Freiheiten für Geimpfte

FYI:

2 „Gefällt mir“

Ich finde 3 wesentliche Puntke werden in dieser Debatte komplett ignoriert bisher:

  1. Die Impfprioritätenliste wurde unter rein medizinischen Faktoren erstellt, ohne große demokratische Diskussion.
    Nun stellt man sich doch einfach mal vor, letzten Oktober beim festlegen der Priogruppen, wäre die Diskussion gewesen „Wer geimpft ist, für den gelten Lockdown, Ausgangssperre, Freunde treffen etc“ nicht mehr (wie aktuell geplant.
    Dann hätte es doch eine völlig andere Diskussion über die Priolisten gegeben (Stichwort Isolierung Altenheime, Prioimpfung aktive junge Menschen).
    Diese Diskussion gab es aber nie, und jetzt legen die geimpften älternen Menschen in Politik/Juristerei fest, dass genau das passieren soll (und zufällig eine Woche nachdem der Bundestag/Länderparlamente von der Bundeswehr geimpft wurden).
    Und das ist mMn. das unfaire, erst wurde eine Reihenfolge festgelegt, und jetzt werden davon plötzlich nie besprochene Sachen abgeleitet.
  1. Und mir nnoch wichtigere: Ich darf in Berlin momentan eine andere Person im Park treffen und nach 22 Uhr ist das illegal. Wissenschaftlich ist seit letztem Jahr relativ sicher dass meine Ansteckungsgefahr sehr vernachläßgibar ist(und vorallem nicht spontan um 22 ansteigt). Trotzdem dürfte jetzt daneben nächste Woche 25 geimpfte ne Party feiern.
    Wir haben also komplett wissenschaftsfremde Einschränkungen für eine Gruppe, die überhaupt nicht logisch erklärbar sind (und damit ja eigentlich auch rechtlich nicht anwendbar sein sollten) und an die ich mich halten muss aber gleichzeitig soll ich akzeptieren, dass meine finale Impfung frühstens am Ende des Sommers statt findet (+2 Wochen), wenn das Leben also langsam wieder vorbei ist aufgrund vom Wetter nach 16 Monaten in der Wohnung versauern.
  1. Wie genau soll denn in größeren Parks die Situation von 2 unterschieden werden für Polizei und Ordnungskräfte?! Schon aus einer Durchsetzungsperskeptive heraus, sollten die Einschränkungen also auch rechtlich weiter möglich sein (Analog zur Maskenpflicht).
  2. Am Ende sehe ich als <40 jähriger hier Politik von alten Leuten, für alte Leute. Einschränkungen, Impfreihenfolge, jetzt „Rechte“. Und für mich ist 40+ hier alt, weil die auch überall die Entscheiderrollen besetzen. Gibt nicht sehr viele Verfassungsrechtler o.ä. unter 25 mit der Perspektive ich habe die Hälfte meines Studentenlebens verpasst.

Und mal überspitzt formuliert: In der nächsten Pandemie werde ich bei diesem Verhalten der planetenzerstörenden, rentenerhöhenden, digitalverhindereden Gruppe 40+ mir sehr stark überlegen, ob ich mich an irgendwelche Regeln halte, oder einfach in ner Gruppe das Impfzentrum überfalle und mir das Problem selber löse. Der an sich gute solidarische Zusammenhalt in der Pandemie in der deutschen Gesellschaft wird jetzt auf den letzten Metern mit Haubitzen zusammengeschossen.

7 „Gefällt mir“

Hallo zusammen,

ich finde die Debatte über Freiheiten für Geimpfte gut und richtig. Tatsächlich ist es eine nette Abwechslung, dass man sich in der Politik ausnahmsweise mal früh genug um den nächsten Schritt Gedanken macht.

Leider komme ich mir aber, mehr denn je ein bisschen zurückgelassen bzw. vergessen vor.
Ich bin 25 Jahre alt und studiere im fünften Semester Informatik, wann ich also eine Impfung erhalten werde, steht in den Sternen geschrieben.
Meine Hochschule habe ich seit circa einem Jahr nicht mehr besucht (abgesehen von zwei Prüfungsphasen) und ich habe keinen blassen Schimmer, wann ich das nächste Mal wieder regulär eine Vorlesung besuchen werde.

In den Medien liest man seit Monaten von öffnenden (/schließenden) Schulen, steigenden Inzidenzen, startet nun eine Debatte ob sich unsere Omas und Opas wieder zum Kaffee trinken treffen dürfen, aber an Hochschulen und Universitäten steht die Welt seit einem Jahr einfach still.
Die Aussage zu den Großeltern ist vielleicht ein wenig überspitzt, aber genau diese Gesellschaftsgruppe macht doch gerade einen Großteil der bisher (nur!) acht Prozent geimpften Menschen aus.

Die Nachmittagsunterhaltung der Mitmenschen in Rentenalter wird in meinen Augen gerade meiner beruflichen Ausbildung vorgezogen, und das ist wahrscheinlich der Punkt, der mich gerade am meisten stört. Versteht mich nicht falsch, ich bin gottfroh, dass meine beiden Großmütter geimpft sind/werden und freue mich, dass sich bei der Impfung der Risikogruppe so viel tut. Aber leider herrscht zu viel Stillstand in vielen anderen Bereichen.

Ich bin einfach der Meinung, dass wir jetzt, wo die Risikogruppe wohl sicher ist, die nächsten Prioritäten anders setzten sollten. Vor allem bei der MPK Geschwindigkeit von circa einer wichtigen Entscheidung alle 4 Wochen.
Ich will den den Geimpften ihre Freiheiten nicht verwehren, ich möchte einfach nicht benachteiligt werden.

Schöne Grüße aus Tübingen!

9 „Gefällt mir“

Mir platzt bei diesem Thema mehr und mehr der Kragen…

Meine Situation: 47 Jahre, freischaffender Theater-Schauspieler und Regisseur, daher seit über einem Jahr praktisch arbeitslos, corona-bedingt im letzten Jahr in der Gastronomie beschäftigt gewesen (nein, ich gehöre nicht zu den immer kellnernden Schauspielern, das war das erste mal seit 21 Jahren, dass ich außerhalb meines Berufes habe arbeiten müssen). Trotz eines praktischen Arbeitsverbots (wir waren trotz eines wirklich vorbildlichen Hygienekonzepts natürlich die ersten die geschlossen waren) habe ich KEINERLEI Hilfen bekommen, mittlerweile wäre ich bei Harz IV, würde meine Frau nicht gerade so viel verdienen, dass wir doch so ganz knapp (aber wirklich nur ein paar Euro) über dem Existenzminimum sind.

Wenn jetzt über Freiheit für Geimpfte gesprochen wird kann ich nur sagen: Klar, kann man machen. Aber dann sollte man die Impfpriorisierung umdrehen. Sofort. Wenn die Menschen für deren Schutz ich vorübergehend meine Existenz verloren habe (worüber ich mich nicht mal beklagen möchte, abgesehen von den nicht existenten Hilfen) jetzt rumweinen sie wollen aber wieder ins Cafe -während die Belegschaft leider noch ungeimpft ist und das Risiko trägt- oder von den (für alle völlig unangemessenen, solange sonst alle Büros und Fabriken offen sind) Ausgangssperren ausgenommen werden wollen dann platzt mir der Kragen.

Das sind im Moment in der Mehrheit genau die Menschen, die -abgesehen vom natürlich viel höheren gesundheitlichen Risiko- KEINERLEI finanzielle Einbußen hatten. Menschen denen es offensichtlich auch nicht zuzumuten ist für die finanziellen Opfer der Pandemie ebenfalls irgendwelche Opfer zu bringen. Oder wenigstens mit dem Wunsch auf Lockerungen solange zu warten bis allen ein Impfangebot gemacht werden kann. Es stimmt im Moment leider noch nicht, dass jeder der geimpft werden will auch geimpft werden kann. Wenn das der Fall ist sieht die Sache wirklich komplett anders aus.

Gleichzeitig regt die CDU an, es könnten doch jetzt die Impfzentren wieder geschlossen werden. Klar! Für die eigene Interessensgruppe ist die Pandemie ja auch schon so gut wie vorbei. Sollen sich doch die anderen mal nicht mehr so anstellen.

Das ist eine massive Gerechtigkeitsfrage. Und da lief bisher schon so viel schief bei dieser Pandemie, vielleicht sollte man für den Rest des sozialen Friedens da ein wenig Fingerspitzengefühl beweisen.

Es tut mir sehr leid, dass mein erster Kommentar hier gleich so emotional ist, aber da ist viel aufgestaut -und das nicht nur bei mir…- und das sollte vielleicht den Menschen klar sein die besser durch die Pandemie gekommen sind. Ich war immer dafür, dass die gefährdetsten geschützt werden müssen und auch zuerst geimpft werden sollten. Langsam habe ich das Gefühl, da haben einige meine Solidarität -die sehr weit ging- nicht verdient.

16 „Gefällt mir“

Ob das „früh genug“ passiert, ist ja ansichtssache, wie der Post von @ugbgjh zeigt. Tatsächlich hätte man ja spätestens ab Dezember ahnen können, dass es irgendwann eine nennenswerte Anzahl Geimpfter geben wird (neben den inzwischen über drei Millionen Genesenen, die aber ja scheinbar undwichtig zu sein scheinen). Außerdem herrschte ja vor einer Woche noch die Meinung vor, es reiche auch, das Ganze Ende Mai zu regeln. Der einzige Grund, warum das jetzt so schnell passiert ist m. E., dass Bundes- und Länderregierungen peinliche Gerichtsurteile vermeiden sollen, die da lauten würden: Darum hättet Ihr Euch schon längst kümmern müssen.

@otzenpunk hat mich dazu bewogen, mein Statement zu ändern:

Dass kaum-Infektiöse sich ohne staatliche Zwangsandrohung einschränken, hängt mMn v. a. von der Schwere der Einschränkung ab und dem Stigma der Impfung (schon krasse Wortwahl, aber das ist das erste, was mir eingefallen ist). Einige wenige tun es vielleicht auch aus Solidarität, weil sie ein so wichtiger Wert für sie ist. (Und vielleicht bekommen sie dafür irgendwo Anerkennung?).

Ich könnte mir vorstellen, dass es ohne staatlichen Zwang so sein würde:

  • Was Maske oder Abstand in Orten wie Supermärkten angeht, ist die Einschränkung gering und es wird einen eher starken sozialen Druck geben, sich nicht als Geimpfte*r zu outen.
  • Aber z. B. von Kino, (Innen-)Gastro, Beauty-Salon, Konzerten, Parties oder Reisen absehen? Starke Einschränkung. Da ist man eher von der Öffentlichkeit abgeschirmt, also wenig sozialer Druck.

Auch wird z. B. ein Supermarkt die Regel „Ungeimpft? Maske. Geimpft? Keine Maske“ viel schlechter durchsetzen können als „Masken für alle“.

@Lukas3, du hast ja auch nach Einschränkungen differenziert (wenngleich aus normativer Perspektive).

Vielen Dank für das Video! Ob man Infektionsschutzregeln bei kaum-Infektiösen rechtlich erzwingen sollte… ich bezweifle es.

Mir ist seit Langem unverständlich, warum nicht durch die Bank weg an der freien Luft mildere Regeln gelten als in Räumen (nach meinem Eindruck ist das nicht so).
Auch der Entwurf geht ja davon aus, das man Treffen im öffentlichen Raum weniger kontrollieren könne.

Finde ich nicht. Weil, wie schon andere gesagt haben:

  1. Es war bereits zum Zeitpunkt, wo die Prioritäten festgelegt wurden, eine parlamentarische Diskussion sinnvoll. Dabei hätte auch die Frage der späteren „Freiheiten für Geimpfte“ berücksichtigt werden sollen. Denn die Freiheiten für Geimpfte sind determiniert durch die Impfpriorität, weil sie eben wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wohl unumgänglich sind. Man hätte die ganzen Überlegungen damals schon anstellen sollen. Nunja, möglich (aber nicht realistisch) ist es vielleicht noch, die Impfpriorität ab sofort nach geänderten Prinzipien zu setzen…
  2. Die Genesenen mussten sich die ganze Zeit über an die Regeln halten. Wenn Genesene kaum infektiös sind, macht das keinen Sinn.

Die Politik hätte wirklich durch ein effektiveres und ausgewogeneres Infektionsschutzkonzept (’ gab ja Vorschläge!) die Inzidenz so weit runterfahren sollen, dass die Ausübung vieler Berufe (ggf. mit Hygienekonzept) besser möglich ist als jetzt. Der Infektionsschutz, den die Politik tatsächlich erbracht hat, scheint mir weit unter dem Optimum zu liegen.

Mir ist bei dieser gesamten Situation ein Punkt noch nicht klar - der hier am Rande auch schon ab und an kam.
Es ist immer die Rede von „Man kann Geimpften ihre Freiheiten nicht verwehren“ und „Vertragsfreiheit“.
Nun habe ich in jungen Jahren mal in einer Mensa gearbeitet - dort ist es verpflichtend, einen wirksamen Impfschutz gegen TBC nachzuweisen - sonst darfst Du dort garnicht arbeiten.
Ich kenne es auch von meinen Eltern (beide ehem. Krankenpfleger*in). Dort sind regelmäßige Impfungen zu bestimmten Infektionen verpflichtend.

Was bedeutet das dann?
Heißt das, ein Gastronom kann seine Bediensteten nach Impfstatus einstellen?
Was ist dann mit Angestellten in Fertigungsstätten, die ja Abstände nicht unbedingt immer garantieren können?

Was ist dann mit Berufsanfängern? Werden Berufsanfänger die noch kein Impfangebot erhalten hatten nicht gegenüber den Berufsanfängern, die bereits eines hatten benachteiligt?

Das sind die Punkte, die mir bei dieser Diskussion mehr Kopfschmerzen machen als ob Oma Erna ein Kaffeekränzchen veranstalten darf…

3 „Gefällt mir“

Na die Uni hat sich mit ihrer ohnehin schon sehr gewöhnungbedürftigen Verschulung der Lehre in der Coronapandemie entgültig zu einem weiterbildungseminar heruntergestufft dass mit einer hochschulischen Ausbildung nicht mehr so viel zu tun hat^^

Mit den priolisten wurde lokal so viel unsinn getrieben dass ich mich zumindest schwer tue das medizinisch wissenschaftliche argument einfach so durch zu lassen. Im ursprünglichen war das mal so aber die haben auch ziemlich viele Gruppen hoch und runter gestuft und einige Sachen auch an den Priogruppen vorbei gemacht. Aber, wenn man sich über die spontane Impfung von pozilei und lokalpolitikern wundert, dann ist das ja wieder impfneid ^^
Vor allem auch witzig dass jetzt auch wahlhelfer und lokal poltiker (unabhängig vom alter) in teilen auch in priogruppen rutschen… So als letzter Teil der Bevölkerung der geimpft wird kommt man sich gerade, wenn man sich zurückhält und eben nicht die eigenen Kontakte ausnutzt doch etwas verarscht vor.

Das Jahrzehnte lange Desinteresse der Politik an gewissen Bevölkerungsgruppen versinnbildlicht sich halt in der Diskussion um die Freiheiten und wird mit der moralisierung im Neidvorwurf und dem damit verbundenen Vorwurf irrationaler Emotionen zur endgültigen Desillusionierung jener Gruppen die man eh schon immer als unproduktiv gesehen hat.

Entsprechend wird in den Diskussionen "DIE " kultur auch meist als Konsumobjekt einer Notwendigen Lebensweise und damit als Wert an sich gesehen. Die kulturschaffenden werden nur als Hilfempfänger betrachtet. Dann ists halt auch wieder ok wenn die mal ungeimpft für die geimpften arbeiten…

1 „Gefällt mir“

Es steht allen Wahlberechtigten frei, sich in der Heimatgemeinde als Wahlhelfer:innen registrieren zu lassen. Allerdings ist diese Registrierung verbindlich, dh es ist für den einen oder die andere schon wichtig zu wissen, ob spätestens in der letzten Juliwoche der erste Impftermin wahrgenommen werden kann, damit bis zum 26. September voller Impfschutz besteht. (Diese Frist ist natürlich nur für die Bundestagswahl wichtig, bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Juni ist der Zeithorizont noch um einiges knapper).

Ich bin seit einigen Jahren regelmäßig als Wahlhelferin aktiv und nach der Erfahrung bei der Kommunalwahl im letzten Jahr hätte ich es mir ohne Priorisierung auf jeden Fall zweimal überlegt, ob ich für dieses Jahr wieder zusage.

Ich möchte nur noch einmal drauf aufmerksam machen, dass Impfungen von Bundesland zu Bundesland unterscheidlich sind. Hier in NRW sind die jetzt bei den Jahrgängen 1951/50. Und als nächstes sollen ja die Kinder drann kommen. Sprich. Berufstätige, die oft sogar gezwungen sind, in die Firma zu fahren um zu arbeiten, sind als letzte drann.
Ich kann nur drei Kreuze machen dass mein Arbeitgeber seit über einem Jahr sein OK zu komplettem Homeoffice gegeben hat. Glück gehabt.

2 „Gefällt mir“

Naja wahlhelfer kommen aus spezifischen Demografien. Aber man kann natürlich auch auf die formelle Gleichstellung reduzieren und es zum individuellen Motivationsproblem machen. Jeder könnte trotzdem nicht Wahlhelferände werden.
Aber ich finde es auch gut, verständlich, wie auch notwendig dass Wahlhelfende geimpft werden.

Aber mir gehts auch nicht um einzelne Gruppen und die Frage ob das jetzt legitim sei. Ich wollte nur betonen dass die Kategorisierungen längst nicht so (medizinisch) fest sind wie es manchmal wirkt und es gewisse Faktoren und damit Gruppen sind die kaum Berücksichtigung finden.

Für mich bleibt ein wichtiger Aspekt – nämlich der „soziale Kit“ in der Gesellschaft – bei der Debatte häufig unberücksichtigt. Einige Gedanken:

Seit heute ist in Berlin PrioGruppe 3 freigegeben. Dadurch bekam ich mit, wie in einzelnen Berufsgruppen – ich bin Rechtsreferendar – eine kreative Auslegung der Priorisierungsbestimmungen angegangen wird. Dabei wurde mir klar: Spätestens jetzt beginnt die Zeit der „Findigkeit“, noch ärger wird es, wenn die Priorisierung ganz fällt, Impftermine aber gleichzeitig noch begrenzt sind. Dann gilt: Wer kennt einen Hausarzt wie gut? Wer hat Zeit auch 20 Ärzte abzutelefonieren? Wer kann es sich leisten in eine Nachbarstadt zu fahren um sich dort impfen zu lassen usw.
Es wird hartnäckige Personen geben, und es wird Personen geben, die mal beim Hausarzt anrufen und dort erfahren, dass aktuell nichts frei ist und sie werden es dann in einem Monat nochmal versuchen.
Meine Vermutung ist: Der hartnäckige Teil der Bevölkerung bzw. jener, der die überobligatorischen Bemühungen (s.o.: Zeit, Fahrtwege, Bekanntschaften) erbringt, ist tendenziell der „privilegierte“ (untechnisch) Teil der Gesellschaft. Überspitzt ausgedrückt: Von nun an werden sozial Bessergestellte geimpft, sozial benachteiligte Gruppen (Stichwort z.B. auch Deutschkenntnisse) erst, wenn es wirklich (!) niedrigschwellig Impftermine gibt (Juli? September?). Was hat das mit der Rückgewähr von Freiheitsrechten zu tun?
Nun: Der Staat gewährt Freiheitsrechte dann vornehmlich folgenden zwei Gruppen zurück: 1. vulnerable Bevölkerung (bis jetzt geimpfte Personen) und 2. hartnäckige privilegierte Personen ohne Impf-Prio. [vereinfacht, medizinisches Personal etc. hier mal ausgeklammert, da derartige Gruppen für die Gesamtbevölkerung nicht zu stark ins Gewicht fallen dürften]

Wenn nun ein Rechtsreferendar einer Wirtschaftskanzlei (derzeit Home-Office), weil er über drei Ecken persönlich einen Hausarzt kennt, eine Impfung erhält, eine Person im Lager von Amazon aber online nur die Ausbuchung der Impfzentren angezeigt bekommt und keinen wohlgesonnenen Hausarzt hat, dann bekommt die „Rückgewähr von Freiheitsrechten-Debatte“ einen anderen Zungenschlag finde ich. Für den „sozialen Kit“ ist diese Situation nicht förderlich. Umso weniger, wenn sich ungeimpfte Personen für das Ausleben von Freiheitsrechten von Geimpften in die Gefahr einer Ansteckung begeben. Hier geht es ja nicht mehr darum eine Runde Bridge im Pflegeheim zu ermöglichen, sondern darum, dass eh schon privilegierte Teile der Bevölkerung (ohne aus irgendeinem Grund ein Vorrecht zu besitzen) früher in den Genuss ihrer Freiheitsrechte kommen, während eh schon benachteiligte Gruppen bei ihrer (nicht vorwerfbaren) Beschreitung des regulären Wegs mit ihrem Impftermin und damit auch ihren Freiheitsrechten (noch weiter) nach hinten gedrängt werden.

Gewiss: Diese Strapazen für den sozialen Kit in der Gesellschaft lassen sich schwer in eine rechtliche Dimension gießen.

Und es gibt auch eine Lösung: Wirklich ganz aktiv in die Breite gehen mit den Impfungen. Erste Impf-Teams in sozialen Brennpunkten (dort ohne Priorisierung) sind ein guter Beginn. Ebenfalls ist zu hoffen, dass Ärztinnen und Ärzte auch die sozial benachteiligten Gruppen auf dem Schirm behalten.
Anderenfalls habe ich die Sorge, dass in den Sommermonaten „die Upperclass“ (nicht mal unbedingt finanziell qualifiziert) ihre Freiheitsrechte feiert, während die eh schon stärker abgehängten wegen ihrer Informations-, Zeit- und anderer Ressourcendefizite in die Röhre gucken, bis ein tatsächlich breitflächiges Impfangebot besteht.

9 „Gefällt mir“

Ganz ehrlich, wer ausschließlich utilitaristisch argumentiert, der verbaut sich selbst eine ganze Menge Betrachtungsebenen. Und, Solidarität lässt sich recht klar definieren, allgemein, aber auch gesellschaftlich. Siehe GKV, gesetzliche Rente, HartzIV, aber auch Subventionen für Soziale Schwächere (Tickets) oder aber für kulturelle Veranstaltungen für alle. Weißt du, was ein Theaterbesuch kosten würde, wenn er nicht staatlich (also durch das Steuergeld aller, die es zahlen, zahlen können) querfinanziert wäre? Dann säßen tatsächlich nur die oberen Zehntausend dort. Ich glaube es ist klug sind mal anzuschauen, wie unser Gemeinwesen so organisiert ist und wie viel gelebte Solidarität einem da so im Alltag begegnet.

Zudem, jetzt wird es wieder eher medizinisch, war die Rede von bis zu 30 Mio. vulnerablen Menschen in Deutschland. Aktuell sind 8 Mio. vollständig geimpft. Darunter befinden sich jedoch bereits einige, die nicht zu dieser Gruppe gehören, die von Berufswegen her geimpft sind. Mediziner teilen mit, dass ein Drittel der Über-80-Jährigen noch nicht geimpft ist, bei den Über-70-Jährigen ist erst ein Drittel geimpft. Also offenbar scheinen in der Diskussion diese qua Alter vulnerablen Gruppe ja ein Feigenblatt zu sein. Mediziner stellen schon fest, dass einige im Vorfeld von Pfingsten teils ihre Zweitimpfungstermine bereits canceln (schwänzen), weil sie sich offensichtlich bereits durch die erste Impfung geschützt wähnen. Dann hast du den Punkt, den einige hier schon richtigerweise ins Feld führten: die Impfwirkung wurde oft mit rund sechs Monaten beziffert. Das heißt es kann gut sein, dass die Erstgeimpften im Juni bereits erneut geimpft werden müssten, ungeachtet möglicher Mutationen. Dann sind aber „die letzten“ noch gar nicht erstgeimpft. Was machen wir denn dann? Wieder die vulnerablen Gruppen vorziehen? Biontech wird demnächst weniger Erstimpfungen vornehmen, da bei vielen Menschen die Zweitimpfung mit dem Wirkstoff fällig wird, aber nicht ausreichend Wirkstoff vorhanden ist. Ergo: die Zahl Erstgeimpfter mit Biontech wird temporär einbrechen. Wie die von politischer Seite herbeizitierten eine Mio. Impfungen täglich (die wir bisher überhaupt nur an einem Tag erreicht haben), wird wohl eine Fata Morgana bleiben. Aber, vereinzelt wird schon die Sinnhaftigkeit von Impfzentren in Frage gestellt und argumentiert, dass Haus- und Betriebsärzte dies ja alles besser könnten. Schaue ich mir diese Gemengelage an, kann ich nicht verstehen, wie auch nur irgendwer derart naiv (oder berechnend) sein kann zu glauben, in zwei Monaten (oder wenigen Wochen, wie es ja auch heißt) seien alle zumindest erstgeimpft und daher könnten Lockerungen jetzt bereits für erste Gruppen umgesetzt werden. Und da bin ich noch nichtmal bei der Frage, wer das alles kontrollieren soll, wie fälschungssicher Belege von Impfungen sind oder, wer denn bitte diesen Garten Eden aus Kultur, Gastro und Hotellerie betreiben soll mit lauter ungeimpftem Personal (die Zahl der Unter-60-Jährigen, die vollständig geimpft sind, liegt bei rund drei Prozent)? Hier werden Dinge versprochen, die kaum umsetzbar sind, die aber gut klingen. Da Experten am Maske-tragen auch für Geimpfte festhalten, frage ich mich, welche Vorteile denn diese Lockerungen am Ende konkret sein sollen. Zudem wird hier oft vermeintlich suggeriert, dass die Wirkstoffe zu 100 Prozent wirken würden. Dem ist aber nicht so. Ich meine, dass bei rund 90 Prozent Wirksamkeit eine Menge Luft, in diesem Falle Risiko, besteht doch erneut zu erkranken und/oder andere anzustecken.

Ganz genau!

Der Löwenanteil der Bevölkerung ist in einer einzigen Priogruppe. Plakativ gesagt herrscht da „Wild West“. Der stärkste Regulator derzeit ist die Haus- bzw. Betriebsärztin. Ich glaube, der Staat vertraut ihr, selbst unter den 4lern sinnvoll zu priorisieren. Denn sie „kennt die Leute vor Ort am besten“.

Sollte der Staat die Priogruppe 4 ausdifferenzieren? In sozialer Hinsicht? In lokaler? In epidemiologischer?

Am wichtigsten ist es mE, den Impfstoff dahin zu bringen, wo es die meisten Infektionen gibt. Das korreliert vermutlich leider mit den Gruppen, die eher spät einen Impftermin bekämen(, und mit einer niedrigen Impfbereitschaft?). Köln-Chorweiler und so. Es gibt Berichte, dass das zum Glück bereits verstärkt geschieht.

Aber das derzeitige Grundprinzip ist mW immer noch, dass jeder Hausarzt dieselbe Höchstmenge an Impfstoff ordern kann. (Wie es mit den Impfzentren aussieht, weiß ich nicht.) Formale Gleichbehandlung ist hier mMn nicht sinnvoll.

Zurzeit setzen wir auf die Ärzteschaft oder darauf, dass die, denen die Impfung weniger nutzt, denen, denen sie mehr nutzt, aus moralischen Gründen freiwillig den Vortritt lassen.

1 „Gefällt mir“

Den „wilden Westen“ kann ich auch in meinem Umfeld beobachten. Da werden Telefonnummern von Ärzten (ich kenne zwei Fälle von Orthopäden), die ohne Berücksichtigung von Prioritäten jeden, der kommt, impfen. Inzwischen hat sich auch herumgesprochen, dass im Fall von Kontaktpersonen von Pflegebedürftige niemand festhält geschweige denn prüft, ob die Pflegebedürftige mehr als 2 Kontaktpersonen benannt hat. Das erklärt vielleicht auch, wie über ebay Kleinanzeigen Pflegetermine zum Kauf angeboten werden können. Die Bundesrechtsanwaltskammer lobbyiert sehr stark, dass jeder Beschäftigte in einer Anwaltskammer als priorisieren Angehörige der Justiz- und Rechtspflege gilt; in Berlin wird das z.B. bereits praktiziert.

5 „Gefällt mir“

Das ist halt bitter und war aber ehrlich gesagt auch schon zu Beginn der Impfkampagne zu Hauf vorhanden. Da haben es viele nur nicht so öffentlich gemacht. Ich kenne leider auch relativ viele Unternehmer mit Einfluss innerhalb Ihres Kreises, die seltsamerweise alle ganz zufällig schon sehr früh übrig gebliebene Impfdosen erhalten haben. Aber es war wenn wir alle ehrlich sind abzusehen, dass Menschen mit Geld und Einfluss vor vielen Priorisierten geimpft werden. So war es in diesem Land immer und wird es wohl leider auch immer noch bleiben.

1 „Gefällt mir“

Lambrecht wies jedoch darauf hin, dass die Regelung keinen Anspruch auf Öffnungen beinhalte. Geimpfte können demnach nicht verlangen, wieder ins Kino oder in ihr Lieblingscafé zu gehen. Ob und wann Gastronomie, Kultur- und Freizeiteinrichtungen öffnen, hängt von anderer Gesetzgebung ab, nicht von der nun beschlossenen Verordnung.

@vieuxrenard : Liegt sie da nicht verfassungsrechtlich falsch?

So sehr ich den Wunsch nach einer besseren Impfsteuerung der Gruppe 4 nachvollziehen kann, die Gefahr für deutschen Perfektionismus+Bürokratie ist zu gross. Die Impfbereitschaft wird leiden, wenn zur Impfung erstmal ein 10 seitiger Fragebogen ausgefüllt werden muss. Allein dieser Akt schließt wieder Menschen aus. Ok, 10 ist vielleicht zu hoch gegriffen, aber unter 3 Seite und 20 Fragen plus beglaubigter Kopie von irgendwas, ist es nicht vorstellbar.

Die Hürde muss mMn absolut niedrigschwellig sein. Bei Ikea einkaufen und impfen lassen - fertig. Ja, es wird nicht jeder gleich geimpft werden können, so ist das Leben. Gleichzeitig kann man aber clever mit Aktionen in Brennpunkten o.ä. Etwas nachsteuern. Dann besteht wirklich eine Chance auf breite Durchimpfung.

2 „Gefällt mir“

Der Staat hat sich ja explizit dagegen entschieden. Die Stiko hatte m. W. fünf oder sechs Priogruppen empfohlen, Spahn hat daraus 3+Rest gemacht. Andere Länder hatten bis zu 12 Gruppen, bei denen auch klarer nachvollziehbar war, wer warum vor wem dran ist. Zudem wurden zwei Grundsätze vermischt (vorranging Menschen mit hohem Risiko schwerer Erkrankungen impfen vs. vorrangig Menschen mit vielen Kontakten impfen), indem z.B. Lehrer:innen und Polizist:innen priorisiert wurden.
Bei den Hausärzten ist es so eine Sache: Wenn Du bei 3000 Leuten in der Kartei und sekündlich(!) eintreffenden E-Mails systematisch nach gesundheitlichen Kriterien priorisieren willst, brauchst Du dafür mindestens eine zusätzliche Vollzeitstelle. Bezahlt werden aber 20 Euro pro Impfung (anstatt 180 Euro pro Stunde im Impfzentrum). Einige Praxen machen sich die Mühe trotzdem, zumindest bei den Patient:innen, die sie wirklich kennen. Andere impfen einfach alle, die gerade eh in die Praxis kommen - dazwischen gibt es glaube ich alles.
Nach einem wirklichen Plan sieht das alles für mich nicht aus. Und die jetzige Debatte über Ausnahmeregelungen ist lediglich ein weiterer Punkt auf der langen Liste mit der Überschrift „hätte man sich auch vorher denken können“.

1 „Gefällt mir“

Zu Recht weisen Ulf und Philip regelmäßig darauf hin, dass es keine Rechtfertigung mehr für die Grundrechtseinschränkungen von Geimpften gibt. Viel zu wenig kritisch wird allerdings die Frage diskutiert, wie weit diese denn gehen sollen.

Die Befreiung von Kontaktverboten etc. ist das eine, aber in meinen Augen kann man Geimpften auch nicht mehr mit guter Begründung verwehren, in ein Restaurant, Theater oder Fußballstadion zu gehen. Hier ist die Politik leider sehr zurückhaltend. Verstört hat mich diesbezüglich am Sonntag die Aussage von Markus Söder bei Anne Will, dass es keinen Sinn machen würde, die Gastronomie für 8 % der Bevölkerung zu öffnen. Begründet der Staat pandemiebedingte Grundrechtseinschränkungen (hier: Berufsfreiheit, Art. 12 GG) ernsthaft mit ökonomischen Erwägungen? Stehen die Grundrechte unter dem Vorbehalt wirtschaftlicher Prosperität?

Natürlich kann jeder Gastronom entscheiden, sein Restaurant mangels Erwerbsaussichten (noch) nicht zu öffnen, diese Entscheidung ist aber keine Frage des IfSG.

Der Hintergrund der Zurückhaltung ist wahrscheinlich folgender: Man hat Angst, ein System zu etablieren, bei dem durch die Hintertür ein Impfzwang geschaffen wird. Denn die Diskussion wird erst dann richtig losgehen, wenn alle ein Impfangebot hatten und manche Querdenker dies partout nicht wahrnehmen wollen. Hätte man dann zuvor die Regel geschaffen, dass alle Geimpften wieder alles dürfen, müsste schon gut begründet werden, warum dies jetzt auch wieder für Nicht-Geimpfte gelten soll, die eine potenzielle Gefahr darstellen.

Dabei bin ich übrigens sehr gespannt, wie opportunistisch die Impfgegner dann am Ende des Tages sind. Wenn Sie ohne Nachweis nicht mehr in ein Flugzeug steigen dürfen, sind vielleicht die Vorbehalte nicht plötzlich mehr ganz so groß. Privatwirtschaftlich ist dies natürlich zulässig. Aber die Politik will sich hier offensichtlich nicht zum Vorreiter machen. Eigentlich schade…

Viele Grüße
Christopher (1x geimpft)

2 „Gefällt mir“