Guten Tag, ich höre sehr gerne euren Podcast und finde es gut, dass ihr euch schon seit langer Zeit mit der Schuldenbremse beschäftigt und sie auch kritisiert. (…) Vielleicht könnt ihr ja in Zukunft mal auf die Frage eingehen, ob Staatsschulden zurückbezahlt werden müssen oder nicht (Änd. durch Mod.):
Die Forderung, dass Staaten ihre Schulden vollständig zurückzahlen sollten, basiert auf einer falschen Analogie zwischen Staatsfinanzen und privaten Haushalten. Ein Staat funktioniert wirtschaftlich und finanziell ganz anders als eine Privatperson oder ein Unternehmen. Hier sind die zentralen Gründe, warum Staatsschulden nicht zurückgezahlt werden müssen:
- Staaten existieren (theoretisch) ewig
Während Privatpersonen und Unternehmen irgendwann ihre Schulden tilgen müssen, weil sie sterben oder Insolvenz anmelden können, existieren Staaten grundsätzlich unbegrenzt. Das bedeutet:
- Ein Staat muss seine Schulden nicht tilgen, sondern nur sicherstellen, dass er neue Anleihen aufnehmen kann, um alte zu ersetzen (Umschuldung).
- Die wichtigste Frage ist nicht, ob die Schulden zurückgezahlt werden, sondern ob die Zinslast tragbar bleibt.
→ Beispiel Deutschland:
Deutschland gibt regelmäßig neue Staatsanleihen aus. Wenn eine Anleihe fällig wird, wird sie durch eine neue ersetzt – die Schulden bleiben bestehen, aber das System funktioniert stabil.
- Schulden werden durch Inflation entwertet
Geld verliert durch Inflation kontinuierlich an Wert. Für einen Staat bedeutet das:
- Alte Schulden werden real weniger wert, weil zukünftige Staatseinnahmen durch Inflation steigen, während die Schulden nominal gleich bleiben.
- Wenn die Inflation höher ist als die Zinsen, die der Staat auf seine Schulden zahlt, werden Schulden über die Zeit automatisch abgebaut.
→ Beispiel Deutschland:
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die deutschen Schulden real viel geringer, weil das Wirtschaftswachstum und die Inflation die Schulden entwerteten. Auch in den 1970er-Jahren reduzierte Inflation die reale Schuldenlast erheblich.
- Wirtschaftswachstum reduziert die Schuldenquote
Die absolute Höhe der Schulden ist nicht entscheidend – wichtig ist das Verhältnis von Schulden zum Bruttoinlandsprodukt (BIP).
- Wenn die Wirtschaft wächst, steigen die Steuereinnahmen automatisch.
- Dadurch wird die Schuldenquote (Schulden/BIP) kleiner, selbst wenn der Staat keine Schulden zurückzahlt.
→ Beispiel Deutschland:
Nach der Finanzkrise 2008 stieg die deutsche Schuldenquote auf über 80 % des BIP. Durch starkes Wirtschaftswachstum sank sie aber wieder unter 60 %, ohne dass der Staat aktiv Schulden abgebaut hat.
- Schuldenbremse verhindert keine Schulden, sondern nur deren Wachstum
Die Schuldenbremse erlaubt es dem Staat weiterhin, sich zu verschulden – nur in begrenztem Umfang. Außerdem gibt es Ausnahmen, etwa für Krisen.
- Selbst mit Schuldenbremse bleibt der Mechanismus der Umschuldung bestehen.
- Auch mit Schuldenbremse kann der Staat alte Schulden durch neue ersetzen und über Inflation sowie Wachstum entwerten.
→ Bedeutung für die aktuelle Debatte:
Die Schuldenbremse zwingt Deutschland nicht dazu, Schulden zurückzuzahlen, sondern sie soll lediglich das Neuverschuldungsniveau begrenzen. Die steigenden Zinssätze machen neue Schulden zwar teurer, aber die Alternative – fehlende Investitionen in Infrastruktur, Klimaschutz oder Bildung – könnte langfristig noch kostspieliger sein.
Fazit: Staatsschulden müssen nicht zurückgezahlt werden – sie müssen gemanagt werden.
Staatsschulden sind kein klassischer Kredit, den man eines Tages tilgen muss. Vielmehr sind sie ein dauerhaftes Finanzierungsinstrument, das durch Umschuldung, Inflation und Wachstum in der Balance gehalten wird. Deutschland und viele andere Länder haben in der Vergangenheit gezeigt, dass hohe Schulden nicht problematisch sind, solange die Wirtschaft wächst und die Zinslast tragbar bleibt. Eine starre Fixierung auf Schuldenabbau kann dagegen zu wirtschaftlichem Stillstand und unterlassenen Zukunftsinvestitionen führen.