Hätten Sie 60 Sekunden investiert und Ihre (Primär-)Quelle tatsächlich gelesen, dann hätten Sie von dort ausschließlich Folgendes zitiert: „Der Jungsozialist Stoltenberg änderte dann, nach dem Vietnamkrieg, langsam aber sicher seine Meinung.“
Es wurde bisher kein Argument vorgebracht, weshalb der zitierte Satz von Hersh ein „Sprachbild“ sein soll. Hersh schreibt ja nichts von „about the time“ oder „in the years after“, sondern eben wortwörtlich „since the Vietnam War“ - und der endete nach allgemeingültiger Definition nun mal 1975. Es ist auch weder oberflächlich, noch hat es irgendetwas mit einer besonders kontrovers geführten Diskussion zu tun, Tatsachenbehauptungen in einem journalistischen Text auf deren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Und diese Überprüfung fällt eben nicht nur in diesem Fall eindeutig aus.
Ich verstehe ehrlich gesagt nicht ganz, warum Du meinst, jetzt Hersh verteidigen zu müssen, indem Du ihm unterstellst, er habe ja eigentlich etwas ganz anderes sagen wollen. Wenn Hersh hätte sagen wollen, dass Stoltenberg irgendwann nach dem Vietnamkrieg seine ehemals ablehnende Haltung zur NATO geändert hat, hätte er das ja einfach tun können. Seine Pointe ist aber ja gerade, dass Stoltenberg schon immer ein richtig „harter Hund“ und gegen Russland war (das sind jetzt meine Worte). Und als angeblichen Beleg dafür führt er die frühe Zusammenarbeit Stoltenbergs mit der US-Sicherheits"community" an. Dabei hat er sich offensichtlich nicht mal die Mühe gemacht, 20 Sekunden lang zu recherchieren, wie alt Stoltenberg ist. Und nun wiederhole ich nochmal ein Argument von Oliver Alexander: Wenn jemand dermaßen offensichtlich wie Hersh versucht, seinem Text mit (vermeintlichen) Details Glaubwürdigkeit zu verschaffen und sich diese Angaben dann mit so wenig Aufwand als bloße Fiktion entlarven lassen, spricht das insgesamt nicht gerade für die Glaubwürdigkeit des Textes.
Hersh betreibt hier schlicht offensichtlichen, mithin plumpen Revisionismus. Hersh behauptet an der betreffenden Stelle ja nicht nur, Stoltenberg habe „since the Vietnam War“ mit amerkanischen Geheimdiensten zusammengearbeitet, sondern auch, dass er spätstens seit seiner Regierungszeit „a hardliner on all things Putin and Russia“ gewesen sei. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Anders Fogh Rasmussen galt Stoltenberg allerdings als ‚soft‘ gegenüber Russland, und die ihn unterstützenden Länder (nicht nur die USA, auch Deutschland, Frankreich u.a.) erhofften sich eine ‚pragmatische‘ und ‚konstruktive‘ Russland-Politik mit ihm als NATO-Generalsekretär. Stoltenberg galt als jemand, der sogar von Vladimir Putin geachtet war und als norwegischer Regierungschef erfolgreiche Entspannungspolitik gegenüber Russland gefahren hatte.
All dies ignoriert Hersh freilich und spekuliert stattdessen ohne einzigen Beleg über weit zurückreichende Kontakte in die amerikanischen Sicherheitsbehörden. Er verschweigt dabei erneut, was man tatsächlich über Stoltenbergs Geheimdienstkontakte aus den 80er Jahren weiß: Durch seine diplomatischen Kontakte in die sowjetische Botschaft in Oslo wurde er schließlich KGB-Informant - Codename „Steklov“.
Inhaltlich teile ich deine Einschätzung, allerdings ging es mir ja im Zusammenhang mit Hersh um wirklich belegbare bzw. widerlegbare Tatsachenbehauptungen. Aussagen darüber, was für eine Einstellung X gegenüber Y hat, fallen juristisch vermutlich eher in den Bereich der Meinungsäußerung.
@Nonhicamplius Auch hier Zustimmung, aber der KGB war der sowjetische Geheimdienst, nicht der russische. Damit will ich Dir nicht unterstellen, dass Du den Unterschied nicht verstehst und oft mag es ein sprachlicher Lapsus sein (wie „England“ statt „Großbritannien“ oder „Vereinigtes Königreich“), aber gerade bei historischen Betrachtungen ist dieser Unterschied aus meiner Sicht relevant.
So und an beide: Sorry für meine Korinthenkackerei
Sie haben in diesem Thread zusammenhangslos über Peskow, Chrupalla, Reptiloide, UFOs und Monty Python geredet. Dazu kommt wiederkehrend der Versuch meine Person ad hominem zu diskreditieren. Selbst den geteilten Artikel, der zu weniger ad hominem und zu weniger Lagerdenken appelliert, haben Sie zum Anlass für weiteres ad hominem und Lagerdenken genommen („Unentschieden vorgeschlagen“) genommen. Und schließlich sind Sie im vorangehenden Beitrag unmotiviert mit „20 Sekunden gesucht, war so schwer…“ zu ad personam überzugehen. Hinzu kommt, dass Sie offensichtlich nicht ihre Primärquelle gelesen haben, sondern haben explizit eine Primärquelle zitiert, die diametral gegen Ihre Argumentation steht. Das kann mal passieren. Es wäre von Ihnen aufrichtig gewesen, den Fehler einzugestehen oder wenigstens etwas leiser zu treten. Stattdessen genau das bei der Gegenseite mit „Warum nicht einfach zugeben, dass man falsch liegt?“ einzufordern, wirkt nicht gerade integer.
Vermutlich haben Sie mit dem obigen Satz wieder meine Person angreifen wollen. Dabei passt er doch so passgenau auf Ihre Verhalten in diesem Thread.
Eine positive Beobachtung, die ich Ihren Beiträgen entnehmen kann, ist dass die Mitdebattanten, die Sie vermutlich in Ihrem „Lager“ verorten, Ihrer Art der Argumentation anscheinend wenig Beifall zollen. Stattdessen beobachte ich dort eine überwiegend sachorientierte Herangehensweise oder es wird wenigstens nur Seymour Hershs Person angegriffen und nicht der Debattengegner.
Mein Plädoyer daher: Gerade im Kriegsdiskurs gibt es vernünftige Gründe, zu zweifeln, und zu einem kritischen Umgang mit Quellen. Nicht nur, wenn eine Information oder Informationsquelle den eigenen Erwartungen und Sympathien widerspricht, sondern auch dann, wenn sie aus dem (vermeintlich) „eigenen Lager“ kommt.
Wenn du die letzten 10 Worte auf Seymor Hersh münzt, gibt es dann nicht grundsätzlichen Grund zum zweifeln?
Wie bereits oben beschrieben, sehe ich im allgemeinen Sprachgebrauch je nach Kontext bei der Referenzierung von geschichtlichen Epochen eine gewisse zeitliche Unschärfe bzw. zumindest die Möglichkeit dazu. Der 30. April 1975 ist ein Extremum in diesem Spektrum. Angenommen Stoltenberg hätte seine Meinung „erst“ am 30. Mai 1975 geändert. Ist es dann in Ihren Augen auch eine Unwahrheit, wenn man „since the Vietnam War“ sagt? Falls Sie das verneinen, haben Sie qualitativ der Existenz des sprachlichen Spektrum zugestimmt. Von hier aus ist es nur noch eine quantitative Einstellung, welchen Zeitbereich man noch diesem Spektrum zuordnet.
Ich habe Hersh nicht verteidigt. Ich habe die Gültigkeit des „since the Vietnam War“ Arguments in Frage gestellt.
Laut der letzten Quelle von @Nonhicamplius hatte Stoltenberg zumindest in den späteren 1980ern Kontakt mit dem KGB. Es erscheint mir zumindest im Bereich des Möglichen, dass sich dieser Kontakt im Namen der NATO anbahnte. Ob man das nun für wahrscheinlich hält bzw. ab wann dieser Kontakt vorbereitet wurde, ist jedem selbst überlassen.
Ich denke, wir können uns recht sicher sein, dass Hersh weiß, wie alt Stoltenberg ist. Zumindest macht er auf mich noch den Eindruck, Herr seiner kognitiven Fähigkeiten zu sein.
Sorry, aber ich teile den Eindruck, dass du dazu neigst, das Ziel zu verschieben, wenn jemand anderes deinen Ansichten oder Argumenten widerspricht. Zum Beispiel von der Frage, ob Hershs Tatsachenbehauptungen nachweislich falsch sind zur Biografie Stoltenbergs. Ich finde nicht gerade überzeugend, aber auch nicht besonders schlimm. Aber das festzustellen ist beileibe kein Angriff auf deine Person!
Ich wundere mich hingegen, warum wir über die Semanik von „since the Vietnam War“ reden statt über die behaupteten US-Kontakte des jungen Stoltenbergs oder besser noch, die Behauptungen zum Tathergang wie beispielsweise die „shaped C4 charges“.
Ich habe oben seine ad hominem und ad personam Argumente aufgelistet. Soll er meinetwegen so weiter machen, solange es keine strafrechtliche Relevanz erreicht. Ob man so eine Argumentation gut und überzeugend findet oder ablehnt, ist natürlich jedem selbst überlassen.
Dieser Vorsatz gilt für alle Quellen, also auch für Hershs Artikel. Aber genau das passiert hier und anderswo doch gerade: Es wird der Versuch unternommen, die jeweiligen Tatsachenbehauptungen Hershs zu falsifizieren. Und selbst wenn sich keine, oder keine relevante, Tatsachenbehauptung falsifizieren lässt, heißt das im Umkehrschluss ja nicht, dass sie wahr sein müssen.
"Ich glaube nicht, dass sie das gründlich durchdacht haben. Ich weiß, das klingt seltsam. Ich glaube nicht, dass Außenminister Blinken und einige andere in der Regierung tiefgründige Denker sind. "
Nee die Haupthese ist dass die einfach dumm, irre sind und es gemacht haben weil sie es können ^^ der rest is window dressing. Das ist genau was mich daran stört, wenn man individuelle irrationalität unterstellt kann man eh alles behaupten, weil es per se nicht nachvollziehbar ist. Das ist Anstalt/Kabaretisten Niveau. Man versteht die Zweckrationalität/Instrumentelle Logik von Systemen und Ideologie nicht deswegen ist alles dann ein mischmasch aus völlig diffusen Machtinteressen und Irrationalität. Deswegen fängt man sich auch immer Verschwörungstheoretiker ein selbst wenn das nicht beabsicht war.
Naja, der track record der Amerikaner was Aktionen angeht, die irre klingen und sich im Nachhinein als absolute Vollkatastrophen herausstellen, ist jetzt nicht der Beste:
Und wenn man dem glauben schenkt, was Wesley Clark mal dazu gesagt hat, war es ja sogar noch schlimmer, auch wenn ich hier eigentlich keine Gerüchte streuen will:
Man sollte hier also nicht unbedingt mit der klugen Weitsicht der USA oder deren guten Leumund argumentieren, finde ich, das gilt aber natürlich für viele Nationen.
Nochmals wenn du davon ausgehst dass Akteure schlicht irrational sind dann erübrigt sich jeglicher Gedanke oder Analyse… Der Punkt ist nicht dass die Aktionen irre klingen sondern ob die Akteure irrational handeln, Clerk und Hersh implizieren sogar dass sie bewusst irre Handeln. Was bei Clerk eine bewusste Zuspitzung ist, ist bei Hersh allerdings eine Begründung.
„Irre klingen“ bezieht sich auf eine allgemeine Vorstellung von rationalität, das iat aber nicht was ich meine. In den meisten fällen reden wir bei konkreten Handlungen von Zweckrationalität, diese ist allerdings Abhängig von Ideologien, systemlogiken, Informationen etc. aus deisen kann man Ziele, wertvorstellungen etc ableiten und damit die Handlungen nachvollziehbar machen. Das heißt nicht dass die Handlungen nicht weiterhin völlig wahnsinnig sind, nur kommt die irrationalität dann aus der entsprechenden Eigenlogik. Wenn du dich allerdings wie Hersh hinstellst und sagst die sind dumm und irre, dann verdeckst du diese Ideologie. Auch scheint es für investigativ journalisten nachhaltig ein Problem zu sein, gleichzeitig mit den inneren Handlungen des Staates konfrontiert zu sein es aber nicht einordnen zu können. Greenwald ist auch so ein Kandidat für durchgedrehte Berichterstattung gerade.
Aber so grundsätzlich es ist ok sich bei einem Bier, in einem Kabarettabend oder einer Debatte über die Irrationalität des Systems aufzuregen, solange das Karthasis ist und nicht Verständnis verwechselt wird.
Irgendwie faszinierend, es wird gefühlt nur noch über die Vita von Stoltenberg aber nicht mehr über das eigentliche Thema gesprochen.
Ja, spannender Diskussionsverlauf.
Ich verstehe ihn nicht so ganz; in meinen Augen ist relativ klar dass der Hershbericht
a) im Großen und Ganzen plausibel erscheint und
b) keinerlei Beweise enthält, sondern wenn dann lediglich Indizien und eine einzige Quelle, die nicht verifziert werden kann.
Unabhängig von diesem Bericht kann man das ganze aus folgender Perspektive sehen:
Die USA verhängen in Friedenszeiten Sanktionen um Nordstream 2 zu verhindern.
Im Anschluss kündigen sie an, dass sie "einen Weg finden werden, die Pipeline zu verhinden.
Whoever sprengt drei der vier Rohre in die Luft.
US-amerikanische Politiker freuen sich darüber und sprechen offen aus, dass es in ihrem Interesse ist, dass die Pipeline nunmehr ein Haufen Altmetall am baltischen Meeresboden ist.
Wirkt auf mich wie ein ziemlicher Powermove um ehrlich zu sein.
Manchmal sind die Dinge wirklich sehr vorhersehbar: Die Zeitung von Holger Friedrich, der den putinfreundlichen Brief von Schwarzer und Wagenknecht erstunterzeichnet hat, führt ein ehrfürchtiges Fanboy-Interview mit Hersh („Was bedeutet Mut für Sie?“), in dem die Kritik lediglich zärtlich angedeutet wird („Manche sagen…“).
Das klingt ja sehr danach, als hätten die Argumentationsmuster aus russischen Trollfarmen es inzwischen direkt in die russischen Botschaften geschafft Wirklich überraschen tut mich das nicht.
Noch 2 Stimmen zu Hersh: 1. Bob Woodward, ebenfalls eine „Reporterlegende“, hat sich dazu geäußert:
„Eine Menge Leute haben ihn gebeten, die Story nicht zu veröffentlichen, weil sie einfach nicht wahr ist“, berichtete Woodward. Doch leider habe der 85-Jährige nicht auf den Rat seiner Freunde gehört.
Der Historiker und Energieforscher Simon Pirani hat eine Einschätzung zu Hershs Text abgegeben. Darin heißt es
I do not know who blew up the pipelines. But here I will show that (i) Hersh’s claims about the effect and purpose of the sabotage are factually incorrect, (ii) his account of the build-up to the explosion misses out huge chunks of the story and is grossly misleading, and (iii) his explanation for U.S. motivation is flawed, and his failure to examine Russian motivation is one-sided.
Der Text ist in New Politics erschienen, ich muss aber zugeben, dass ich ihn noch nicht gelesen habe.