Im Thema „Klimanotstand - Handeln jetzt!“ haben sich durch eure lebendige und engagierte Diskussion einige Unterthemen ergeben. Eine Differenzierung lohnt sich aus meiner Sicht, damit das Thema wieder übersichtlicher wird und den Leser*innen ermöglicht, einzelnen Diskussionssträngen zu folgen.
Hier soll es nun um die Frage gehen, ob Klimaschutz nur gegen wirtschaftliche Interessen funktioniert, ob er der Wirtschaft zwingend schaden muss und wird oder ob es auch möglich ist, beides zu verbinden.
Hier einige Beiträge aus dem alten Thread „Klimanotstand - Handeln jetzt!“:
https://talk.lagedernation.org/t/klimanotstand-handeln-jetzt/18098/121?u=margarete_amelung
Meine Sicht: Der Traum vom Wachstum ist ausgeträumt - zumindest für die westlichen Ländern, deren Wachstum bisher den Hauptteil der CO2-Emissionen verursacht hat.
Wir leben auf einem begrenzten Planeten mit begrenzter Atmosphäre und begrenzten Ressourcen.
Wenn es weiterhin Wachstum geben soll, dann doch bitte Wachstum „an den richtigen Stellen“:
- Wachstum an Lebensqualität durch kurze Wege, Bewegung an der frischen Luft, intakte Natur
- Wachstum an Gesundheit durch bessere Lebensqualität
- Wachstum an sozialem Austausch (z.B. in autofreien Zonen, durch langsames Fahren, durch eine Wirtschaft des „Teilens“ statt „Besitzens“ und Verbrauchens
- Wachstum an Gerechtigkeit, Abnahme der Schere zwischen Arm und Reich
- Wachstum an Mitsprache
- Wachstum in Entwicklungsländern sofort mit erneuerbaren Energien und ortsnahe, dezentrale Prozesse
…
Es wird weiterhin Wirtschaft geben. Aber vielleicht eine andere?
Es gibt zur Frage, ob wir mit einer kapitalistisch bzw. marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaft überhaupt die Beschleunigung des Temperaturanstiegs werden (…) ausbremsen können, bereits eine lange Diskussion:
Leider gibt es dazu keine eindeutige Antwort, sondern nach meiner Wahrnehmung zwei Denkschulen:
- Green Growth: Aus quantitativem Wachstum, bei dem immer mehr Ressourcen verbraucht werden, muss qualitatives Wachstum werden, bei dem eingesetzte Ressourcen immer wieder verwendet werden (Kreislaufwirtschaft).
- Degroth: Es geht nur mit Schrumpfen, Verzicht, Zurück zum Lebensstandard der 70er (Ulrike Herrmann). Und da Marktwirtschaft nicht ohne Wachstum funktioniere, bräuchten wir ein alternatives Wirtschaftssystem.
Ich kann die Argumente des „Wachstumszwang“ der Marktwirtschaft auch nach langer Diskussion immer noch nicht nachvollziehen:
Entweder, es wird marxistisch argumentiert: Der Unternehmer strebe immer nach der Akkumulation von Vermögen. Dieses Menschenbild von Geiz und Raffgier in jedem Unternehmer hält empirisch nicht stand. Es gibt zahllose Berichte über solche Unternehmer - wie viele davon falsch sind, wissen wir nicht. Aber über die restlichen 95% der Unternehmer, die kleine und mittelständische (und durchaus aus Groß-) Unternehmen oder oder weniger erfolgreich führen berichtet eben keiner. Gerade in Deutschland interessiert sich kaum jemand für Unternehmertum.
Oder es wird vermeintlich volkswirtschaftlich argumentiert: Investitionen werden über Darlehen finanziert und kosten Zinsen. Daher wäre der Unternehmer gezwungen, seine Produktion ständig wachsen zu lassen. Vor allem diesen Punkt kann ich als Volkswirt nicht verstehen: Investitionen lohnen sich immer dann, wenn der Deckungsbeitrag aus den Erlösen auch die Finanzierungskosten deckt. Solange dem so ist, braucht der Unternehmer eben nicht ständig steigende Erlöse, um angeblich ständig steigende Zinsen bezahlen zu können.
Was m.E. wirklich dringend notwendig ist, ist eine Ordnungspolitik, die möglichst alle externen Kosten (also Kosten, die Investitionen oder Konsum erzeugt, aber nicht vom Unternehmer bzw. Verbraucher, sondern von der Allgemeinheit getragen werden) zu internalisieren (d.h. erzwingen, dass der Unternehmer bzw. der Verbraucher die externen Kosten eben doch trägt). Beispiel: CO2-Preis, z.B. durch CO2-Zertifikate. Wenn dieser CO2-Preis die wahren gesellschaftlichen Kosten durch die Emission von CO2 widerspiegelt, dann wird die „Ressource Atmosphäre“ deutlich weniger Anspruch genommen.
Wenn der Unternehmer oder der Konsument auch die Kosten der Entsorgung tragen muss (und nicht die Gesellschaft, schon gar nicht die Entwicklungsländer oder die Meere), würde sehr viel mehr recycelt. Würden die Fischer die gesellschaftlichen Kosten der Überraschung tragen müssen, würden sehr schnell sehr viel weniger Fisch konsumiert (weil der Fischer diese Kosten auf die Fischpreise aufschlagen müsste). Würden die Landwirte die gesellschaftlichen Kosten der Nitratbelastung von Böden und Gewässern tragen müssen, … usw.
Die Einnahmen aus diesen „Preisaufschlägen“ müssten über eine Pro-Kopf-Zahlung (vergleichbar der Klimadividende) an alle Bürger verteilt werden, um die mit der Änderung der (relativen!) Preise einhergehende soziale Verschlechterung zu kompensieren. In aller Regel wäre das auch gleich eine „Umverteilung von oben nach unten“, weil die „oben“ nun mal weit überverhältnismäßig von den externen Kosten ihres Konsums „profitieren“ und durch die „Preisaufschläge“ daher erheblich mehr belastet werden.
D.h., der Staat muss sehr viel stärker in die Wirtschaft eingreifen, aber eben mit marktwirtschaftlichen Instrumente (d.h. über den Preis bzw. über die Veränderung der relativen Preise). Wir müssen daher endlich weg von der unseligen Diskussion „Staat vs. Wirtschaft“ hin zu „Wirtschaft und Staat“: Wir bauchen Unternehmer, denn kein Wirtschaftssystem schafft es, so schnell und mächtig auf die Herausforderungen zu reagieren wie die Marktwirtschaft. Und wir brauchen einen starken Staat, um die Korrektur der relativen Preise um die externen Kosten durchzusetzen.