Deutsche bzw. europäische Strategie zum Russland-Ukraine-Konflikt

Hallo liebe Foristen, hallo liebes Lage-Team!
Lange ist dieses Thema in den Hintergrund geraten, aber in der aktuellen LdN wurde es ja wieder behandelt: Ich würde gern mit euch diskutieren ob Deutschland bzw. die EU die richtige Strategie in diesem Konflikt verfolgen und wie diese Strategie überhaupt aussieht.

Hier einige Argumente, die gegen den aktuellen Ansatz (harte Opposition ggü. Russlands Aggression) sprechen:

  1. Die Sanktionen ggü. Russland haben die politische Führung in Moskau nicht zum Einlenken gebracht und sie richten wirtschaftlichen Schaden in den EU-Ländern an. Diese Punkte hat auch Michael Lüders in einer Folge von „Jung & Naiv“ [1] angesprochen, die im September veröffentlicht wurde (wegen der teils „ruppigen“ Diskussion sehr anstrengend zu hören).
  2. Jeden Tag sterben in diesem Konflikt Menschen, Ukrainer sowie Russen, egal ob Kombattanten oder unschuldige Zivilisten. Philip und Ulf haben in der LdN354 treffend festgestellt, dass im Nahost-Konflikt ein nachhaltiger Friede nur realistisch ist, wenn ein gemeinsamer Dialog und ein Interessenausgleich zwischen den Israelis und den Palästinensern stattfinden. Diese Schlussfolgerung sehe ich im Grunde auch als korrekt für den Russland-Ukraine-Konflikt.
  3. mit obigem Punkt verknüpft: Welchen Nachteil bringt eine neutrale und territorial verkleinerte Ukraine für Deutschland bzw. die EU sobald dieser Krieg irgendwann beendet ist?
  4. Die Russland-Sanktionen schaffen große wirtschaftliche Nachteile für Deutschland und die EU auf dem Weltmarkt, da die sich die Energiepreise massiv erhöht haben.
  5. Es besteht nur ein begrenzter wirtschaftlicher Schaden für Russland, auf den die Sanktionen aber eigentlich abgezielt haben: Es kommen immer noch erhebliche Mengen LNG direkt aus Russland nach Europa [2, 3]. Außerdem verdienen Drittstaaten am EU-Sanktionsregime Geld, indem russisches Öl günstig auf dem Weltmarkt eingekauft, umgelabelt und nach Europa weiterverkauft wird [4].
    => Fazit: Wir haben ziemlich günstiges russisches Pipeline-Gas durch teures und wegen des Transports auch deutlich CO2-intensiveres LNG ausgetauscht. Zum Teil kommt das LNG sogar für manche EU-Staaten noch aus Russland. Deutschland wird meines Wissens nach größtenteils von den USA und Katar versorgt. War das ein kluger Schachzug? Ich habe momentan den Eindruck, dass Deutschland und auch die EU mit dem eingeschlagenen Weg eher US-Interessen bedienen: Ein wirtschaftlich geschwächtes Deutschland bzw. Europa dürften ganz im Interesse der USA sein.

Hier einige Argumente, die für den aktuellen Ansatz (harte Opposition ggü. Russlands Aggression) sprechen:

  1. ein Aggressor hätte durch einen Angriffskrieg einen Vorteil erstritten (schlechtes Vorbild für die Welt)
  2. Es ist bereits zu viel politisches Kapital in diesen Weg investiert worden. => könnte aber auch ein Beispiel für „eskalierendes Commitment“ / „sunk cost fallacy“ sein
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Referenzen/Links:
[1] Michael Lüders über Ukraine vs Russland, Moral & nationale Interessen - Jung & Naiv: Folge 660
[2] EU importiert mehr Flüssigerdgas aus Russland
[3] Russisches Flüssigerdgas - weiter willkommen
[4] Importiert Deutschland weiter russisches Öl?

Wenn ich da gleich mal gegenhalten darf:

Zu deinen Punkten gegen einen harten Ansatz gegenüber Russland:

  1. Das die Sanktionen Russland nicht zum Einlenken gebracht haben, ist richtig. Allerdings war dieses nie das erklärte Ziel der Sanktionen. Die Auswirkungen der Sanktionen sind in Russland schon deutlich spürbar, auch wenn Russland (als Diktatur) einiges davon kompensieren konnte. Allerdings bleibt abzuwarten, wie lange Russland das wirklich durchhält, bevor die Sanktionsfolgen in der Bevölkerung spürbar werden.
    Zitat: Die Sanktionen zielen darauf ab, dass Russland nur noch kleinere Mengen an westlicher Technologie über umständlichere Lieferwege einkaufen kann. „Die Sanktionen schaffen es, den Import viel schwieriger und viel teurer zu machen“, so Rochlitz. Dies mache es der russischen Verteidigungsindustrie auch schwerer, technologisch fortschrittliche Waffen zu produzieren.
    Quelle:
    Sanktionen gegen Russland: Trickst Putin den Westen aus? | BR24
  1. In diesem Krieg sterben Menschen, richtig. Allerdings weil Putin das genauso wollte. Ein gemeinsamer Dialog ist nur möglich, wenn beide Seiten wollen. Ein Interessenausgleich sollte wie aussehen? Es wäre ja völlig kontraproduktiv bezogen auf „Frieden“, Russland den Anspruch auf ukrainisches Gebiet zuzugestehen, als Interessenausgleich. Weil Putin in seiner Geschichtsversion ja im Grunde ganz Europa als sein Interessengebiet ansieht. Warum sollte er dann aufhören, wenn er Recht bekommt?
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  1. Genauso gut könnte man fragen, welche Nachteile brächte ein wieder geteiltes Deutschland für Europa? Zudem ist die Frage, ob die Ukraine verkleinert werden will? Und neutral, was bedeuten würde, das es gegen weitere russische Aggressionen schutzlos wäre. Dürfen wir das über andere Länder hinweg bestimmen? Würden wir das auch hinnehmen, wenn die USA sagen würden, Ostdeutschland geht zurück an Russland?

  2. Zu 4 und 5: Ein Krieg bringt grundsätzlich mehr Nachteile als Vorteile. Zudem hat Putin uns je den Gashahn zuerst abgedreht. Wir hätten mit Russland also keinen verlässlichen Lieferanten mehr. Er könnte, wären wir davon immer noch abhängig, durch Verknappung die Preise hochtreiben oder zur Durchsetzung seiner Forderungen mit einem völligen Lieferstopp drohen. Würde also die Märkte noch unsicherer machen und die Energieversorgung.
    Gas-Preissprung nach Lieferstopp durch Nord Stream 1 - ZDFheute

Zu Deinen weiteren Argumenten für eine harte Linie:

  1. Ja, genau. Da könnte Russland ermutigen, weiter zu machen (Baltikum, etc), und auch andere Länder den ersten Schritt machen lassen (China, Nordkorea, Naher Osten)
  2. Da weiß ich nicht genau, was du sagen willst. Aber wenn wir unsere Zusagen willkürlich wieder zurückziehen, gäbe es ja keinerlei Verlässlichkeit mehr. NATO-Art. 5 wäre dann witzlos, jegliche Vereinbarungen auf politischer Ebene ohne Wert.

Daher: Ich sehe keine Alternative zu einem harten Vorgehen gegenüber Russland.
Zudem konnte mir noch niemand eine wirklich dezidierte und belastbare Alternative skizzieren.

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@Legolas Deutschland bezieht laut deinen Artikeln 4% des Gases und 2,6% des Erdöls indirekt über Indien aus Russland, das ist wesentlich weniger als vorher.

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Bei LNG mag das stimmen, dazu muss man aber ergänzen, dass LNG nicht den Löwenanteil der Gasimporte ausmacht. Quelle. Norwegen ist mit Abstand der größte Lieferant für Deutschland, das ist dann Pipelinegas. Hinzu kommt, dass die Gasimporte ja perspektivisch aus Klimaschutzgründen (wenn auch sehr langsam) weiter sinken dürften, genauso in den Partnerstaaten. Damit bleiben zwar die Preise hoch, aber eine richtige Versorgungsknappheit ist wohl eher bei feindlichen Akten anderer Staaten zu erwarten. Nicht dass das komplett auszuschließen wäre.
Russland hat gewissermaßen durch den Krieg selbst den Abschied vom Gas beschleunigt. Für Russland ist meines Wissens aber ohnehin Öl wichtiger, was schwieriger zu „boykottieren“ ist.

Stimmt nur teilweise. Der Gaspreis im Besonderen stieg schon 2021. Russland drosselte Lieferungen, wohl in Vorbereitung seines Angriffs, die Nachfrage stieg, v.a. in Asien nach der Pandemie wieder an. Und natürlich hat der Krieg selbst auch über Verunsicherung bezüglich des Angebots zu Preissteigerungen beigetragen. Quelle. Die Sanktionen machen also nur einen Teil aus. Klar ist, dass grundsätzlich Frieden aus wirtschaftlicher Sicht vorzuziehen ist - nur zu welchem Preis (bzw. würde es mittelfristig überhaupt Sicherheit und Frieden in Europa geben, wenn man jetzt Russland Zugeständnisse machen würde)?

Sollte man hier einschränken und statt von Frieden per se von langfristigem oder nachhaltigem Frieden sprechen? Ich kann mir vorstellen, dass es insg. wirtschaftlicher ist, diesen Konflikt auszutragen und der russischen Expansion einen Riegel vorzuschieben, als kurzfristig ein Abkommen mit Gebietsabtretungen zu vereinbaren und zwei, drei Jahre später wird sich dann das Baltikum einverleibt.

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Vielleicht ist auch interessant, was die Ukraine will?

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Eine Zustimmung der Ukraine halte ich bei irgendwelchen Friedenslösungen sowieso für unabdingbar. Allerdings ist die ukrainische Haltung in dieser Frage ja nicht statisch, sondern hängt von den Hoffnungen und Möglichkeiten ab: Solange das westliche Bündnis hier eine harte Unterstützung-Linie fährt, wird die Ukraine auch nicht von der Wiederherstellung des Vorkriegs-Status abrücken.

Hast du hierzu eine Quelle, die das gut darstellt? Ich sehe das genau so wie du, allerdings bin ich öfter in Diskussion mit Leuten, die es andersherum deuten: Die Bundesregierung habe schon deutlich früher verlautbaren lassen, dass man eine strategische Abkehr von russischem Gas sucht.
Das stimmt sicherlich auch, aber das Ausbleiben zukünftiger Aufträge gibt einem Lieferanten ja nicht das Recht, von bestehenden Verträgen abzuweichen.
=> Gibt es da eine Quelle, die das in der Art eines Zeitstrahls abbildet bzw. kann man das rekonstruieren?

Dieses Argument halte ich in der Pauschalität für nicht valide. Momentan mag das noch zutreffen, allerdings muss man sich als Regierung auch ggf. geänderten Realitäten stellen und die Lage neu bewerten, auch wenn das eine harte Kurskorrektur erfordert. => Ich spreche hier allgemein, im Russland-Ukraine-Konflikt sehe ich das noch nicht als gegeben an, bzw. bin ich mir hier unsicher.

Dass diese Alternative nie skizziert wurde mag evtl. auch daran liegen, dass das gar nicht im Fokus der Aufmerksamkeit ist. Über solche Möglichkeiten sollte eine Regierung aber trotzdem nachdenken, auch wenn es nur hypothetische Szenarien sind.

Mal ganz basal formuliert:

Warum hat Russland die Ukraine angegriffen?

Gibt es für Putin einen Grund, sich aus der Ukraine zurückzuziehen?

Würde sich Putin dauerhaft mit 17% des ukrainischen Staatsgebietes zufrieden geben?

Putin ist erfahrener Geheimdienstler: wenn er ein Druckmittel wie Gaslieferungen gegenüber einem davon abhängigen westlichen Staat hat, warum sollte er diesen Vorteil nicht nutzen? Alles andere wäre doch taktisch unklug.

Welches Interesse hat ein Purin mit seinem historisch -expansionistischen Weltbild an einem Frieden?

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Schon vor Kriegsbeginn waren die Speicher erstaunlich leer, was einige warnende Stimmen auf den Plan rief.
Genauso gab es Leute, die vor und nach Kriegsbeginn die Abhängigkeit kritisiert haben. Bemühungen vom Gas weg zu kommen gab es keine. Die Situation hat die Regierung und die Wirtschaft völlig unvorbereitet getroffen.
Als Grund schob Putin ein Ersatzteil vor, das aus Kanada hatte geliefert werden müssen und laut Putin wegen den Sanktionen nicht geliefert werden konnte. Deswegen behauptete er, er müsse aus Sicherheitsgründen Nordstream abschalten.

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Ohne wirklich wirksame Sicherheitsgarantien wird sich die Ukraine nicht auf einen Verzicht von irgendetwas einlassen. Und wenn diese Garantien wirklich wirksam sind, widersprechen sie dem, was Russland sich unter „Neutralität“ vorstellt. Zudem will der Kreml immer noch ein Ende der Ukraine als souveränem Staat - es geht ihm nicht um ein paar Gebiete mehr oder weniger. Wie soll da ein Kompromiss aussehen? Und bis dieses Ziel erreich ist, ist eher davon auszugehen, dass Russland jeden Waffenstillstand nutzt, um sich auf einen neuen Angriff vorzubereiten. Was hätte die Ukraine damit gewonnen?

Die Darstellung impliziert, dass im Umkehrschluss die ukrainische Haltung „flexibler“ werden würde, je weniger Unterstützung es aus dem Westen gibt. Das ist aus meiner Sicht eine Fehleinschätzung der Situation in der Ukraine. Dort weiß man durch den seit knapp 10 Jahren andauernden Krieg ziemlich genau, dass Zugeständnisse und Kompomisse mit Russland eben keinen Frieden bringen. Mit sehr viel weniger Unterstützung aus dem Westen würde die Verteidigung der Ukraine vielleicht militärisch weniger erfolgreich, aber sicherlich nicht weniger entschlossen: Zudem könnte es zu mehr inneren Konflikten kommen zwischen jenen, die Kompromisse eingehen wollen und jenen, die das Land um jeden Preis verteidigen wollen. Beides würde eine Schwächung der Ukraine bedeuten und damit letztlich nur Putin nutzen. Ganz abgesehen davon finde ich es zynisch, das angegriffene Land durch unterlassene Hilfe quasi dazu zu nötigen, auf legitime Ansprüche zu verzichten. Und es wäre ein Armutszeugnis für all jene, die seit 2022 lauthals verbal ihre Unterstützung für die Ukraine bekundet haben.

Nach ca. 20 Sekunden Suche habe ich das gefunden: Nord Stream 1: Warum wirklich kein Gas durch die Pipeline fließt
Irgendein Politiker, der mal laut darüber nachdenkt, dass es vielleicht schlauer wäre, kein Gas von einem Land zu kaufen, dass dieses als Waffe benutzt und grad sein Nachbarland überfällt ist eben noch nicht dasselbe wie die Lieferungen tatsächlich einzustellen. Was die Lieferverträge angeht, war die Sprengung von Nordstream1 für Gazprom einfach enorm „praktisch“ - egal wer es nun gewesen ist. Durch eine kaputte Leitung kann man halt beim besten Willen nichts liefern…

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Das sind alles berechtigte Fragen! Aber versteh mich nicht falsch: Du kannst sie anscheinend auch nicht sicher beantworten, daher die Formulierung als Frage. Was wäre denn wenn Putin unter bestimmten Bedingungen doch bereit für einen langfristigen Frieden wäre? Genau diese Bedingungen gilt es doch herauszufinden, egal wie sie lauten mögen (bestimmte Zugeständnisse des Westens vs. militärischer Sieg über die russische Armee)!
Ich bin mir momentan nicht sicher ob in beide dieser oben genannten Richtungen wirklich ergebnisoffen nachgedacht wird. In meiner Wahrnehmung hat man sich in Gedankenspielen bzw. politischen Überlegungen auf die letztgenannte Richtung versteift, zumindest bei ernstzunehmenden Akteuren in der öffentlichen Diskussion.

Danke für die Quellen. Die darin beschriebenen Zusammenhänge waren mir bereits grob bekannt. Was mir aber noch fehlte, war die tatsächliche Laufzeit der russischen Gaslieferverträge. Die habe ich hier gefunden (teilweise bis über 2030 hinaus):
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/erdgas-russland-deutschland-lieferketten-101.html

Für mich bedeutet das, dass sich die deutsche Regierung zwar langfristig mit anderen Lieferanten strategisch neu aufstellen wollte und das auch öffentlich kommuniziert hat, jedoch Russland derjenige Akteur war, der vertragsbrüchig wurde.

So wie sich Putin bislang geäußert hat, sehe ich Russlands Bedingungen für „Frieden“ wie folgt:
Minimalforderung: die bislang besetzten ukrainischen Gebiete (knapp 20%) verbleiben in russischer Hand und werden (idealerweise) vom Westen als dauerhaft russisch anerkannt. Die Ukraine wird entmilitarisiert, bleibt neutral ohne jedwede Sicherheitsgarantien.

Idealforderung: die Ukraine fällt komplett an Russland, Selensky wird als Kriegsverbrecher vor ein russisches Gericht gestellt, und der Westen erkennt die Auflösung der Ukraine als nun russisches Gebiet an.

Maximalforderung (unrealistisch, aber Putins Traum): die NATO löst sich auf, die USA ziehen sich komplett aus Europa zurück, und Russland wird im Stile der Sowjetunion zentrale Ordnungsmacht in Europa - ggf bis an die Westküste Europas.(Damit ist nichtmal eine Besetzung der Länder gemeint, sondern eine Massive Drohkulisse im Sinne russischer Interessen)

Wüsste jetzt tatsächlich nicht, warum Putin sich mit weniger als der Minimalforderung (vorläufig ) zufrieden geben sollte. Zumindest zeigt er keine anderen Signale.

Sieht jemand noch andere Optionen, die für Putin auch innenpolitisch vertretbar wären?

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„Was wäre wenn…“ ist aber etwas anderes als das Ausloten realistischer (Ver-)Handlungsoptionen. Der Kreml hat immer wieder folgendes deutlich gemacht: Erstens: Voraussetzung für Verhandlungen ist die Anerkennung der Annexionen, die Russland 2022 vorgenommen hat (also die derzeit besetzten Gebiete der Ukraine, inklusive Gebieten, die Russland in diesem Krieg niemals kontrolliert hat). Zweitens: Das Ziel bleibt weiterhin, die Existenz der Ukraine als unabhängigen Staat zu beenden - zuletzt hat Putin in seinem Interview mit Tucker Carlson mehr als deutlich gemacht, dass er das Gebiet der Ukraine eigentlich als Teil Russlands ansieht. Drittens hat Russland bisher noch jedes Abkommen gebrochen, wenn es ihm besser in den Kram gepasst hat. Anzeichen dafür, dass es diesmal anders wäre? Keine! Deshalb wird der Kreml auch niemals handfesten Sicherheitsgarantien für die Ukraine zustimmen - ob nun mit NATO-Mitgliedschaft oder ohne - denn diese würden das unter zweitens beschriebene Ziel ja unerreichbar machen. Und ohne diese Garantien wäre ein Waffenstillstand das Papier nicht wert, auf dem er notiert ist - hat u. a. Russlands Umgang mit Minsk II und dem Budapester Memorandum gezeigt.
Ein weiterer Hinweis auf das, was Putin will, ist sein „Ultimatum“ an die USA vom Dezember 2021: Darin fordert er nicht weniger als die de-dacto Rückabwicklung der gesamten NATO-Osterweiterung. Putin hat das Ende der Sowjetunion als „größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet und will genau diesen „Fehler“ wieder korrigieren. Das ist für ihn die einzig realistische (Ver-)Handlungsgrundlage.
Alles andere Gerede über Verhandeln und Frieden ist aus meiner Sicht reines Wunschdenken, aber keine realitische Einschätzung der Lage.

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Interessante Einschätzung von Wolfgang Ischinger dazu, plus einige Hintergrundinfos:

Dann kläre uns mal auf. Wie lotet man realistische (Ver-)Handlungsoptionen aus, ohne verschiedene „Was wäre wenn…“-Optionen durchzuspielen?
Was Putin da von sich gibt, ist sein Einstiegsangebot. Jetzt gilt es herauszufinden, wie weit man ihn runterhandeln kann. Wenn man aber garnicht erst anfängt zu verhandeln, geht das Sterben ohne Hoffnung auf ein Ende bis zum St Nimmerleinstag weiter :person_shrugging:.

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Woher weißt du das? Also worauf gründest Du die Annahme, dass er sich überhaupt „runterhandeln“ lässt? Meine Vermutung wäre ja eher, dass er gar keine Notwendigkeit sieht, zu verhandeln, so lange er der Ansicht ist, dass er seine Ziele erreichen kann.

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Aus der alten Erkenntnis (Machiavelli und andere), dass man einen Krieg zwar nach Belieben beginnen, ihn aber nicht nach Belieben beenden kann. Und durch einen Blick auf die Nachrichtenlage. Es sieht gerade nicht so aus, als ob Russland den Krieg in absehbarer Zeit für sich entscheiden könnte.
Der Krieg wird erst enden, wenn beide Seiten der Einstellung der Feindseligkeiten zustimmen. Und dazu müssen beide Seiten miteinander reden - auch wenn es nur um die Formalitäten einer bedingungslosen Kapitulation geht. Der Preis dafür, dass eine der beiden Seiten bedingungslos kapituliert wird aber verglichen mit dem Preis, der heute für einen Frieden zu bezahlen wäre, unvorstellbar hoch sein. Letztlich ist das ein Optimierungsproblem, das bis jetzt in kaum einem Krieg zufriedenstellend gelöst wurde.

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