Perspektiven-Vielfalt bei ökonomischen Themen / Interview-Partner:innen / De- und Postgrowth-Forschung in wirtschafts- und klimapolitischen Debatten

Ich weiß nicht, ob ich das nun green oder post nennen soll.
Es sollte darum gehen, neben CO2 auch Umwelt- und Ressourcenverbräuche entweder per Ordungsrecht einzuschränken oder durch Steuern, Zölle,…zu bepreisen.

Was wir wissen ist, dass kurzfristige Verknappung von Ressourcen zum BIP Rückgang führen.(Russisches Gas).
Offenbar hat das aber auch Effekte auf Themen wie Zukunftsperspektiven, Politikzufriedenheit,…
All das hat erst einmal negatives Vorzeichen.

Mindestens wissen wir doch, dass jedwede Änderungen dieses Ausmaßes mal sicher ein Generationenprojekt ist: 30 Jahre. Oder mehr. Zeitdimension wie zwischen den Konferenzen von Rio und Paris. Mindestens.

Die politische Forderung ist also schlicht, einen Ordnungspolitischen Rahmen in der EU abzustimmen (Werbeverbote bzw Einschränkungen) und Bepreisungen festzulegen: Rohstoffverbrauch per Steuer, weil nichts so schnell eingeführt wird, wie eine neue Steuer.

Und aus rein politischen Gründen würde ich es Green Growth nennen. Egal, was es wirklich ist.

Sehr interessanter Themenvorschlag!

Was halten wir eigentlich von der Idee der Donut-Ökonomie von Kate Raworth?

Buch: https://www.rebuy.de/i,10776483/buecher/die-donut-oekonomie?ga.channel=PLA&loc_physical_ms=1003854

TED Talk: https://www.youtube.com/watch?v=Rhcrbcg8HBw

Ich persönlich finde die Idee ganz charmant. In dem Buch nutzt sie allerdings viele Analogien und benennt wenig konkrete Schritte. Wäre es nicht mal spannend die Theorie der Donut-Ökonomie mit einem Experten auf ihre praktische Umsetzbarkeit zu prüfen?

Gerne höre ich auch eure Meinungen dazu!

[quote=„Drops, post:83, topic:21099“]
Was wir wissen ist, dass kurzfristige Verknappung von Ressourcen zum BIP Rückgang führen.(Russisches Gas).

Ja, wegen Gaskrise (Krieg gegen Ukraine) und Corona gab es BIP-Rückgang mit teilweise positiven ökologischen Effekten. Trotzdem ist das von Degrowth abzugrenzen: Bei Degrowth geht es um demokratisch geplante Maßnahmen, die in soziale Politiken eingebettet sind.

  • Ja: der Europäische Green Deal geht da bereits in die richtige Richtung. Beispielweise ist es ein Ansatz, daran anzuknpüfen und das Paket zu einem Green New Deal without growth weiterzuentwickeln. Spanndnes Paper dazu: Mastini et al. 2021: https://bit.ly/3Ln6IOf

Ok, das ist dann am Ende eine Frage der Kommunikation… :slight_smile: Die Donut-Ökonomie ist übrigens ein Ansatz, der durch die Begiffe etc. auf mehr Sympathie stößt.

  • Der Ansatz ist super - er knüpft an das Framework der planetaren Grenzen an und lässt sich postgrowth zuordnen. Im Buch 2018 positioniert sich Raworth „Agrowth“ - auf der #Beyondgrowth Konferenz 2023 klang es inzwischen eher nach Degrowth (https://bit.ly/45Oy9IT)
  • Das stimmt. Die Donut-Ökonomie ist zunächst ein Narrativ, das verschiedene Ansätze bündelt (ökologische-, feministische-, Komplexitäts-Ökonomike etc.).
  • Aber: Es gibt das Doughnout-Economics-Action-Lab, das den Ansatz für die Praxis (Unternehmen, Kommunen etc.) weiterentwickelt hat. (https://doughnuteconomics.org/) außerdem arbeitet auch das ZOE-Institut damit (https://zoe-institut.de/).
  • Spannend auch: Der Degrowth-Doghnut, wo visualisiert wird, welchen Beitrag verschiedene Nationen leisten (sollten): https://ipe.hr/en/degrowth-donut/
  • In der Graphik von Fanning et al. (2021: 16; https://bit.ly/3EAptKh) sieht man sehr schön worum es geht: Degrowth für den globalen Norden, Improvment für den globalen Süden (dabei auch Ungleichheiten zwischen Ländern adressieren.

    (Pfeile sind von mir)
2 „Gefällt mir“

Die Nutzenfunktion ist theoretisch beliebig erweiterbar, d.h. an den Scope anzupassen (praktische Beschränkungen, wie die Modellberechnungsdauer und die Unschärfe bei der Datenerhebung mal außen vor gelassen). Soll ein gewisser Umstand wie z.B. die Verschmutzung der Umwelt mit Treibhausgasen ökonomisch berücksichtigt werden, so kann dies in der Nutzenfunktion parametriert werden. Ziehe ich gesundheitlichen/spirituellen/sonstigen Nutzen aus dem Anteil an Waldfläche in meiner Umgebung, so kann auch dies in der Nutzenfunktion parameteriert werden.

Ich stimmen den von Ihnen oben genannten evidenten Krisen und normativen Forderungen tendenziell bis vollumfänglich zu. Deswegen habe ich auch hohen Interesse daran, dass Mittel gefunden werden, um diese Krisen abzuwenden. Um sie abzuwenden müssen die Gesellschaft, Wirtschaft und Politik davon überzeugt werden, dass sie ihr Verhalten entsprechender Handlungsempfehlungen ändern müssen. Die Handlungsempfehlungen werden nur dann mehrheitlich akzeptiert werden, wenn sie aus einer vertrauenswürdigen Quelle stammen. In unserer säkularisierten Welt genießt höchstens die Wissenschaft ein solches Vertrauen. Daher sehe ich die Weiterentwicklung der wissenschafttichen Theorien und Modelle als als einziges Mittel zur Abwendigung der Krisen. Und bei der Weiterentwicklung bestehe ich auf den Imperativ der wissenschaftlichen Methode.

Ich führe diese Diskussion ergebnisoffen. Ich habe die wissenschaftliche Legimitität des Degrowth-Diskurses nicht in Abrede gestellt, sondern im Gegenteil nach ihr gefragt.

Ich nehme an, Sie beziehen sich hierbei auf ein Modell, dass das aktuelle Verhalten der Menschen in die Zukunft extrapoliert. Das Modell sagt also vorher, dass – wenn wir unser Verhalten nicht ändern – wir auf das 3,5°C Szenario zusteuern. Worauf bezieht sich Ihre Kritik? Denken Sie, dass die Vorhersage bei den gegebenen Annahmen falsch ist oder dass die Vorhersage nicht erstrebenswert ist?

Und es ist Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft das optimale – quantitative – Maß dieser Einschränkungen zu finden.

1 „Gefällt mir“

Ich wiederhole meine Worte aus dem Thread aus November 2022:

Es gibt sicherlich viele gute Bücher dazu. Ich möchte aber eindrücklich vor dem Buch von Kate Raworth warnen. Das Buch zitiert Fakten aus seriösen Quellen, zieht aber absichtlich logisch falsche Schlüsse. Nur ein Beispiel unter sehr vielen: Es wird argumentiert, dass exponentielles Wachstum nicht unendliche lange funktionieren kann. Daraus wird geschlossen, dass wir Degrowth brauchen. Kein Wort zu weniger extremen Wachstum, beispielsweise linearem oder asymptotischem Wachstum. Es wird einem geradezu aufgedrängt, dass die „hidden agenda“ des Buches darin besteht, Degrowth zu propagieren - als Selbstzweck, nicht als Mittel zum Umweltschutz.

Ich möchte hinzufügen, dass „Doughnut Economics“ nachweislich regelmäßig unlautere Rhetorik verwendet.

Nun wurden durch @Ilja und mich wohl die beiden Extreme in der Wahrnehmung dieses Buches aufgespannt. :wink:

1 „Gefällt mir“

Ja, durchaus interessant. :slight_smile:
Wie gesagt plädiert sie ja im Buch gar nicht für Degrowth, sondern ist agnostisch gegenüber Wachstum. Und was die Rhetorik betrifft: Ich stimme in dem Sinne zu, dass sie Framing-Techniken in der Mainstream-Ökonomik kritisiert, aber selbst welche verwendet ohne sie explizit zu machen. Wenn man es wohlwollend liest könnte man aber auch sagen, dass sie einfach ein populärwissenschaftliches Buch geschrieben hat mit dem Ziel, möglichst verständlich und anschaulich ihre Ideen darzustellen. Wichtiger als das Buch finde ich die Initativen, die sich jetzt (auch unabhängig von ihr) engagieren.

2 „Gefällt mir“

Alles klar - dann vielen Dank für die Klarstellung und das Interesse :slight_smile:

Nein, es war umgekehrt: Der Ökonom William Nordhaus (hat den sog. Wirtschaftsnobelpreis bekommen, der aber kein echter Nobelpreis ist) hat allen ernstes berechnet / gesagt, es sei ökonomisch sinnvoll, statt einem 1,5 ein 3,5 Grad Ziel anzusteuern. Andere Wissenschaftler:innen haben dann später seine Simulationen weiterentwickelt und kamen dann zum Ergebnis, unter 2 Grad sei doch besser. - Ich finde es ein schönes Beispiel, wie sich Ökonom:innen zuweilen in ihren Modellwelten verlieren und naturwissenschaftliche Erkenntnisse ausblenden können.
(Hier findet sich ein Artikel zu der Story: UN-Klimaziele sind ökonomisch sinnvoll: Ambitionierter Klimaschutz zahlt sich aus — Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung)

Teil 1

@Ilja hat ja schon vieles beantwortet, ich versuche es trotzdem nochmal gerne mit meinen eigenen Worten (auch wenn ich vermutlich vieles doppelt sage, was schon gesagt wurde). Zunächst mal ist das „Ziel“ von den meisten Degrowth-Befürwortern, zu einem Punkt zu kommen, an dem die Menschheit halbwegs im Einklang mit der Natur und den Mitmenschen leben kann (Damit ist nicht nur CO2 gemeint, sondern auch sowas wie Biodiversität und genug Trinkwasser). Wichtig dabei ist, Degrowth bedeutet nicht, dass es kein Wachstum mehr geben darf. Z.B. in Entwicklungsländern ist Wachstum vollkommen in Ordnung, selbst in entwickelten Ländern ist es in Ordnung, dass es in einigen Bereichen, wie z.B. den Erneuerbaren Wachstum gibt. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass in der Degrowth-Bewegung der Degrowth an sich kein Selbstzweck ist, im Gegensatz zur Wachstumsgesellschaft, wo das Wachstum zum Selbstzweck wird. Stattdessen ist die Aussage des Degrowth eher, wenn wir das Ziel eines nachhaltigen Leben erreichen wollen, muss es zwangsläufig zu einer Reduktion der Produktivität kommen und somit zum Degrowth. Von daher hätten die meisten Befürworter von Degrowth vermutlich nichts gegen Green Growth, sie haben nur die Einschätzung, dass er nicht möglich ist. Wachstum basiert hauptsächlich auf der Externalisierung von kosten, daher schafft man es vielleicht in einzelnen Bereichen ein Decoupling zu erzeugen, aber wird es nie ganz schaffen. Ein Vergleich den ich mal gelesen habe: Green Growth ist wie der Versuch eine Rolltreppe in die entgegengesetzte Richtung hoch zu laufen und die Rolltreppe beschleunigt sich dabei auch noch immer weiter.

3 „Gefällt mir“

Teil 2

Um mal ein paar Beispiele zu nennen, was uns auf unserem Weg zur Nachhaltigkeit helfen kann:

  • Wir sollten massiv weniger Kleidung kaufen (Degrowth)
  • Wir sollten massiv weniger Autos besitzen und fahren (Degrowth)
  • Wir sollten massiv weniger tierische Produkte essen (Degrowth)
    • Wir sollten allgemein weniger essen (Degrowth)
  • Wir sollten massiv weniger Fläche versiegeln (Degrowth)
  • Wir sollten auf kleineren Wohnfläche leben (Degrowth)
  • Wir sollten unsere Handys länger nutzen (Degrowth)

Wo wir Wachstum benötigen:

  • Wir sollten Solar, Wind, Wärmepumpen massiv ausbauen. Dabei ist aber zu beachten, dass dieser Ausbau mit dem Schrumpfen der Fossilindustrie einher geht. Netto wird man vermutlich trotzdem mehr Wachstum raus haben, aber der ist auch nur temporär. Wenn alles umgestellt ist, würde es zu einem massiven Produktivitätseinbruch kommen und man müsste wieder neue Wachstumsbereiche sich aus den Ärmeln ziehen.
  • Wir sollten mehr Bahn fahren, das würde aber nicht den Degrowth in der Autoindustrie abfangen können
  • Wir sollten mehr pflanzlich und bio essen, wird vermutlich nicht den Degrowth in der Fleischindustrie ausgleichen.

Dabei ist es dann sehr fraglich ob die wenigen Wachstumssektoren, die anderen Sektoren, die eigentlich schrumpfen, müssten ausgleichen könnten.

Ein weiteres Problem von Green Growth ist, dass es extrem anfällig ist für Green Washing. Des Weiteren ist Green Growth in unserem aktuellen System auch eher Wachstum, das möglichst Grün sein sollte. Das heißt, wenn das mit dem „grün“ gerade mal nicht so läuft, brauchen wir ja trotzdem unbedingt Wachstum. Außerdem in unserem aktuellen System, mit dem Wachstumszwang, nehmen wir uns halt sehr Effektive Werkzeuge selber weg. Zum Beispiel während wir hier schreiben, wachsen Bereiche weiter, bei denen wir das eigentlich gar nicht wollen, und die es uns schwerer machen in eine nachhaltige Lage zu kommen. Da können wir nicht einfach mal sagen: Stopp mit dem Wachstum, bis wir das mit dem Green Growth herausgefunden haben. Stattdessen brauchen wir jedes Wachstum, das wir bekommen können. Auch die oben aufgeführten Sektoren können wir nur sehr schwer schrumpfen lassen, weil wir uns die Hände gebunden haben. Eine Postwachstumsgesellschaft gäbe uns da viel mehr Freiheit, bei der wir schrumpfen, aber auch wachsen können, je nachdem, was uns gerade besser ans Ziel bringt.

Noch 2 nette Nebeneffekt von Degrowth:

  • Unser Witschaftssystem ist gerade sehr auf Kante genäht, das heißt, sobald das mal mit dem Wachstum nicht klappt, sind wir sofort in einer Krise und das mittlerweile alle paar Jahre. In einer Postwachstumsgesellschaft könnten wir ein deutlich robusteres System bauen.
  • Da die Bekenntniss zum Degrowth eine Änderung des Mindsets erfordert, könnten wir vielleicht endlich dahin kommen, dass sich nicht mehr alle auf Instagram & Co miteinander vergleichen, wer das teuerste Auto und die schicksten Klamotten hat, stattdessen geht es dann mehr um ein Miteinander.
3 „Gefällt mir“

Sind wir tatsächlich schon soweit, als Mensch und Gesellschaft?

Naja, irgendwann muss man halt mal anfangen versuchen die Leute zu überzeugen. Die aller wenigsten Ideen sind auf Anhieb allen bekannt und haben sofort eine breite Unterstützung

Aber genau der hier raus klingende Gedanke, dass ich es nur einmal richtig parametrieren muss, damit es eine Wirklichkeit gut abbildet, birgt das Risiko des Ausblendens dynamischer und von anderen Funktionen abhängiger Parameter.
Man kann gerne solche Funktionen benutzen aber sie müssten in einem komplexen Gleichungssystem stehen und dann taugen sie nicht mehr für einfache Aussagen. Leider werden sie aber genau dafür offenbar gerne verwendet.

1 „Gefällt mir“

Alle Beispiele bezüglich Degrowth wie beispielsweise

unterschreibe ich gern. Das darf auch gern über eine Nutzenfunktion beschrieben werden. Und diese Nutzenfunktion sollte dann für kluge Werbung und politische Kommunikation genutzt werden. Etwa: Auswirkungen der Modeindustrie auf Ressourcenverbrauch und so fort in guter Kommunikation nachvollziehbar beschreiben, Argumente für Werbung von second hand Märkten abzuleiten.
Entsprechend bin ich bei den anderen Punkten dabei. Die Nutzenfunktion ist Ergebnis faktenbasierter Aufklärungsarbeit.

Ich habe auch den Eindruck, dass solche Argumente Verhaltensweisen ändern: vegetarische Angebote gibt es inzwischen in fast jedem Restaurant, der Konsum tierischer Produkte sinkt.

Wenn man es zusätzlich schafft, den Markt ordnungsrechtlich zu ergänzen, durch Steuern zu begleiten, ist das Maximum dessen erreicht, was politisch durchsetzbar ist. Wenn sich Menschen dabei gut fühlen, erweitert man das alles.
Was aber nicht geht ist, unser heutiges System aus wissenschaftlicher Einsicht umzubauen, BIP agnostisch aufzutreten und den Menschen wieder einmal vorzuschreiben, was richtig zu sein scheint, aber dann doch nur auf Ablehnung stoßen kann.

Wo die Grenzen heute sind, sieht man ja schon der Diskussion um das Werbeverbot für zu zuckerhaltige Lebensmittel für Kinder.

Man könnte ja mal anfangen und Werbung für Autos mit unübersehbaren Warnhinweisen zu versehen „Die Herstellung dieses Produkts schädigt die Umwelt“ oder „Die Nutzung dieses Produkts gefährdet die Gesundheit aller Verkehrsteilnehmer:innen“.

Ich will sagen: der Weg ist sehr steinig. Er sollte mit Kommunikation beginnen.

2 „Gefällt mir“

„Wo die Grenzen heute sind, sieht man ja schon der Diskussion um das Werbeverbot für zu zuckerhaltige Lebensmittel für Kinder.“

Da kann ich dir gerade nicht folgen. Kann mir nicht vorstellen, du meinst dass zuckerhaltige Lebensmittel für Kinder wissenschaftlich umstritten wären.

Eben weil es wissenschaftlich unumstritten ist, dass zu zuckerhaltige Nahrungsmittel ungesund ist, ist es ja erst recht erstaunlich, dass man sogar hier bei Werbeeinschränkungen schon auf Widerstand trifft.
Der gesunde Menschenverstand sollte eigentlich genügen.

Wie soll dann ein Ordnungsrecht gefunden werden, das im Sinne des Degrowth wirkt?

2 „Gefällt mir“

Nesje (PIK-Studie): „We have kept the structure of Nordhaus’ model and only changed the value of some parameters.“ Wissenschaftliche Methode par excellence. :slight_smile:

Das sind nun erstmal zwei Gegenpositionen, die auf „optimistischen“ oder „pessimistischen“ Modellannahmen fussen. Das ist kein Grund, einer der beiden Seiten Realitätsferne vorzuwerfen. Nesje betont auch, wie viel Einfluss kleine Änderungen an den Modellparametern machen können (man beachte, dass wir viele nur unscharf kennen): „I did not expect that the model would be so sensitive to our changes. The difference of approximately 2°C surprised me.“

Die angepassten Modellannahmen drehen sich wohl insbesondere um die „Social discount rate“, d.h. wie stark wir die (ferne) Zukunft in unseren Überlegungen gewichten (ich habe keinen Zugriff auf die Studie um das zu validieren). Die Gegenpositionen sind wie folgt:
Nordhaus: „This approach assumes that investments to slow climate change must compete with investments in other areas. The benchmark should therefore reflect the opportunity cost of investment […] of 5% per year when risks are appropriately included.“
Nesje: „We have also changed the social discount rate that explains how the present generation values future welfare or economic impact of climate change.“
Nordhaus argumentiert also „pessimistisch“ aufgrund umfangreicher Empirie, Nesje ist „optimistisch“, dass die aktuellen gesellschaftlichen Trends langfristig bestehen bleiben.

Unabhängig davon stellt die Schadensfunfktion eine weitere Quelle großer Unsicherheit dar. Um überhaupt mal mit der Klimaökonomiemodellierung anzufangen, verwendet das DICE-Modell eine „…highly simplified damage function that relies on current estimates of the damage function.“.

Außerdem kann die Diskrepanz auf einen viel allgemeineren Streitpunkt zurückgeführt werden. Wollen wir als Menschheit Effizienz oder Sicherheit? Effizienz bedeutet, dass wir den Weg gehen, der unter Berücksichtigung aller Risiken den höchsten Erwartungswert liefert. Sicherheit bedeutet, das wir bereit sind auf etwas Wohlstand verzichten, um besonders schwerwiegende (aber unwahrscheinliche) Schäden möglichst zu vermeiden.

1 „Gefällt mir“

Das stimmt für Prozesse, die sich auf menschlichen Zeitskalen nicht merklich ändern (Geologie, Physik). Bei einem ökonomischen Modell müsste man aber wegen der gesellschaftlichen Trends kontinuierlich/gelegentlich nachjustieren.

Im Gegenteil. Erstens ist es durch eine mathematische Beschreibung deutlich leichter, komplexe und dynamische Abhängigkeiten vollumfänglich zu beschreiben. Zweitens fördern rigorose mathematische Analysen gelegentlich Aspekte zu Tage, an die davor niemand gedacht hat bzw. die niemand wissen konnte.

Die Vorhersagen der Modelle können ja weiterhin einfach sein.

Wer verwendet sie? Ich habe noch nie erlebt, dass in einer Talkshow über die mathematischen Grundlagen einer Theorie diskutiert wurde. Leider.

Ordnungsrecht ist ja auch nur eine Form den Leuten etwas vorzuschreiben. Außerdem, wenn sich die Gesellschaft darauf einingt, dass in bestimmten Bereichen, die Vorteile des einzelnen nicht den Schaden an der Gesellschaft rechtfertigen, dann ist es ja auch vollkommen in Ordnung da Vorschriften zu machen.

Außerdem verstehe ich nicht ganz, warum es nicht ok ist unser heutiges System aus wissenschaftlicher Sicht umzubauen. Wie sollen wir denn ansonsten das System umbauen? Mit Würfeln? Oder sind wir jetzt auf ewig in diesem einem System gefangen, egal ob es bessere Systeme gäbe?

Und warum wäre ein BIP agnostisches System so schlimm?

Aber um nochmal auf die Thematik, wir packen einfach ein bisschen Ordnungsrecht oder verwenden Nutzenfunktionen, um die externalisierung von Kosten zu verhindern: Wenn die Theorie stimmt, dass Wachstum fast ausschließlich durch Externalisierung kommen kann, dann hilft das alles nicht wirklich. Weil entweder wird im Kapitalismus die gesamte Menschheit daran arbeiten, das Ordnungsrecht oder die Nutzenfunktionen zu umgehen, oder wenn das nicht klappt, wird es zum Schrumpfen kommen, was in einer riesen Krise des Kapitalismus enden würde.

Schwierig. Kommunikativ ja, viele Autofahrer würden da sofort zustimmen. Aber eine Verhaltensänderung tritt ja nur ein, wenn man eine Alternative zum Auto hat. Da wird bei vielen das Auto leider (noch) alternativlos sein.