Quellen zu Ost-West-Unterschieden im Wahlverhalten

Liebes Lage-Team,

da im Podcast ja um Studien gebeten wurde, die das unterschiedliche Wahlverhalten zwischen Osten und Westen erklären, sei zunächst auf methodisch ordentliche empirische Studien, die insb. das bessere Abschneiden der rechtsextremen AfD im Osten erklären können, verwiesen.

Zu nennen sind hier zuvorderst die Mitte-, z. T. später dann Autoritarismus-Studien des IKG der Universität Bielefeld und des EFBI der Universität Leipzig.

Langfristig zeigt sich eine immer schon höhere Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen seit Anfang der 2000erjahre.

Es ist also zunächst die Langfristigkeit des Phänomens festzuhalten.

Dass man das Sonderproblem größerer Verbreitung (Stichwort: Baseballschlägerjahre) lange nicht anging (Biedenkopfs wiederholte Rede von der sächsischen Immunität ggb. Rechtsextremismus Anfang der 2000er und dann noch mal 2018 im Zeit-Interview), mag sicher auch nicht zum Abbau desselben beigetragen haben. Lt. der sozialpsychologischen Kontakt-Hypothese von Allport verringert Kontakt (zumindest unter bestimmten Bedingungen) tendenziell Vorurteile. Solchen Kontakt gab es zu DDR-Zeiten kaum zu Menschen anderer ethnischer Herkunft, die Vertragsarbeiter waren häufig kaserniert. Das würde dann auch zumindest einen Teilbefund der letzten Mitte-Studie (Zick et al. 2023) erklären:

„Gegenüber den Vorjahren bleibt der generelle Unterschied zwischen Befragten aus Ost- und Westdeutschland unverändert. Dabei geht die Angabe, überwiegend im Osten aufgewachsen zu sein, durchgehend mit häufigerer Zustimmung zum kulturellen (41 zu 28 %) wie auch klassischen Rassismus (19 zu 7 %), zum Antisemitismus (15 zu 8 %), zum Hetero-/Sexismus (15 zu 11 %) und Klassismus (23 zu 16 %) einher.“

Bemerkenswert ist hier, dass der Ort des Aufwachsens den Unterschied macht, nicht der aktuelle Wohnort.

Teile des Problems liegen womöglich noch länger zurück:

„Der Historiker Davide Cantoni hat Wahlergebnisse in 11.000 Gemeinden untersucht. Sein Ergebnis: Es gibt eine Kontinuität in der Vorliebe für extrem rechte Parteien.“

Diese Kontinuitätshypothese wird auch anderweitig gestützt:

„Auf Basis der Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zeigen wir, dass aktuelle AnhängerInnen der AfD – die also dieser längerfristig zuneigen – vorher in substantiellem Maße frühere Parteien der extremen Rechten, wie NPD, DVU oder Republikaner, unterstützt haben oder in Elternhäusern mit solchen Parteiidentifikationen aufgewachsen sind. Wir konstatieren somit eine intraindividuelle und intergenerationale Kontinuität in der Anhängerschaft von Parteien der extremen Rechten in Deutschland […].“

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Sozial kleinräumliche Faktoren spielen jedenfalls wohl auch eine Rolle:

„Ostdeutsche Regionen, in denen moderne Lebensformen nicht toleriert werden und ein geringes Vertrauen gegenüber Medien oder politischen Institutionen (Stichworte: „Lügenpresse“, „Volksverräter“) besteht, weisen systematisch höhere AfD-Stimmanteile auf. In Westdeutschland gehen dagegen eher konservative Werte […] sowie ein stärkeres Bedürfnis nach Ordnung und Sicherheit […] mit höheren AfD-Stimmanteilen einher. Keine Rolle spielen in beiden Landesteilen dagegen die Stärke sozialer Netze vor Ort, das Vertrauen in Mitmenschen, gesellschaftliche Teilhabe oder auch das materielle Gerechtigkeits- und Solidaritätsempfinden. Die AfD-Ergebnisse in Ostdeutschland sind also weniger Ergebnis eines gefühlten sozialen oder wirtschaftlichen „Abgehängt-Seins“ als vielmehr Ausdruck einer niedrigeren Toleranz gegenüber modernen Lebensformen und einer höheren Skepsis gegenüber Politikern.“

Und neben hegemonialer Xenophobie wohl auch eine Neigung zum Autoritarismus. Über die letzte Studie von Decker et al. 2023 heißt es zusammenfassend beim EFBI:

„Die Studie ergab außerdem eine hohe Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen in den ostdeutschen Bundesländern. Chauvinistische und ausländerfeindliche Aussagen würden nur von einer Minderheit der Befragten abgelehnt, betonten die Projektleiter. […] Ausgeprägt sei die Zustimmung in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. „Hier ist damit das Potential für extrem-rechte und neonazistische Parteien, Wähler zu finden, besonders hoch. Jeder zweite wünscht sich eine ‘starke Partei‘, die die ‚Volksgemeinschaft‘ insgesamt verkörpert. Statt pluralistischer Interessensvielfalt wird eine völkische Gemeinschaft gewünscht“, erläuterte Brähler. Decker fügt hinzu: „Unsere Untersuchung zeigt, dass sich derzeit viele Menschen in den ostdeutschen Bundesländern nicht mehr demokratische Teilhabe und Sicherung der demokratischen Grundrechte wünschen, sondern die scheinbare Sicherheit einer autoritären Staatlichkeit.““

Autoritarismus, das weiß man im Grunde schon seit den ersten, methodisch noch nicht sonderlich ausgereiften Studien von Adorno et al. hat auch eine Persönlicchkeitskomponente (insb. niedrige Werte bei Offenheit (für neue Erfahrungen) im OCEAN-Modell). Den Forschungsstand hat die Psychologin Stenner in folgendem Essay (auch mit Blick auf Europa) ganz gut zusammengefasst:

Das weit überproportionale Wählen der rechtsextremen AfD im Osten der Republik ist sicher nicht monokausal zu erklären, aber einige Puzzlestücke greifen ineinander.

Da im Podcast auch die Ländlichkeit angesprochen wurde, sei noch auf folgende Datenlage verwiesen:

„Bei den politischen Einstellungen in Europa werden die Unterschiede laut einer neuen Studie immer größer. Und: das hat offenbar viel damit zu tun, wo man lebt. Die Forschenden hinter der Studie haben die sozialen und politischen Ansichten von Menschen aus 30 europäischen Ländern untersucht, zwischen 2002 und 2018. Dabei kam heraus: In den Großstädten sind die Menschen eher linksliberal eingestellt, das nimmt aber ab, je weiter man sich von urbanen Gebieten entfernt. Von den Großstädten über die Vororte, Kleinstädte und Dörfer bis aufs platte Land werden die politischen Ansichten tendenziell immer konservativer und das Vertrauen der Menschen in die Demokratie und etablierte Parteien sinkt.“

Auch diese Diskrepanz lässt sich differentialpsychologisch anhand des Persönlichkeitsmerkmals Offenheit erklären. Menschen, die offener für neue Erfahrungen sind, suchen sich tendenziell Lebensumgebungen, die diesbezüglich viele Anregungen bieten. Sie ziehen also vom Lande häufiger in größere Städte, da sie dort ein vielfältigeres Input bekommen. In Zeiten verstärkter Mobilität führt das dann langfristig zu einem größeren Stadt-Land-Unterschied, den man rund um den Globus beobachten kann.

Hoffe, zur Klärung etwas beigetragen zu haben.

LG
Bent

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Zu den DDR-Vertragsarbeitern ist noch Folgendes anmerkenswert:

„Die Arbeitsmigrantinnen lebten meist auf sehr engem Raum in gesonderten Wohnheimen und waren somit von dem Rest der Gesellschaft abgegrenzt. Die DDR-Regierung wollte den Kontakt zwischen den eigenen Bürgerinnen und den Arbeitsmigrant*innen verhindern und hielten somit jede Information über sie zurück. Die Aufenthalte der „Vertragsarbeiter“ wurde strikt auf eine Zeit von zwei bis fünf Jahren beschränkt, der Nachzug von Familienangehörigen war generell verboten. Bis 1988 drohten Frauen bei Schwangerschaften eine direkte Abschiebung. Die einzige Alternative zur Abschiebung war eine Abtreibung. Bei fortgeschrittener Schwangerschaft wurden die Frauen aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit zur Abschiebung verpflichtet. Der Staat ergänzte den Grundsatz „DDR-Bürger und Ausländer genießen die gleichen Rechte“ mit einer Verordnung, die besagte, dass Genehmigungen ohne Begründung entzogen, begrenzt und genehmigt werden können. Eine gleichberechtigte Stellung in der Gesellschaft war somit für viele der ausländischen Arbeitskräfte nicht möglich. Rassismus war so auch in dem sozialistischen Staat ein großes Thema im Alltag.“

Das widerspricht sozusagen ein gutes Stück den Bedingungen aus Allports Kontakt-Hypothese:

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Hier eine Lektüreempfehlung:

Es geht zwar nicht spezifisch um ostdeutsches Wahlverhalten, kann aber helfen zu verstehen, warum es weiterhin eine Ost-West-Trennung in allen gesellschaftlichen Bereichen gibt.

Dass Oschmanns Polemik dazu führt, dass Fortschritte gemacht werden, wage ich zu bezweifeln. Sicher ist es wichtig, unterschwellige oder weniger unterschwellige Diskriminierung von Neufünfländern abzubauen. Jammer-Attitüden oder eben auch das durch nichts entschuldbare Wahlverhalten eines erheblichen Teils der Bevölkerung mit DDR-Migrationshintergrund tragen allerdings nach meinem Dafürhalten auch nicht gerade dazu bei, bei Westdeutschen Wohlwollen zu erzeugen.

Mir tun v. a. diejenigen leid, die sich im Osten zivilgesellschaftlich und gegen Rechts engagieren, denen aber immer wieder durch allerlei Kontraproduktives in die Hacken getreten wird.

Oschmann verschweigt zum Beispiel, dass die DDR-Bürger zu dieser Entmündigung zumindest indirekt beigetragen haben. Während sich der Kern der friedlichen Revolutionäre eine gesellschaftliche Debatte über die Zukunft der beiden deutschen Staaten gewünscht hätte, wollte die Mehrheit möglichst schnell den Westen.
Ist Ostdeutschland eine westdeutsche Erfindung?

Das ist der Jammer. Die Revolutionäre sind immer willkommen, wenn ein Umsturz vorangetrieben soll. Die Neuordnung machen dann aber die anderen - meist die, die davor schon in Führungspositionen waren. Denn sie haben die Bildung, den Einblick und die Netzwerke.

Zur sog. Selektiven Migrationshypothese gibt es eine wohl recht robuste Studie mit Daten aus der Ukraine, die belegt, dass Offenheit zu vermehrter Migration vom Land in die Großstadt führt:

Ich denke auf Basis von Gesprächen und Erleben, ein Großteil der Unterschiede zwischen dem Wahlverhalten in Ost und West basiert auf empfundener Enttäuschung über den Wendeverlauf, empfundener Kränkungen durch Westler und dem Gefühl, die Politik kümmere sich nicht genug um den ruralen Raum.

Ein paar interessante Eindrücke scheint die FAZ in ihrer Podcast Reihe Schau auf diese Stadt zusammengetragen zu haben.

Dort erzählt sie Geschichten aus der brandenburgischen Stadt Prenzlau (nicht Prenzlauer Berg), die ich so ähnlich auch aus anderen ostdeutschen Städten schon gehört habe.

In Folge eins wird die Stadt vorgestellt, ihre Herausforderungen, fehlendes Interesse/Engagement der großen Parteien und darum wer sich noch wie in der Stadt engagiert.

In Folge zwei wird die Geschichte der Prenzlauer AWG vorgestellt, dem damals größten Unternehmen der Stadt, dass die Treuhand lieber zerschlagen wollte als es durch engagierte Mitarbeiter weiterbetreiben zu lassen. Es geht hier vor allem um arrogante Westdeutsche, die anscheinend dachten, man müsse den Ostdeutschen erst einmal das Leben beibringen. Und die die Ostdeutschen eher als Verfügungsmasse betrachteten und weniger als Gleichberechtigte.

In Folge drei soll es dann heute um die geplante neue Flüchtlingsunterkunft, Chancen dadurch und Vorbehalte dagegen gehen.

Ich bin davon überzeugt, dass man die ostdeutschen Enttäuschungen der letzten 30 Jahre verstehen muss um nachvollziehen zu können warum die AfD/BSW dort so leichtes Spiel hat. Hier kann der Podcast einen guten Eindruck vermitteln.

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Rechtsextreme oder xenophobe autoritäre Parteien mit null Lösungskompetenzen für die heute anstehenden Probleme zu wählen ist durch gar nichts rechtfertigbar, ganz gleich, welche Kränkungen Menschen erfahren haben.

Mir ist auch unverständlich, warum die irgendwie Enttäuschten nicht selbst politisch aktiv werden, eine eigene Partei gründen und dann ihr Schicksal selber in die Hand nehmen.

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und sich einem faschistischen Diktator wie Putin gleichsam an den Hals zu werfen stehen doch in keinem Zusammenhang mit Kränkungen durch arrogante Westdeutsche, enttäuschten Erwartungen bzgl. der Entwicklung des ländlichen Raums o. dgl.

Dein Warum deutet ja eine Kausalität an, so, als ob es einen Grund dafür gäbe. Diesen Grund gibt es nicht, da Fremdenfeindlichkeit und Putin-Freundlichkeit nichts mit Wessi-Arroganz und einer gefühlten oder tatsächlichen Vernachlässigung des ländlichen Raums zu tun haben. Mehr Wertschätzung von Westdeutschen und eine bessere Entwicklung ländlicher Räume kann man sich ja nicht durchs Wählen fremdenfeindlicher, putinfreundlicher Parteien „erkaufen“.

Es hat indirekt damit zu tun. Du zeigst hier wieder sehr schön was schief läuft in der Kommunikation. Jemand weist darauf hin, dass es Gründe für eine empfundene Kränkung gibt, die dazu führen, dass man die als westdeutsch empfundene Politik ablehnt und du schlägst das alles als nicht nachvollziehbar in den Wind weil du deine subjektiven Maßstäbe kategorisch in den Vordergrund stellst.

Damit negierst du das Empfinden der anderen Seite, wodurch diese in ihrer Ablehnung dessen wofür du stehst noch weiter bestärkt wird. Wenn man das einige Jahre konsequent so macht, hat man jegliche Basis für Verständigung zerstört und die andere Seite wird mit Freuden jedem Demagogen zustimmen, sofern er nur einen Hauch mehr Verständnis äußert als du.

Noch nie hat man jemand gekränkten besänftigt, indem man ihm gesagt hat, Hab dich nicht so. Dein Ärger ist unberechtigt und du selbst schuld.

Was macht es eigentlich Menschen aus den alten Bundesländern so schwer zuzugeben, dass ihr moralisierend-abwertend empfundendes Verhalten eine Ursuche von vielen dafür ist, warum die AfD im Osten es heute so schwer hat. Kratzt das zu sehr an der eigen Selbstgewissheit immer im Recht zu sein?

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Das tue ich nicht. Vielmehr differenziere ich und denke lösungsorientiert.

Das Empfinden ist Fakt, eine emotionale Tatsache, wenn man so will. Und dass einige Ostdeutsche von arroganten Besserwessis über den Löffel barbiert wurden, bestreite ich genauso wenig wie, dass sich einige ländliche Räume unzureichend entwickelt haben.

Das wird erst mal alles - tutti completti - von mir zugestanden.

Aber nun geht’s ja um mögliche Lösungswege.

Rechtsextreme, xenophobe und diktatorenfreundliche Parteien zu wählen adressiert kein einziges der Probleme. Right?

Selbst eine Partei zu gründen und den bisher vernachlässigten ländlichen Raum auf Vordermann/-frau zu bringen, hilft dagegen. Im Übrigen macht man dann auch Selbstwirksamkeitserfahrungen. Es ist eine Art von Empowerment.

Und wenn man sich dann noch von Westdeutschen benachteiligt sieht, muss man eben darüber mit diesen in ein Gespräch eintreten. So kann man dann gemeinsam an einer Überwindung von Benachteiligungen arbeiten. Wenn diesbezüglich kein Konsens möglich sein sollte, bleibt in einer Demokratie wiederum der Weg der Parteigründung, um den eigenen Anliegen (hier: Überwindung der Benachteiligung Ostdeutscher) zur Durchsetzung zu verhelfen.

Der Verfassung und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung den Mittelfinger auszustrecken, indem man eine rechtsextreme Partei wählt, und Menschen mit Migrationsgeschichte, die konstitutiver Bestandteil dieser unserer Gesellschaft sind, zu „Sündenböcken“ zu machen ist dagegen aus lösungsorientierter Perspektive vollkommen kontraproduktiv. Und, ja, da gibt es eine Eigenverantwortung, sich nicht selbst ins Abseits zu stellen.

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Habe jetzt mal im oben von @Bent verlinkten Policy Paper von Forschenden der Uni Leipzig nachgeschaut, die Daten wurden repräsentativ für die neuen Bundesländer und Ost-Berlin erhoben.

In Abb. 1 ist die manifeste und latente Zustimmung zu folgenden Aussagen festgehalten. Zusammengefasst ergeben sich folgende Zustimmungsraten für Ostdeutschland (einschließlich Ost-Berlin):

Was Deutschland jetzt braucht, ist eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.

→ 51,2 %

Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert.

→ 33,1 %

Im nationalen Interesse ist unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform.

→ 30,7 %

Keine dieser Aussagen ist mit unserer Verfassung und der darin enthaltenen freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar.

Und das hat auch nichts mit einer Ablehnung einer, wie du es formuliertest, „als westdeutsch empfundene Politik“ zu tun, es sei denn, elementare Grundsätze unserer liberalen pluralistischen Demokratie wären nichts weiter als westdeutsche Politik. Dass Letzteres nicht der Fall ist, darüber sollte zumindest hier Konsens bestehen.

Und das hat auch nichts damit zu tun, dass ich, wie du mir unterstellst, meine „subjektiven Maßstäbe kategorisch in den Vordergrund stell[e]“.

Es war aber auch der Ossi, der dem Westen die Pistole auf die Brust gesetzt hat: „Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr“.
Also wurde gegen den ursprünglichen Wunsch der Politik das ungleiche Deutschland zusammengesetzt. Nun war es nur ein kurzes Wirtschaftswunder, aber zu leugnen, dass es aufwärts ging ist Verdrehung der Realität.
Und in einem anderen Punkt muss ich @Schnackerio Recht geben.
Dass die beiden bekanntesten Politiker Ramelow & Höcke (damit sollen sie nicht gleich gesetzt werden) Wessis sind ist nicht Schuld des Westens, sondern der Ossis, die die aufgestellt und gewählt haben.
Dass es auch anders geht, zeigt der drittbekannteste, Kretzschmar, der aus Görlitz kommt.

Absolut. Ich wollte hier keineswegs ausdrücken, dass die Ostdeutschen schuldlose Lämmer wären. Im Gegenteil, aus der Verbitterung über eine ungerecht empfundene Behandlung wählen sie lieber den Metzger statt die, die ihnen helfen können.

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Wo soll denn zwischen der „Verbitterung über eine ungerecht empfundene Behandlung“ und dem Wählen des Metzgers der logische Zusammenhang sein?

Das war ja mein Ausgangspunkt im Hinblick auf Kausalität.

Das wäre dann ja eine zusätzliche Selbstbestrafung.

Der Zusammenhang ist, dass man den etablierten Parteien nicht mehr glaubt, da man sie für Kränkungen, Verluste uvm. verantwortlich macht.

Demgegenüber ist da halt der Metzger, der die Etablierten scharf kritisiert und sich zumindest vornerum für das Schaf einsetzt.

Verständlich? (Geändert. Mod)

Weil „man“ die „etablierten Parteien“ „für Kränkungen, Verluste uvm. verantwortlich macht“, ist das also auch so in der ganzen Pauschalität, die darin zum Ausdruck kommt? Und die Linke, die noch nie im Bund regiert hat, wird da auch gleich mit in den Sack steckt, ja?

Dass sich die rechtsextreme AfD für die Aufarbeitung von von Ostdeutschen erlittenen Kränkungen oder für einen Abbau von ostdeutscher Benachteiligung einsetzt, muss mir irgendwie entgangen sein.

Bislang ist mir nur die Partei Die Linke als Anwältin spezifisch ostdeutscher Interessen aufgefallen.

Die AfD dagegen fällt nicht nur durch Sozialdarwinismus und Klassismus, also dem Gegenteil der Besserstellung Benachteiligter, sondern auch durch die Abwertung spezifisch benachteiligter Gruppen wie z. B. Menschen mit Migrationsgeschichte auf. Aber gut, mancheine/r mag Befriedigung daraus ziehen und sich erhoben fühlen, wenn andere noch weiter nach unten gedrückt werden.

Daraus Befriedigung zu ziehen, dass, wie du schriebst, „der Metzger […] die Etablierten scharf kritisiert“, ist jetzt auch so ein obskures Verständnis nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Von irgendeiner Reife zeugt das jedenfalls nicht.

Wir tänzeln aber hier weiterhin am Elefanten im Raum vorbei. Selbst wenn alle „etablierten Parteien“ schuld wären, was ich für nicht stichhaltig halte, spräche immer noch nichts dagegen, entweder eine nicht etablierte Kleinpartei, die eben nicht rechtsextrem ist, zu wählen oder auch eine nicht rechtsextreme Partei, die sich für spezifisch ostdeutsche Belange einsetzt, zu gründen.

Einfach zu sagen, die AfD ist nun mal da, sie ist halt rechtsextrem, so what, geht nicht.

Wer eine rechtsextreme Partei wählt, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, rechtsextrem zu sein, denn sonst würde er/sie Alternativen nutzen. So viel Verantwortung muss man den Wählenden schon abverlangen.

Doch, wie schon erwähnt, gibt es ja - empirisch - eine Passung zwischen Einstellungen von AfD-Wählenden (s. o.) und dem, was die Partei vertritt. Daher ist aus meiner Sicht die unbelegte Alternativhypothese, dass diese Wählenden eigentlich etwas ganz anderes wollten, hinfällig.

Und, wie ich dir ja schon andernorts schrieb:

Wer Nazis wählt, trägt im Übrigen nicht nur eine Verantwortung für die Zusammensetzung des Parlaments, sondern auch dafür, dass sich das gesellschaftliche Klima gegenüber rassistisch diskriminierten Menschen usw. usf. noch verschlechtert, indem Alltagsrassismus noch hoffähiger wird u. v. m.

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Markus Feldenkirchen hat es jüngst in der „Lage am Morgen“ so formuliert:

Bei allem Verständnis für persönliche Schicksalsschläge und das individuelle Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein: Wenn ein Drittel der Wahlbevölkerung bereit ist, eine gesichert rechtsradikale Partei zu wählen, ist das natürlich eine Zumutung. Als Landsmann und Patriot sind mir diese 30 Prozent regelrecht peinlich. Wie kann man vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte 90 Jahre später wieder mit dem Nazi-Feuer spielen? Gerade wenn man berücksichtigt, dass die Nazis auch damals erstmals in Thüringen an die Macht gelangten.

Ich habe alle drei Folgen der Sommerfolgen des Podcasts gehört (und bin gespannt auf Folgen vier bis sechs). Der dadurch gewonnene Eindruck deckt sich mit vielen anderen Analysen zur Frage, warum „der Ostdeutsche“ so wählt, wie er wählt.

Ich habe jedoch keine schlüssige Antwort darauf gefunden. Klar, die tiefe Enttäuschung über die Wiedervereinigung (Treuhand, Verhalten einiger „Wessi-Cowboys“, s.u.) und das daraus resultierende Misstrauen gegenüber „Wessis“ sind nachvollziehbar. Dass man aus diesem Grund keine etablierten Westparteien wählen möchte, würde ich verstehen (auch wenn mir mal jemand erklären muss, wie diejenigen, die die Wiedervereinigung so plötzlich organisieren mussten, das ohne die Erfahrungen von heute hätten besser machen können) . Warum aber auch die Linke (ehem. PDS) abgestraft wird und man stattdessen Nazis und „Freunde“ eines Diktators wählt, der einen verbrecherischen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, diesen „Kurzschluss“ verstehe ich nach wie vor nicht. Da bieten die historischen Erfahrungen mit der Wiedervereinigung wirklich keinerlei Rechtfertigung.

Bei aller berechtigter Kritik an der Treuhand und den „Wessi-Cowboys“ (s.u.) werden nach meiner Überzeugung die Erfahrungen mit der Wiedervereinigung von vielen Ostdeutschen unbewusst, aber systematisch geframed, um zu verdrängen, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der ostdeutschen Betriebe in den neuen Märkten, in denen sie sich plötzlich befanden, in den meisten Fällen schlicht nicht wettbewerbsfähig war. Das ist keine Herabsetzung der Lebensleistung der Ostdeutschen - auch wenn dies das so empfinden.

Gerade die Geschichte über den Prenzlauer Armaturenhersteller AWG zeigt das, wenn man genau hinsieht, ganz genau: Letztlich ist es nur dem geradezu dickköpfigen, sehr bewundernswerten Durchhaltevermögen zweier Leiter des ehem. DDR-Betriebs (und seiner beiden Söhne) zu verdanken, dass der Betrieb weitermachen und dann wettbewerbsfähige Produkte entwickeln konnte. Ohne diese beiden Ausnahme-Unternehmer hätte auch dieser Betrieb keine Chance gehabt. Die vielfach verbreitete Mär, die Treuhand hätte viele gute und wettbewerbsfähige Ost-Betriebe „plattgemacht“, damit westdeutsche Unternehmen keine Konkurrenz bekommen, mag im Fall einer Handvoll Anekdoten richtig sein, gehört aber eigentlich in den Bereich der Verschwörungsmythen.

Gerne vergessen die Ostdeutschen, dass die Politik damals keine andere Wahl hatte, als sofort die Währungsunion mit einem Umtauschkurs von 1:1 einzuführen; andernfalls hätte es eine Abstimmung mit den Füßen gegeben und es wären noch sehr viel mehr junge Ostdeutsche in den Westen gegangen (was man ihnen nicht zum Vorwurf machen sollte). Mit diesem Umtauschkurs waren die Ost-Betrieb von heute auf morgen zu vollen Kosten dem globalen Wettbewerb ausgesetzt und konnten auch nichts dagegen tun, dass sehr viele Ostdeutsche verständlicher Weise plötzlich Westprodukte kaufen wollten.

Was aber offensichtlich der Fall ist, ist die Arroganz und Überheblichkeit, mit der die Wessis in der Treuhand und in westdeutschen Manager-Etagen den Ostdeutschen begegnet sind (vgl. Folge 2 des genannten Podcast - erschütternd!). Das hat bei sehr vielen Ostdeutschen zu tiefen Wunden geführt, und diese Verletzungen haben sich offenbar auch auf die nächste Generation übertragen.

Dazu kamen die, die ich als „West-Cowboys“ bezeichne: Glücksritter, die oft im Westen nichts geworden sind oder wären und die in den Osten gegangen sind, um den Ostdeutschen, die mangels Erfahrung einem solchen Geschäftsgebaren ausgeliefert waren, überteuerte Autos, Kredite, Versicherungen usw. zu verkaufen (auch z.B. Richter, die es im Westen sehr schwer gehabt hätten, zügig Karriere zu machen, sind im Osten schneller aufgestiegen – inwieweit das dort Schaden angerichtet hat, weiß ich nicht).

Dass dort das (natürlich verallgemeinerte) Misstrauen gegenüber Wessis groß ist, kann ich nachvollziehen. Dass das aber eine nachvollziehbare Begründung sein soll, ausgewiesenen Nazis und Freunden von Kriegsverbrechern ihre Stimme zu geben, dem muss ich auch nach Lektüre und Hören unzähliger Recherchen über „Warum wählen die so?“ weiterhin entschieden widersprechen.

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Ich will mich kurz fassen und antworte daher nur auf den zentralen Punkt.

Ich habe beruflich mit verschiedenen Bildungsschichten in der Vergangenheit zutun gehabt. Mal habe ich als Reinigungskraft im Supermarkt gearbeitet, um mir das Studium zu finanzieren. In der Ausbildung habe ich in kleinen und großen Schlosserhallen und im Ingenieurbereich gearbeitet, ebenso wie im Chemielabor internationaler und auch mittelständischer Unternehmen. Und heute arbeite ich in der eher progressiven IT. In dieser Zeit hatte ich mit Menschen aus dem Antifaspektrum ebenso zu tun wie auch rechten Hohlbirnen und natürlich vielen, die man klassisch der politischen Mitte zuordnen würde.

Mein Resümee aus vielen Kontakten in der Vergangenheit ist, dass sich die meisten Menschen viel weniger für Politik und die Bedeutungen der politischen Flügel interessieren als du zu denken scheinst. Die wollen einfach nur, dass es läuft oder jemand für Fehler die Verantwortung übernimmt.

Wenn du denen eine gute Story verkaufst, die mit deren Sorgen übereinstimmt, dann saugen die das auf wie Muttermilch.

Ich fürchte daher die nachvollziehbare Kritik Man stimmt nicht mit Nazis, überfordert die meisten Menschen intellektuell. Daher halte ich das für wenig praktikabel, es sei denn man möchte spalten.

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