Wie stark hat die Ungleichverteilung zugenommen in den letzten 50 Jahren?

Mieten scheinen einen immer größeren Teil des Einkommens zu verschlingen, früher konnte man sich einfacher ein eigenes Haus leisten, früher konnte man mit einem Einkommen gut eine Familie ernähren, heute müssen in der Regel beide Eltern arbeiten.

Warum ist das so? Die gesellschaftliche Verteilung des Wohlstands schien früher gleichmäßiger als heute zu sein. Ist das wirklich so? Lässt sich das tatsächlich zeigen? ZB wie viel Prozent des Medianeinkommens muss man heute zB für eine Medianmiete ausgeben wenn man neu mieten will? Wie viel in den 70ern/80ern/90ern? Oder für Lebensmittel. Haben die oberen 5-10 Prozent heute mehr vom Kuchen als zB in den 70ern/80ern? Zu welchem Teil ist der Wohlstand auch ins Ausland abgewandert?

Interessant ist auch ein Ausblick in die Zukunft: Wie viel Wohlstand wird voraussichtlich in den nächsten Jahrzehnten ins Ausland abwandern, zB nach China?

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Dazu möchte ich einen Artikel des Spiegels von 1989 verlinken. Darin beklagt man schon vor 30 Jahren, dass eine Normalerverdienerfamilie sich keinen Wohnraum in Großstädten leisten könne.

Gefühlt schwingt mir bei diesen Themen immer ein „früher war alles besser“ mit, also eine Verklärung der keineswegs so rosigen Vergangenheit. Dazu vergessen wir ganz oft auch, dass sich jährlich unsere Ansprüche verändern und auch das Geld kostet.

2020 hat man beispielsweise auf 34% mehr Wohnraum pro Kopf gewohnt als noch 1990 [1], ergo wird Wohnraum im Mittel auch entsprechend teurer. Auch die Ausstattung von Wohnungen ist besser geworden. Dämmung, Schallisolierung, Fahrstuhl, bessere Böden, Hausmeister und Reinigungsdienst um nur einige Faktoren zu nennen. Auch Ansprüche an den Standort haben sich verändert. Die Löhne stiegen jedenfalls im Zeitraum zwischen 2014 und 2018 (einen anderen Zeitraum habe ich jetzt auf die schnelle nicht gefunden) stärker als die Medianmiete[2], nur nicht in den Großstädten. Hohe Mieten sind faktisch ein regionales Problem und ließen sich easy durch mehr Flexibilität bei der Wohnortwahl lösen. Ich wohne selbst nicht in, sondern im Umkreis von Berlin. Hier kostet der m2 kalt 10€. Im 40 km entfernten Berlin im vergleichbaren Mietsegment 16-18€/m2. Die Dauer des Arbeitsweges ist dabei mit Öffentlichen in beiden Fällen oft ähnlich. Trotzdem wollen viele lieber in Berlin wohnen, denn das sei cooler als eine mittelgroße Stadt. Crazy.

Unabhängig davon wäre ich an einer datengestützten Analyse interessiert. Ich habe nur gerade zu wenig Zeit um die Daten zusammen zu suchen. Fachliche Expertise bei der Auswertung kann ich aber sicher beisteuern.

1 Wer wohnt wie groß? - Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
2 Entwicklung von Löhnen und Mieten - dreigeteiltes Deutschland - Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

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Doch nun ist der Staat gefordert, nicht zuletzt durch den Zustrom von DDR-Bürgern und Aussiedlern.

Auch hier erkenne ich Parallelen zur heutigen Diskussion.

Insgesamt ist der Anteil der Mietkosten am Haushaltseinkommen seit 2009 insgesamt gesunken, nicht aber bei armutsgefährdeten Singles.

Nachtrag:

49,2 Prozent der rund 8,4 Millionen Haushalte, die in Deutschlands Großstädten zur Miete wohnen, müssen mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens ausgeben, um ihre Miete (bruttowarm) zu bezahlen.
Miete: Fast die Hälfte der Haushalte in deutschen Großstädten tragen eine prekär hohe Belastung – mehr als 1,5 Millionen leistbare und angemessene Wohnungen fehlen - Hans-Böckler-Stiftung

„Wohlstand“ wird nicht ins Ausland abwandern. Selbst wenn hier in Deutschland die Wirtschaftsleistung über mehrere Jahre hinweg sinken sollte, profitiert davon nicht das Ausland. Im Gegenteil: Deutschland fällt dann als Absatzmarkt tendenziell weg, was auch für ausländische Berufstätige schlecht ist.

Was abwandern kann ist „Vermögen“, denn das sind einfach Euros auf irgendeinem deutschen Konto, die auf ein ausländisches Konto überwiesen werden können. Und damit sind wir bei der Krux des Themas, der Vermögensverteilung innerhalb der Gesellschaft.

Meine Theorie ist, dass Einkommen fast irrelevant ist (solange ein Mindestlohn garantiert und eine progressive Besteuerung garantiert sind. Über extrem hohe Einkommen kann man diskutieren).

Vermögen ist dagegen für fast alles entscheidend, denn Vermögen schafft neues Vermögen auch über Generationen hinweg. Vermögen schafft Absicherung gegen Schocks und Pech. Vermögen ermöglicht Investition. Vermögen ist Entscheidungsfreiheit.

Und Vermögen ist in Deutschland extrem ungleich verteilt. Die obersten 10% der Bundesbevölkerung besitzen 56% des Vermögens. Die untersten 50% besitzen praktisch nichts.

Das wir keine Steuer auf hohe Vermögen haben ist für mich eine gesellschaftliche Travestie. Genauso die lächerliche Steuer auf Erbschaften, die im Schnitt niedriger wird, je höher die Erbschaft ist.

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Anderen Quellen nach sogar 67,3% (DIW):

Wie sich diese Schere in den letzten 50 Jahren entwickelt hat, weiß ich leider nicht. Hat jemand dazu Quellen oder weiß Personen, die dazu forschen?
Grundsätzlich gefällt mir jedoch die Idee des öffentlichen Luxus immer besser, welche ich auch in meinem ursprünglichen Post verlinkt hatte. Öffentliche Parks, Schwimmbäder, Bibliotheken, Bahnhöfe etc, die allen zu gute kommen, wo man sich gerne aufhält und wo nicht der Putz von den Wänden bröckelt. Das würde doch auch die eigene Lebensqualität steigern.

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Ich höre von Fachleuten, die es wissen müssten, immer wieder

„Das Einkommen nach Umverteilung (d.h. nach Steuern und Abgaben) ist nicht ungleicher verteilt wie vor 10 oder 20 Jahren.
Das Vermögen aber, das ist heute sehr viel ungleicher verteilt.“

Zahlen (Studien) suche dazu bis heute …

War mir nicht sicher in welchem Thread es gehört, aber denke, auch für diesen Interessant:
„Top 5% wealth share“ und „Home owner wealth to tenant wealth ratio“. Entwicklung in den Ländern des Euroraums seit 2011.

https://talk.lagedernation.org/t/leistungsideologie/23090/20?u=pigeon73

Der Gini Index, auch wenn er komplizierte Dinge oft zu sehr vereinfacht, stützt diese Behauptung einigermaßen.

Hier gezeigt an der jährlichen Veränderung des Gini-Indexes bezogen auf den Bruttolohn.

Allerdings sieht der Trend bezogen auf das Nettoeinkommen etwas anders aus. Hier steigt der Gini Index tendenziell.

Insgesamt stieg der Gini Index bezogen auf das Nettoeinkommen damit recht bemerkenswert an.

Das Problem sind also nicht hohe Einkommen, sondern eine ungleiche Belastung bei Sozialabgaben, die das Einkommen für Einkommensschwache Gruppen stärker schmälern als bei Einkommensstarken.

Das kann nur heißen, entweder Reiche stärker heranzuziehen, was nicht zwingend gut geht, siehe Reichensteuer in Frankreich oder bestimmte Sozialleistungen zu überprüfen. Renten über 2000 € halte ich persönlich zum Beispiel für kritisch oder manche Leistung im Gesundheitssystem bei sehr alten Menschen mit schlechter Gesamtprognose bezogen auf den YLL-Indikator. Das muss als Gesellschaft dringend besprochen werden. Dann können auch die Sozialbeiträge eingefroren oder besser im unteren Bereich gesenkt werden, so dass dort mehr Netto übrig bleibt.

Das Hauptproblem sind große Vermögen.

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Quelle: Exploring the ECB’s distributional wealth accounts

[Disclaimer des Autors]:
As this post will show, we can learn a lot from this data. There is, however, a big disappointment: The data does not allow for granular breakdowns at the top of the wealth distribution. The top wealth group is the top decile, or the richest 10 per cent of households, meaning we can learn next to nothing about what is going on at the very top. Compare this to the US, where the Fed’s much more granular data show that the asset portfolios of the top 1 per cent—and even more so of the top 0.1 per cent—differ dramatically from those of the next 9 per cent

[Deepl:]
Wie dieser Beitrag zeigen wird, können wir aus diesen Daten eine Menge lernen. Allerdings gibt es eine große Enttäuschung: Die Daten erlauben keine granularen Aufschlüsselungen an der Spitze der Vermögensverteilung. Die oberste Vermögensgruppe ist das oberste Dezil, d. h. die reichsten 10 % der Haushalte, was bedeutet, dass wir so gut wie nichts darüber erfahren können, was an der Spitze vor sich geht. Vergleichen Sie dies mit den USA, wo die viel detaillierteren Daten der Fed zeigen, dass sich die Vermögensportfolios des obersten 1 Prozent - und noch mehr des obersten 0,1 Prozent - dramatisch von denen der nächsten 9 Prozent unterscheiden

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Oder das Sozialsystem in das Steuersystem integrieren und auf diesem Wege Reiche und Gutverdiener mehr an den Kosten beteiligen und Geringverdiener und Sozialkassen entlasten.

Ist das nicht das gleiche wie

Es ist doch egal, ob es Steuer oder Sozialabgabe heißt. Am Ende schaut man wieviel Geld vom Brutto bleibt, was man davon hat und bei zu großem Mismatch, ob es Alternativen gibt.

Du sprichst schon wieder über Einkommen. Es geht aber hauptsächlich um Vermögen.

Orte an denen von Einkommen geschrieben wird:

Ich glaube es gibt ein paar Beiträge, die auf Vermögensfragen abzielen. Aber es ist nun echt nicht so, dass die Einkommensthematik hier kein Thema wäre.

Stimmt.
Aber vergesst nicht, dass das größere Ungleichgewicht woanders zu finden ist.

Die world inequality database hat auf jeden Fall Daten zur Entwicklung von Vermögen und Einkommen für Deutschland und andere Länder. Die Daten die ich angeschaut habe suggerieren für Deutschland eine Zunahme der Ungleichheit bei Netto und Brutto Einkommen seit Beginn der 80er, und keine Zunahme in der Ungleichheit der Vermögen??? :thinking: Kann diese Daten jemand beurteilen?


Hier bräuchte es vielleicht auch mal eine Meta-Studie.

Findet jemand noch Daten zur Entwicklung von Mieten und Einkommen über einen längeren Zeitraum?

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Ich sehe bei den Top 10% eine Steigerung von 50% auf 58% und beim ersten Prozent von 22% auf 27% (geschätzt).
Auf welche Zahlen berufen sie sich? Über deutsche Vermögen weiß man wenig. Wenn sie nur gesicherte Daten benutzen oder vorsichtig schätzen, muss man die Zahlen dementsprechend vorsichtig bewerten.

Wenn man aus der Perspektive Chancengleichheit denkt, dann könnte man finde ich auch eine Erbschaftssteuer von 100% vertreten (oder ggf. 100% auf alles über einer bestimmten Summe - bspw. 10 Durchschnitts-Jahreseinkommen pro Kind). Alles andere kommt in einen großen Fond, der nur dafür genutzt wird unser Bildungssystem auszubauen und jedem Neugeborenen in D ein Startkapital zu geben (bspw. 25k€, müsste man schauen was bei rauskommen würde), das mit Geburt in einen Aktienfonds gelegt wird und auf das er/sie ab einem Alter von bspw. 16 Jahren Zugriff hat.

Ist etwas radikal und wird sich nicht durchsetzen lassen, fände ich aber irgendwie sehr liberal und fair. Bräuchteaber sicherlich ein paar Side-Maßnahmen.

Spannend ist nicht das eigentliche Einkommen, sondern der Reallohnindex, der die Inflation berücksichtigt.

Und hier die Mietpreisentwicklung:

Ich finde das alleine lässt schon tief blicken.

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Um die Miete mit den reallöhnen vergleichen zu können müsste sie auf die gleiche Skala transformiert werden. Quasi realmieten.