Deutsche bzw. europäische Strategie zum Russland-Ukraine-Konflikt

Sollte man hier einschränken und statt von Frieden per se von langfristigem oder nachhaltigem Frieden sprechen? Ich kann mir vorstellen, dass es insg. wirtschaftlicher ist, diesen Konflikt auszutragen und der russischen Expansion einen Riegel vorzuschieben, als kurzfristig ein Abkommen mit Gebietsabtretungen zu vereinbaren und zwei, drei Jahre später wird sich dann das Baltikum einverleibt.

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Vielleicht ist auch interessant, was die Ukraine will?

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Eine Zustimmung der Ukraine halte ich bei irgendwelchen Friedenslösungen sowieso für unabdingbar. Allerdings ist die ukrainische Haltung in dieser Frage ja nicht statisch, sondern hängt von den Hoffnungen und Möglichkeiten ab: Solange das westliche Bündnis hier eine harte Unterstützung-Linie fährt, wird die Ukraine auch nicht von der Wiederherstellung des Vorkriegs-Status abrücken.

Hast du hierzu eine Quelle, die das gut darstellt? Ich sehe das genau so wie du, allerdings bin ich öfter in Diskussion mit Leuten, die es andersherum deuten: Die Bundesregierung habe schon deutlich früher verlautbaren lassen, dass man eine strategische Abkehr von russischem Gas sucht.
Das stimmt sicherlich auch, aber das Ausbleiben zukünftiger Aufträge gibt einem Lieferanten ja nicht das Recht, von bestehenden Verträgen abzuweichen.
=> Gibt es da eine Quelle, die das in der Art eines Zeitstrahls abbildet bzw. kann man das rekonstruieren?

Dieses Argument halte ich in der Pauschalität für nicht valide. Momentan mag das noch zutreffen, allerdings muss man sich als Regierung auch ggf. geänderten Realitäten stellen und die Lage neu bewerten, auch wenn das eine harte Kurskorrektur erfordert. => Ich spreche hier allgemein, im Russland-Ukraine-Konflikt sehe ich das noch nicht als gegeben an, bzw. bin ich mir hier unsicher.

Dass diese Alternative nie skizziert wurde mag evtl. auch daran liegen, dass das gar nicht im Fokus der Aufmerksamkeit ist. Über solche Möglichkeiten sollte eine Regierung aber trotzdem nachdenken, auch wenn es nur hypothetische Szenarien sind.

Mal ganz basal formuliert:

Warum hat Russland die Ukraine angegriffen?

Gibt es für Putin einen Grund, sich aus der Ukraine zurückzuziehen?

Würde sich Putin dauerhaft mit 17% des ukrainischen Staatsgebietes zufrieden geben?

Putin ist erfahrener Geheimdienstler: wenn er ein Druckmittel wie Gaslieferungen gegenüber einem davon abhängigen westlichen Staat hat, warum sollte er diesen Vorteil nicht nutzen? Alles andere wäre doch taktisch unklug.

Welches Interesse hat ein Purin mit seinem historisch -expansionistischen Weltbild an einem Frieden?

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Schon vor Kriegsbeginn waren die Speicher erstaunlich leer, was einige warnende Stimmen auf den Plan rief.
Genauso gab es Leute, die vor und nach Kriegsbeginn die Abhängigkeit kritisiert haben. Bemühungen vom Gas weg zu kommen gab es keine. Die Situation hat die Regierung und die Wirtschaft völlig unvorbereitet getroffen.
Als Grund schob Putin ein Ersatzteil vor, das aus Kanada hatte geliefert werden müssen und laut Putin wegen den Sanktionen nicht geliefert werden konnte. Deswegen behauptete er, er müsse aus Sicherheitsgründen Nordstream abschalten.

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Ohne wirklich wirksame Sicherheitsgarantien wird sich die Ukraine nicht auf einen Verzicht von irgendetwas einlassen. Und wenn diese Garantien wirklich wirksam sind, widersprechen sie dem, was Russland sich unter „Neutralität“ vorstellt. Zudem will der Kreml immer noch ein Ende der Ukraine als souveränem Staat - es geht ihm nicht um ein paar Gebiete mehr oder weniger. Wie soll da ein Kompromiss aussehen? Und bis dieses Ziel erreich ist, ist eher davon auszugehen, dass Russland jeden Waffenstillstand nutzt, um sich auf einen neuen Angriff vorzubereiten. Was hätte die Ukraine damit gewonnen?

Die Darstellung impliziert, dass im Umkehrschluss die ukrainische Haltung „flexibler“ werden würde, je weniger Unterstützung es aus dem Westen gibt. Das ist aus meiner Sicht eine Fehleinschätzung der Situation in der Ukraine. Dort weiß man durch den seit knapp 10 Jahren andauernden Krieg ziemlich genau, dass Zugeständnisse und Kompomisse mit Russland eben keinen Frieden bringen. Mit sehr viel weniger Unterstützung aus dem Westen würde die Verteidigung der Ukraine vielleicht militärisch weniger erfolgreich, aber sicherlich nicht weniger entschlossen: Zudem könnte es zu mehr inneren Konflikten kommen zwischen jenen, die Kompromisse eingehen wollen und jenen, die das Land um jeden Preis verteidigen wollen. Beides würde eine Schwächung der Ukraine bedeuten und damit letztlich nur Putin nutzen. Ganz abgesehen davon finde ich es zynisch, das angegriffene Land durch unterlassene Hilfe quasi dazu zu nötigen, auf legitime Ansprüche zu verzichten. Und es wäre ein Armutszeugnis für all jene, die seit 2022 lauthals verbal ihre Unterstützung für die Ukraine bekundet haben.

Nach ca. 20 Sekunden Suche habe ich das gefunden: Nord Stream 1: Warum wirklich kein Gas durch die Pipeline fließt
Irgendein Politiker, der mal laut darüber nachdenkt, dass es vielleicht schlauer wäre, kein Gas von einem Land zu kaufen, dass dieses als Waffe benutzt und grad sein Nachbarland überfällt ist eben noch nicht dasselbe wie die Lieferungen tatsächlich einzustellen. Was die Lieferverträge angeht, war die Sprengung von Nordstream1 für Gazprom einfach enorm „praktisch“ - egal wer es nun gewesen ist. Durch eine kaputte Leitung kann man halt beim besten Willen nichts liefern…

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Das sind alles berechtigte Fragen! Aber versteh mich nicht falsch: Du kannst sie anscheinend auch nicht sicher beantworten, daher die Formulierung als Frage. Was wäre denn wenn Putin unter bestimmten Bedingungen doch bereit für einen langfristigen Frieden wäre? Genau diese Bedingungen gilt es doch herauszufinden, egal wie sie lauten mögen (bestimmte Zugeständnisse des Westens vs. militärischer Sieg über die russische Armee)!
Ich bin mir momentan nicht sicher ob in beide dieser oben genannten Richtungen wirklich ergebnisoffen nachgedacht wird. In meiner Wahrnehmung hat man sich in Gedankenspielen bzw. politischen Überlegungen auf die letztgenannte Richtung versteift, zumindest bei ernstzunehmenden Akteuren in der öffentlichen Diskussion.

Danke für die Quellen. Die darin beschriebenen Zusammenhänge waren mir bereits grob bekannt. Was mir aber noch fehlte, war die tatsächliche Laufzeit der russischen Gaslieferverträge. Die habe ich hier gefunden (teilweise bis über 2030 hinaus):
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/erdgas-russland-deutschland-lieferketten-101.html

Für mich bedeutet das, dass sich die deutsche Regierung zwar langfristig mit anderen Lieferanten strategisch neu aufstellen wollte und das auch öffentlich kommuniziert hat, jedoch Russland derjenige Akteur war, der vertragsbrüchig wurde.

So wie sich Putin bislang geäußert hat, sehe ich Russlands Bedingungen für „Frieden“ wie folgt:
Minimalforderung: die bislang besetzten ukrainischen Gebiete (knapp 20%) verbleiben in russischer Hand und werden (idealerweise) vom Westen als dauerhaft russisch anerkannt. Die Ukraine wird entmilitarisiert, bleibt neutral ohne jedwede Sicherheitsgarantien.

Idealforderung: die Ukraine fällt komplett an Russland, Selensky wird als Kriegsverbrecher vor ein russisches Gericht gestellt, und der Westen erkennt die Auflösung der Ukraine als nun russisches Gebiet an.

Maximalforderung (unrealistisch, aber Putins Traum): die NATO löst sich auf, die USA ziehen sich komplett aus Europa zurück, und Russland wird im Stile der Sowjetunion zentrale Ordnungsmacht in Europa - ggf bis an die Westküste Europas.(Damit ist nichtmal eine Besetzung der Länder gemeint, sondern eine Massive Drohkulisse im Sinne russischer Interessen)

Wüsste jetzt tatsächlich nicht, warum Putin sich mit weniger als der Minimalforderung (vorläufig ) zufrieden geben sollte. Zumindest zeigt er keine anderen Signale.

Sieht jemand noch andere Optionen, die für Putin auch innenpolitisch vertretbar wären?

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„Was wäre wenn…“ ist aber etwas anderes als das Ausloten realistischer (Ver-)Handlungsoptionen. Der Kreml hat immer wieder folgendes deutlich gemacht: Erstens: Voraussetzung für Verhandlungen ist die Anerkennung der Annexionen, die Russland 2022 vorgenommen hat (also die derzeit besetzten Gebiete der Ukraine, inklusive Gebieten, die Russland in diesem Krieg niemals kontrolliert hat). Zweitens: Das Ziel bleibt weiterhin, die Existenz der Ukraine als unabhängigen Staat zu beenden - zuletzt hat Putin in seinem Interview mit Tucker Carlson mehr als deutlich gemacht, dass er das Gebiet der Ukraine eigentlich als Teil Russlands ansieht. Drittens hat Russland bisher noch jedes Abkommen gebrochen, wenn es ihm besser in den Kram gepasst hat. Anzeichen dafür, dass es diesmal anders wäre? Keine! Deshalb wird der Kreml auch niemals handfesten Sicherheitsgarantien für die Ukraine zustimmen - ob nun mit NATO-Mitgliedschaft oder ohne - denn diese würden das unter zweitens beschriebene Ziel ja unerreichbar machen. Und ohne diese Garantien wäre ein Waffenstillstand das Papier nicht wert, auf dem er notiert ist - hat u. a. Russlands Umgang mit Minsk II und dem Budapester Memorandum gezeigt.
Ein weiterer Hinweis auf das, was Putin will, ist sein „Ultimatum“ an die USA vom Dezember 2021: Darin fordert er nicht weniger als die de-dacto Rückabwicklung der gesamten NATO-Osterweiterung. Putin hat das Ende der Sowjetunion als „größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet und will genau diesen „Fehler“ wieder korrigieren. Das ist für ihn die einzig realistische (Ver-)Handlungsgrundlage.
Alles andere Gerede über Verhandeln und Frieden ist aus meiner Sicht reines Wunschdenken, aber keine realitische Einschätzung der Lage.

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Interessante Einschätzung von Wolfgang Ischinger dazu, plus einige Hintergrundinfos:

Dann kläre uns mal auf. Wie lotet man realistische (Ver-)Handlungsoptionen aus, ohne verschiedene „Was wäre wenn…“-Optionen durchzuspielen?
Was Putin da von sich gibt, ist sein Einstiegsangebot. Jetzt gilt es herauszufinden, wie weit man ihn runterhandeln kann. Wenn man aber garnicht erst anfängt zu verhandeln, geht das Sterben ohne Hoffnung auf ein Ende bis zum St Nimmerleinstag weiter :person_shrugging:.

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Woher weißt du das? Also worauf gründest Du die Annahme, dass er sich überhaupt „runterhandeln“ lässt? Meine Vermutung wäre ja eher, dass er gar keine Notwendigkeit sieht, zu verhandeln, so lange er der Ansicht ist, dass er seine Ziele erreichen kann.

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Aus der alten Erkenntnis (Machiavelli und andere), dass man einen Krieg zwar nach Belieben beginnen, ihn aber nicht nach Belieben beenden kann. Und durch einen Blick auf die Nachrichtenlage. Es sieht gerade nicht so aus, als ob Russland den Krieg in absehbarer Zeit für sich entscheiden könnte.
Der Krieg wird erst enden, wenn beide Seiten der Einstellung der Feindseligkeiten zustimmen. Und dazu müssen beide Seiten miteinander reden - auch wenn es nur um die Formalitäten einer bedingungslosen Kapitulation geht. Der Preis dafür, dass eine der beiden Seiten bedingungslos kapituliert wird aber verglichen mit dem Preis, der heute für einen Frieden zu bezahlen wäre, unvorstellbar hoch sein. Letztlich ist das ein Optimierungsproblem, das bis jetzt in kaum einem Krieg zufriedenstellend gelöst wurde.

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Wer Putins Handeln ein wenig studiert hat, weiß, dass er durchaus langfristig denkt. Anders formuliert: Zeit ist nicht unbedingt ein Faktor. Zudem läuft es doch relativ gut für ihn: Die ukrainische Offensive ist Geschichte, eine neue ist 2024 nicht zu erwarten, die Umstellung auf Kriegswirtschaft beginnt sich an der Front auszuzahlen, die Opposition von rechts (Prigoschin, Girkin etc.) ist de facto inexistent, die Unterstützung für die Ukraine schwindet und wird nach dem wahrscheinlichen Wahlsieg von Trump noch weiter erodieren und in der Ukraine zeigen sich erste politische Risse - waraum sollte er da irgendwie von seinem Kurs abweichen und warum zum Henker sollte er über irgendetwas verhandeln?

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Vielleicht müssen wir das mal aus Putins Sicht betrachten, um mögliche Optionen Russlands zu skizzieren.

Einmal die Person Putin und seine „Vision“. Putin pflegt ja eine sehr eigene Geschichtsinterpretation und sieht für sich das Ziel, die Geschichte mindestens bis in die 90er rückabzuwickeln.
Also die Sowjetunion in alten Grenzen wieder als Gegenstück zu NATO. Das hat sicher auch was mit Ego zu tun, zudem wird die Kompromissbereitschaft im Alter nicht besser.

Innenpolitisch hat sich Putin und sein Umfeld sehr stark auf einen Sieg in der Ukraine festgelegt, ein Abrücken davon wäre, auch nach den immensen russischen Verlusten, sein (nicht nur?) politischer Tod. Ein solcher Kompromiss würde ihm als Nachgeben gegenüber dem Westen ausgelegt, das würde sein ultrarechtes Umfeld kaum mitgehen.

Er ist Geheimdienstoffizier gewesen. Diese denken in der Regel komplexer. Also nicht nur der Blick in die Ukraine, sondern auch in

Was ist mit der Ukraine? Wie beharren auf der staatlichen Souveränität der Ukraine, diskutieren aber darüber, über den Kopf der Ukraine hinweg über deren Zukunft zu entscheiden, mit der Maßgabe, was für uns in Deutschland am besten ist. Zynisch.
Was hätte eine Ukraine zu erwarten, würde man den Krieg unter den jetzigen Status einfrieren? Verlässliche Sicherheit? Stabile Demokratie? Wirtschaftliche Entwicklung? Freiheit und Sicherheit für Ukrainer in den besetzten Gebieten?
Was ist dann mit den Ukrainern hier in Deutschland? Bleiben die dann? Wollen die das?

Verhandeln ist immer besser, aber es muss zumindest eine Mininalbeteitschaft da sein, und die Ukraine ist auf Augenhöhe dabei

Das ist ja keine neue Frage und auch in diesem Forum gibt es gefühlt alle paar Wochen einen neuen Thread mit mehr oder weniger demselben Inhalt. Ich möchte daher an einen Post vom Dezember erinnern, wo ich den Inhalt eines Artikels von Nico Lange und Carlo Masala zusammengefasst habe, der sich genau mit der Frage beschäftigt, was denn bei so einem „Einfrieren“ passieren würde: Muss Deutschland "kriegstüchtig" werden? - #54 von Flixbus
Kurz gesagt: Für die Ukraine würde ein solches Einfrieren weder verlässliche Sicherheit, noch eine stabile Demokratie, noch eine gute wirtschaftliche Entwicklung bedeuten, von Freiheit und Sicherheit für Menschen in den von Russland kontrollierten Gebieten ganz zu schweigen. Und die Zahl der Menschen, die aus der Ukraine flüchten, dürfte eher drastisch zunehmen als dass Menschen zurückkehren - auch das gehört ja mit zu Putins Kallül, Europa zu destabilisieren. Denn je instabiler Europa, desto mächtiger Russland - so zumindest seine Denke. Man sollte halt wissen, mit wem man da „verhandeln“ will…

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Ja, alles nicht neu.

Was ich mich bei den Verhandlungsansätzen immer Frage, mit welchem Ziel geht man als Ukraine und als westliche Nationen in solche Verhandlungen?
Und welche Erwartungen hat man an Russland, also welches Entgegenkommen würde man minimal ansetzen?

Man macht ja nicht einfach einen Termin und setzt sich ergebnisoffen bei einer lauwarmen Vanillemilch zusammen.

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Zumindest bei manchen würde ich vor allem einen riesengroßen Wunsch unterstellen, dass der Krieg einfach irgendwie vorbeigeht und man sich dann selber nicht mehr damit beschäftigen muss. Darunter sind sicherlich Menschen, die aus guten Gründen Krieg an sich einfach schrecklich finden, aber auch jene, die offen sagen, dass sie lieber heute als morgen wieder das schöne billige Gas von Putin kaufen wollen. Was dieser „Frieden“ dann konkret bedeutet - etwa für die Menschen in der Ukraine - dürfte in beiden Fällen erst mal zweitrangig sein.
Dass Verhandeln grundsätzlich besser ist als Krieg, ist eine Binse. Dass Verhandeln - egal wie und mit welchem Ergebnis - tatsächlich in jedem Fall immer besser ist, ist hingegen ein Dogma. Das ist zumindest meine Meinung.

Eine ausführliche Übersicht über die bisherigen Versuche der letzten zwei Jahre, mit Putin zu verhandeln, gibt es hier: