Perspektiven-Vielfalt bei ökonomischen Themen / Interview-Partner:innen / De- und Postgrowth-Forschung in wirtschafts- und klimapolitischen Debatten

Gehe ich mit. Meine Befürchtung: Wachstum, das sich nicht in unmittelbarem Umsatz monetärer Art niederschlägt, ist für unsere wohlstandsorientierte Gesellschaft, wie sie sich aktuell darstellt, nicht interessant bzw. attraktiv genug.

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Die etablierte Umweltökonomie umfasst ein Spektrum von der optimalen Bewirtschaftung nachwachsender Ressourcen (z.B. nachhaltige Fischerei), über die Internalisierung von Umweltschäden (z.B. CO2-Zertifikathandel) bis hin zur ökonomischen Bewertung von Umweltleistungen (z.B. von Insekten). Von einer Beschränkung in der Wissenschaft kann nicht die Rede sein. Dass die Medien und die Gesellschaft so fokussiert auf „nur“ den Klimawandel sind, steht auf einem anderen Blatt. (Ich persönlich halte das Artensterben für eine gefährlichere Krise als den Klimawandel.)

Bleibt weiterhin die Frage, in welchem dieser Punkte die Ziele unvereinbar mit Green Growth wären (also etwas anderes als Green Growth plus):

  • Die ersten 4 Punkte sind klassische Forderungen des Sozialismus bzw. der Sozialdemokratie. Ich sehe nicht, warum dafür ein neuer Begriff gefunden werden muss. Das wäre dann eben Green Growth verknüpft mit sozialistischen Elementen.
  • Bei regulierter Werbung und geplanter Obsoleszenz (sofern es diese überhaupt gibt) sehe ich nicht, dass sie nicht mit „Green Growth“ bzw. jedem Wirtschaftssystem vereinbar wären. Welcher Konsument hat denn etwas gegen bessere Werbung und bessere Produkte?
  • Die Aufwertung von Care-Arbeit sehe ich nicht als wirtschaftspolitisches Thema, sondern als ein allgemeingesellschaftliches (soll heißen, kein primärer Bezug zur Wirtschaftspolitik).
  • Bliebe das Thema Suffizienz und hier insbesondere die Reduzierung von Konsum.
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Gerne. 15 kWh auf 100 km ist für BEV kein ungewöhnlicher Wert. 1 l Sprit hat etwa 10 kWh. Bei beiden ohne Vorkette gerechnet. Wobei die beim Verbrenner tendenziell schlechter ausfällt

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Ideal beim BEV ist noch viel besser. Aber ja, da hab ich übertrieben. Margarete sprach von richtig dicken Verbrennern, die ihr lieber sind als jedes BEV, welche ja Dinosaurier sind.
Die Amis fahren ja Pickup mit 7 l Motoren. Wegen dem hohen Verbrauch rechnen sie mit Gallonen, damit die Zahl nicht so groß ist :blush:

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Natürlich nicht. Empirisch meint ja es hätte es schon mal gegeben.

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Fällt Euch eigentlich auf, dass Ihr PLURV- Methoden nutzt?
Z.B. unerfüllbare Erwartungen und „Verschiebung der Torpfosten“:

„Der Individualverkehr muss emissionsfrei werden!“
Ok, das E-Auto stösst keine Emissionen aus.

„Aber der Individualverkehr muss dekarbonisiert werden!“
Ok, Strom wird dekarbonisiert.

„Aber die seltenen Erden in Batterien sind scheisse!!
Ok, neue Batterien haben keine seltenen Erden, Kobalt etc…

„Aber die Abbaubedingungen!“
Ok, wir verhandeln bessere Abbaubedingungen.

„Aber Deutschland muss Rohstoffautark sein!“
Ok, geht nicht, wir lassen es….

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…bedeutet aber doch in diesem Kontext eher Beschränkung von Werbung, denn Werbung induziert Wachstum und damit Ressourcenverbrauch. Keine Werbung, kein „Desire“, keine Verschwendung, also Suffizienz.

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Und wichtiger: Empirisch meint, es würde einen ausreichenden Trend in Richtung geben, der plausibel macht, dass das Wachstum „grün“ wird. Den gibt es aber so nicht.

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  • Kern von Degrowth ist die Senkung von Energie- und Materialverbrauch. Debatte ums BIP wird insofern angestoßen, als dass es in Politik und Öffentlichkeit immer noch als Indikator für Wohlstand herangezogen wird. Selten wird widersprochen, wenn Ökonomen sagen: Wir brauchen Wachstum, um etc.
  • Zur Bepreisung: Umweltschäden etc. mit Einpreisung lösen zu wollen ist ein Ansatz der neoklassischen Umweltökonomik, der seine Grenzen an. Der Politik steht ein viel breiteres Instrumentarium zur Verfügung (z.B. Ordnungsrecht)
  • Zur vorsorgeorientierten Postwachstumsposition: Hier wird argumentiert, wir müssen unabhängig von Wachstum werden (weil unklar ist, ob Entkoppelung klappt). Die Studie ist allerdings von 2018, inzwischen ist die Empirie noch eindeutiger, dass Entkoppelung nicht funktioniert mit Wachstumsstrategie.

Das stimmt. Die neoklassische Umweltökonomik hat aber einige Schwächen: Kein adäquates Konzept von Natur, Vernachlässigung von Gerechtigkeitsüberlegungen, mangelnder Umgang mit Dynamik der Zeit (vgl. Faber 2008). Die Inwertsetzung von Natur kann unter Umständen (nicht immer) dazu führen, dass nur die Natur geschützt wird, die dem Menschen „nutzt“. Wert von Natur kann nicht vollständig in monetäre Kategorien übersetzt werden. Beispielsweise hier ein Stück Natur zerstören (Co2 ausstoßen etc.), und dafür woanders ein Stück Wald unter Schutz zu stellen, wird den spezifischen Kontexten /Lebensräumen von nicht-menschl. Lebewesen nicht gerecht. Finde daher Ansätze aus der ökologischen Ökonomik spannender (z.B. auch Rechte für Natur o.Ä.).

Hier Literatur-Beispiele für den Diskurs:

Wachstum bzw. Verbesserung von sinnvollen Bereichen geht mit Degrowth einher. Allerdings sind Gesundheit (und Bildung) gerade zwei gute Beispiele, wo Degrowth-Ansätze beitragen können: Gesundheit gehört in öffentliche oder gemeinnützige Hand, Profitorientierung / Ökonomisierung schadet hier der Qualität und dem gleichberechtigten Zugang für alle.

Klar, es gibt Überschneidungen - Degrowth als Bewegung ist der Versuch, unterschiedl. soziale Bewegungen zu verknüpfen. Man kann es auch Wellbeing Economy oder anders nennen. Eine Abgrenzung von Green Growth bleibt aber sinnvoll, weil es ja darum geht, Wachstumsimperativ zu überwinden.

Niemand hat was gegen bessere Produkte. Im Gegenteil: Wenn Unternehmen nicht von Rediteerwartung abhängig sind, haben sie mehr Freiheit, innovatives und gemeinwohlorientiertes zu entwickeln. Der Gedanke ist vielmehr, dass Werbung zu Überkonsum führt, im globalen Norden aber insgesamt die Nachfrage sinken sollte, um Emissionen und Ressourcenverbrauch zu sparen.

Da würden feministische Ökonom:innen widersprechen :wink: Mit Care-Arbeit ist sowohl bezahlte als auch unbezahlte Sorgearbeit gemeint (= die Grundlage für Wirtschaft). Bessere Bezahlung für Pflege, Erzieher:innen etc., Elternzeit/geld, Arbeitszeitverkürzung/Anreize, dass mehr Männer beitragen etc.

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Ich finde das alles total spannend. Nicht alle Links sind ohne paywall erreichbar, aber die Exzerpte bzw Zusammenfassungen sind ja prima.

Ich versuche den Kern zu finden. Wenn es schwierig ist, Naturverbrauch einzupreisen, dann fängt man mit Rohstoffen an. Sie zu verbrauchen treibt Umweltzerstörung. Sie werden aber gehandelt, man legt also eine Steuer darauf. Was mit dem BIP dann passiert, ist ja nun klar: es schrumpft. Der Ressourcenverbrauch schrumpft auch.

Jetzt muss das alles auch noch ins Pariser Abkommen damit es fair für alle ist.

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Ich lasse die Ausführungen zu den Aspekten Umweltökonomie, Gesundheitssektor, Werbung und Care-Arbeit unerwidert, um stattdessen von diesen Einzelaspekten zurück Richtung Hauptthema zu kommen.

Auf der Suche nach unvereinbaren Elementen zwischen Green Growth und Degrowth find ich den folgenden Satz bemerkenswert:

Diese Aussage bezieht sich auf eine Unterscheidung auf der normativen Ebene („Wachstumsimperativ“). Das möchte ich nun erstmal so stehen lassen.

Wie sieht es aber eigentlich auf der positiven Ebene aus, d.h. in den ökonomischen Modellen und deren Annahmen? Ich habe diese Modelle wie folgt kennengelernt:

Mikroökonomischen Modelle sind um eine abstrakte oder konkrete Nutzenfunktion (bzw. Produktionsfunktion) herum aufgebaut und versuchen zu beobachten bzw. vorherzusagen, welches Verhalten den Nutzen optimiert. Die Nutzenfunktion enthält dabei typischerweise mehr Faktoren als „Konsum heute“ versus „Konsum morgen“ (z.B. mindestens auch die Abwägung zwischen mehr Konsum und mehr Freizeit) und Produktionsfunktionen können sich z.B. in Abhängigkeit vom Preis eines Verschmutzungsrechts optimieren lassen. Hervorzuheben ist, dass die mikroökonomischen Modelle agnostisch gegenüber „Wachstum“ sind.

Makroökonomische Modelle basieren inzwischen typischerweise auf einem mikroökonomischen Fundament, sind also mehr oder weniger Aggregationen von mikroökonomischen Akteuren, erweitert u.a. um Geldpolitik. Auch die Makroökonomie hat daher den Fokus auf der Maximierung der mikroökonomischen Nutzenfunktion(en), d.h. auch die makroökonomischen Modell sind agnostisch gegenüber „Wachstum“.

Die Modelle empfehlen folglich nicht pauschal mehr Wachstum. Es sind die angenommenen Nutzenfunktionen, die anscheinend durch mehr makroökonomisches Wachstum optimiert werden.

Schlagen Degrowth-Theoretiker andere Parametrierungen der Nutzenfunktion vor oder stellen sie diese Modelle grundlegend in Frage?

(Ich hoffe, dieser Exkurs in die Grundlagen der ökonomischen Modelle wird nicht als Spitzfindigkeit abgetan. Ich sehe einen krassen Unterschied darin, ob sich Kritik pauschal gegen ein ganzes Theoriegebilde richtet oder gegen einen prinzipiell frei parametrierbaren Aspekt der Theorie.)

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Bestimmte Steuern sind ein Ansatz - eine andere wäre, z.B. direkt bei den Schürfrechten anzusetzen. Klassische Forderung von sozialen Bewegungen wie Ende Gelände ist z.B. die Kohle im Boden zu lassen (und Dörfen nicht abzubaggern).

Ok, ich versuch mal allgemeinverständlich drauf einzugehen, deshalb hole ich kurz aus:

  • „Degrowth“ (oder postgrowth/Postwachstum) sind Dach-Begriffe. Sie werden im Kontext sozialer Bewegungen verwendet, aber eben auch als transdisziplinäres Forschungsprogramm. Entsprechend wird auf vielfältige Weise auf sie Bezug genommen. Übergeordnet geht es um globale ökologische Gerechtigkeit, das gute Leben für alle und Wachstumsunabhängigkeit.

  • Wachstumsunabhängigkeit: In der Forschung wird angenommen, dass es im Wirtschaftssystem verschiedene Wachstumstreiber oder -Zwängen gibt. Beispiel für eine Dynamik: Innovationswettbewerb & technologischer Fortschritt führen zu sog. technologischer Arbeitslosigkeit. Aufgrund sozialer Normen (= Erwerbsarbeit ist wichtig), Standortwettbewerb und die Abhängigkeit von Sozialversicherungssystemen von Einkommenssteuern reagiert die Politik mit Maßnahmen, die Wachstum fördern (und so Arbeitslosigkeit entgegen wirken). Ergebnis sind aber auch die entsprechenden ökologischen Konsequenzen, da eben die Entkoppelung von ihnen nicht (ausreichend schnell) funktioniert.
    (Ein kleiner Überblich - wenn auch nicht vollständig - findet sich bei Richters/Simoneit 2019: https://zoe-institut.de/wp-content/uploads/2019/02/zoe-dp-richters-siemoneit-wachstumszwang.pdf)

  • Allgemeiner gesagt ist die These, dass - neben anderen Gründen - solche Wachstumsdynamiken Gründe sind, warum keine konsequente Klimapolitik gemacht wird. Es gäbe aber Möglichkeiten, diesen Dynamiken entgegen zu wirken - nur wird darüber medial/politisch nicht/kaum gesprochen. In diesem Sinne haben wir einen (politischen, ökonomischen) Wachstumsimperativ.

  • Diese Norm drückt sich auch darin aus, wie ökonomische Modellierungen gemacht werden. Es stimmt: Grundsätzlich ist es möglich, in solchen Modellierungen kein Wachstum anzunehmen. Das kommt den meisten Ökonom:innen aber nicht in den Sinn.

  • Da die De-/Postgrowth-Forschung sehr plural ist (= Dachbegriff) finden wir hier ein breites Spektrum: Ökonom:innenen, die dazu forschen, wie eine Postwachstumsökonomie makroökonomisch modelliert werden kann (vgl. Steffen Lange, Uni Siegen), aber auch Ökonom:innen die den neoklassisch fundierten Modellierungen und ihren Annahmen skeptisch gegenüber stehen (manche nutzen daher alternative Ansätze aus der Komplexitätsökonomik, andere wiederum arbeiten theoretisch oder mit qualitativen bzw. anderen quantitativen Methoden; vgl. feministische Ökonomik, marxistische Ökonomik, Wirtschaftsethik etc.).

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Glaube wir sind fast schon dort angekommen. Und zwar dadurch, dass an jedem Rohstoff quasi CO2 klebt. In einer umfänglichen Life Cycle Analyse würde man auch den Einfluss auf andere Umwelt Güter berechnen. Das macht es aber aus meiner Sicht unnötig kompliziert. Schon Carbon Footprint zu berechnen ist komplex. Mit ETS, CO2 Steuer und CBAM sind wir aber auf einem guten Weg überall ein Preisschild dran zu hängen

Wie oben beschrieben, habe ich bisher von keiner ökonomischen Theorien gelesen, die „Wachstum“ als explizite Modellannahme voraussetzen.

Ich habe nach der wissenschaftlichen Fundierung („positive Ebene“) gefragt und bekomme diese Auflistung an wagen Methoden. Diese Diskrepanz verursacht bei mir ein Störgefühl, weil meine konkrete Frage meinem Gefühl nach nicht befriedigend beantwortet wurde.

Dazu hilft es womöglich, wenn ich meine Frage präzisiere:

Vorab: Unter einer wissenschaftlich fundierten Theorie verstehe ich jene Hypothesen, die der wissenschaftlichen Methode standhalten können. Das heißt insbesondere, dass (1) die Hypothese (neue) falsifizierbare Vorhersagen macht und (2) diese Vorhersagen durch reale, reproduzierbare Beobachtungen bzw. Experimente verifiziert werden. Der wissenschaftliche Diskurs dreht sich schließlich darum, (a) die etablierte(n) Theorie(n) zu testen und so ggf. zu widerlegen bzw. deren Geltungsbereich einzuschränken und (b) konkurrierende Theorien zu entwickeln, die eine ähnlich gute oder bessere wissenschaftliche Fundierung aufweisen können.

Vor diesem Hintergrund: Auf welcher wissenschaftlichen Fundierung fussen Degrowth-Überlegungen?

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Suche mal nach Testverbrauch, hier wären das 20l. Normale SUV dann vielleicht auch mal 10l. Die Herstellung von 1kWh e-Fuel verbraucht ca. 3kWh Strom, vielleicht so?

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Ich bin sehr froh, hier mal eine offenbar kompetente, fundierte und wenig ideologisierte Auseinandersetzung zu diesem Thema zu lesen.

Ich hatte das schon mal versucht:

Hat mir aber im Ergebnis nicht geholfen.

Bislang konnte ich das nur überfliegen und werde ich am kommenden Wochenende mal mehr Zeit dafür nehmen. Bis dahin, lieber Valentin @Iljam, danke schon mal! Das wird mich sicherlich weiter bringen.

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Das Problem ist nicht die Nutzenfunktion als analytisches Werkzeug sondern die Frage in welchem Scope es eingesetzt wird - inwieweit es die Realität abbilden kann, zB wie die Nutzungsfunktionen verschiedener Akteure verknüpft sind (also eher Makro als Mikro). Auf der Produzentenseite steigt der Nutzen bei Fixkosten>0 oft mit der Anzahl der produzierten Güter. Das erzeugt Anreize zur Beeinflussung der Parameter der Nutzenfunktionen auf dem Absatzmarkt und zwar in Richtung hoher Nutzen noch nicht gekaufter Güter und geringer Nutzen bereits gekaufter. Dazu kommen versteckte Folgekosten, die nicht in die Kaufentscheidung einfließen sollen.
Wenn wir noch die Beeinflussung der Politik bei der Gestaltung von Rahmenbedingungen einbeziehen, sind wir vermutlich komplett außerhalb des Scopes von Nutzenfunktionen.

Die Idee des homo oeconomikus setzt zu viele der hoch dynamischen und miteinander verknüpften Parameter als Konstant voraus um einen Nutzen zu haben.
Es gibt keine fixen linearen Nutzenfunktionen zwischen denen sich mit den effizientesten Produzenten ein fixes Pareto-Optimum einstellt. Die Idee ein Wirtschaftssystem anhand von Größen zu steuern die das meiste Ausblenden ist wenig erfolgversprechend.
Achtung Wortwitz: Das ist wie Navigation nur mithilfe von Mikroskopien der Straße.

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