Warum gibt es so viele „Enttäuschte“, siehe aktueller Höhenflug der AFD

Falls ich das falsch lese, bitte ich um Entschuldigung:

Die Frustrationspunkte sind so formuliert als würden sie auf ein besseres „Früher“ verweisen (nur mehr… nicht mehr).

Alle aufgeführten Punkte sind allerdings so in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik immer präsent gewesen. Weder sind die Politiker*innen heute korrupter oder mehr an Machterhalt interessiert, noch gab es jemals eine Rücktrittskultur in Deutschland.

Daher würde ich sagen, dass die Ursache woanders liegen muss, aber nicht im Verhalten der Parteien. Vielleicht haben sich unsere Ansprüche verändert?

Meine These zu „früher“: Ein großer Teil der heutigen AfD-Wähler*innen wurde dadurch verschleiert, dass sie im großen, konservativen Zelt der CDU/CSU verschwanden (-minus 5% für rechtsextreme Parteien). Der Unterschied ist vor allem, dass diese Wählergruppe jetzt einen eigenen Balken im Sonntagsfragen-Diagramm hat.

Wenn wir die Befragungen ernst nehmen, dass 50% der AfD-Wählenden Protestwähler*innen sind… und das vorsichtig aufnehmen… also sagen von 19% sind es 7%, dann hätten wir noch 12% AfD. 4% würde ich abziehen, weil seitdem die AfD exisiert alle anderen rechten Parteien quasi bedeutungslos wurden und diese Menschen jetzt AfD wählen. Bleiben 8%… sieht man sich frühere Wahlergebnisse der CDU an 35-45%… und heute 29%… sehe ich gar kein so großes Rätsel.

Die AfD vereint:

  • frühere Rechtsextrem-Wählende
  • „schwer konservative“ rechte Wählende (teilweise auch Nichtwählende darunter)
  • und Protestwählende, die offenbar nicht die CDU wählen für ihren Protest

Zur Wahlbeteiligung zwei Punkte:

  • Die Wahlbeteiligung ist im Vergleich zu den frühen 2000er Jahren bei den letzten beiden Bundestagswahlen sogar wieder gestiegen (auch wegen der AfD).
  • Zudem ist die Gruppe der Nicht-Wählenden in ihren Ansichten sehr heterogen, weshalb gar nicht direkt gesagt werden kann, ob sie für oder gegen bestimmte Maßnahmen ist, außer es wird direkt erhoben.
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Ich denke Punkt 1 sollte sein, sich klar zu machen, dass der Anteil an Wählerinnen, die offen für rechtspopulistische Positionen sind, lange in Deutschland verschleiert wurden, dadurch das CDU und CSU diese Wählerinnen an sich gebunden hatten (abgesehen von ca. 5% die immer mal wieder für rechtsextreme Parteien stimmten).

Neu ist also vor allem, dass sie eigens im politischen Balkendiagramm auftauchen. Sie sind also sichtbarer, nicht mehr als früher, wäre meine These 1.

Punkt 2 wäre für mich zu realisieren, dass es eine Reihe von Themen gibt, die heute nur noch von Rechtspopulist*innen vertreten werden, die lange Zeit bis in die Mitte der CDU hinein vertreten wurden. Sprich, es gab in den vergangenen 50 Jahren viele, viele Umwälzungen, die zu einer liberaleren Gesellschaft geführt haben. Das bei dem Tempo der Anteil derer wächst, denen es zu schnell geht, scheint mir selbstverständlich.

Punkt 3 wäre, dass, soweit ich das überblicke, in allen Demokratien mit der Zeit die Unzufriedenheit mit der Regierung wächst. Egal ob rechts oder links an der Macht ist oder eine große Koalition, stets wächst mit der Zeit der Anteil der Unzufriedenen. Meiner Meinung nach liegt das auch daran, dass weniger politisch (aus)-gebildete Menschen Entwicklungen der Regierung zuschreiben auf die diese kaum Einfluss hat. Beispielsweise werden weltweit Regierungen für die Inflation verantwortlich gemacht, rechte wie linke, obwohl die Inflation alle westlichen Industrieländer erfasst hatte.

Sprich: ich finde es nicht überraschend, dass eine links-liberale Regierung, die Cannabis legalisiert, Einbürgerung erleichtern will, das Selbstbestimmungsrecht fördert und ernst(er) mit Umweltschutz macht, den rechten Rand stärkt.

Was mich mehr besorgt ist, dass die CDU/CSU unter Merz immer (rechts-)populistischer wird und offenbar beschlossen hat, den Kulturkampf der Republikaner nachzuahmen anstatt ihre Verluste nach rechtsaußen und in die Nichtwähler*innenschaft mit seriöser Oppositionsarbeit zu stoppen.

Punkt 4 wäre: Ich sehe es nicht als Aufgabe der Nicht-Populistinnen an, alle mitzunehmen. Den Populismus zurückzuweisen ist eine Aufgabe der Parteien, ja, aber auch der Medien und der Bürgerinnen selbst.

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Finde das hast du gut umschrieben. Bin nur nicht sicher, ob jemand wirklich die Grünen für die „Aufrechten“ hält. Den Begriff „dekarbonisierten Kapitalismus“ finde ich auch passend. Denn der unterscheidet nämlich zu den Verzichtsprogramatikern und Degrowth-Theoretikern.

Auch deiner Sicht zur SPD kann ich folgen. Ich befürchte denen fehlt einfach die Kompetenz. Auch wenn Leute wie Kühnert den Durchblick haben, sind typische Genossen eher sozialorientiert und weniger Technik affin. In der Breite versagt die SPD deshalb im Klimaschutz. Und Scholz ist halt eine Mischung aus Merkel( nichts tun) und …bin nicht sicher. Wollte schon schreiben Kumpel der Banken, glaube aber das wäre nicht fair. Sein größtes Bestreben ist es wohl die FDP zu halten, um selber an der Macht zu bleiben

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Auch Grünen-intern sind viele Leute an Eigenheim, Auto, Grundstück und so verbunden und wollen nur Klimaschutz wenn es kein weh tut. Es gibt da keinerlei Tragfläche für Ökosozialismus also muss man sich nicht wundern wenn überwiegend Ökofaschismus rauskommt.

Sehr komisch. Wo ist das Geld hingeflohen?

Ohne ordentlich greifende Vermögenssteuer bleibt fest stehen dass r > g.

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Es gibt durchaus staatliche Eingriffe durch explizite oder implizite Verbote.

Das stimmt alles. Ein guter Manager wird natürlich versuchen, wahrscheinliche Entwicklungen vorauszusehen. Da haben sich viele aber auf die schlafwandlerischen Politik der Merkel-Jahre verlassen anstatt die Augen aufzumachen.

Die allgemein menschliche Komponente des Wirtschaftsgeschehens zu überblicken wäre halt auch eine gefragte Fähigkeit einer Managerin, auch wenn deren Früchte länger brauchen und deshalb so wenig beachtet werden in der schnelllebigen Geschäftswelt. Aber wenn sie mit dieser teilweisen Ignoranz mal wirklich auf die Nase fallen - kein grosses Mitleid meinerseits.

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Daher kommt der Begriff „Steuern“, da sie das Verhalten steuern sollen. Ohne Verbote macht jeder, was er will. Aber gerade bei der Heizung wird halt Mist erzählt. Da sind die Änderungen schon längst beschlossen. Habeck hat nur den Beginn von 2026 auf 2024 vorgezogen.

So als finales Fazit ist wohl der Mensch an sich das Problem:

Wenn es allen Menschen gut geht, werden einige Menschen sehr unglücklich sein.

Wenn du meinst CO2 sollte nicht „verboten“ werden weiß ich auch nicht mehr weiter.
Gasheizungen an sich sind nicht verboten

Ich möchte hier gern nochmal dem in Union und FDP verbreiteten Framing „Grüne sind ideologisch“ etwas entgegensetzen. @pitus hat das in einem anderen Thread so gut formuliert, dass ich ihn zitieren möchte:

Bei Ideologie handelt es sich um eine Weltanschauung einer sozialen Gruppe. Das ist quasi eine Meinung, verbunden mit einer Prioritätenhierarchie, auf die sich die Gruppe grundlegend einigen kann. Ich sehe da nichts verwerfliches dran.

Was Union und FDP eigentlich meinen ist: „dogmatisch“ (habe ich auch von @pitus). Und ob man „die Grünen“ als „dogmatisch“ framen kann, darüber lässt sich sicherlich viel und gut streiten. Ich würde das den Grünen nicht grundsätzlich anlasten.

Aber es blitzt immer mal wieder durch. Ich habe gestern abend in der Kneipe ein weiteres Beispiel gehört: Auch in Hamburg durften anlässlich der Coronapandemie viele Gastronomen die öffentlichen Flächen vor ihrem Restaurant bestuhlen. Alle fanden das klasse (ja: bis auf die Anwohner). Es ist für alle eine Bereicherung ihrer urbanen Lebensqualität.

Der Besitzer des Restaurant erzählte, die zuständige Grüne im Bezirksamt das rückgängig machen will. Angeblich, weil es ihr „zu kietzig“ ist (Definition Kietz: hier). Ich weiß nicht, was das heißen soll und auch nicht, ob die Begründung überhaupt stimmt - wenn ja, dann ist das dogmatisch. Fakt ist, dass diese und sehr viele andere Restaurants einen erheblichen Anteil ihres Umsatzes verlieren werden. Der Besitzer des Restaurants sagte: „Dann muss ich dicht machen“. Das wird mutmaßlich vielen Gastronomen so gehen.

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Aber die Lebensqualität der Anwohner steigert sich immens durch die zusätzliche Ruhe. Ich dachte die Lebensqualität ist das Hauptargument für lebenswerte Innenstädte.

Lebensqualität definiert sich immer individuell.

Das ist wohl kaum allgemeingültig zu definieren

Klingt hier im Forum aber bei anderen Themen sehr anders ^^

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Die Süddeutsche Zeitung hat ein Essay über Besteuerung Reicher veröffentlicht.
Darin heißt es:

Viele Menschen bezweifeln den Nutzen der Demokratie. Sie meinen, es gehe unfair und ungerecht zu. Die Stimmung, auch in der deutschen Gesellschaft, ist aggressiv, die Debatten sind unversöhnlicher als früher.

Einfache Botschaften, in denen auch die ungleichen Vermögensverhältnisse mitschwingen, erreichen ihr Ziel. Motto: Welcher Normalhaushalt kann sich überhaupt eine Wärmepumpe leisten? Antwort: Kaum jemand, die Sehr-gut-Verdiener und reichen Erben haben gut reden.
Ähnliche Argumente auch in der Klimapolitik: Normalverdiener sollen weniger Auto fahren – und was machen die Milliardäre?

Damit schlägt die SZ eine Brücke, dass die aktuellen Debatten gezielt von Populisten als Klassenkampf missbraucht werden. Im Wir-Gegen-Die bleibt nur eine Möglichkeit. Die Regierung muss bestraft werden für ihr benachteiligendes Verhalten. Details sind da nicht mehr relevant und nur störend.

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Ich finde das Thema nicht extrem wichtig und ich finde es nicht gut, dass du es als Klassenkampf abtust. Ich gehe voll mit, dass zunächst die Schere zwischen Arm und Reich angegangen werden muss und dann kostenintensive Maßnahmen.

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Ich weiß, dass unsere Meinungen sich da unterscheiden. Ich sehe im Gesetzentwurf nicht das Drama, das hier gemacht wird. Aber vielleicht übersehe ich auch etwas. Das soll jetzt aber keine neue Wärmepumpen Debatte starten.

Es geht mir nicht nur um den einen Entwurf, sondern um die wachsende Ungerechtigkeit bei den Vermögen. Das muss dringend abgegangen werden. Nur so gräbt man Populisten das Wasser ab. Wie kann ich immer mehr Belastungen einfordern ohne etwas gegen diese Ungerechtigkeit zu tun? Natürlich kocht das dann immer mehr hoch und es kommt Widerstand. Die denen es sehr sehr gut geht macht es nichts Maßnahmen durchzuführen und noch die Förderung einzustreichen.

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Ja, darüber handelt der Artikel. Und dass es dringend Zeit wird, Vermögen zu besteuern. Ich habe zwei freie Wähler in der Familie, die vom Parteitag mit Plakaten „Erbschaftsteuer abschaffen“ zurückkamen. Ich habe da echt üble Diskussionen hinter mir. Aber (nicht nur) die AFD nutzt aktuelle politische Themen, um sie entsprechend zu instrumentalisieren. Dann wird zum Beispiel argumentiert, dass man es gar nicht einsehe, Klimaschutz zu betreiben, wenn „die Reichen“ einfach so weitermachten wie bisher. Das verkennt zum einen, dass es durchaus Reiche gibt, die sich für Klimaschutz einsetzen und dass es beim persönlichen Klimaschutz halt völlig egal sein sollte, was andere tun, da geht es um einen selber.

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Das die Schere zwischen „Arm und Reich“ immer weiter auseinandergeht, ist sicher ein gesellschaftliches Problem insbesondere zum thema Gerechtigkeitsempfinden.
Andererseits ist es ja offenbar ein Effekt des Leistungsprinzips unserer Gesellschaft, das ja immer noch so propagiert wird, insbesondere von FdP und CDU/CSU.
Credo: wer mehr leistet, verdient auch mehr.
Das mag auch einige Jahrzehnte gut funktioniert haben, spätestens mit dem über allem stehenden Prinzip der Gewinnmaximierung konterkariert dieses Leistungsprinzip sich selbst.
Daher häufen einige wenige überdurchschnittlich viel Geld an, teils auch über Gehälter, die man als überzogen ansehen kann für die gebotene Leistung, andere schuften nicht minder und tragen auch gravierende Verantwortung, kommen mit einem Gehalt kaum über die Runden.
Der Hinweis, können doch alle studieren, ist da meiner Meinung nicht zielführend. Ein Überangebot an Akademikern führt nicht zwangsläufig zu höheren Gehältern. Und bringt uns nicht zwingend vorwärts, wenn ein Jurist die Mülltonnen abholt, wril sonst keiner mehr da ist.
Aber ja, in diesen Punkt schürt auch die AfD Unfrieden. Allerdings ohne konkrete Lösung.
Daher frage ich mich schon, was man da von der AfD eigentlich genau erwartet?