LdN316 - Autos, Verkehrswende und ländliche Gegenden

Ich fürchte bei eurer Analyse zur Bevölkerungsverteilung fehlt ein bisschen Kontext zu den Zahlen.
Längst nicht alle Menschen, die in Städten leben, wohnen in urbanen Gebieten, sondern z.B. ausufernden, dünn bebauten Wohnsiedlungen, die enorme Mengen an Autoverkehr produzieren.
Gleichzeitig ist nicht jedes Dorf komplett autoabhängig. Viele Dörfer die das Pech des Durchfahrtsverkehrs zweier benachbarter Städte haben, können sich zumindest mit einer Busverbindung im Halbstundentakt trösten und Dank reichlich Platz und großzügiger Förderprogramme verfügen nicht wenige Landstraßen mittlerweile über komfortable Radwege.
Dass in Dörfern auch Menschen wohnen, die sich kein Auto leisten können oder aufgrund ihrer Minderjährigkeit oder körperlichen Einschränkung keines fahren können, gibt Anlass zu der Vermutung, dass die selbstbekundete Alternativlosigkeit zum Auto der Landbevölkerung nicht nur mit den tatsächlichen Umständen sondern auch mit mangelnder Vorstellungskraft und Faulheit zu tun hat.

Ebenfalls erwähnen möchte ich, dass Park and Ride Angebote keine No-Brainer sind und man sorgfältig abwägen muss wo, wie viel und zu welchen Konditionen man den Park-Teil der Rechnung ermöglicht.

  1. Der Bau der Park Infrastruktur und eine gute Anbindung für den Autoverkehr verschlingt enorm viel Platz und Geld, das vielleicht da besser investiert ist, wo der ÖPNV die meisten Menschen erreichen kann.
  2. Statt den Bus ist der Blechlawine, die sich jeden Morgen zum Parkplatz schiebt stecken bleiben zu lassen, wäre es vielleicht sinnvoll Anreize zu schaffen, sich gleich in besagten Bus zu setzen.
  3. ÖPNV-Stationen können Mittelpunkte von Transit Oriented Development sein, das ist schwierig, wenn man die Gegend um eine Station mit Parkmöglichkeiten und Zubringern verbaut.
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Exakt die gleichen Dinge gingen mir auch durch den Kopf. Hier waren Ulf und Philipp meiner Ansicht nach maximal unterkomplex.

Und ich frage mich ob man das tut um einen Punkt gegen Wissing und sein Ministerium zu machen oder ob man denkt, man könne Dinge auf der Tonspur nicht komplizierter machen.

Auf jeden Fall finde ich sowas immer schade.

Edit: Ich wollte es genauer Wissen und habe daher einmal schnell die Verteilung der Menschen nach Stadt und Land ausgewertet. Turns out, während zwar etwa 3/4 der Deutschen in Orten mit Stadtrecht leben, lebt der Median-Deutsche in einer Stadt mit nur 30.000 Einwohnern, also durchaus ländlich. Wenn man in einer Stadt mit immerhin 150.000 Einwohnern wohnt (da beginnt bei mir auch das urbane Leben, da dort mehr oder weniger alles Wichtige, v. a. Arbeit, Kultur, Restaurants, gute ÖPNV Anbindung vorhanden ist), wohnt man besser als 73 % der deutschen Bevölkerung.

Ich fände es schön wenn ihr, @vieuxrenard und @philipbanse noch einmal kritisch darüber nachdenken könntet ob eure Definition von Städten tatsächlich eine vernünftige Basis ist.

Um maximal transparent zu sein habe ich das Notebook auf Google Colab bereit gestellt. Jeder kann damit den Code anschauen und ausführen.

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Wir haben das nicht ausführlicher besprochen, weil es uns nicht um die Bevölkerungsverteilung in Deutschland im Detail ging, sondern nur darum, dass Herr Wissing bei seiner These von falschen Voraussetzungen ausging.

Bei der Größe hast du aber schon ÖPNV und in den meisten Fällen alles Mögliche an Freizeit-, Einkauf- und Kulturangeboten, dass du nicht zwingend dauernd die Stadt verlassen musst.

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Das gestehe ich euch ja auch zu. Aber ich habe den starken Eindruck ihr fehlinterpretiert (mal wieder) eine FDP-nahe Aussage in eurem Sinne.

Aus der Antwort wird klar, dass es um urbanes Leben geht. Ihr bezieht euch jedoch auf eine technische Definition (basiert auf dem historisch erworbenen Stadtrecht) einer Stadt. Das ignoriert hingegen, dass etliche Städte sehr klein sind und keineswegs als urban bezeichnet werden können und ihre Bevölkerung nicht adäquat mit ÖPNV, Bildung, Gesundheitsversorgung und Kultur versorgen können. Aus eigenem Erleben kann ich hier Mühlenbeck in Brandenburg, Zörbig in Sachsen Anhalt und Schierke im Harz benennen. Selbst die Hochschulstadt Ilmenau in Thüringen kratzt hier nur an der Grenze.

Ich muss euch hier schon den Vorwurf machen eine Nonsens-Definition von Stadt gewählt zu haben um effektvoll dem Ministerium zu widersprechen.

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Fehler Nr. 1:

wir haben gar keinen eigenen „Sinn“. Wir berichten, was in diesem Fall ein Minister tut, und halten die Fakten dagegen, und das sind …

Fehler Nr. 2:

… nicht unsere Fakten, sondern es handelt sich um die Definition des Statistischen Bundesamts.

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Ich glaube @pitus wollte, ähnlich wie ich in meinem Post, zum Ausdruck bringen, dass man beim Hören über eure Argumentation stolpert.

Die Aussagen von Volker Wissing lassen erkennen, dass er eine Unterscheidung zwischen urbanen Raum und ländlichen Raum machen wollte, dafür aber unscharfe Begriffe verwendet hat.

Wenn ihr dann argumentiert, dass ja die Mehrheit der Menschen in Deutschland in Städten lebt und seine Argumentation schon deshalb keinen Punkt hat, dann ist das meiner Ansicht nach an einem relevanten Aspekt vorbei. Bzw. verschenkt man damit die Chance, Wissings Argumentation ernsthaft zu entlarven und trotzdem zum gleichen Ergebnis zu kommen.

Es stimmt ja, dass urbaner Raum andere Instrumente braucht, wie ländlicher Raum. Aber man muss das Eine tun, ohne das Andere zu lassen. Nichts zu tun, so wie es derzeit passiert, ist keinesfalls die Lösung.

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nein, weil die genaue Verteilung der Bevölkerung zwischen Stadt und Land völlig wumpe ist für unser Argument, dass eine Verkehrswende in den Städten den Menschen auf dem Lande jedenfalls nicht schadet.

Es geht hier um zwei verschiedene Punkte:

a) hat Wissing Bullshit geredet, als er von den Bevölkerungszahlen sprach, und

b) sind die Bevölkerungszahlen auch noch egal, denn wie die Verteilung auch sein mag - sie ist jedenfalls kein Argument gegen Verkehrsberuhigung in den Städten.

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Während ich euch bei b) im Ergebnis Recht gebe, finde ich die hier geäußerte Kritik an Punkt a) sehr nachvollziehbar und wundere mich etwas, dass ihr sie so stark abblockt.

Wissing sagt konkret: „Es leben immer noch mehr Menschen in ländlichen Strukturen, als in den urbanen Ballungszentren.“ Die Aussage von @pitus kann man ganz gut nachvollziehen anhand dieser Liste [1] von Groß- und Mittelstädten in Deutschland. Der genannte Median liegt in Deutschland demnach zwischen den Städten Hoyerswerda in Sachsen und Geestland in Niedersachsen. Das sind zweifelsohne Städte, aber keine davon würde ich als „urbanes Ballungszentrum“ bezeichnen. Geestland hat auf den ersten Blick noch nicht mal einen Bahnhof. Ich bezweifle auch, dass für diese beiden Städte die von Wissing angesprochenen Probleme (Parkplätze, Verkehr in der Innenstadt etc.) eine signifikante Rolle spielen.

Wissing vorzuwerfen, dass er hier die Unwahrheit sagt, oder Bullshit über Bevölkerungszahlen erzählt halte ich daher in der Tat für unangemessen.

[1]

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Genau darum geht es mir. Ich habe nicht selten den Eindruck, dass die LdN Definitionen heranzieht, die ganz offensichtlich eine andere Basis haben, als das die Aussage die sie zu kritisieren versuchen, um dann Bullshit oder Lügen vorzuwerfen. Zu anderen Ergebnissen zu kommen wenn ich anders definiere, ist hingegen völlig normal, und kein Grund jemanden der Lüge zu bezichtigen. Man sollte dann lediglich darüber diskutieren welche Definition besser ist.

Euer Weg mag medial ein ganz cleverer Move zu sein (Scandal sells), es vergiftet aber Diskurse wenn ich versuche Menschen zu widerlegen indem ich sie bewusst falsch verstehe statt inhaltlich ernsthaft auf sie einzugehen.

@vieuxrenard bitte versteht das nicht als Angriff eurer tollen Arbeit. Viel eher ist es ein Verbesserungsvorschlag, damit ihr noch tollere und vor allem konstruktive, zur Diskussion geeignetere, Inhalte produzieren könnt.

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Zumindest ist es denke ich bei der Größe durchaus Wert, darüber nachzudenken, dass man diese Städte so umbauen könnte, dass die Menschen nicht mehr zwangsläufig auf ein Auto angewiesen sind.

Was übrigens glaub ich in der Lage Folge weggelassen wurde ist, dass Wissing an einer anderen Stelle als Beispiel Hamburg genannt hat, die autofreier werden wollen und sich indirekt drüber lustig gemacht hat. Und Hamburg ist nun echt keine Stadt mit nur 30.000 Einwohnern. Und ich weiß auch nicht, was Hans Werner in Hoyerswerda davon hat, dass Hamburg nicht autofrei ist…

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Volle Zustimmung. Ich würde sogar hinzufügen, dass JEDE Ortschaft darüber nachdenken sollte was man tun kann um den Bürgern ein autoarmes Leben zu ermöglichen.

Ja das kam mir auch in den Sinn, allerdings an der Stelle als sich Ulf und Philipp darüber lustig machten, dass das Verkehrsministerium behauptet Städte würden Parkraum reduzieren wollen usw…

Tatsächlich wollen natürlich EINIGE (sicher nicht alle) Städte dies tatsächlich, beispielsweise Großstädte wie Hamburg und Berlin. Sicher aus gutem und unterstützenswerten Grund.

Aber auch hier ist die Darstellung der Lage ebenso undifferenziert gewesen

Weiterhin kann man sich nur wundern was Herr Wissing denn denkt was die Städte fordern? …

wie die Aussage des Verkehrsministerium selbst.

Es gibt viele Menschen, die in einer Stadt maximal rural leben.
Ein Beispiel:
Im Südosten Berlins wohnen am Zeuthener See ein paar hundert Menschen. Zum nächsten Supermarkt, Arzt/Ärztin oder Schule sind es 8km - oder über eine Stunde mit ÖPNV.
Diese Menschen sind zwar Berliner:innen, aber auf ein Auto angewiesen.

Es schliesst sich nicht gegensätzlich aus, dass über 50% ländlich und 77% in Städten leben. Die Kombination aus beidem geht - sogar in Berlin.
Noch ein Fun Fact: Die kleinste Stadt Deutschlands (Arnis, in der Nähe von Kappeln) hat gerade einmal 300 Einwohner. An dieser Stadt ist nichts urban.

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Stimmt nicht ganz. Zum nächsten Supermarkt und Hausärztin sind es etwa 4.5 km. Das lässt sich ganz gut mit dem Rad erst Recht mit einem E-Bike bewerkstelligen. Alternativ fähr alle 20 min. ein Bus, der bis zu besagtem Supermarkt und Hausärztin 12 min. fährt.
Davon mal abgesehen finde, ich dass jemand der so abgelegen Wohnen möchte auch damit Leben muss, dass alltägliche Wege etwas länger dauern.
Dass jeder, der am Zeuthener See wohnt, pauschal auf ein Auto angewiesen ist, halte ich für Unsinn.

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Wenn man an einem schlecht angebundenen Ort wohnt, sind höhere Parkplatzpreise beim Arzt doch locker durch niedrigere Mieten ausgeglichen. Zusätzlich kommt man beim 8 km entfernten Arzt doch viel entspannter an, wenn die Mobilitätswende gelingt und dort weniger Stau ist.

Ich weiß, dass viele Leute an soetwas nicht denken, aber mir würde es nicht in den Sinn kommen für so eine Distanz ein anderes Verkehrsmittel als das Fahrrad zu verwenden :slight_smile:

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Das war doch gar nicht der Punkt von @talk. Es ging darum, dass man trotz Städter-Status sehr rural leben kann und damit die in der Lage genutzte Definition (75% leben in Städten) unbrauchbar ist.

Darüber hinaus mag man zwar wie du argumentieren, dass man in die Stadt ziehen könnte und das Leid selbst gewählt ist. Aber können wir uns eine noch stärkere Verstädterung leisten? Gerade Großstädte mit Pull-Wirkung sind ja bereits an der Kapazitätsgrenze.

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Könnten wir durchaus. Wie du ja selber festgestellt hast, sind Städte in Deutschland nicht nur Hamburg, Berlin und München. Wir müssten halt auch mal anfangen höher zu bauen, Leerstand zu reduzieren und unsere Wirtschaft besser auf mehrere Städte verteilen, anstatt dass sich die Wirtschaft wie aktuell immer mehr auf ein paar wenige Großstädte konzentriert.

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Ich glaube wir tun uns in der Diskussion einfacher, wenn wir uns darauf einigen können, dass dieser Punkt nicht angezweifelt wird. Die Kritik in diesem Thread richtet sich nach meinem Verständnis gegen den Fake-News Vorwurf an Wissing, der am Ende aber auf einen Strohmann zurück geht, weil er von urbanen Ballungszentren - also Metropolen, mindestens aber Metropolregionen - nicht aber von der Gesamtheit aller Städte spricht, was auch aus dem Kontext klar hervorgeht.
Um die Diskussion ein bisschen voran zu treiben: was die Analyse der Bevölkerungsverteilung ja ganz gut zeigt ist, dass Hans Werner aus Hoyerswerda nicht nur der Medianbürger ist, sondern auch die häufigste Wohnsituation in Deutschland repräsentiert (Städte mit 20k bis 50k Einwohner). Der Aspekt kommt m.E. häufig zu kurz, wenn es um die Verkehrswende geht. Hier werden oft nur die Probleme großer Metropolen und winziger Dörfer angesprochen und nicht die anders gelagerten Probleme von Hans Werner.

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Ich bin da bei dir, das war ja das, was ich auch vorher geschrieben habe, dass auch in diesen Städten einen Verkehrswende möglich wäre.
Wäre mal ganz interessant zu wissen, wie viele dieser 20k bis 50k Städte es in Deutschland gibt, wie viel Prozent davon heute schon einen Bahnanschluss haben und bei wie vielen es mit vertretbarem Aufwand möglich wäre sie ins Bahnnetz zu integrieren.

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Ich bezog mich nur auf die in Berlin- also auf der Ostseite des Sees lebenden Personen. Und die sind >8km von der „Zivilisation“ entfernt. Und das als Berliner:Innen.
Selbst die von dir angesprochenen 4km zur nächsten Apotheke, zur nächsten niedergelassenen Ärzt:In oder zur nächsten Amazon Packstation würde ich schon als rural definieren- aber da haben wir wohl alle unsere eigenen Grenzen :slight_smile:

Das Beispiel hatte ich nur angeführt um zu zeigen, dass man auch in einer als extrem urban angesehenen Lebenswelt super ländlich leben kann und der empfundene Gegensatz von „in Städten lebend“ und „auf dem Land lebend“ eine hohe Schnittmenge aufweist, die nicht so messerscharf trennbar ist, wie in der Lage insinuiert.

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