Perspektiven-Vielfalt bei ökonomischen Themen / Interview-Partner:innen / De- und Postgrowth-Forschung in wirtschafts- und klimapolitischen Debatten

Ordnungsrecht ist ja auch nur eine Form den Leuten etwas vorzuschreiben. Außerdem, wenn sich die Gesellschaft darauf einingt, dass in bestimmten Bereichen, die Vorteile des einzelnen nicht den Schaden an der Gesellschaft rechtfertigen, dann ist es ja auch vollkommen in Ordnung da Vorschriften zu machen.

Außerdem verstehe ich nicht ganz, warum es nicht ok ist unser heutiges System aus wissenschaftlicher Sicht umzubauen. Wie sollen wir denn ansonsten das System umbauen? Mit Würfeln? Oder sind wir jetzt auf ewig in diesem einem System gefangen, egal ob es bessere Systeme gäbe?

Und warum wäre ein BIP agnostisches System so schlimm?

Aber um nochmal auf die Thematik, wir packen einfach ein bisschen Ordnungsrecht oder verwenden Nutzenfunktionen, um die externalisierung von Kosten zu verhindern: Wenn die Theorie stimmt, dass Wachstum fast ausschließlich durch Externalisierung kommen kann, dann hilft das alles nicht wirklich. Weil entweder wird im Kapitalismus die gesamte Menschheit daran arbeiten, das Ordnungsrecht oder die Nutzenfunktionen zu umgehen, oder wenn das nicht klappt, wird es zum Schrumpfen kommen, was in einer riesen Krise des Kapitalismus enden würde.

Schwierig. Kommunikativ ja, viele Autofahrer würden da sofort zustimmen. Aber eine Verhaltensänderung tritt ja nur ein, wenn man eine Alternative zum Auto hat. Da wird bei vielen das Auto leider (noch) alternativlos sein.

Mit Demokratie. Wissenschaft sollte die Basis sein. Hin und wieder ist das überlebenswichtig.

Und eine Demokratie kann auch ihren Untergang beschließen oder ihn durch Nichtstun zulassen.

Weil ein Wachstumsversprechen bei einer Entscheidungsfindung hilft. Wenn das Versprechen nicht gegeben kann, ist halt der Weg dahin umso länger. Dann diskutieren wir weitere 30 Jahre.

Ja, das kann mMn nur ein Versprechen eines „sozialen Wachstums sein“, da sind die Potenziale riesig, unendlich eigentlich. Das in die materialistisch sozialisierten Köpfe zu bringen, ist ene Herkulesaufgabe, die eine Weile dauern wird, und in dieser Übergangszeit fürchte ich werden Regierungen hart scheinende Massnahmen treffen müssen, die sich aber nach dem ersten Fremdeln der Leute schon als sozialer Fortschritt und Verbesserung der echten (immateriellen) Lebensqualität herausstellen werden - sofern nicht die bösen Männer dieser Welt die Schaltstellen übernehmen …

Ok, ich denke die aller wenigsten Postwachstumsbefürworter sind für eine Änderung weg vom Kapitalismus durch eine Diktatur

Interessante Formulierung. Aber da sind wir wieder beim Problem: Wachstum als Selbstzweck

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Blockzitat

…kann man als Problem sehen.
Es gilt jedoch drauf zu achten, dass man ins Handeln kommt.
Die durchaus nachvollziehbaren Ansatzpunkte eines Degrowth können schrittweise in die bestehende Wirtschaftslogik eingeführt werden. Das hilft auch, Auswirkungen besser zu verstehen.

Will man das Problem des Wachstums in den Mittelpunkt stellen, erwarte ich hysterische Diskussionen entlang solcher Schlagzeilen: „Wissenschaft fordert Deindustrialisierung zum Klimaschutz. - Der Green Deal hilft dem Klimaschutz nicht.“

Ich denke man muss hier 3 Diskussionen voneinander unterscheiden:

  1. Ist Wachstum ein Problem
  2. Wenn Wachstum ein Problem ist, wie können wir ein System erschaffen, dass nicht so sehr bzw. gar nicht mehr von Wachstum abhängig ist
  3. Wie kann man die Leute überzeugen

Es bringt relativ wenig versuchen die Leute von Postwachstum zu überzeugen, wenn man noch nicht mal in der Lage ist, Wachstum als Problem anzuerkennen. Das Problem ist, sobald jemand von Postwachstum anfängt zu reden wird das immer auf 2 Weisen sofort abgewürgt, entweder wird ein perfekt ausgearbeitetes Konzept für einen Postkapitalismus erwatet oder es wird suggeriert, man wolle doch wieder in Höhlen leben. Ich glaube es gibt eigentlich viele schlaue Menschen, die vermutlich noch deutlich bessere Ideen für ein Postwachstum System hätten, wenn sie sich einmal gedanken drüber machen würden, es aber aktuell nicht tun, weil sie Wachstum als gegeben vorraussetzen.

Von daher find ich den Vorschlag des Threads nicht schlecht, dieses Thema einfach mal in die breitere Öffentlichkeit zu bringen. Nicht damit man bei der nächsten Wahl direkt den Umsturz des Kapitalismus fordert, sondern, damit man einfach mal eine bessere Problemanalyse machen kann.

Es kann natürlich bei der Diskussion auch rauskommen, dass Wachstum ein Problem ist, aber jedes andere System, dass wir uns ausdenken können direkt ins Chaos führen würde, aber erst mal müssten wir die Diskussion haben, um das zu wissen.

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Ich würde mal eine Präzisierung voranstellen, von welchem Wachstum in welchen Bereichen man spricht. Dann kann man sich darüber unterhalten, in welchen Bereichen Wachstum ein Problem ist. Dann Problemlösungen.

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Vorab dieser drei Diskussionen wäre noch zu klären, was mit Wachstum gemeint ist.
Ungeschickterweise haben wir es ja zum Synonym für den anstieg des BIP werden lassen.

Gegen mehr Bildung (in einem umfassenden Sinn), mehr Freizeit, mehr Naturschutz, mehr Minderheitenschutz, mehr Frieden, mehr Demokratie, mehr Gemeinsinn etc. haben die wenigsten „Wachstums“-Kritiker etwas.
In der Öffentlichen Debatte scheint mir aber oder der Eindruck vermittelt zu werden, es ist das Wachstum an Lebensqualität, das gestoppt werden soll.
Es ist ja lediglich das fehlgeleitete Wachstum der Wirtschaft mit schädlichen Folgen, dass weg soll.

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Zunächst wäre ja auch mal der Wachstumsbegriff, den wir heutzutage benutzen, zu hinterfragen. Das bezieht sich ja am allermeisten auf das BIP, und das BIP hat eben viele Probleme, unter anderem eben genau die kaum einfließende Nachhaltigkeit. Wenn ich mir die Reifen an meinem Wagen zersteche und die dann neu kaufe und neu aufziehen lasse, dann habe ich etwas Positives für das BIP gemacht. Wenn eine Pflegekraft X alte Leute jeden Tag betreut, dann tut sie recht wenig für das BIP.

Zunächst mal, ja es ist schwer Wachstum vernünftig zu definieren. Theoretisch ist das BIP nicht unbedingt sinnvoll, da es ja nur eine Zahl ist, die man auch mit irgendwelchen Rechentricks erhöhen könnte. Also wir könnten jetzt alle anfangen Gemälde teurer zu verkaufen und der BIP würde immer weiter steigen. Aber ich glaube weder Leute die Postwachstum befürworten, noch Wachstumsbefürworter, würden sich wirklich für diese Art von Wachstum interessieren. Ich denke es geht eher um ein Wachstum in Produktivität, also überall da wo was hergestellt wird, egal ob Dienstleistung oder etwas Materielles. Der Einfachheit halber könnte man aber den BIP vielleicht als Richtwert verwenden, aber es gäbe vermutlich Szenarien in denen der BIP steigt und Postwachstumsleute trotzdem glücklich sind, diese sind aber denke ich eher unwarscheinlich.

Also die Aussage ist ja, dass unser aktuelles System auf Wachstum egal in welcher Form angewiesen ist. Nun ist die neoliberale (mainstream) Antwort darauf: Dann machen wir halt grünes Wachstum. Also alle Bereiche die wir kennen werden jetzt grün und dann packen wir noch mehr oben drauf, was auch alles grün ist. Und daraus ergeben sich nun z.B. folgende Fragen:

  • Können wir unser aktuelles System überhaupt in grün abbilden, oder ist unser (westlicher) Lebensstandard so hoch, dass das gar nicht mehr abbildbar ist?
  • Wird durch das zusätzliche Wachstum unser Lebensstandard zu hoch, sodass er nicht mehr in grün abbildbar ist?
  • Legen wir uns mit dem Wachstumszwang nicht zu viele Steine in den Weg, sodass diese das 1,5°-2°C Ziel unerreichbar machen?
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Diese drei Fragen sind für mich in drei Kurven abgebildet.

  1. das BIP, das weiter steigt.
  2. der Anteil an verbrannten fossilen Energieträgern pro BIP, der sinkt durch den Zubau von Erneuerbaren. also die Substitution des alten BIP durch „grünes“
  3. das Produkt der oberen zwei also der Ausstoß an CO2

An den Kurven könnte man erkennen, dass das Gesamt-Wachstum den Substitutionsbemühungen hin zu grünem Wachstum entgegenläuft. Oder anders formuliert: Zu einer CO2-Emissionsreduktion führt nur der Teil des Zubau von EE, der nicht von dem steigenden Energieverbrauch aufgebraucht wird.

Ich denke es sollte auch darauf ankommen was hergestellt wird. Billig produzierte Produkte geringer Qualität, die nur kurzfristig das Bedürfnis befriedigen, das zuvor künstlich durch Werbung erzeugt worden ist, haben nicht den gleichen gesellschaftlichen Nutzen wie Produkte hoher Qualität, die einen wirklichen Zweck haben, den sie nachhaltig erfüllen.

Dass die Nutzungszeit bei manchen Artikeln nur noch ein kurzer Abschnitt zwischen Produktion und Entsorgung ist, zeigt ja, dass es eine Wertvernichtung und keine Wertsteigerung ist.

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Es geht ja nicht nur um die Reduktion des CO2-Ausstoßes, es geht auch um:

  • Die Erhaltung der Artenvielfalt
  • Das Erhalten von Lebensräumen
  • Die Reduzierung von Resourcenverschwendung
  • Die Erhaltung von Trinkwasser

Jein, aus kapitalistischer Sicht sind diese kurzfristingen Produkte nicht schlecht, da sie für Geldzirkulation sorgen und Wachstum vereinfachen. Das merkt man auch daran, dass glaub ich in so gut wie allen Industrien eher in Richtung häufiger kaufen, statt länger Nutzen gegangen wird. Aus fashion wurde fast fashion, Haushaltsgeräte halten deutlich kürzer, usw. Also es kann schon vorkommen, dass die Nachfrage an Produkten irgendwann abflacht, aber das liegt dann meistens eher an den Kunden und an fehlender Innovation und nicht daran, dass auf einmal Hersteller ankommen und sagen „unser Produkt hält 5 mal so lange, wie die Konkurrenz“. Mir fällt spontan kein Bereich ein, indem das passiert sein sollte.

Aber das wäre tatsächlich einer der Punkte, an dem man umweltfreundlicher werden könnte, ohne den Kapitalismus komplett abschaffen zu müssen, indem man längere Garantien von den Herstellern verlangt. Das verlangsamt zwar das Wachstum, hindert es aber nicht komplett ganz. Wobei sich dann auch wieder die Frage ergibt, ob das spätere Wachstum dann wieder gesund ist?

Bevor du dich quälst die ernst gemeinte Frage: Warum willst du dir die Arbeit machen? :smiley:
Völlig unabhängig davon was du oder ich mit Wachstum so meinen könnten gibt es mit Blick in die Realität ja offenbar eine ganze bestimmte Art (Geld-)Wachstum, auf das es dem Unternehmer wie dem Bundeskanzler ganz real ankommt.
Und bei der anschließenden Überlegung, warum das so ist, kommt man dann vielleicht recht schnell drauf, dass das nicht mehr saubere Luft, mehr grüne Wiesen oder mehr Freizeit sein können. Übrigens auch nicht, wieviele Autos, Kaffeebecher, oder Unterhosen nun zusätzliche Bedürfnisse befriedigen.

Ich will jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen, weil derailing, aber bevor man überlegt was es noch sein oder werden könnte, kann man ja einfach erst mal genau betrachten was eigentlich ist, oder?

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Redest du von Deutschland? Hier steigt der Energieverbrauch nicht, im Gegenteil.

Ja, man sollte doch vom Status Quo ausgehen und sagen: was müssen wir tun, um die Welt zu retten (naja, ein gutes Leben für alle Menschen wahrscheinlich zu machen, alles inklusive, Umweltschutz, Artenschutz, soziale Gerechtigkeit, sozialen Fortschritt wo es nur geht). Die Frage, ob da irgendwas herauskäme, was man als materielles Wachstum berechnen könnte, stellt sich doch gar nicht, wenn es eben um die ganz grosse Frage geht. Materielles Wachstum als Voraussetzung für politisches und wirtschaftliches Handeln vorauszusetzen heisst das Pferd von hinten aufzäumen. Das lässt z.B. an eine Fussballmannschaft denken, die sagt, Fussball hat nur einen Sinn, wenn man gewinnt. Das ist dumm, weil man nicht weiss, wie es kommen wird. Da muss man schon demütig hinnehmen, dass man die Hälfte der Spiele verlieren wird, andernfalls beraubt man sich eines guten Teils der Lebensqualität, nämlich der Freude am Spiel.

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Ist da so oder sank er die letzten Jahre wegen sinkender Produktion?
Bei destatis lese ich jedenfalls:
" Der Energieverbrauch der Betriebe in der Industrie ist von 2003 bis 2021 um 15 Prozent gestiegen" (Quelle)

Primäenergieverbrauch:

Viele relevante Fakten gibt es hier:

Es lohnt sich, dort mal die Daten durchzuklicken, da man dazu neigt, die Daten intuitiv falsch einzuschätzen. Einschließlich mir, habe ich noch keinen gefunden, der die Entwicklung des Stromverbrauches richtig geschätzt hat. Der fällt seit 15 Jahren.

Ja. Ungenau formuliert. Dann ersetze Verbrauch wieder durch BIP. Ich meine eher die Nutzung von Energie. Der sinkende Primärenergieverbrauch ist ja schon Ergebnis der Substitution von effizienteren Primärenergieträgern (und weiteren Effizienzmaßnahmen).
Ich versuche die Formel nochmal:
Statt CO2 nehmen wir eine Schädigungszahl um auch andere Formen als CO2 zu berücksichtigen.
Für Grünes Wachstum ist es notwendig die Schädigungszahl pro BIP-Einheit zu reduzieren.
Wenn wir uns eine lineare Reduktion dieses Faktors vorstellen, führt ein steigendes BIP zu einem flacheren Absinken der Schädigung. Damit zu einer höheren akkumulierten Schädigung.
Also mehr Klimafolgeschäden, mehr versiegelte Fläche, mehr ausgestorbene Arten etc.

Das Problem am BIP ist, dass es nicht mal mit mehr gesellschaftlichem oder individuellem Nutzen einher geht. Das heißt, wir erzeugen mehr Schaden um eine Zahl zu erhöhen die nicht gut mit dem Wohl der Menschen korreliert.

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