Suffizienz - die vergessene dritte Säule der Nachhaltigkeit

Es gab schon einen thread zur Suffizienz:

Der ist aber wieder eingeschlafen und hat damit das gleiche Schicksal genommen wie der Begriff selbst.
Ich greife gerne eine damalige/dortige Idee auf, das Thema als Vorschlag zu platzieren.

Bei einer kleinen Vorrecherche bin ich auf folgendes umfangreiches wissenschaftliche Paper gestoßen.

In meinen Augen besonders interessant: Dort gibt es in Tabelle 1 die Suffizienzstufen auf der Basis von Eingriffstiefe.
Stufe S1 ist keine bis geringe empfundene Einschränkung bzw. Aufwand

Immer wenn ich höre, dass Suffizienz ausschließlich negativ bewertet wird fallen mir Güter ein, auf die ich gerne verzichten würde:

  • Werbung - sei es auf youtube, im Web oder die Papierflut im Briefkasten.
  • Geräte kaufen müssen, weil sie nach kurzer Zeit unbrauchbar (gemacht) werden

Vielleicht gibt es noch mehr Dinge, deren Verzicht die Lebensqualität verbessern würde. Bin gespannt ob anderen noch mehr einfällt.

Wenn ich mir vorstelle, wieviel Energie, Ressourcen und Arbeit da reinfließen und dann noch „Fachkräftemangel“ höre, komme ich mir vor, wie in Schilda.

Auf jeden Fall halte ich es für sinnvoll, den Begriff zu beleben und positiver zu besetzen. Mir scheint das Tabu um diesen Begriff eine weiteres Mittel der Verzögerung des Umbaus zu einer nachhaltigen Gesellschaft zu sein.

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Sehr wichtiges Thema! Das „Vergessen“ ist leicht erklärlich. Weil Suffizienz - oder sagen wir Genügsamkeit - so negativ besetzt ist, Handlung erfordert, und im weitesten Sinn ein „weniger“ ist, also Verzicht. Man kann das im Privaten wunderschön mit Gewinn an Lebensqualität, Zeit, Gesundheit, Autonomie, Naturschutz, Achtsamkeit und vieles mehr bewerben, aber ein Massenerfolg wird daraus nicht. Die grosse Mehrheit der Leute hängt an Gewohnheiten, so unsinnig sie sein mögen, und wenn sie wirklich bequem sind, wird es ganz schwer. Deshalb scheut die Politik vor einer Regulierung zurück, obwohl Regulierung wahrscheinlich die einzige Möglichkeit ist, eine Wende zu schaffen.
Danke @Friedolino für die interessante Quelle!
Das Einsparungsgrössenverhältnis zwischen Haushaltselektrogeräten (Suffizienzstufe 3 und 4, grösstmöglich) jährlich und nur einem Interkontinentalflug von 1 : 20 ist deprimierend. Da könnte man sich das kleinliche Popeln mit Induktionsherd und im Winter Lebensmittel vor dem Fenster kühl halten sparen! Einfach nicht fliegen hätte null Eingriffstiefe, ausser einer eingebildten. Und ähnliche Einbildungen sind schwere ideologische Brocken im Weg der Wende, wie dicke Autos (fast schon egal ob Verbrenner oder E) und übermässiges Essen (Fleisch). Wenn man diese grossen Sektoren reguliert, könnte man das kleine Private dem gegebenen Grad von Idealismus der Leute (auch gut) überlassen, um die Zahl der Verbote klein zu halten.

Das Sparen beim Kochen bringt nichts, weil fliegen mehr verbraucht, entspricht aber ehrlich gesagt genau dem 2%-Argument der Klimaleugner.
Und die Eingriffstiefe beim Fliegen hängt stark von der Migrationsgeschichte ab.

Wenn die anderen beiden Säulen nicht ausreichen, ist schlicht abzuwägen zwischen Suffizienzmaßnahmen und Klimaanpassungsmaßnahmen. Das Pareto-Optimum liegt vermutlich näher bei der Suffizienz.

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Da macht es aber die Menge.

20 Mio Haushalte und du hast das Äquivalent von etlichen Flügen gespart.

Und nein das ist kein Argument für’s Fliegen ^^

PS: man könnte ja mal auf die DDR schauen:

Aber da war ja alles schlecht …

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Schöner Beitrag. Sehr interessant, dass man es dort geschafft hat, Rahmenbedingungen zu entwickeln, die langlebige Produkte fördern, und dass im Westen schon damals Verschwendung notwendige Bedingung für wirtschaftliche Erfolg war.

Schade, dass wir angesichts der durch die planetaren Grenzen bedingten Mangellagen trotzdem die Rezepte der (vermeintlichen) Überflussgesellschaft weiter verfolgen.

Allein, dass viele Einrichtungsgegenstände im Haushalt als Konsumgüter gelten und nicht als Gebrauchsgüter sollte stutzig machen. Der gefühlte Zwang zum regelmäßigen Wegwerfen und Neukaufen vieler Produkte sollte jedem angesichts der Lage falsch vorkommen. Dass dem nicht so ist, kann ich mir nur mit einer vernunftmarginalisierenden Sozialisierung erklären.

Es ist die Sozialisierung von immer alles verfügbar und nie etwas alle.

Es ist ja heutzutage schon eine Katastrophe wenn Frischwaren 5 Minuten vor Ladenschluss ausverkauft sind.

Da fangen Leute an sich zu beschweren.

Schade auch das viele Ostdeutsche inzwischen die Flexibilität aufgegeben haben die die Mangelwirtschaft antrainiert hatte: aus dem was dar war irgendwas zu machen.

So meinte ich es nicht. Natürlich soll man überall sparen, aber den ganz grossen Brocken ausser Acht zu lassen ist fatal. Da steckt schon auch dahinter, dass eben viele gebildete und gutwillige Menschen das Reisen zu ihrem Lebensstil gehörig ansehen, aber die Wirkung des Fliegens verdrängen oder durch die besagten kleinen Einsparungen glauben kompensieren zu können. Da wirken eben die kleinen Massnahmen so winzig und traurig.

Ja, aber beim Fliegen macht es auch die Menge. Wenn nur der Jetset von einst fliegen würde, wäre es ja fast egal. Betrachte eine Familie. Mit einer Flugreise nach USA hat sie die strengsten Sparbemühungen von 20 Jahren aufgewogen. Und wenn die Familie oder ein Mitglied der Familie jedes Jahr nur eine Flugreise macht (oft sind es ja mehr), dann wird es eben so schwindelerregend viel.

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Das ist nun mal ein echter Punkt für den Osten. Auch wenn die Unterschiede bis in die 80ziger vielleicht nicht gar so groß waren

Das ist in dieser Allgemeinheit vermutlich nicht richtig. Ein Flug in die USA und zurück liegt bei etwa 4-5t. Allein mit einer vegetarischen Ernährung spart man im schnitt 2t pro Jahr. Das allein braucht nur 2-3 Jahre. Wenn Sparbemühungen natürlich im Sinne „stets bemüht“ a la „ich mache jetzt das Licht aus, wenn ich für länger weg bin und dreh die Heizung beim Lüften ab, mehr geht nicht“, gemeint ist, hast Du vermutlich recht.

Was ich aber gerne nochmal betonen möchte. Um eine Reduktion zu erreichen kann man einen Mehrverbrauch nicht mit Wenigerverbrauch an anderer stelle kompensieren. Es ist ein Wenigerverbrauch an beiden stellen notwendig.

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Das PDF ist super.
Erstaunlich, dass es schon zehn Jahre alt ist…

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Wo wir wohl wieder beim Thema wären, welche Themen wie viel Lobby bekommen.

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Das ist auch gut so, dass der Bergriff nicht mehr aufgetaucht ist. Er ist schlicht überflüssig und bringt bestenfalls die Leute durcheinander.
Also ich habe die 23 Seiten gelesen, in der Hoffnung was neues zu entdecken.
So kann man Suffizienz einfach in Sparen umbenennen. Da muss keiner im Duden nachschlagen um was es geht.
In der Praxis gehören viele zu den Suffizienz Spezialisten. Fahren mit dem Rad zum Bäcker oder fliegen ganz selten oder gar nicht. Wer das nicht tut, dem wird auch eine unverständliche Wortkreation nicht weiter helfen

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Sic! Das jemand, der einmal im Jahr irgendwo hin fliegt oder alle Strecken mit dem PKW zurücklegt, das auch mit Luftanhalten und kalt duschen im Rest vom Jahr nicht aufwiegen kann, ist wirklich keine neue Erkenntnis.

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Sparen dient der späteren Verwendung. Bei Suffizienz soll es aber in der Summe weniger werden. Der Begriff Sparen ist zu dem stark auf das Individuum gerichtet.

Und der Begriff Sparpolitik sagt etwas ganz anderes aus als Suffizienzpolitik.

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Das verstehe ich rein mathematisch nicht. Entscheidend ist doch die Summe. Und die kann durchaus negativ sein, auch wenn ein Summand nicht negativ ist.

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Stell dir vor von heute auf morgen bist du plötzlich absolut Pleite ohne Job und hast 0 € und jetzt sagst du ich möchte diesen Monat in den Urlaub fliegen und dafür verzichtest du auf 20 Monate Netflix.

Oder anderes Beispiel, du stehst vor einem brennenden Haus und schüttest auf der einen Seite Öl ins Feuer und zu Ausgleich löscht du es ein bisschen auf der anderen Seite und danach stellst du dich hin und sagst: „Immerhin hab ich es nicht schlimmer gemacht“ Dabei hat dein kleiner Stunt Zeit gekostet, in der das Haus weiter abgebrannt ist.

Stell Dir vor Deine Summe ist aktuell 10t im Jahr. Wenn ich jetzt Sage „nur noch einmal die Woche Fleisch“ das sind (- x t) und dass dann kompensiere indem ich eine Kreuzfahrt mache (+ x t) bleibst Du bei 10t. Ziel sind aber 0t.

Oder stellt Dir vor, wir sind auf den 3° Pfad. Jeder Mehrverbrauch bringt dreht uns eher richtung 4° Pfad, jeder Wenigerverbrauch richtung 2° Pfad. Kompensieren lässt uns auf dem 3° Pfad. Wir wollen aber Richtung 2° Pfad und noch weiter.

Wir müssen also weniger Fleisch essen UND trotzdem nicht fliegen UND aufforsten UND EE/Speicherkapazitäten ausbauen UND …

Erst wenn wir bereits auf dem 1,5° Pfad sind könnte die Rechnung mit dem Kompensieren aufgehen. Sinnvoll wäre es indes nur, wenn der Nutzen aus dem Mehrverbrauch den Nutzen einer weiteren Temperatur-Reduktion zB auf 1,4° übersteigen würde.
Und da gilt dann wahrscheinlich eher „Jedes Zehntelgrad zählt“

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Kannst du hier eine Quelle angeben?
Das scheint mir sehr viel. Nach diesem Spiegel-Artikel, der sich auf Zahlen des Umweltbundesamted und des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg beruft, entfallen auf die deutschen pro Kopf Emissionen (2019) von 11,6t im Jahr etwa 1,7t auf Ernährung. Selbst wenn wir nichts mehr essen würden, sparen wir also keine 2t. Durch vegetarische Ernährung spart man demnach ca 0,45t im Jahr, also etwa ein Viertel.
[1]

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Ich denke, bei Suffizienz geht es nicht (nur) darum, dass Einzelpersonen sparen, sondern um eine strukturelle Frage. „Es geht um politische Rahmenbedingungen“ (Zitat BUND). Als Gesellschaft müssen wir uns die Frage stellen, was eigentlich wichtig/unverzichtbar ist und wo der Konsum Grenzen hat.
Abgesichts der Tatsache, dass der Planet Grenzen hat und dass niemals alle Menschen unser Konsumniveau erreichen können, müssen wir über Suffizienz nachdenken/diskutieren und Lösungen finden. Als Gesellschaft. Nicht nur jede und jeder Einzelne. Das Verbrauchsniveau muss innerdeutsch und auch international wieder mehr angeglichen werden, statt weiter auseinander zu driften. Was ist genug? Was ist wirklich wichtig? Was ist Lebensvoraussetzung?

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Das bringt halt wenig, wenn es nicht greifbar ist. Sonst wird schick diskutiert, aber alles bleibt Theorie

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