Muss Deutschland "kriegstüchtig" werden?


Jede Nation die Krieg führt oder führen will, nimmt für sich in Anspruch irgendetwas zu verteidigen. Russland verteidigt sich angeblich gegen die NATO, westliche Nationen verteidigen angeblich gerne Werte oder die internationale Ordnung. Keiner labelt sich freiwillig als Angreifer, das ist nicht chic. Stattdessen wird immer überall nur verteidigt.

Bei der Frage, warum eine Nation kriegstüchtig werden soll/will, ist es also gänzlich unbrauchbar zu fragen, ob sie sich verteidigen will oder nicht, denn die Verteidigung wird im Zweifel auch mal am Hindukusch nötig sein. Selbst wenn Pistorius also Verteidigung meinte, wäre das immer noch keine Erklärung.

Stattdessen sollte man schon genau darauf schauen, was denn da eigentlich faktisch für Zwecke verfolgt werden, wenn jemand Kriegstüchtigkeit fordert. Und da lohnt sich eben ein Blick auf die wirklich sehr zahlreichen Forderungen, Deutschland „müsse mehr Verantwortung übernehmen“.

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Ich weiß nicht, auf konkret welche Forderungen Du Dich beziehst. Ich würde diese Forderungen so interpretieren, dass wir endlich aufhören müssen, an der eigenen Verteidigung zu sparen in der Hoffnung, dass die Amerikaner uns schon verteidigen würden. Das ist abgründig egoistisch und schafft Abhängigkeiten, die ich spätestens vor einer Trump-USA auf gar keinen Fall haben wollte.

Implizierst Du hier, die Forderung nach der „Kriegstauglichkeit“ der Bundeswehr sei in Wirklichkeit mit dem Ziel in die Welt gesetzt, Deutschland solle in der Lage sein, einen Angriffskrieg zu führen?

Das würde an der öffentlichen Diskussion über „kriegstüchtig“, wie ich sie bislang verstanden habe, meilenweit vorbeigehen …

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Na irgendwie hast du scheinbar doch ne Ahnung, was gemeint sein könnte, wenn du’s interpretieren kannst. :smiley: Spaß beiseite, eine kurze Google Suche nach „Deutschland muss Verantwortung übernehmen“ liefert dir X Politiker die das über die Jahre von sich gegeben haben, darunter AKK, VDL, Scholz, MASZ…

Und ne. Ich hab nur a) darauf hingewiesen, dass das Wort „Verteidigen“ im staatlichen Verkehr einfach keine nennenswerte Aussagekraft hat.
Und b) dass Deutschland seine Armee braucht um, ja, ganz traditionell, Angriffe auf sich abschrecken und abwehren zu können. Aber vor allem dafür wofür alle Staaten ihre Armeen außerdem brauchen, nämlich um durch glaubhafte Drohungen seinen Interessen zur Durchsetzung zu verhelfen. Darauf kommt’s an. Und dazu haben westliche Nationen (Angriffs)Kriege fast nie nötig.

Ich wüsste nicht, dass ich grundsätzliche Argumente gegen Militär gemacht habe. Es geht mir nur um den Umfang eines solchen Militärs (und vielleicht die Organisation, das ist aber nochmal ein ganz anderes Problem).

Das ist mir schon klar. Wir können in der Zwischenzeit gerne die Militärausgaben zurückfahren.

Du stellst einen Haufen Fragen, die alle geklärt werden müssen, als ob das unüberwindbare Hindernisse wären. Mit dem Mindset gäbe es die EU überhaupt nicht, wir würden uns in Kleinstaaterei verlieren und es käme regelmäßig zu Spannungen an der deutsch-französischen Grenze.

Bin mir nicht ganz sicher, ob das jetzt Ironie war.

Aber wenn ich es mal ernst nehme: wir fahren die Ausgaben für die Bun deswehr massiv runter. Kein neues Gerät, keine neue Munition. Maximal die laufenden Kosten wie Heizung und Benzin. Idealerweise fährt man das Personal auch runter, weil dann weniger Kosten.
Warum dann die Bundeswehr nicht ganz abschaffen?
Der Gedanke wäre ja dann, das wir in Deutschland keinerlei militärische Bedrohungen fürchten muss, weder jetzt noch in Zukunft.Ist das realistisch?
Jetzt mal überspitzt formuliert…

Ich weiß nicht, warum hier andauernd mit „alles oder nichts“ argumentiert wird (@sereksim s Beitrag ging ja in dieselbe Richtung). Man kann doch der Meinung sein, dass es Bedrohungslagen gibt, gegen die eine Verteidigungsfähigkeit wünschenswert wäre, aber diese Bedrohung massiv übertrieben wird.

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Das Bedrohungsszenarien immer sehr spekulativ sind, in beide Richtungen, bestreitet wohl niemand.

Meine Frage ist halt, wollen wir eine Armee mit einem konkreten Auftrag wie Landes-und Bündnisverteidigung, dann muss ich diese Armee entsprechend ausstatten und befähigen, um diesen Auftrag in vollem Umfang leistenzu können.

Wenn man sagt, Geld für Rüstung und Militär ist nicht gewollt oder soll dauerhaft lieber für „wichtigere“ Dinge ausgegeben werden, dann stellt sich mir schon die Sinnfrage.Unabhängig von Bedrohungslagen.

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Ich würde noch einwerfen, dass sich Bedrohungslage und Verteidigungsfähigkeit bedingen. Weil wir verteidigungsfähig sind, gibt es keine Bedrohungslage.

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Das ist doch eine Plattitüde. Die Frage ist ja gerade: Was ist „entsprechende Ausstattung“ und wie groß soll der „volle Umfang“ genau sein?

Das hängt ja vom vorher definierten Auftrag ab, den die Politik definiert.

Hängt auch von den gemachten Zusagen gegenüber der NATO ab. Was man benötigt, um ein Land wie Deutschland gegenüber Aggressionen von aussen zu verteidigen, lässt sich ja durchaus feststellen.
Wenn da das Scheckbuch ausreicht, auch gut

Also erst einmal ist die Art der Kriegsführung vs. Ukraine anders als in einem potentiellen Konflikt mit der Nato. Zweitens und noch wichtiger: dieses vergleichen von Verteidigungsausgaben als Proxy für militärische Stärke ist völlig unsinnig.

Nehmen wir zb. Russland vs. BRD:
Ein großer Teil unserer Verteidigungsausgaben fallen auf Sold und co.
Die Russen nutzen Wehrpflichtige um einfachere aber fundamental (!) wichtige Aufgaben wie Logistik zu übernehmen (zb. LKWs fahren, in Lagerhallen arbeiten etc.). Dies mit der Tatsache dass die Lebenskosten in Russland in einem anderen Universum stattfinden, machen schon mal deutlich wieso diese Vergleiche nonsense sind.

Weiterhin unterhalten die Russen Schattenhaushalte, rechnen zehntausende Truppen mit schwerem Gerät (IFVs, Artillerie, Söldnertruppen etc.) heraus, indem man sie zu „Internen Truppen“ o.ä. rechnet, obwohl diese an oder hinter der Front benutzt werden.

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Mal eine andere Meinung.
Speziell die Aspekte „Zusamnenhalt der NATO“ und „Verteidigungsbereitschaft der deutschen Bevölkerung“ sind durchaus bedenkenswert.

Nur zur Einordnung:

Christian Mölling ist ein Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Deren Vorsitzender ist der ehemalige Vorstandvorsitzende des Rüstungsunternehmens Airbus SE. Ich habe also Zweifel an der Objektivität dieses Beitrags.

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wie gesagt, eine andere Meinung. Meinungen sind immer subjektiv.

Allerdings finde ich, das beide genannten Punkte nicht ganz von der Hand zu weisen sind.

Ansonsten könnten wir das Sondervermögen für ganz andere Dinge nutzen, die möglicherweise sinnvoller sind, falls uns grundsätzlich keinerlei Gefahren drohen.

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Der Hauptpunkt ist ja wohl der Zusammenhalt der NATO. Herr Mölling räumt ja ein, dass Russland keine Chance gegen eine geschlossene NATO hätte.

Das Szenario wäre also: Russland marschiert in die baltischen Staaten ein und die NATO zerstreitet sich? Ich sehe nicht so richtig, wie das realistisch ist. Das Resultat des russischen Angriffs auf die Ukraine war die Vergrößerung der NATO um Schweden und Finnland, also genau das Gegenteil.

Wenn ich also das Zerbrechen der NATO nicht für realistisch halte, muss ich mir auch keine Sorgen um Russland machen. Und ja, ich finde auch, wir sollten das Sondervermögen für sinnvollere Dinge nutzen (auch wenn ich eher davon abraten würde, nochmal zu versuchen, ein Sondervermögen umzuwidmen).

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Was mich wieder zu der etwas gemeinen Frage bringt, welchen Zweck hat die Bundeswehr? Oder anders gefragt, zu was soll sie in der Lage sein?

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Ich finde „Objektivität“ einen merkwürdigen Maßstab bei solchen Fragen. Ich finde es gut, auch darauf hinzuweisen, dass die DGAP, also der Think Tank für den Mölling arbeitet, wie alle anderen Institutionen auch, bestimmte Interessen verfolgt und dass es dabei auch Interessenkoalitionen mit der Rüstungsindustrie gibt. Dennoch sollte man seine Argumente zur Kenntnis nehmen und sich mit diesen auseinandersetzen. Es ist ja nicht so, dass die Vertreter anderer Positionen keine Interessen hätten. Die Frage, ob Deutschland (oder Europa) einer Bedrohung ausgesetzt sind, auf die es auch in der Lage sein sollte, militärisch zu reagieren, ist nunmal im Kern eine politische Frage. Sie lässt sich daher nicht „neutral“ oder „objektiv“ beantworten.

Carlo Masala und Nico Lange haben neulich mal in der ZEIT skizziert, wie eine Situation aussehen könnte, wenn Russland den Krieg in der Ukraine „gewinnt“ (dazu gehört nach ihrer Definition auch ein „Einfrieren“ der derzeitigen Situation, bei der Russland knapp 20% des ukrainischen Staatsgebiets kontrolliert). Chat GPT fasst die Konsequenzen wie folgt zusammen:

  1. Permanenter Konflikt und Massenflucht: Ein russischer Sieg würde zu anhaltenden Unruhen in der Ukraine führen, begleitet von einem Exodus der Bevölkerung aufgrund russischer Repression und mangelnder Lebensperspektiven.
  2. Auftrieb für Extremisten: Ein erfolgreicher russischer Angriff könnte extremistischen und populistischen Gruppen in Europa Auftrieb geben, indem sie behaupten, dass die Unterstützung der Ukraine vergeblich ist und sich eine Annäherung an Russland als unabdingbar erweist.
  3. Dominanz Russlands und Nato-Zerfall: Ein siegreiches Russland würde eine „neue Sicherheitsordnung“ in Europa schaffen, die die Nato schwächen und die Dominanz Russlands fördern könnte, während einige Länder aus der Nato und der EU austreten.
  4. Zunahme nuklearer Proliferation: Die Erfahrung eines russischen Sieges könnte dazu führen, dass Länder wie die Ukraine verstärkt auf den Besitz von Atomwaffen setzen, was die Gefahr von Fehlkalkulationen und technischen Versagens erhöhen würde.
  5. Beginn einer autoritären Weltordnung: Ein russischer Sieg hätte globale Konsequenzen, einschließlich einer Schwächung der Demokratie, einer Relativierung der Menschenrechte und einer Stärkung autokratischer Regime, wodurch die Welt in Richtung einer autoritären Ordnung tendieren könnte.

Ich halte ein solches Szenario nicht für völlig abwegig. Ohne finanzielle und militärische Unterstützung der NATO könnte das durchaus bedeuten, dass es eine sehr viel tatkräftigere deutsche (oder europäische) Armee braucht. Dass private Rüstungskonzerne damit fette Profite machen, ist ja keineswegs in Stein gemeißelt…

Der erste Punkt ist ja schonmal die geschlossene NATO. Wenn ich es richtig verstehe bedeutet ja auch ein Bündnisfall nicht automatisch, dass alle Mitglieder in voller Militärischer Stärke unterstützen müssen, sondern das ist mit Interpretationsspielraum versehen. Gerade wenn jetzt andere Länder auch eine Gefahr sehen selbst angegriffen zu werden, dann bleibt die Hilfe vielleicht klein.

Und Trump hat ja schon recht deutliche Worte gefunden. Sollte er gewählt werden, dann sehe ich da durchaus eine realistische Gefahr und damit ein Vakuum.

Und selbst wenn man zur Einschätzung kommt, dass es unrealistisch ist, dass die NATO zerbricht, muss man sich immer vor Augen führen, dass es Jahre bis Jahrzehnte braucht die Bundeswehr ernsthaft verteidigungsfähig zu machen. Kann man sich wirklich so lange ausschließlich auf Bündnispartner verlassen und wäre es nicht auch berechtigt, wenn diese dann sagen sie sehen es nicht als Bündnis wenn ein Land sich hier Ausgaben auf Kosten anderer Länder spart?

Es muss ja nicht gleich eine formale Auflösung der NATO sein, es reicht ja schon, dass das Militärbündnis im Falle eines russischen Angriffs auf das Baltikum nicht zu einem entschiedenen gemeinsamen politischen und militärischen Handeln in der Lage ist, etwa weil

  • die USA unter Trump sagen: Kümmert ihr in Europa mal selber um euren Kram
  • die Türkei, Ungarn und eventiell noch weitere NATO-Länder im Grunde gar nichts gegen Putin haben und lieber „pragmatisch“ mit Russland umgehen wollen
  • weitere NATO-Staaten aus diversen innen- oder außenpolitischen Gründen lieber den Ball flach halten wollen (so wie Deutschland vor dem Februar 2022)
  • die wenigen NATO-Staaten, die „willig“ sind, in so einem Fall alleine gar nicht richtig handlungsfähig sind, zumindest nicht militärisch
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Um da mal einen Deckel (für mich) drauf zu machen:

Wir leben in einer Demokratie mit Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt. Das ist sehr gut so.
Daher kann man für eine Armee sein, dagegen oder auch keine Meinung dazu haben. Völlig in Ordnung, es gibt für alles schlagkräftige Argumente.
Aber als Demokratie zählen auch Mehrheiten, wenn es um grundlegende Entscheidungen oder Festlegungen geht.
Für mich fehlt irgendwo die konkrete gesellschaftliche Aussage oder Mehrheitsmeinung, ob wir eine Armee in Deutschland für sinnvoll halten oder nicht, mit allen Konsequenzen. Das würde ich auch von der geltenden politischen Entscheidung, welche die Existenz einer Bundeswehr legitimiert, unterscheiden.
Sprich, sagen wir als Gesellschaft ja zu einer Bundeswehr, dann müssen wir uns auch über den Zweck und Einsatzszenarien einig sein. Dann diese Bundeswehr auch konsequent materiell und personell befähigen, genau diese Aufgaben auch in einem realistisch definiertem Rahmen ausführen zu können. Basierend auf dem Konsens, das es in der Welt unkalkulierbare militärische Risiken gibt.
Sagen wir als Gesellschaft nein zu einer Armee, wofür es auch gute Argumente gibt, dann müsste man konsequent die Bundeswehr auflösen, aus der NATO austreten und (wenn aus ehrlich pazifistischen Motiven) sämtliche Rüstungsunternehmen in Deutschland schliessen. Basierend auf der Erkenntnis, das für Deutschland keinerlei militärische Bedrohungen zu erwarten sind, weder jetzt noch in Zukunft.

Diese aktuelle gesellschaftliche Twilight Zone finde ich auch für unsere Soldaten und Soldatinnen unbefriedigend.

Man sollte sich aber klar sein, ob man sich auch halbwegs realistische Prognosen und Fakten stützt oder auf hehrem Wunschdenken.

Just my point…