Perspektiven-Vielfalt bei ökonomischen Themen / Interview-Partner:innen / De- und Postgrowth-Forschung in wirtschafts- und klimapolitischen Debatten

Bestimmte Steuern sind ein Ansatz - eine andere wäre, z.B. direkt bei den Schürfrechten anzusetzen. Klassische Forderung von sozialen Bewegungen wie Ende Gelände ist z.B. die Kohle im Boden zu lassen (und Dörfen nicht abzubaggern).

Ok, ich versuch mal allgemeinverständlich drauf einzugehen, deshalb hole ich kurz aus:

  • „Degrowth“ (oder postgrowth/Postwachstum) sind Dach-Begriffe. Sie werden im Kontext sozialer Bewegungen verwendet, aber eben auch als transdisziplinäres Forschungsprogramm. Entsprechend wird auf vielfältige Weise auf sie Bezug genommen. Übergeordnet geht es um globale ökologische Gerechtigkeit, das gute Leben für alle und Wachstumsunabhängigkeit.

  • Wachstumsunabhängigkeit: In der Forschung wird angenommen, dass es im Wirtschaftssystem verschiedene Wachstumstreiber oder -Zwängen gibt. Beispiel für eine Dynamik: Innovationswettbewerb & technologischer Fortschritt führen zu sog. technologischer Arbeitslosigkeit. Aufgrund sozialer Normen (= Erwerbsarbeit ist wichtig), Standortwettbewerb und die Abhängigkeit von Sozialversicherungssystemen von Einkommenssteuern reagiert die Politik mit Maßnahmen, die Wachstum fördern (und so Arbeitslosigkeit entgegen wirken). Ergebnis sind aber auch die entsprechenden ökologischen Konsequenzen, da eben die Entkoppelung von ihnen nicht (ausreichend schnell) funktioniert.
    (Ein kleiner Überblich - wenn auch nicht vollständig - findet sich bei Richters/Simoneit 2019: https://zoe-institut.de/wp-content/uploads/2019/02/zoe-dp-richters-siemoneit-wachstumszwang.pdf)

  • Allgemeiner gesagt ist die These, dass - neben anderen Gründen - solche Wachstumsdynamiken Gründe sind, warum keine konsequente Klimapolitik gemacht wird. Es gäbe aber Möglichkeiten, diesen Dynamiken entgegen zu wirken - nur wird darüber medial/politisch nicht/kaum gesprochen. In diesem Sinne haben wir einen (politischen, ökonomischen) Wachstumsimperativ.

  • Diese Norm drückt sich auch darin aus, wie ökonomische Modellierungen gemacht werden. Es stimmt: Grundsätzlich ist es möglich, in solchen Modellierungen kein Wachstum anzunehmen. Das kommt den meisten Ökonom:innen aber nicht in den Sinn.

  • Da die De-/Postgrowth-Forschung sehr plural ist (= Dachbegriff) finden wir hier ein breites Spektrum: Ökonom:innenen, die dazu forschen, wie eine Postwachstumsökonomie makroökonomisch modelliert werden kann (vgl. Steffen Lange, Uni Siegen), aber auch Ökonom:innen die den neoklassisch fundierten Modellierungen und ihren Annahmen skeptisch gegenüber stehen (manche nutzen daher alternative Ansätze aus der Komplexitätsökonomik, andere wiederum arbeiten theoretisch oder mit qualitativen bzw. anderen quantitativen Methoden; vgl. feministische Ökonomik, marxistische Ökonomik, Wirtschaftsethik etc.).

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Glaube wir sind fast schon dort angekommen. Und zwar dadurch, dass an jedem Rohstoff quasi CO2 klebt. In einer umfänglichen Life Cycle Analyse würde man auch den Einfluss auf andere Umwelt Güter berechnen. Das macht es aber aus meiner Sicht unnötig kompliziert. Schon Carbon Footprint zu berechnen ist komplex. Mit ETS, CO2 Steuer und CBAM sind wir aber auf einem guten Weg überall ein Preisschild dran zu hängen

Wie oben beschrieben, habe ich bisher von keiner ökonomischen Theorien gelesen, die „Wachstum“ als explizite Modellannahme voraussetzen.

Ich habe nach der wissenschaftlichen Fundierung („positive Ebene“) gefragt und bekomme diese Auflistung an wagen Methoden. Diese Diskrepanz verursacht bei mir ein Störgefühl, weil meine konkrete Frage meinem Gefühl nach nicht befriedigend beantwortet wurde.

Dazu hilft es womöglich, wenn ich meine Frage präzisiere:

Vorab: Unter einer wissenschaftlich fundierten Theorie verstehe ich jene Hypothesen, die der wissenschaftlichen Methode standhalten können. Das heißt insbesondere, dass (1) die Hypothese (neue) falsifizierbare Vorhersagen macht und (2) diese Vorhersagen durch reale, reproduzierbare Beobachtungen bzw. Experimente verifiziert werden. Der wissenschaftliche Diskurs dreht sich schließlich darum, (a) die etablierte(n) Theorie(n) zu testen und so ggf. zu widerlegen bzw. deren Geltungsbereich einzuschränken und (b) konkurrierende Theorien zu entwickeln, die eine ähnlich gute oder bessere wissenschaftliche Fundierung aufweisen können.

Vor diesem Hintergrund: Auf welcher wissenschaftlichen Fundierung fussen Degrowth-Überlegungen?

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Suche mal nach Testverbrauch, hier wären das 20l. Normale SUV dann vielleicht auch mal 10l. Die Herstellung von 1kWh e-Fuel verbraucht ca. 3kWh Strom, vielleicht so?

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Ich bin sehr froh, hier mal eine offenbar kompetente, fundierte und wenig ideologisierte Auseinandersetzung zu diesem Thema zu lesen.

Ich hatte das schon mal versucht:

Hat mir aber im Ergebnis nicht geholfen.

Bislang konnte ich das nur überfliegen und werde ich am kommenden Wochenende mal mehr Zeit dafür nehmen. Bis dahin, lieber Valentin @Iljam, danke schon mal! Das wird mich sicherlich weiter bringen.

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Das Problem ist nicht die Nutzenfunktion als analytisches Werkzeug sondern die Frage in welchem Scope es eingesetzt wird - inwieweit es die Realität abbilden kann, zB wie die Nutzungsfunktionen verschiedener Akteure verknüpft sind (also eher Makro als Mikro). Auf der Produzentenseite steigt der Nutzen bei Fixkosten>0 oft mit der Anzahl der produzierten Güter. Das erzeugt Anreize zur Beeinflussung der Parameter der Nutzenfunktionen auf dem Absatzmarkt und zwar in Richtung hoher Nutzen noch nicht gekaufter Güter und geringer Nutzen bereits gekaufter. Dazu kommen versteckte Folgekosten, die nicht in die Kaufentscheidung einfließen sollen.
Wenn wir noch die Beeinflussung der Politik bei der Gestaltung von Rahmenbedingungen einbeziehen, sind wir vermutlich komplett außerhalb des Scopes von Nutzenfunktionen.

Die Idee des homo oeconomikus setzt zu viele der hoch dynamischen und miteinander verknüpften Parameter als Konstant voraus um einen Nutzen zu haben.
Es gibt keine fixen linearen Nutzenfunktionen zwischen denen sich mit den effizientesten Produzenten ein fixes Pareto-Optimum einstellt. Die Idee ein Wirtschaftssystem anhand von Größen zu steuern die das meiste Ausblenden ist wenig erfolgversprechend.
Achtung Wortwitz: Das ist wie Navigation nur mithilfe von Mikroskopien der Straße.

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Ehrlich gesagt hatte ich die Zahl 30 nicht recherchiert. Als Ingenieur hat man aber die Größenordnung im Gefühl. Wenn die aktuellen 20 brauchen, dann passen die 30 bestens für den Bestand. Siehe auch hier:

Mir geht es gar nicht um die absoluten Zahlen sondern a) um den Vergleich und b) darum keinen Bullshit zu verbreiten. (wie schön dieses Wort zu Amerika :us: passt).
Und weil vermutlich nicht alle diesen Teil des Threads verfolgt haben das richtig gestellte Narrativ:
Verbrenner = fossil, von gestern und der Weg in die Klimakatastrophe
BEV = regenerativ, unsere Zukunft und ein Beitrag zum Klimaschutz

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Danke für die Rückfrage.

  • Vorab kurz meta-Ebene: Ich frage mich, ob Sie ernsthaft Interesse am Thema haben oder es Ihnen eher darum geht, mit solchen Fragen dem Degrowth-Diskurs wissenschaftliche Legitimität abzusprechen…? Ich gehe aber jetzt mal davon aus, dass Interesse besteht :slight_smile:

  • Ich kann es zeitlich nicht leisten, hier vertiefte erkenntnistheoretische Debatten zu führen - ein solches Forum ist auch nicht der richtige Ort dafür.

  • Zur Frage: De-/postgrowth sind wie gesagt „Dach-Begriffe“. Der Diskurs ist vielfältig, auch kontrovers. Insofern gibt es nicht die eine theoretische Grundlage, sondern unterschiedliche methodologischen und methodischen Zugänge (siehe jeweils in Literatur, s. oben).

  • Ihre Skizze folgt einem Wissenschaftsverständnis, das in der (neo-)klassischen VWL stark verbreitet ist („Positivismus“, Ideal einer objektiven Wissenschaft etc.). Es gibt aber noch andere wissenschaftstheoretischen Positionen (z.B. kritischer Rationalismus, Empirismus, postnormale W.). Seit über 10 Jahren gibt es eine Pluralismus-Debatte in der Ökonomik. Hier ein Paper zu solchen Fragen: https://www.econstor.eu/bitstream/10419/148245/1/860140431.pdf.

  • Jetzt konkreter zu „falsivisierbare Vorhersagen“:

  1. gemessen daran, müssten Sie ein Vertreter von heterodoxen Ansätzen & von Degrowth sein. Denn, was sich permanent als falsch herausstellt, sind Prognosen aus der Mainstream-Ökonomik. Was sich gerade nicht empirisch zeigt, ist „Green Growth“. (Man kann argumentieren, es werde nicht alles umgesetzt, was Green Growthler sagen; aber das kann man immer sagen). Die Realitätsferne aus dem ökon. Mainstream zeigt sich auch darin, wenn etwa ein 3,5 Grad Szenario als „optimum“ modelliert wird (Vg. Nordhaus), was klimawissenschaftlicher Wahnsinn ist.

  2. De-/Postgrowth ist dagegen evidenzbasiert - die Empirie, dass die Entkoppelung nicht stattfindet. Es wird oft argumentiert, Degrowthler:innen sollten erst „beweisen“, dass ihre Ansätze gesamtwirtschaftlich zu diesem oder jenem führt. Aber es ist erstmal umgekehrt: Wer behauptet, mit einem „weiter so“ (Wachstum) lösen wir die ökologische Krise, bei dem liegt die Last des empirischen Beweises. Man kann in einer komplexen Welt keine exakten „Vorhersagen“ machen. Aber wir können aus Vorsorgegründen die schädlichen Praktiken einschränken, von denen wir empirisch wissen, dass sie die Krisen anheizen. (Und das umsetzen, von wir durch Forschung wissen, dass Emissionen und Materialverbrauch sinkt - etwa die Senkung der Nachfrage (Konsum & Produktion) => Suffizienz (auch hier gibt es Szenarien-Modellierungen). Wenn das politisch nicht geht, weil unsere Institutionen abhängig von steigender Nachfrage/Wachstum sind, dann müssen wir die Institutionen entsprechend umbauen (Wachstumsunabhängigkeit).

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Ich weiß nicht, ob ich das nun green oder post nennen soll.
Es sollte darum gehen, neben CO2 auch Umwelt- und Ressourcenverbräuche entweder per Ordungsrecht einzuschränken oder durch Steuern, Zölle,…zu bepreisen.

Was wir wissen ist, dass kurzfristige Verknappung von Ressourcen zum BIP Rückgang führen.(Russisches Gas).
Offenbar hat das aber auch Effekte auf Themen wie Zukunftsperspektiven, Politikzufriedenheit,…
All das hat erst einmal negatives Vorzeichen.

Mindestens wissen wir doch, dass jedwede Änderungen dieses Ausmaßes mal sicher ein Generationenprojekt ist: 30 Jahre. Oder mehr. Zeitdimension wie zwischen den Konferenzen von Rio und Paris. Mindestens.

Die politische Forderung ist also schlicht, einen Ordnungspolitischen Rahmen in der EU abzustimmen (Werbeverbote bzw Einschränkungen) und Bepreisungen festzulegen: Rohstoffverbrauch per Steuer, weil nichts so schnell eingeführt wird, wie eine neue Steuer.

Und aus rein politischen Gründen würde ich es Green Growth nennen. Egal, was es wirklich ist.

Sehr interessanter Themenvorschlag!

Was halten wir eigentlich von der Idee der Donut-Ökonomie von Kate Raworth?

Buch: https://www.rebuy.de/i,10776483/buecher/die-donut-oekonomie?ga.channel=PLA&loc_physical_ms=1003854

TED Talk: https://www.youtube.com/watch?v=Rhcrbcg8HBw

Ich persönlich finde die Idee ganz charmant. In dem Buch nutzt sie allerdings viele Analogien und benennt wenig konkrete Schritte. Wäre es nicht mal spannend die Theorie der Donut-Ökonomie mit einem Experten auf ihre praktische Umsetzbarkeit zu prüfen?

Gerne höre ich auch eure Meinungen dazu!

[quote=„Drops, post:83, topic:21099“]
Was wir wissen ist, dass kurzfristige Verknappung von Ressourcen zum BIP Rückgang führen.(Russisches Gas).

Ja, wegen Gaskrise (Krieg gegen Ukraine) und Corona gab es BIP-Rückgang mit teilweise positiven ökologischen Effekten. Trotzdem ist das von Degrowth abzugrenzen: Bei Degrowth geht es um demokratisch geplante Maßnahmen, die in soziale Politiken eingebettet sind.

  • Ja: der Europäische Green Deal geht da bereits in die richtige Richtung. Beispielweise ist es ein Ansatz, daran anzuknpüfen und das Paket zu einem Green New Deal without growth weiterzuentwickeln. Spanndnes Paper dazu: Mastini et al. 2021: https://bit.ly/3Ln6IOf

Ok, das ist dann am Ende eine Frage der Kommunikation… :slight_smile: Die Donut-Ökonomie ist übrigens ein Ansatz, der durch die Begiffe etc. auf mehr Sympathie stößt.

  • Der Ansatz ist super - er knüpft an das Framework der planetaren Grenzen an und lässt sich postgrowth zuordnen. Im Buch 2018 positioniert sich Raworth „Agrowth“ - auf der #Beyondgrowth Konferenz 2023 klang es inzwischen eher nach Degrowth (https://bit.ly/45Oy9IT)
  • Das stimmt. Die Donut-Ökonomie ist zunächst ein Narrativ, das verschiedene Ansätze bündelt (ökologische-, feministische-, Komplexitäts-Ökonomike etc.).
  • Aber: Es gibt das Doughnout-Economics-Action-Lab, das den Ansatz für die Praxis (Unternehmen, Kommunen etc.) weiterentwickelt hat. (https://doughnuteconomics.org/) außerdem arbeitet auch das ZOE-Institut damit (https://zoe-institut.de/).
  • Spannend auch: Der Degrowth-Doghnut, wo visualisiert wird, welchen Beitrag verschiedene Nationen leisten (sollten): https://ipe.hr/en/degrowth-donut/
  • In der Graphik von Fanning et al. (2021: 16; https://bit.ly/3EAptKh) sieht man sehr schön worum es geht: Degrowth für den globalen Norden, Improvment für den globalen Süden (dabei auch Ungleichheiten zwischen Ländern adressieren.

    (Pfeile sind von mir)
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Die Nutzenfunktion ist theoretisch beliebig erweiterbar, d.h. an den Scope anzupassen (praktische Beschränkungen, wie die Modellberechnungsdauer und die Unschärfe bei der Datenerhebung mal außen vor gelassen). Soll ein gewisser Umstand wie z.B. die Verschmutzung der Umwelt mit Treibhausgasen ökonomisch berücksichtigt werden, so kann dies in der Nutzenfunktion parametriert werden. Ziehe ich gesundheitlichen/spirituellen/sonstigen Nutzen aus dem Anteil an Waldfläche in meiner Umgebung, so kann auch dies in der Nutzenfunktion parameteriert werden.

Ich stimmen den von Ihnen oben genannten evidenten Krisen und normativen Forderungen tendenziell bis vollumfänglich zu. Deswegen habe ich auch hohen Interesse daran, dass Mittel gefunden werden, um diese Krisen abzuwenden. Um sie abzuwenden müssen die Gesellschaft, Wirtschaft und Politik davon überzeugt werden, dass sie ihr Verhalten entsprechender Handlungsempfehlungen ändern müssen. Die Handlungsempfehlungen werden nur dann mehrheitlich akzeptiert werden, wenn sie aus einer vertrauenswürdigen Quelle stammen. In unserer säkularisierten Welt genießt höchstens die Wissenschaft ein solches Vertrauen. Daher sehe ich die Weiterentwicklung der wissenschafttichen Theorien und Modelle als als einziges Mittel zur Abwendigung der Krisen. Und bei der Weiterentwicklung bestehe ich auf den Imperativ der wissenschaftlichen Methode.

Ich führe diese Diskussion ergebnisoffen. Ich habe die wissenschaftliche Legimitität des Degrowth-Diskurses nicht in Abrede gestellt, sondern im Gegenteil nach ihr gefragt.

Ich nehme an, Sie beziehen sich hierbei auf ein Modell, dass das aktuelle Verhalten der Menschen in die Zukunft extrapoliert. Das Modell sagt also vorher, dass – wenn wir unser Verhalten nicht ändern – wir auf das 3,5°C Szenario zusteuern. Worauf bezieht sich Ihre Kritik? Denken Sie, dass die Vorhersage bei den gegebenen Annahmen falsch ist oder dass die Vorhersage nicht erstrebenswert ist?

Und es ist Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft das optimale – quantitative – Maß dieser Einschränkungen zu finden.

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Ich wiederhole meine Worte aus dem Thread aus November 2022:

Es gibt sicherlich viele gute Bücher dazu. Ich möchte aber eindrücklich vor dem Buch von Kate Raworth warnen. Das Buch zitiert Fakten aus seriösen Quellen, zieht aber absichtlich logisch falsche Schlüsse. Nur ein Beispiel unter sehr vielen: Es wird argumentiert, dass exponentielles Wachstum nicht unendliche lange funktionieren kann. Daraus wird geschlossen, dass wir Degrowth brauchen. Kein Wort zu weniger extremen Wachstum, beispielsweise linearem oder asymptotischem Wachstum. Es wird einem geradezu aufgedrängt, dass die „hidden agenda“ des Buches darin besteht, Degrowth zu propagieren - als Selbstzweck, nicht als Mittel zum Umweltschutz.

Ich möchte hinzufügen, dass „Doughnut Economics“ nachweislich regelmäßig unlautere Rhetorik verwendet.

Nun wurden durch @Ilja und mich wohl die beiden Extreme in der Wahrnehmung dieses Buches aufgespannt. :wink:

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Ja, durchaus interessant. :slight_smile:
Wie gesagt plädiert sie ja im Buch gar nicht für Degrowth, sondern ist agnostisch gegenüber Wachstum. Und was die Rhetorik betrifft: Ich stimme in dem Sinne zu, dass sie Framing-Techniken in der Mainstream-Ökonomik kritisiert, aber selbst welche verwendet ohne sie explizit zu machen. Wenn man es wohlwollend liest könnte man aber auch sagen, dass sie einfach ein populärwissenschaftliches Buch geschrieben hat mit dem Ziel, möglichst verständlich und anschaulich ihre Ideen darzustellen. Wichtiger als das Buch finde ich die Initativen, die sich jetzt (auch unabhängig von ihr) engagieren.

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Alles klar - dann vielen Dank für die Klarstellung und das Interesse :slight_smile:

Nein, es war umgekehrt: Der Ökonom William Nordhaus (hat den sog. Wirtschaftsnobelpreis bekommen, der aber kein echter Nobelpreis ist) hat allen ernstes berechnet / gesagt, es sei ökonomisch sinnvoll, statt einem 1,5 ein 3,5 Grad Ziel anzusteuern. Andere Wissenschaftler:innen haben dann später seine Simulationen weiterentwickelt und kamen dann zum Ergebnis, unter 2 Grad sei doch besser. - Ich finde es ein schönes Beispiel, wie sich Ökonom:innen zuweilen in ihren Modellwelten verlieren und naturwissenschaftliche Erkenntnisse ausblenden können.
(Hier findet sich ein Artikel zu der Story: UN-Klimaziele sind ökonomisch sinnvoll: Ambitionierter Klimaschutz zahlt sich aus — Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung)

Teil 1

@Ilja hat ja schon vieles beantwortet, ich versuche es trotzdem nochmal gerne mit meinen eigenen Worten (auch wenn ich vermutlich vieles doppelt sage, was schon gesagt wurde). Zunächst mal ist das „Ziel“ von den meisten Degrowth-Befürwortern, zu einem Punkt zu kommen, an dem die Menschheit halbwegs im Einklang mit der Natur und den Mitmenschen leben kann (Damit ist nicht nur CO2 gemeint, sondern auch sowas wie Biodiversität und genug Trinkwasser). Wichtig dabei ist, Degrowth bedeutet nicht, dass es kein Wachstum mehr geben darf. Z.B. in Entwicklungsländern ist Wachstum vollkommen in Ordnung, selbst in entwickelten Ländern ist es in Ordnung, dass es in einigen Bereichen, wie z.B. den Erneuerbaren Wachstum gibt. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass in der Degrowth-Bewegung der Degrowth an sich kein Selbstzweck ist, im Gegensatz zur Wachstumsgesellschaft, wo das Wachstum zum Selbstzweck wird. Stattdessen ist die Aussage des Degrowth eher, wenn wir das Ziel eines nachhaltigen Leben erreichen wollen, muss es zwangsläufig zu einer Reduktion der Produktivität kommen und somit zum Degrowth. Von daher hätten die meisten Befürworter von Degrowth vermutlich nichts gegen Green Growth, sie haben nur die Einschätzung, dass er nicht möglich ist. Wachstum basiert hauptsächlich auf der Externalisierung von kosten, daher schafft man es vielleicht in einzelnen Bereichen ein Decoupling zu erzeugen, aber wird es nie ganz schaffen. Ein Vergleich den ich mal gelesen habe: Green Growth ist wie der Versuch eine Rolltreppe in die entgegengesetzte Richtung hoch zu laufen und die Rolltreppe beschleunigt sich dabei auch noch immer weiter.

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Teil 2

Um mal ein paar Beispiele zu nennen, was uns auf unserem Weg zur Nachhaltigkeit helfen kann:

  • Wir sollten massiv weniger Kleidung kaufen (Degrowth)
  • Wir sollten massiv weniger Autos besitzen und fahren (Degrowth)
  • Wir sollten massiv weniger tierische Produkte essen (Degrowth)
    • Wir sollten allgemein weniger essen (Degrowth)
  • Wir sollten massiv weniger Fläche versiegeln (Degrowth)
  • Wir sollten auf kleineren Wohnfläche leben (Degrowth)
  • Wir sollten unsere Handys länger nutzen (Degrowth)

Wo wir Wachstum benötigen:

  • Wir sollten Solar, Wind, Wärmepumpen massiv ausbauen. Dabei ist aber zu beachten, dass dieser Ausbau mit dem Schrumpfen der Fossilindustrie einher geht. Netto wird man vermutlich trotzdem mehr Wachstum raus haben, aber der ist auch nur temporär. Wenn alles umgestellt ist, würde es zu einem massiven Produktivitätseinbruch kommen und man müsste wieder neue Wachstumsbereiche sich aus den Ärmeln ziehen.
  • Wir sollten mehr Bahn fahren, das würde aber nicht den Degrowth in der Autoindustrie abfangen können
  • Wir sollten mehr pflanzlich und bio essen, wird vermutlich nicht den Degrowth in der Fleischindustrie ausgleichen.

Dabei ist es dann sehr fraglich ob die wenigen Wachstumssektoren, die anderen Sektoren, die eigentlich schrumpfen, müssten ausgleichen könnten.

Ein weiteres Problem von Green Growth ist, dass es extrem anfällig ist für Green Washing. Des Weiteren ist Green Growth in unserem aktuellen System auch eher Wachstum, das möglichst Grün sein sollte. Das heißt, wenn das mit dem „grün“ gerade mal nicht so läuft, brauchen wir ja trotzdem unbedingt Wachstum. Außerdem in unserem aktuellen System, mit dem Wachstumszwang, nehmen wir uns halt sehr Effektive Werkzeuge selber weg. Zum Beispiel während wir hier schreiben, wachsen Bereiche weiter, bei denen wir das eigentlich gar nicht wollen, und die es uns schwerer machen in eine nachhaltige Lage zu kommen. Da können wir nicht einfach mal sagen: Stopp mit dem Wachstum, bis wir das mit dem Green Growth herausgefunden haben. Stattdessen brauchen wir jedes Wachstum, das wir bekommen können. Auch die oben aufgeführten Sektoren können wir nur sehr schwer schrumpfen lassen, weil wir uns die Hände gebunden haben. Eine Postwachstumsgesellschaft gäbe uns da viel mehr Freiheit, bei der wir schrumpfen, aber auch wachsen können, je nachdem, was uns gerade besser ans Ziel bringt.

Noch 2 nette Nebeneffekt von Degrowth:

  • Unser Witschaftssystem ist gerade sehr auf Kante genäht, das heißt, sobald das mal mit dem Wachstum nicht klappt, sind wir sofort in einer Krise und das mittlerweile alle paar Jahre. In einer Postwachstumsgesellschaft könnten wir ein deutlich robusteres System bauen.
  • Da die Bekenntniss zum Degrowth eine Änderung des Mindsets erfordert, könnten wir vielleicht endlich dahin kommen, dass sich nicht mehr alle auf Instagram & Co miteinander vergleichen, wer das teuerste Auto und die schicksten Klamotten hat, stattdessen geht es dann mehr um ein Miteinander.
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Sind wir tatsächlich schon soweit, als Mensch und Gesellschaft?