durchaus bekannt. Wie kommst du darauf?

Ich bin ebenfalls der Meinung, dass der vom Vereinigten Königreich geplante Deal mit Ruanda rassistisch-populistisch motiviert ist und darüber hinaus auch wahrscheinlich nicht den gewünschten Effekt haben wird. Dass GB dafür ggf sogar aus dem Europarat bzw der europäischen Menschenrechtskonvention austreten will, um nicht vor dem EGMR verantwortlich zu sein, sagt eigentlich schon alles.

Grundsätzlich glaube ich aber leider, dass die aktuelle Strategie in der Asylpolitik faktisch aufgrund der Macht von Konservativen und Rechten - sowohl in GB als auch in EU und Deutschland - leider gescheitert ist.
Das sollte einen natürlich absolut nicht daran hindern weiter für Menschenrechte und gegen das Sterben auf dem Mittelmert einzustehen!
Ich glaube aber gleichzeitig auch, dass man was alternative Strategien wie zB Kontingente angeht, nicht sofort in eine reflexhafte Abwehrreaktion übergehen sollte:

Edit: Das soll jetzt keine Verteidigung von Koopman und seinen Positionen sein (und schon gar nicht eine des weit verbreiteten Rassismus gegenüber Migranten und Geflüchteten). Ich sehe nur momentan nicht, wie das Sterben auf dem Mittelmeer realistisch verhindert und politisch gegen die konservativ bis rechte Mehrheit in Politik und Bevölkerung gelöst werden soll. Koopmans Ansätze wären in dem Sinne zumindest besser als die Abschottungsfantasien von Sunak & Co. Aber ich lasse mich da auch gerne eines besseren belehren.

Das sehe ich genauso. Ladet doch Ruud Koopmans mal in die Lage ein, um das Thema zu diskutieren. Ich halte seine Sicht der Dinge für sehr treffend. In seiner Einschätzung spielt übrigens auch ein kontrolliertes Aufnehmen von Flüchtlingskontingenten eine wichtige Rolle. Es geht also nicht darum, sich komplett abzuschotten, sondern die Schlepper trocken zu legen und das Sterben in den Meeren zu beenden. Auf der anderen Seite einem Teil derer zu helfen, die dringend Hilfe brauchen und gleichzeitig das Arbeitskräfteproblem in Europa zu lindern.

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Da es ja einen Flüchtlingsdeal mit der Türkei gibt, sollte es keine Syrer geben, die mehr nach Deutschland fliehen. Wie sind da die Zahlen? Oder haben die Pull-Effekte gar nicht gewirkt?

Noch ein kleines Gedankenexperiment an alle die die Existenz von Pull-Faktoren leugnen:

Wie würde es sich auf die Flüchtlingszahlen auswirken, wenn wir morgen anfangen würden, alle die möchten per Flugzeug aus einem Krisengebiet zu evakuieren und in Deutschland Schutz zu bieten?

Ein Push-Faktor wäre das sicher nicht, und wenn es keine Pull Effekte gibt, hätte das Angebot keine Auswirkungen auf die Fluchtzahlen.

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Die Diskussion geht nicht darum, ob es das Konzept Pull-Faktoren gibt oder ob man sie irgendwie erzeugen kann, sondern ob sie für das aktuelle Migrationsgeschehen maßgeblich sind und ob politische Maßnahmen Einfluss darauf haben.

Das Gedankenexperiment passt also nicht so recht zum Thema.

Gut geeignet für Pull-Faktoren wäre dein Experiment zudem nur, wenn es keine Krise gäbe. Sonst bleiben ja die Push-Faktoren bestehen. Schick das Flugzeug nach Frankreich und schau, wie viele kommen. Das wären dann reine Pull-Faktoren.

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Ich sage doch, dass es Effekte gibt, die Flüchtlinge veranlassen nach Deutschland zu kommen, nämlich beispielsweise die bessere Versorgung.

Da der EU Türkei Deal seit 2020 tot ist, müssen sie auch keine Sorge mehr vor einer Abschiebung in die Türkei haben?

Im Artikel der BPB steht auch ausführlich drin, dass der Deal zu einer Reduktion der Flüchtlingszahlen auf dem Seeweg geführt hat.

Kamen 2015 rund 857.000 Schutzsuche über die Ägäis nach Griechenland, sank die Zahl 2016 auf knapp 173.500 und lag 2017 bei weniger als 30.000. 2021 erfasste das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) etwas mehr als 4.000 Ankünfte über den Seeweg.

Natirlich gab es Ausweichrouten, aber dort passieren Syrer noch mehr sichere Herkunftsländer. Das belegt doch, dass es keineswegs bei der Flucht nur um „Leben oder Tod“ geht.

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Aus meiner Sicht sind die „Pullfaktoren“ heute das, was „Das Boot ist voll“ in den 1990er Jahren war. Ein Versuch, die Abwehr von Flüchtlingen - die man aus was für Gründen ohnehin will - politisch und moralisch zu rechtfertigen. Dieses politische Ziel der Abwehr hat halt das Problem, dass es internationale (und im Falle Deutschlands auch nationale) Regelungen gibt, die dem entgegen stehen, da sie tatsächlich einen Rechtsanspruch für Geflüchtete begründen, auf den diese sich berufen können. Die meisten Parteien, die mehr & bessere Flüchtlingsabwehr fordern, eiern um diesen Punkt herum. Nicht mal die AfD fordert meines Wissens offen, dass Deutschland beispielsweise aus der UN-Flüchtlingskonvention austreten soll - die Tories sind da schon einen Schritt „weiter“ und diskutieren das gerade, weil sie vermutlich ahnen, dass ihr tolles Ruanda-Projekt sonst auch daran scheitern könnte. Stattdessen will man sich die Flüchtlingen buchstäblich vom Leib halten (also am besten außerhalb Europas aufhalten), damit gar nicht erst eine Situation entsteht, wo man sich mit ihren Rechten auseinandersetzen muss. Stattdessen nach eigenem Gutdünken doch noch eine Handvoll Menschen aufzunehmen, und das dann noch als großen Akt der Humanität zu verkaufen, finde ich besonders perfide.

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Während „Das Boot ist voll“ eine ziemlich absolute Aussage ist, die darauf abzielt, dass es keine weitere Kapazität geben würde noch weitere Menschen aufzunehmen ist es aber bei Pullfaktoren so, dass man sehr wohl an der Meinung sein kann, dass Pullfaktoren eine relevante Rolle (nicht die einzige relevante Rolle) bei der Wahl des Ziels spielen können und dennoch offen für die Aufnahme von Geflüchteten sein kann.

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Ich habe ja nicht behauptet, dass die beiden Narrative identisch sind, sondern dass sie denselben Zweck haben. Das Narrativ bei den Pullfaktoren ist doch „wir sind zu attraktiv, deshalb kommen so viele, also müssen wir für die unattraktiver werden“. Ich rede jetzt bewusst vom politischen Diskurs, nicht von einer durchaus sinnvollen wissenschaftlichen Debatte darüber, wo es Pullfaktoren gibt und welchen Effekt sie vielleicht haben.

Das ist mir zu polemisch formuliert. Ich z.B. sehe sehr wohl Pullfaktoren als relevant an, fordere aber nicht, immer unattraktiver zu werden um Flüchtlinge fernzuhalten, sondern bin durchaus für einen menschenwürdigen Umgang. Und so schreiben hier ja auch andere durchaus differenzierter. Daraus jetzt ein Narrativ zu machen und somit zu unterstellen wer Pullfaktoren als gegebenen Faktor ansieht möchte Geflüchtete schlecht behandeln finde ich eher schlechten Stil.

Was natürlich nicht heißt, dass es nicht auch viele Gibt, die bezugnehmend auf Pullfaktoren genau das aussagen wollen was du hier ansprichst. Ich halte nur die generelle Verknüpfung für falsch.

Nur zur Klarstellung: Ich habe damit nicht unterstellt, dass alle, die hier im Thread für die Bedeutung von Pullfaktoren argumentieren, diese Haltung vertreten. Mit „politischer Diskurs“ meinte ich Aussagen von Politiker, politische Forderungen von Parteien etc. Und beispielsweise die Einführung der Bezahlkarte wurde ja explizit damit begründet, dass sie bestimmte Dinge für Geflüchtete in Deutschland schwerer bzw. unattraktiver machen soll.
Und ich würde auch soweit gehen zu sagen, dass Leute wie Koopmanns und Knaus - ob sie es nun wollen oder nicht - an der Legitimation einer solchen Haltung mitarbeiten.

Nur sehe ich es eben so, dass wir, wenn wir bestimmte Begriffe mit einer daraus abgeleiteten Aussage verknüpfen, natürlich auch dafür sorgen, dass sich viele, die diese Verknüpfung ablehnen sich gar nicht mehr in diesem Kontext äußern wollen, da das Risiko steigt missverstanden zu werden.

Deshalb bin ich grundsätzlich, und damit meine ich nicht nur dieses Thema und diesen Begriff, kein Freund davon Aussagen in einer Debatte fest miteinander zu verknüpfen. Das schadet nur einer differenzierten Debatte.

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Ich verstehe den Impuls. Aber die Verknüpfung entsteht ja durch den genannten politischen Diskurs, der diesen Begriff - wenn Du so willst - instrumentalisiert und politisiert. Sie entsteht nicht erst dadurch, dass ich auf diese Politisierung hinweise oder sie beschreibe.
Ganz allgemein gesprochen - also auch jenseits dieses Beispiels - ist es aus meiner Sicht keine kategoriale Frage, sondern immer eine Abwägung im Einzelfall, wann es sich „lohnt“, um einen Begriff zu kämpfen und dessen einseitiger Politisierung entgegenzuwirken und wann man ihn als „verloren“ ansieht.

Gibt es eignetlich schon Projekte/Pläne/Ideen um die Pushfaktoren abzumildern ? Z.b. Im Sudan die huanitäre Krisewird wahrscheinlich große Fluchtbewegungne nach sich ziehen, aber was sollte Europa jetzt dagegen tuen ? Boots on the ground? Mehr Hilfsgüter (ziemlich schwierig in einem Kriegsgebiet) ? Internationaler politscher Druck (aber mit welchen Druck mitteln) ?

Ideen dazu gibt es genug, am prominentesten dürften die Nachhaltigkeitsziele der UN sein. Auf der konkreten Ebene gibt es auch zahllose Ideen, etwa von NGOs, die dazu arbeiten. Allerdings scheint es wohl deutlich an politischem Willen zu mangeln, diese Ziele auch umzusetzen. Ein Indikator dafür ist vielleicht, dass bei der Entwicklungszusammenarbeit noch immer ein Ziel von 0,7 % des jährlichen Bruttonationaleinkommens (BNE) diiskutiert wird, während es bei Militärausgaben 2 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sind.