Muss sich Deutschland auch von der Einstellung her wehrhafter zeigen?
Wollen wir das überhaupt hören und akzeptieren?
Naja, in erster Linie brauchen wir durch die führenden Köpfe eine Analyse der Gefahr.
Darauf aufbauend eine Beschreibung möglicher Szenarien.
Und dann erst: eine Entscheidung!
Und danach: Maßnahmen auf Basis der Entscheidung einleiten und unseren.
Wir machen es wie in jeder Diskussion - Maßnahmen umsetzen ohne Analyse.
Zu Pistorius:
Natürlich muss er jetzt „Panik“ verbreiten. Er will und braucht mehr Geld als die Sonderschulden von 100 Milliarden, wenn die Bundeswehr kriegstauglich sein soll. Die Rüstungsfirmen wittern endlich wieder sprudelnde Gewinne.
Ob die Gesellschaft da eigentlich hin will - dieser Diskussion steht aus.
Ich glaube, diese Diskussion steht irgendwann an.
Vielleicht nicht unmittelbar die konkrete Landesverteidigung. Aber das Szenario der Bündnisverteidigung im Rahmen der Nato ist nun nicht mehr völlig abwegig.
Es gibt ja mehr oder minder subtile Ansätze, ob AfD oder Wagenknecht, die einen Austritt aus der Nato favorisieren (dann gibt es auch keinen Bündnisfall) und für eine Annäherung an Russland (wenn wir uns genug anbiedern , wird man uns schon nicht bedrohen), die schon auf Zuspruch in der Gesellschaft treffen würden.
Ich war kurz nach der Wende zur Bundeswehr gegangen, und da war die Mentalität dahingehend gefühlt anders. Selbst die Wehrpflichtigrn die ich ausbilden durfte, standen recht deutlich für die Landes und Bündnisverteidigung. Einige davon engagieren sich heute noch als Reservisten.
Ich denke, sollte es absehbar zu einem Bündnisfall der Nato kommen, wäre das eine sehr hitzige Diskussion in Deutschland, in der vor allem vorrangig alle Optionen geprüft würden, wie man aus der Verpflichtung raus kommt. Von der wir im kalten Krieg durchaus profitiert haben.
Das denke ich nicht - bzw. ich denke, es kommt stark darauf an, als wie berechtigt der „Bündnisfall“ eingestuft wird. Bei einem echten Bündnisfall, also z.B. wirklich einer großen Invasion gegen einen NATO-Staat, würde die Solidarität wohl klar überwiegen, bei einem fragwürdigen Bündnisfall (z.B. massiv provoziert) sähe das natürlich anders aus.
Grundsätzlich halte ich die Wahrscheinlichkeit eines Bündnisfalles für ausgesprochen niedrig. Wie gesagt, Russland beißt sich gerade schon an der Ukraine die Zähne aus, wie es sich zuvor an Tschetschenien die Zähne ausgebissen hat. Vor diesem Hintergrund ist die einzige Bedrohung der NATO-Staaten auf absehbare Zeit (da Russland nach der Meinung nahezu aller Experten Jahrzehnte brauchen wird, um das, was in der Ukraine verloren wurde, wieder aufzubauen…) eine nukleare, keine konventionelle.
Russland mag gerne mit den Säbeln in Richtung NATO rasseln, weiß aber ganz genau, dass das der kürzeste Krieg der russischen Geschichte würde…
Ob wir „kriegstüchtig“ werden müssen? Definitiv nicht. Wir wollen in einer friedlichen Welt leben, dazu gehört es, Kriege nur als Verteidigungskriege überhaupt akzeptabel zu finden. Kriegstüchtig wird man aber eben, wie Russland und die USA, durch zahlreiche Angriffskriege. Das wollen wir nicht.
„Kriegstüchtig“ halte ich daher für das völlig falsche Wort. Wir müssen „verteidigungsfähig“ und „verteidigungsbereit“ sein und können uns in dieser Hinsicht gerne an Ländern wie Finnland oder Schweden orientieren. Wir müssen abschrecken können, vor allem durch Bündnisse (und damit verbunden „Bündnisfähigkeit“ sein, daher eine hinreichende eigene konventionellen Schlagkraft in ein Bündnis einbringen können).
Daher ja, die Zeiten der Friedensdividende sind vorübergehend vorbei, wir müssen jetzt wieder mehr in militärische Schlagkraft investieren. Aber eine Militarisierung der Bevölkerung im Sinne von „Kriegstüchtigkeit“ ist dazu nicht nötig.
Da stimme ich dir zu, sehe da auch eher die „Verteidigungsfähigkeit“ als zentralen Begriff. Dieser wird wohl in der Bevölkerung auch eher akzeptiert.
Letztlich würde aber auch ein Verteidigungsfall bedeuten, daß wir uns faktisch einem Krieg befinden.
Semantisch kommen wir aus der Nummer dann nicht so einfach raus.
Ob Russland künftig eine Bedrohung für die NATO ist?
Hängt wohl stark von den handelnden Personen in der russischen Führung ab. Die Ressourcen sollte man nicht unterschätzen.
Ein Fehler wäre wohl, die Bundeswehr jetzt wieder weiter kaputt zu sparen, weil es ja von russischer Seite keine Bedrohung mehr gibt. Für ihren Kernauftrag Landesverteidigung sollte sie in der Lage sein, sonst hätte sie ja keine Funktion
Mit Verlaub, dass ist Haarspalterei. Wie man das Kind nennt ändert nichts daran, dass aktuell die Bundesrepublik Deutschland ohne ihre Mitgliedschaft in EU und NATO vollkommen Verteidigungsunfähig wäre. Und ja, vielleicht muss man auch mal wieder das böse Wort Krieg in den Mund nehmen. Ein Krieg ist gerade einmal 1000km und nur ein Land dazwischen entfernt. Da muss nun niemand in Panik verfallen. Aber ignorieren kann man das auch nicht. Ganz offensichtlich werden Konflikte wieder robuster ausgeführt und der Pazifismus ist auf dem Rückzug. Das Problem ist halt, dass wenn unser Gegenüber kein Interesse an ein Gespräch hat, dann wäre es schon recht hilfreich wenigstens auf militärische Konsequenzen verweisen zu können.
Sprache schafft Realitäten und entscheidet über die Zustimmungsfähigkeit der Bevölkerung und damit die politische Realisierbarkeit. Das ist daher keine „Haarspalterei“, da zwischen „Verteidigungsfähigkeit“ und „Kriegstüchtigkeit“ ein riesiger Unterschied im Subtext liegt.
Abgesehen davon, dass ich deine Einschätzung „absolut verteidigungsunfähig“ nicht teile, ist es gerade das Resultat davon, dass wir uns auf die Stabilität des Bündnisses verlassen konnten und es keinen Feind von Außen gab, sodass es keine Notwendigkeit hoher Verteidigungsausgaben gab und es sinnvoll war, die „Friedensdividende“ einzufahren. Dass wir dies nun in Anbetracht der politischen Instabilität der USA unter Trump und des Wiedererwachens alter Bedrohungen in Form Russlands wieder ändern müssen ist uns allen bewusst und wird von niemanden bestritten.
Das will doch niemand.
Das wieder zu ändern ist unsere Aufgabe. Ja, „Frieden schaffen durch Waffen“ ist da durchaus realistisch in dem Sinne, dass eine hohe Verteidigungsfähigkeit der beste Weg, einen Krieg zu verhindern. Dennoch muss unsere Mentalität - und damit kommen wir wieder zum Unterschied zwischen „Kriegstüchtig“ und „Verteidigungsfähig“ - dabei bleiben, dass wir Krieg gerade nicht als Mittel der politischen Auseinandersetzung verstehen, daher weiterhin einen klar pazifistischen Ansatz verfolgen.
Natürlich, und da bin ich voll und ganz bei dir, darf Krieg nie wieder ein Mittel der politischen Auseinandersetzung für Deutschland werden. Aber ein Angriff auf Deutschland oder seiner Partner muss potentiell so „teuer“ sein, dass kein Gegner es wagt diese Option zu ziehen. Und das ist ja nun gerade der Vorteil unter like minded states, dass wir im Bündnis die Belastungen einer starken Verteidigung aufteilen können.
Zumindest mal kein Widerspruch.
Das von deutschem Boden kein Krieg mehr ausgehen darf, so ja der Grundsatz nach dem 2. Weltkrieg, sollte für uns alle unstrittig sein.
Den Hinweis auf die Haarspalterei kann ich insoweit nachvollziehen, das man sich im Zuge des Afghanistan Einsatzes lange in der Politik schwer getan hat, es einen Krieg zu nennen (was es ja letztlich war).
Primär von Verteidigungsfähigkeit zu sprechen, ist im Sinne der breiten öffentlichen Akzeptanz sicher nicht unsinnig. Doch, wie die Ukraine ja zeigt mit ihrer Verteidigung, ist es letztlich immer noch ein Krieg.
Das sollte zumindest als worst case Szenario auch allen bewusst sein.
Weiterhin das Primat des Friedens und diplomatischer Lösungen hochzuhalten, ist auch Konsens, denke ich.
Nur funktioniert Diplomatie nur bilateral. Will eine Seite Fakten ausschließlich mit militärischer Gewalt schaffen, liegen nur zwei Optionen auf dem Tisch: sich verteidigen oder bedingungslos kapitulieren. Mit allen Konsequenzen beider Optionen.
Und ganz platt gefragt: Wenn ich mir eine kostspielige Armee leiste, sie aber nicht mal zur Verteidigung einsetzen will, welchen Zweck hat sie dann?
Würde dazu ergänzen, dass die USA nach 9/11 Art. 5 des NATO-Vertrags gezogen haben. Der aktuelle Krieg in Gaza könnte weitreichende Folgen haben. Auch die Türkei ist NATO-Mitglied und in den syrischen Krieg verwickelt sowie immer wieder mögliches Ziel von Anschlägen. Das alles neben der Bedrohung durch Russland, die ich ähnlich einschätze wie Du.
Was ich damit sagen will: Grundsätzlich ist diese Welt gerade instabil und schwer vorherzusagen. Es liegt häufig gerade im Wesen des Krieges, dass ihn bis zuletzt keiner gewollt haben will.
Kein Grund, um in Panik oder Rüstungshysterie zu verfallen, aber doch um auf alles gefasst zu sein.
Eine sehr gute Frage. Die Antwort kann man dem ständigen Verkehr der Staaten entnehmen. Wie bekannt sind die USA in Fragen militärischer Macht unbestritten die Nummer eins. Einsetzen müssen sie diese Macht aber eigentlich ziemlich selten. Häufig reicht da schon ein Satz nach dem „alle Optionen auf dem Tisch liegen“, und alle wissen Bescheid.
Point being: wer seine Interessen möglichst radikal durchsetzen will, der muss glaubhaft drohen können. Was dir auch verrät, warum Deutschland „kriegstüchtig“ werden will.
Das denke ich auch. Eine kaputtgesparte Armee, die nur bedingt einsatzbereit ist, schreckt auch nur bedingt ab.
Soll sie abschreckend wirken, kostet sie viel Geld.
Blöder Teufelskreis
Was mich in diesem Kontext immer wundert, ist wie gleichgültig der Steuerzahler hinnimmt, dass die Ausgaben für Verteidigung seit Jahren irgendwo zwischen 30-50 Mrd € liegen und damit nach Arbeit und Soziales der zweitgrößte (!) Posten im Bundeshaushalt sind - das Ergebnis aber eine seit Jahren mehr oder weniger engagiert geführte Debatte über Zustand der Bundeswehr und die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands ist.
Offensichtlich geben wir seit Jahren eine riesen Summe für Verteidigung aus und bekommen dafür vor allem eines nicht: eine Kriegstauglichkeit/ -tüchtigkeit / Wehrfähigkeit / Abschreckungspotential / Verteidigungsfähigkeit / …
Nun ja, entgegen langläufiger Meinung sind wir Deutschen nicht so effektiv und organisiert wie wir oft glauben. Viele Millionen versanden in zäher Bürokratie, geht an pfiffige Unternehmen und an Beraungsunternehmen.
Wie immer gilt natürlich auch hier, dass die Bürokratie einen gewissen Zweck verfolgt - ob das sinnvoll ist, hängt immer von Wertungsfragen ab.
Beispielsweise die Grenze, ab der der Bundestag über eine spezifische Beschaffung der Bundeswehr entscheiden muss (25 Mio Euro) liegt in anderen Ländern deutlich höher. Denn wenn wir über Verteidigungsausgaben reden, muss klar sein, dass 25 Mio Euro Peanuts sind.
Eine höhere Grenze bedeutet letztlich mehr Vertrauen des Politik (und Bevölkerung) in die Bundeswehr, daher mehr „die werden das schon richtig machen und müssen nicht kontrolliert werden“. Denn diese Kontrolle durch den Bundestag bedeutet natürlich erhebliche Bürokratie und vor allem erhebliche Zeitverluste bei allen derartigen Beschaffungen.
Wie immer gilt es, den optimalen Mittelweg zwischen Bürokratie (und damit Vorsicht, Überwachung, Missbrauchsschutz usw.) und Effizienz (und damit Schnelligkeit) zu finden. Aktuell sind wir da sehr auf der Vorsichts-Schiene unterwegs, wobei es natürlich auch historisch begründet ist, dass die Bundeswehr stärker vom Parlament kontrolliert wird als die meisten anderen Armeen demokratischer Staaten.
Wollten wir eine möglichst effiziente Armee, würden Anschaffungen nicht vom Parlament (unter stetem öffentlichen Druck und Sparzwang), sondern primär von der Armeeführung (unter der primären Prämisse der militärischen Notwendigkeit) entschieden. Aber es gibt gute Gründe, das nicht zu wollen, ich selbst bin da recht unentschieden… als ersten Schritt sollte man die Grenze vielleicht erhöhen, da die Grenze (ursprünglich 50-Millionen-DM-Vorlagen) bereits seit ihrer Einführung 1981 nicht mehr geändert wurde Seit 1981 beträgt die Preissteigerung allerdings über 140%, daher: Selbst wenn man die Grenze auf 50 Millionen Euro verdoppelt würde, wäre die relative Kaufkraft noch niedriger als bei der Einführung 1981, um die gleiche Kaufkraft wie 1981 zu ermöglichen, müsste man die Grenze auf etwa 60 Millionen Euro anheben. Das wäre wohl auch angemessen und würde das Beschaffungswesen flexibler machen und dabei gleichzeitig den Bundestag entlasten.
Ich denke schon, dass Deutschland sich wehrhafter zeigen muss und sehe da die europäische Perspektive. Wir haben eine besondere Rolle in der EU. Wir sind das bevölkerungsreichste Land und die größte Volkswirtschaft. Mir scheint, dass wir uns in der Vergangenheit gerne zurückgenommen und uns auf Andere (Frankreich, die USA, etc.) verlassen haben. Ich finde das nachvollziehbar durch die besondere deutsche Geschichte, aber wir müssen uns auch eingestehen, dass das eine sehr angenehme und einfache Position ist.
In der Ukraine ist Krieg, Bergkarabach ist plötzlich Konfliktgebiet und auch in Serbien wird probiert wie weit gegangen werden kann. Es wird instabiler auf dem Kontinent und Deutschland muss als Stabilisator wirken. Ganz im Sinne von „Speak softly and carry a big stick“. Wir sind in Europa erster unter Gleichen und müssen das endlich mal akzeptieren.
Russland stellt derzeit seine Wirtschaft auf Kriegswirtschaft um (vermutlich zunächst nur, um den Ukraine-Krieg doch noch zu gewinnen?). Wenn wir mit der Bundeswehr so weitermachen wie bisher, d.h. sie weiterhin nicht in der Lage ist, unser Land zu verteidigen (und Russland weiterhin von Menschen wie Putin regiert wird), sehe ich schon eine sehr reelle Gefahr.
Wir dürfen doch nicht nochmal sehenden Auges in diese „Falle der Friedensdividende“ laufen. Eine Armee, die nicht in der Lage ist, das eigene Land zu verteidigen, hat keine Existenzberechtigung.
Das, und nur das mein Pistorius: Verteidigung. Er spricht aber dabei aus, was ist: Auch Verteidigung ist Krieg. Das viele Deutsche ein Problem mit diesem Begriff haben, ändert leider daran gar nichts.
Niemand will Krieg. Aber nur mit der Fähigkeit, erfolgreich Krieg zu führen, können wir genau den verhindern: Abschreckung.
Damit legst Du Pistorius in den Mund, was er definitiv nicht gemeint hat (wenn man ihm offen zugehört hat).
Genau darin liegt eine große Illusion. Es gibt keine Verteidigung ohne Krieg. Wer das Wort Krieg vermeidet, wenn er Verteidigung meint, streut dem Bürger Sand ins Auge.
Unterstellst Du hier Pistorius, den Krieg als Mittel der politischen Auseinandersetzung zu befürworten? Das halte ich für sehr weit hergeholt.
Und genau das ist ja mein Punkt: „kaputtgespart“ impliziert ja immer, dass Deutschland zu wenig Geld für Verteidigung ausgegeben hat und sich die Problematik der fehlenden Kriegstüchtigkeit mit mehr Geld beheben ließe. Dabei geben wir eklatante Summen aus, die offensichtlich relativ wirkungslos verpuffen. Zwischen Geld und Verteidigungsfähigkeit besteht mMn also eben gerade keine lineare Abhängigkeit - oder anders gesagt: Mehr Geld /= Mehr Kriegstauglichkeit.