Kann es sein, dass Du die Idealwerte des Model Y mit Worst-case Werten eines Verbrenners vergleichst? Laut Spritmonitor ist ein Verbrauch von >10l bei pkw recht selten. Wo kommen die 30l her?
Das ist allerdings auch das Ziel vom Green Growth, also der „Meanstream“-Wirtschaftspolitik unserer Zeit.
Ich habe den Eindruck, dass sich ein grenzenloses und heterogenes Spektrum an Vorschlägen bzw. Überzeugungen unter dem (missverständlichen?!) Wort „Degrowth“ sammelt. Von Personen, die sich das vermeintliche Idyll einer vorindustriellen, stagnierenden Agrargesellschaft zurückwünschen bis hin zu Personen, die quasi Green Growth befürworten, aber vor der Eventualität warnen wollen, dass während der grünen Transformation der Wohlstand vorübergehend nicht wachsen wird.
Da wird es schwer ein gemeinsames Ziel zu finden, dass „Degrowth“ klar von „Green Growth“ abgrenzt.
Was soll eigentlich grünes Wachstum sein? Dass es mehr erneuerbare Energien und mehr Kreislaufwirtschaft geben muss, ist relativ klar. Aber was soll noch wachsen?
Der Wohlstand? Von welchem Anteil der Bevölkerung? Von welchen Ländern?
Seht euch den Rohstoffverbrauch an. Aktuell baut die EU ein zweifelhaftes Gesetz (Critical Raw Materials Act), dass ihr weiteren Zugang zu Rohstoffen in anderen Ländern sichern soll. Sehr schnell, wohl an vielen Stellen mit dem Green Deal „gelabelt“, aber durchaus zu hinterfragen. Sind die Rohstoffe wirklich nur für Windräder & Co?
Wir nutzen massiv Rohstoffe aus anderen Ländern. Jedes Auto ist eine Blechkiste, jedes Wohnmobil (die Dinger werden immer beliebter und sind oft auf öffentlichen Parkplätzen abgestellt) ist ein ganzes Rohstoffreservoir. Wir gewinnen fast nichts in Deutschland selbst…
Lithium für Batterien, Erz für Eisen. Bauxit für Aluminium … etc… etc… etc. In Brasilien, Argentinien, Afrika, Indonesien… überall auf der Welt. Und alles für unseren Wohlstand? Im Ernst?
Teilweise werden die Rohstoffe, von denen wir profitieren, unter miserablen Bedingungen und mit katastrophalen Folgen für Umwelt, Wasser und Bevölkerung in Entwicklungsländern, teils sogar in Gebieten indigener Völker gewonnen/sollen gewonnen werden. Deshalb eine Frage: Kann es wirklich richtig sein, dass bei uns die Zulassungszahlen für Autos steigen? (Autos stehen hier exemplarisch für vieles andere)
nähere Informationen bei Power Shift e.V. (Hannah Pilgrim) https://power-shift.de/
Ich bin dafür, dass wir ehrlich sind/werden. Dass Politiker:innen und Gesellschaft ehrlich und transparent sind. Vom grünen Wachstum zu sprechen entspricht nicht den Anforderungen und wirkt auf mich unehrlich.
Ja, Green Growth hat daselbe Ziel beschränkt sich aber oft auf CO2-Reduktion / Klima, während Degrowth-Literatur konsequenter alle planetaren Grenzen mit berücksichtigt. Der springende Punkt ist aber nicht das Ziel, sondern die Mittel der Zielerreichung. Hier gibt es sehr deutliche Unterschiede zu Green Growth.
Ich stimme zu, dass es ein gewisses Spektrum in Diskurs gibt - die wissenschaftliche Degrowth-Forschung hat aber nichts mit vorindustrieller Agrargesellschaft zu tun und befürwortet auch technische Innovationen (abgelehnt wird nur ein blinder Solutionismus, d.h. nur auf technische Innovationen zu hoffen). Und: Neben der Kontroversität im Detail gibt es schon einige Kernforderungen als gemeinsames Ziel:
Arbeitszeitverkürzung
Mindestlohn und Maximaleinkommen; Progressive Steuerreform
Die empirische Forschung ist eindeutig: Selbst die Ländern, die am stärkten bisher CO2 reduziert haben und unter konservativen Annahmen ist eine Green Growth Strategie nicht mehr möglich, wenn man das Paris Abkommen berücksichtigt bzw. einen Klimakollaps verhindern will.
(Vogel/Hickel 2023: Is green growth happening? An empirical analysis of achieved versus Paris-compliant CO2–GDP decoupling in high-income countries: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2542519623001742)
Die gute Nachricht ist aber: De-/postgrowth Politiken führen zu mehr Wohlstand für die meisten, da es ja soziale Politiken den Kern ausmachen. Der Wohlstand des derzeitiges BIP-Wachstums kommt ja gerade nicht bei der Mehrheit der Menschen an, das Trickle-Down-Narrativ ist empirisch widerlegt.
Ich würde es so formulieren: Die Ausrichtung der wirtschaftlichen Aktivitäten soll weg vom BIP, da zu viele Größen negativ auf das Wohl der Menschen aber positiv auf das BIP einzahlen.
Beliebter Klassiker: Ein höherer Bedarf an Bein-Prothesen erhöht das BIP, ist aber schlecht für die Betroffenen.
Anderes Beispiel ist Obsoleszens begünstigendes Engineering.
Der Unterschied liegt wohl eher in der (postulierten) Eignung der gewählten Mittel als im Ziel.
Grünes Wachstum ist aus dieser Perspektive quasi die freiwillige Selbstverpflichtung unter den Anpassungen des Wirtschaftssystems.
Das BIP. Weil es ein wichtiger Indikator in unserem Finanzsystem ist. Ein nicht funktionierendes oder gar kollabierendes Finanzsystem führt auch nicht zu Wohlstand. Für keinen.
Grünes Wachstum will Wirtschaftswachstum und Umweltschutz kombinieren.
Du vermischst hier doch die Probleme. Selbst wenn dein Idealzustand, dass alle nur noch ÖPNV fahren, eintritt, bleibt das andere Problem bestehen. Auch Züge und Schienen benötigen Rohstoffe. Du musst also die Abbaubedingungen ändern.
Es gibt leider empirisch kein „grünes Wachstum“, das ist ja gerade mein Punkt. Mit einer „grünen Wachstum“-Strategie kann das Paris Abkommen nicht mehr eingehalten werden und wir risikieren, gefährliche Klima-Kippunkte zu überschreiten. Das müsste medial diskutiert werden. Ich denke, ein Problem ist, dass Journalist:innen nicht einordnen können, dass die Green Growth Szenarien einiger Ökonom:innen auf Modell-Simulationen mit irrwitzigen Annahmen beruhen, während die empirische Forschung (und die Mehrheit der Klimawissenschaftler:innen) längst weiter sind. Auch der IPCC ist inzwischen am Umdenken.
Wie meinst du das? In Europa wachsen ja durchaus Länder wirtschaftlich, während ihre Emissionen sinken [1]. Das geht natürlich nicht schnell / stark genug, aber weder empirisch noch theoretisch ist mir klar, warum es
nicht mit grünem Wachstum auch noch schneller gehen sollte sobald der politische Wille da ist
mit Degrowth besser funktionieren sollte
Die Tatsache, dass aktuell der Klimaschutz nicht Fährt aufnimmt liegt m.E. nicht am Wirtschaftssystem sondern an der mangelnden Bereitschaft ernsthaft etwas dafür zu tun.
Dass wir nicht schnell genug sind und Paris so nicht einhalten können, stimmt. Ich bin aber optimistisch, da einige Indikatoren darauf hinweisen, dass es gerade bei den Erneuerbaren exponentiell (disruptiv) umgebaut wird.
Ja, es stimmt: Einige Länder des globalen Nordens wie Deutschland haben eine absolute Entkoppelung des BIP vom CO2-Ausstoß erreicht
Problem 1) Wir brauchen eine ausreichend absolute Entkoppelung, um das Parisabkommen einzuhalten bzw. die Erherzitzung unter 2 Grad zu halten. Die erreichten CO2-Reduktionen sind nicht nur ein bisschen zu wenig, sondern „highly insufficient“.
„Decoupling can certainly be accelerated. However, there are real physical limits to how much and how fast decoupling can be sped up within a growth-based approach. Under growth-oriented conditions, decoupling (indeed mitigation) relies mainly on replacing existing infrastructure and technology (eg, energy infrastructure and the car
fleet) with low-carbon or low-energy alternatives. This type of transition cannot be done at just any desired speed, nor promptly accelerated at any desired rate, given available production facilities, know how, labour, material resources, existing infrastructure, and so on. And slower decoupling rates in the near term would require much
faster decoupling rates later to remain within a given carbon budget. The large, near-instantaneous acceleration of decoupling that would be required for high-income countries to achieve green growth is thus very unlikely to be feasible.“ (Vogel/Hickel 2023: 765) https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2542519623001742
Problem 2): Wir müssen ALLE planetaren Grenzen einhalten und Wachstum auch von Material Footprint entkoppeln. Hier zeigt die Empirie: Wir haben nicht mal eine relative Entkpoppelung in Industrienationen. Global gibt es sogar eine starke Koppelung. Siehe Graphik 2 unten; Quelle: https://www.nature.com/articles/s41467-020-16941-y/figures/1
Welche Indikatoren stimmen dich optimistisch? Ab welchem Punkt in der Klimakatastrophe sollten wir deiner Ansicht nach von einer Wachstumstrategie abrücken?
Graphik 1: Emission reductions achieved in high-income countries through recent absolute decoupling are highly insufficient for complying with their fair-shares of the 1·5°C global carbon budget
Graphik 2: Relative change in main global economic and environmental indicators from 1970 to 2017
siehe auch meine Antwort auf die Entoppelungsfrage von MartinH.
In Kurz: Von grünem Wachstum kann man erst sprechen, wenn es nicht nur absolute, sondern ausreichend absolute Entkoppelung des Wachstums von Emissionen UND Ressourcenverbrauch gibt.
=> Emissionen: Selbst die 11 Ländern mit dem meisten CO2-Reduktionen sind weit entfernt von ausreichender Entkoppelung (vgl. Vogel/Hickel 2023)
=> In Bezug auf Material Footprint haben die meinsten Länder nicht mal eine relative Entkoppelung
=> Außerdem brauchen wir globale Entkoppelung: Einiges an Entkoppelungserfolgen aus dem globalen Norden basiert auf Externalisierung in den globalen Süden.
=> Theoretisch kann ich hier nicht alles im Detail ausführen. Ein zentraler Aspekt ist, dass Effizienz-Gewinne häufig unwirksam sind, da die frei gewordenen Einkommen oder Energie/Ressourcen in zusätzliche Produktion/ Konsum gesteckt wird (Rebound-Effekte)
zu 1. Wenn politischer Wille da ist, kann es schneller gehen, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass es schnell genug geht (es ist, wie eine fahrende Rolltreppe hochlaufen). Empirisch siehe Vogel/Hickel 2023 u.a. andere Literatur, die ich oben in versch. Antworten verlinkt habe.
zu 2. Nun ja: Wir brauchen gesellschaftliche Diskussionen, wie es funktionieren kann. Und es gibt eine große Bandbreite an super Forschung dazu. Ein Beispiel: Technische Innovation führt zu Effizienz-Gewinn - Arbeit:innen produzieren in selben Zeit gleiche Menge eines Produkts. Jetzt kann man entweder die Produktion erhöhen (Wachstum), Arbeiter:innen entlassen oder aber die Arbeitszeit reduzieren bei gleichbleibendem Lohn. Letzteres ist sowohl ökoligsch als auch sozial und wäre degrowth. Weitere Beispiele: Tempolimit; autofreie Innenstädte; Flugverkehr regulieren. Dann wüssten wir sofort, dass CO2 eingespart wird. Auch sind die CO2-Emissionen und der Ressourcenverbrauch von Superreichen extrem hoch. Auch hier muss angesetzt werden.
Was ich immer noch nicht verstehe ist, warum eine Degrowth Debatte um das BIP herum angestoßen wird dann ein Postgrowthdebatte entsteht, anstatt erst einmal alle notwendigen Indikatoren (neben CO2 eben auch Rohstoffverbrauch etc.) zu ergänzen, diese einem Preisregime zuzuführen und sich zu überlegen, wie das Pariser Abkommen weiterentwickelt werden kann.
Ein paar Beispiele für wünschenswertes Wachstum: Im Gesundheitssektor gibt es noch Wachstumsmöglichkeiten (z.B. bis jeder Bundes- oder Erdenbürger die gleiche optimale medizinische Versorgung wahrnehmen kann). Im Bildungssektor und in der Wissenschaft gibt es noch Wachstumsmöglichkeiten (z.B. ein neues, größeres CERN, um die fundamentale Physik besser zu verstehen). In der Raumfahrt gibt es noch Wachstumsmöglichkeiten (z.B. um den Mars zu kolonialisieren oder ein Kometenabwehrsystem zu installieren).
Das hängt sicherlich auch davon ab, welche Länder die diversen anstehenden Transformationen konsequent umsetzen und wie diese Länder unabhängig von der Wirtschaftspolitik ihre Verteilungspolitik organisieren.