LdN 261/274 - Energiewende/ "Atomkraft ist kokolores"

Uuuund wieder der Traum von der Klimarettung durch eventuell einmal existierende Technologien. Eine Milliarde Euro sind Peanuts bei der Kernfusionsforschung. Allein der EU-Anteil am ITER-Projekt beträgt in den nächsten sieben Jahren 6,9 Milliarden und die rechnen mit einem Reaktor gegen 2035. Die amerikanische National Ignition Facility, aus der das aktuell berichtete spektakuläre Experiment stammt, kostet wohl etwa 350 Millionen Dollar im Jahr, mit einer Milliarde schafft man also gerade mal drei Jahre davon - und die sind eigentlich gar nicht darauf aus, einen Reaktor zu entwerfen.

Wir brauchen jetzt die Energiewende, mit vorhandener Technologie, keine teuren Luftschlösser in Jahrzehnten.

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Ich habe die Zahlen für 1977 (Erste Abschaltung eines „großen“ AKWs nach der Havarie von Grundremmingen A) nicht parat, allerdings kann ich bei den atomausstiegbedingen Abschaltungen keinen relevanten Anstieg der Kohleverstromung erkennen:

  • Ende 2003: Abschaltung des KKW Stade. Energieerzeugung aus Kohle (Braun+Steinkohle) sinkt von 264TWh in 2003 auf 259TWh in 2004 (minus 5 TWh)
  • Mai 2005: Abschaltung des KKW Obrigheim. Kohle steigt von 259TWh in 2004 über 261TWh in 2005 auf 262 TWh in 2006 (plus 2 TWh)
  • Ende 2015: Grafenrheinfeld geht vom Netz. Kohle sinkt von 246TWh in 2015 auf 245TWh in 2016 (minus 1 TWh)
  • Ende 2017: Grundremmingen B geht vom Netz. Kohle sinkt von 216 TWh in 2017 auf 204 TWh in 2018 (minus 12 TWh)
  • Ende 2019: Philippsburg 2 geht vom Netz. Kohle sinkt von 151TWh in 2019 auf 118 TWh in 2020 (minus 33 TWh)

Das sind in Summe 50 TWh (das entspricht ca. 50 Millionen Tonnen CO2 jährlich), die in Jahren nach AKW-Abschaltungen weniger Kohle verstromt wurden.

Lediglich die Abschaltung 2011, die nach dem Signal „Laufzeitverlängerungen“ unter Schwarz-Gelb die Energiewirtschaft unvorbereitet getroffen haben, scheinen zu einer Mehrproduktion an Kohlestrom (von 242TWh in 2011 auf 257TWh in 2012) geführt zu haben. Lustigerweise entsprechen 15TWh ziemlich genau dem Anstieg der Exportmenge von Strom aus Deutschland von 2011 zu 2012. Man kann also sagen, dass Deutschland nach Fukushima auf einmal massiv Kohlestrom für den Export produziert hat. Warum, das müssen wohl ExpertInnen beurteilen :slight_smile:

[edit: Typo]

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und du willst jetzt sagen dass wenn wir die betreffenden AKWs nicht vom Netz genommen hätten wäre der Kohleanteil gestiegen? Das ist doch Wahnsinn. Kohle steigt doch nicht aus Solidarität mit aus.

Auch wenn ich dir inhaltlich zustimme, dass mehr Atomstrom wohl nur zu weniger Kohlestrom führen kann, stünde es dir gut zu Gesicht, wenn du einfach zugeben würdest, wenn eine klare Behauptung von dir:

widerlegt wurde, statt die Torpfosten zu verschieben.

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Das ist kein Wahnsinn, sondern der Stand der Wissenschaft. Zum Beispiel in diesem im Jahr 2020 in Nature Energy publizierten Paper.

Eine langfristige Politik des Atomausstiegs führt demnach im mehrjährigen Trend zu mehr Emissionsreduktionen, als eine Politik, die auf Atomkraft oder die Mischlösung „Brückentechnologie“ setzt.

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gebe ich gern zu.

bitte auch den „Matters arising“ Part lesen.
https://www.nature.com/articles/s41560-021-00964-w

In sum, there are serious limitations in the Sovacool et al.1 analysis, which call into question the policy implications advanced by the authors. For instance, the article’s claim that renewables are “on balance evidently more effective at carbon emissions mitigation” than nuclear power is not supported by the article’s empirical findings.

Aus 2021

„Friedrich Aumayr: Wir sind bei der etablierten magnetischen Fusion, nicht bei den Start-ups. Dort hieß es vor vier Jahren häufig „in fünf Jahren werden wir Fusionsanlagen haben, die auf einen LKW passen“. Das wird knapp werden.“

https://futurezone.at/science/energie-der-zukunft-wo-bleibt-mein-fusionsreaktor/400344988

Aus 2019

Ganz aktuell aus China

"Andererseits werden diese Versprechen seit ungefähr sechs Jahrzehnten wiederholt, und es gibt immer noch keinen Forschungsreaktor, der mehr Energie produziert als verbraucht. Interessanterweise wird ein solcher Reaktor immer ‘in fünfzig Jahren’ versprochen – egal, wann man gefragt hat. Im Moment liegt die Prognose für ein solches Kraftwerk, das diesen Namen auch verdient, laut vorsichtiger Schätzungen ungefähr um Jahr 2060. "

Fettung im Zitat durch mich, auch wenn es diesmal 50 Jahre und nicht 10 sind

Aus 2016

„Wie der Rüstungskonzern Lockheed Martin meldet, will man in einem Zeitrahmen von rund zehn Jahren in der Lage sein, Flugzeuge und Schiffe mittels Reaktoren betreiben zu können, welche eine Kernfusion zulassen.“

Aus 2014, also nur noch 2 Jahre warten ^^

"2025 soll der SPARC-Fusionsreaktor soweit sein, dass er mehr Energie erzeugt, als er verbraucht. Ist das erreicht, soll das erste kommerzielle Fusionskraftwerk ein paar Jahre später errichtet werden. "

Nicht zu vergessen der „Bill Gates Reaktor“ der diesmal sogar nur 4 Jahre brauchen will.

Aus 2021.

"Der Betrieb der Fusionsanlage „Wendelstein 7-X“ rückt in greifbare Nähe: "

Aus 2015

Greifbare Nähe ist relativ, aber scheinbar länger als 7 Jahre, denn den großen Wurf haben sie ja nicht vermeldet und nicht vergessen auch das ist nur eine Forschungsanlage die nicht dafür konzipiert ist kommerziell Strom zu erzeugen.

Ältere Quellen hab ich auf die Schnelle nicht gefunden, aber laut Spektrum arbeiten sie alle immernoch mit den Konzepten aus den 50ern die schon Leistungsdaten von 150MW versprochen haben.

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ah krass - danke fürs raussuchen. Diese ganzen aufmerksamkeitsheischenden Pressemitteilungen von irgendwelchen Unternehmen in unseriösen Portalen sind an mir vorbeigegangen.

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Ich wäre sehr vorsichtig, von „Stand der Wissenschaft“ zu sprechen, wenn du eine Studie zu dem Thema findest. Ein etwas konzilianterer Tonfall ist da sicher angemessen, wie wäre es stattdessen mit der Formulierung
„Es gibt wissenschaftliche Studien, die deine Behauptung in Zweifel ziehen.“

Auch hier ist der konziliantere Tonfall sicher besser. Ich kann zum Beispiel deinen Link nicht lesen, weil ich erst 32 Euro zahlen soll, den Original-Artikel aber schon.

Wie wäre es stattdessen mit der Formulierung „Beachte aber die Erwiderung . Ich bleibe deshalb bis auf Weiteres bei meiner Meinung.“

Ich schreibe euch das nicht, weil ich es so toll finde, fremde Menschen zu maßregeln, sondern weil ich fürchte, über den Tonfall wird das (zumindest von mir als wichtig empfundene) Ziel verloren, hier die Wahrheit herauszufinden, nämlich: Ist es für die Klimapolitik schädlich, aus der Atomkraft auszusteigen, bzw. noch wichtiger: Welche Politik sollten Staaten, insbesondere Deutschland nun weiter verfolgen.

Ich neige zur Meinung von @lib, aber die Studie, die @cors verlinkt hat, klingt spannend. Wenn ich jetzt nur die Erwiderung lesen könnte, die leider für mich hinter der Paywall hängt.

EDIT: Allerdings passt das wohl besser in einen anderen Thread, wenn wir ehrlich sind.

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naja jetzt steigen wir erstmal aus Atom in Kohle um.
Aber ich bin ganz bei dir: Rentenkürzen um 50% und alles in Kernfusionsforschung würde ich sofort unterstützen - dann dauert es vielleicht auch keine Jahrzehnte mehr. Könnte man auch netter formulieren - negatives Kindergeld: wer kein Kind hat bekommt Abzüge bei der Rente, da die Boomer ja selbst schuld sind keine Generation gezeugt zu haben die später ihre Rente zahlen.
Aber mal ernsthaft: Es arbeitet ja im großen und ganzen keiner an der Energiewende. Sprich höchstens 2% der in Deutschland Lebenden - und das ist noch großzügig gerechnet.
Wir brauchen eigentlich den gesellschaftlichen Ruck eines Manhattan-Projects. Wird aber nichts in einer Gesellschaft in der der durchschnittliche Bewohner 8 Jahre vor der Rente und nicht 8 Jahre nach dem Studiumsende ist.

Von der Politik vorgegeben ein bestimmtes Ausbauziel ist ja nett- aber wenn es physisch nicht möglich ist oder sogar der Staat als Unternehmer den besser wirtschaftenden Unternehmen versucht Konkurrenz zu machen wird es scheitern. Nicht weil es Opposition gibt, sondern weil sich Unternehmen auf staatliche Unterstützung in Krisenzeiten einstellen. Oder wieviel Innovation kann man von den vom Staat gestützten Galeriakarstadts oder mv Werften erwarten? Gar keine. Die werden arbeiten bis das Geld alle ist und dann mit großen feuchten Augen zum Staat blicken.

Der Fehler ist nicht das wegnehmen der Stimulierenden Mittel- sondern das ursprüngliche Abhängigmachen von diesen.
Frisches Staatsgeld wird immer gern genommen- kein Grund selbst zu investieren denken sich die Unternehmen. Und der Staat missversteht dies als Notwendigkeit der Unterstützungsmaßnahmen und will keine großen Unternehmenspleiten.

Aber war die Atomspaltung nicht sowieso nur die Brückentechnologie zur Fusion?
Seit wievielen Jahrzehnten behaupten sie ,dass sie in 10 Jahren einen fertigen funktionsfähigen Fusionsreaktor haben?

Ich glaube ja, dass sowohl Spaltung als auch Fusion ohne dauerndes staatliches Geld längst eingestellt worden wäre.

Da hilft dann deine Ablenkung zu anderen staatlichen Unterstützungsempfängern nicht wirklich.

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Von „in zehn Jahren einen fertigen Fusionsreaktor“ habe ich noch in keiner Quelle gelesen und bitte um Verlinkung.
ITER soll ab 2035 mit Tritium experimentieren- wenn da bis zur Mitte des Jahrhunderts ein Nachweis der Netto-Stromproduktion erfolgen kann wäre das doch ein schöner Erfolg.
Wohlgemerkt- das sind Grundlagenforschungen und diese sind fast immer staatlich gefördert, unter der bisher ja auch als korrekt annehmbaren Annahme dass diese Forschung zu Verbesserung der Lebensqualität und höheren Steuereinnahmen führt. Daher auch mein Vergleich zu anderen staatlichen Forschungsprojekten. Es sollten nur die Patente und das Know How an den Standort gebunden werden indem eine Umsetzung in Unternehmen machbar ist. Und da hat’s Deutschland häufiger schon verloren. Erfunden in Deutschland aber der Reibach wird dort gemacht wo Energie im Überfluss zur Verfügung steht.

Oft schon behauptet. Oft schon widerlegt.

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Es ist doch wohl bewiesen dass wir im Jahr nach den ersten AKW-abschaltungen mehr Kohlestrom im Netz hatten als vorher.

wo hast du das denn her? Schließlich wurde der §6 der Pariser Verträge in Glasgow erst neu verhandelt. Demnach ist jetzt definiert, wie sowohl Länder als auch Unternehmen die Einsparung in einem anderen Land finanzieren können und was dabei wem angerechnet wird

Während einige Staaten (u. a. Brasilien, EU) dafür plädieren, dass auch die unter Artikel 6.2 laufenden Aktivitäten an strenge Regeln gebunden sind und von einer zentralen Institution überwacht werden, sprechen sich Andere (u. a. Japan, China, Indien) für mehr Flexibilität aus.[4]

Kann man mit 2000 Mrd 50% allen CO2s einsparen? Was wären die Massnahmen? Wie rechnest du da? Angenommen, das Geld würde dafür reichen, wie sollte also DE mit dieser enormen Investition in ein Land wie Indien gehen. Man kann doch nicht einfach den Staat paternalistisch übernehmen. Und wenn man es partnerschaftlich irgendwie hinbekäme, wie sollte man sich über Pläne und Kontrolle verständigen? Ich vermute, du würdest die Kohlekraftwerke damit ersetzen wollen. Wäre ja sinnvoll, aber mE. in der Praxis nicht zu machen. Damit wäre auch der Vorwurf der Ineffizienz dann doch eher ein Gag. Aber darüberhinaus und wie immer: das eine tun und das andere nicht lassen ist immer richtig.

So rechnet es Bjørn Lomborg in seinem neuen Buch „False Alarm“ vor.

Es wäre doch auch gar nicht nötig einen Staat zu übernehmen: es würde reichen, diesem Staat zum Beispiel ein Solarkraftwerksfeld zu schenken. Quasi wie ein staatlicher Auslandskredit - aber ohne Rückzahlung. Also ist der Vergleich mit der eigentlich gewinnstrebenden GIZ hier auch nicht richtig.

Ich behaupte, dass Deutschland selbst wenn wir Indien oder ähnlichen verschmutzenden Staaten die Kraftwerke schenken (aus Steuergeld!) - dass Deutschland aufgrund der geringer ausfallenden Klimawandelkosten hierzulande dabei langfristig positiv herauskommt.

Das ist aber leider mit unserem politischem Systemen unvereinbar - denn kein demokratisch zu wählender Politiker denkt an die Zeit 2100 und weiter. Ich stimme dir also zu - es ist in der Praxis aufgrund des systeminhärenten kurzfristigen (im Sinne von unter einem Jahrhundert) Denken nicht machbar.

Die Ineffizienzfrage ist aber dennoch eine relevante: Ich gehe davon aus, dass Geld nicht unendlich zur Verfügung steht und widerspreche damit der MMT. Also sollte Geld dort eingesetzt werden wo es den meisten Schaden verhindern kann - und das ist nicht bei Windparks in Süddeutschland oder Solarparks in Deutschland.

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