Die Antwort lautet Nein. Den Anstoß zum Themenvorschlag (Dlf-K-Kommentar) habe ich oben verlinkt. Hinzu kamen vermehrte Aussagen aus dem Bekanntenkreis.
Also ich finde die Städte Pirmasens oder Pforzheim mit 25%. Und beide liegen fast schon äußerst westlich und sind wenig ländlich. Dicht gefolgt von Salzgitter mit 22% und Gelsenkirchen mit 21%. Aber ich lese gern weiter Geschichten vom geschlossen antifaschistischen Westen…
Das sind jetzt 4 Kreise/kreisfreie Städte von 325 in der alten Bundesrepublik. Das sind 1,2 %. Das würde ich als „fast nirgendwo“ bezeichnen.
Aber die Behauptung, auf die ich mich bezog, lautete ja auch:
Das ist doch weitestgehend fern der Realität.
Ich denke, der Kommentar von Paul Stänner sollte nicht zu ernst genommen werden.
Aber er spiegelt natürlich westliche Befindlichkeiten.
Heute, nach gemeinsamen Jahrzehnten, in denen wir Wessis Milliarden über Milliarden an die neuen Verwandten überwiesen haben, dämmert uns, dass wir mit diesen Brüdern und Schwestern doch nicht so eng waren.[…]
Und mir scheint: So wollen sie die Wessis ärgern! Aber muss das so bleiben?
So schlecht die gefühlte Lage im Osten ist, hatten sie dennoch starke Lohnzuwächse und ist die finanzielle Situation mit einem Land, in dem man halt gekauft hat, was es gerade gab und einem Staat, der Spitzenpositionen nur mit Parteitreuen besetzt hat, nicht vergleichbar.
Er wäre nicht Teil der NATO, genauso nicht Teil der EU (diese Diskussion gab es, als GB noch EU war, Schottland aber unabhängig werden wollte).
Es hätte eine heilende Wirkung, da der Osten nun wirklich Verantwortung für sich übernehmen müsste und niemandem die Schuld geben könnte.
Ironischerweise wäre das gar nicht so. Nimm den Bundestag und Bundesrat: man hat ja nichts optimiert, sondern die neuen Bundesländer einfach oben drauf gesetzt.
Totalitäre Regime reagieren nicht selbstreflektiert. Sie übertragen ihre Problem immer auf’s Außen. Nach ein paar Jahren würde es mit Sicherheit einen Bürgerkrieg geben. Der Osten würde mit einfachen Mitteln immer ein Level an Bedrohung erzeugen. Der Westen würde im Gegenzug großflächig Städte mittlerer Größe in Schutt und Asche legen. Für wenige Großstädte würde der Luftschutz reichen, aber für mehr nicht.
Mein Zwischenfazit des bisherigen Austauschs ist folgendes:
Niemand hat bislang schlüssig bestritten, dass es im Falle einer Trennung in zwei Staaten zu einer Machtübernahme von Rechtsextremen oder reaktionär-autoritären Populist:innen im neuen Oststaat käme.
Das alleine halte ich schon für bemerkenswert.
Will diese Gefahr doch noch quanti- und qualifizieren. Beziehe mich dabei auf hier verlinkte Quellen.
51,2 % repräsentativ befragter Ostdeutscher stimmten mehr oder minder der folgenden Aussage zu:
Was Deutschland jetzt braucht, ist eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.
In einem von @TilRq verlinkten SZ-Artikel wird auf die Analyse des ostdeutschen Historikers Ilko-Sascha Kowalczuk wie folgt Bezug genommen:
Der wichtigste Befund: Kaum jemand im Osten habe, so Kowalczuk, die repräsentative, liberale Demokratie verstanden, die Mühsal der Kompromissfindung, die anstrengende Forderung nach eigener Beteiligung im Klein-Klein des politischen Alltags. Das Verhältnis zu Staat und Politik blieb unreif, infantil und paternalistisch, faul, fordernd und dauerenttäuscht zugleich. Man hübscht sich die Vergangenheit mit Geschichtslügen auf, spricht von Solidarität, wo es keine gab, ergeht sich in Gekränktheit, Selbstmitleid und Ostalgie. Es geht also eher um einen Kulturkampf als um soziale Schieflagen, so Kowalczuks Tenor.
Bislang haben nur @thunfischtoast und teilweise @Mike Argumente eingebracht, dass eine Trennung auch für einen Weststaat nicht unproblematisch sein könnte. Meine Entgegnungen darauf lassen darauf schließen, dass ich diese Kritik nicht für so hinreichend begründet halte, dass ich unterm Strich mehr Nach- als Vorteile für den Westen sehen würde.
Deshalb komme ich einstweilen zum Ergebnis, dass der Westen letztlich profitieren würde.
Daher meine weiterführende Frage: Was rechtfertigt Solidarität mit dem Osten (noch)?
Das ist natürlich eine sehr bequeme Art, mit Problemen umzugehen. Der Westen nimmt die Ex-DDR auf, haut einen Haufen der dort bestehenden Infrastruktur zu Brei (ich sage nur Treuhand), holt die Leute, die man gebrauchen kann, zu sich. Dann steht man vor dem Scherbenhaufen, der die aktuelle Situation ist, zuckt mit den Schultern und sagt „können wir ja nix für, die Suppe sollen die mal schön selbst auslöffeln. Wir sind dann mal weg.“
Schon starke Kolonial-Vibes, die da mitschwingen.
Und ganz unabhängig davon stellt sich natürlich die praktische Frage, was dann mit Berlin passieren soll. Trennen wir wieder?
Wenn der „Einmarsch“ der „Wessis“ nach der Wiedervereinigung ein kolonialer Akt war, wären Rückzug und Unabhängigkeit eine De-Kolonisierung.
Ich will hier eine Analogie der Mentalität „Wir nehmen, was wir brauchen können, und die Konsequenzen sind nicht unsere Verantwortung“ mit Kolonialherren (bzw. :damen I guess, da Victoria heftig mitgemischt hat sollte man wohl gendern) ziehen. Natürlich kann man Ostdeutschland nicht mit einer Kolonie vergleichen.
Dennoch sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass der „Rückzug“ von Kolonialmächten weltweit zu massiven Problemen geführt hat, die bis heute andauern, eben weil es für „De-Kolonisierung“ nicht ausreicht, das man weggeht. Stattdessen bräuchte es Reparationen und massive Unterstützung, um den angerichteten Schaden zu beheben.
Dazu zitiere ich mal aus einem Zeit-Artikel:
Die Zahl, die gegenwärtig für großen Wirbel sorgt, stammt von Klaus Schroeder von der Freien Universität Berlin. Der Soziologe rechnet sämtliche Transfers in die frühere DDR zusammen: die verschiedenen Wirtschaftsfördertöpfe, den Solidarpakt, den Länderfinanzausgleich, die EU-Fördermittel, die Transfers über die Sozialsysteme abzüglich der selbst erzeugten Steuern und Sozialabgaben. Demnach hat die Einheit bis zum Jahr 2014 netto fast zwei Billionen Euro gekostet.
Nun kann man natürlich die Frage stellen, ob diese Nettotransfers nicht schon Reparation genug waren. Mittlerweile ist es noch mehr geworden, denn in der letzten Dekade ist ja noch einiges hinzugekommen.
Nein eben nicht, es wirkt nur überheblich den Westen als antifaschistisch anzusehen. Beispielsweise der Westerwald in Rheinland-Pfalz, enorme Zuwächse in den Dörfern für die Nazis. Es kommt wohl nur verzögert im Westen an was im Osten schon da ist.
Das stimmt alles, leider sind denke ich viele Ostdeutsche an dem Punkt, von den etablierten Parteien nur Herablassung und nichts sonst zu erwarten. Natürlich rechtfertigt das nicht die Wahl von Nazis und Putins Agenten, aber die Saat wurde von Kohl, Treuhand und zahllose Westdeutschen Politikern und Eliten gelegt. Ich habe oben bereits die Podcastfolgen verlinkt. Diese zeigen unaufgeregt Gründe für das Verhalten und wie der AfD kampflos das Feld kommunal überlassen wird.
Aber eine Externalisierung des Problems in Form vom Rausschmiss einiger Bundesländer soll „etwas bringen“? Schau dich mal in Europa um, würde ich sagen. Die Stabilität des Parteiensystems in der ehemaligen BRD wird zumindest in Europe zunehmend zur Anomalität. Da sollte man sich von oberflächlicher Symptombekämpfung nicht allzu viel versprechen.
Ich muss zugeben, das mir diese Idee doch zu radikal erscheint, um da jetzt mit rationaler Begeisterung argumentativ gegenhalten zu wollen.
Letztlich ist das eine Idee, die ja Putins Vorstellung einer multipolaren Welt sehr entgegenkommt.
Ein Europa (oder eine Welt) voller nationalistischer und isolierter Kleinstaaten, mit Russland als lenkende Ordungsmacht.
Keine wirkliche Lösungsoption.
Zudem mir dieses „passt jetzt nicht, trennen wir uns und machen einen Jägerzaun dazwischen“ als sehr bequem und spalterisch erscheint.
Im Grunde ja das was eine AfD und ein BSW auch verfolgen.
Bissl wie in der Ehe…wenn es schwierig wird, trennen wir uns.
Wow, Hauptzweck der Solidarität wäre es, weiter die Hybris zu unterstützen - sich selbst zu interpretieren. Das wäre ohne den solidaritätsbedürftigen Osten nicht mehr möglich.
Auch ich betrachte den Westen nicht als durchweg antifaschistisch. Aber die Problemdimensionen sind im Osten halt ganz andere, wie ich anhand von Wahlergebnissen belegt habe.
Kannst du den Erfolg der Nazis im Westerwald auch quantifizieren?
Dass es auch im Westen braune Flecken gibt, bestreitet übrigens niemand.
Bin wirklich der Letzte, der „Bimbes“ Kohl, der übrigens im Osten mehrheitlich lange wiedergewählt wurde, oder westdeutsche Eliten (pauschal) verteidigt, aber deinen Vorwurf solltest du schon substantiieren.
Bei allem, was Treuhand & Co. vielleicht oder tatsächlich falsch gemacht haben, steht für mich dennoch außer Frage, dass die DDR-Wirtschaft im Großen und Ganzen international nicht ansatzweise konkurrenzfähig war.
Eine Wahl von Rechtsextremen ist jedenfalls, wie schon gesagt, in keinem Fall dadurch zu legitimieren.
Man kann zumindest diese zunehmend von Westdeutschen gestellte Frage mal durchargumentieren.
Abgesehen vom Whataboutismus, den du hier fährst, folgt aus dem Sein kein Sollen und, ums mal mit einer polemischen Replik zu kontern, nur weil hundert Lemminge von einer Klippe springen, muss man ja nicht hinterherhechten.
Begeisterung ist ja nicht unbedingt nötig, um sich rational auf dieses Gedankenexperiment einzulassen.
Abspalterisch wäre eine Trennung zweifellos im Sinne des Wortes.
Aber gerade wenn AfD und BSW dies verfolgen, sollte man doch mit guten Argumenten gegenhalten können, oder?
Da könnte man jetzt auch sagen: Wenn die Ehe weitgehend zerrüttet ist, ist eine Trennung durchaus vorteilhaft.
Da hast du einen Punkt.
Da ich dir leider nicht folgen kann, wäre es nett, wenn du es mir so erläutern könntest, dass auch ich folgen kann.
Vielen Dank im Voraus!
Angesichts der Absurdität der Frage, die in diesem Thread diskutiert wird, kann ich gut damit leben, dass du meinen Einwand als „Whataboutism“ und „polemisch“ abtust. Viel Spaß noch und immer an die Titanic denken:
„Die endgültige Teilung Deutschlands - das ist unser Auftrag“ - Clodwig Poth