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Das wird gerade nicht erreicht. Bei Minute 23 spricht Herr Lücke davon, dass nach etwa 10 Jahren die Beschäftigungsquote von anderen ausländische Staatsangehörigen erreicht wird. Diese ist niedriger als die Beschäftigungsquote der autochtonen (Biodeutschen?) Bevölkerung.
Wie viel Personen sind es? Und wie viel weniger hätten wir hierfür ausgegeben?
Stimmt nicht ganz und muss differenziert betrachtet werden:
Nach acht und mehr Jahren Aufenthalt haben geflüchtete Männer eine höhere Erwerbstätigenquote (86 Prozent) als die durchschnittliche männliche Bevölkerung in Deutschland (81 Prozent).Bei geflüchteten Frauen liegt die Quote deutlich niedriger (33 Prozent).
Die Unterschiede sind da minimal, ich habe es gerade nochmal beim statistischen Bundesamt recherchiert. Anteil der Erwerbstätigen an den Erwerbspersonen* Stand Jahr 2023:
- Ausländer mit eigener Migrationserfahrung: 93,32% (in dieser Gruppe dürften die Geflüchteten enthalten sein)
- Ausländer ohne eigene Migrationserfahrung: 94,68%
- Deutsche mit Migrationshintergrund im weiteren Sinn ohne eigene Migrationserfahrung: 95,42%
- Ausländer und Deutsche mit Migrationserfahrung im weiteren Sinn insgesamt: 94,46%
- Ohne Migrationshintergrund: 97,8%
Wir reden hier also um einen Unterschied (je nachdem auf welche Zahl sich Lücke bezogen hat) von bis max 4,5%, weniger Erwerbstätigkeit gegenüber „Biodeutschen“. Dieser Unterschied wird wohl auch nie auf 0 zu setzen sein, egal welche politischen Maßnahmen getroffen werden (denn Migration bringt einfach Nachteile auf dem Arbeitsmarkt mit sich).
Und bei unter 7% Arbeitslosenquote sind wir auch bei dieser Gruppe nicht weit von einer funktionalen Vollbeschäftigung entfernt (bei Menschen ohne Migrationshintergrund ist diese de facto erreicht).
Viel entscheidender als die Schließung dieser letzten kleinen Lücke bei der Erwerbstätigkeitsquote ist da meiner Ansicht nach die Qualifizierung und somit die Einkommensanpassung. Und die Bildung und Qualifizierung der nächsten Generation (die ersten hier geborenen Kinder der Geflüchteten von 2015 sind schon halb durch die Grundschule durch).
Ich würde dabei bleiben: Wenn uns jemand ganz neutral den Deal vorgeschlagen hätte, dass wir dem Schicksal einer schrumpfenden und überalternden Bevölkerung weitgehend entgehen können, wir diese zusätzlichen Menschen aber erstmal 10 Jahre ausbilden und qualifizieren müssen, damit sie eine vergleichbare Arbeitsmarktbeteiligung erreichen, dann hätten alle gesagt: „klasse Deal, das sind ja immer noch 10 Jahre weniger als bei den meisten Kindern“.
Das Problem kann gar kein finanzielles sein, denn es ist doch die Kernaufgabe unserer Gesellschaft, die zur Qualifizierung und Integration der nächsten Generation nötigen Mittel bereitzustellen. Wären seit 2015 nicht Geflüchtete gekommen, sondern im selben Umfang mehr einheimische Kinder geboren worden, dann wäre das uns alle erheblich teurer gekommen.
Das Problem ist also ein kulturelles und zwar zu einem erheblichen Teil auf unserer Seite. Wir wollen zwar alle eine sichere Rente, aber ganz offensichtlich nicht das Geld ausgeben, damit es auch jemanden gibt der sie erwirtschaftet.
*Bevor jemand fragt: Nein, der Anteil der Erwerbspersonen an der gesamten Bevölkerung bei Nicht-Deutschen mit Migrationshintergrund ist auch nicht erheblich niedriger als der bei Deutschen ohne Migrationshintergrund. Auch hier geht es um +3%, die sich problemlos über Faktoren wie den höheren Anteil von Kinder und Jugendlichen erklären lassen und nicht etwa über Menschen, die sich selbst aus dem Arbeitsmarkt rausnehmen.
Lücke hat relativ deutlich gesagt, was unter Pull-Faktoren zu verstehen ist und das es diese natürlich gibt. Man kann sich das Wort natürlich jetzt so definieren, wie es passt, aber eine Aussage a la „es gibt keine Pullfaktoren“ ist somit mindestens undifferenziert.
Davon abgesehen:
In der Lage wird sehr nachdrücklich die Theorie vertreten, dass Migration nicht steuerbar ist und dass man das aber auch nicht tun muss, weil die Flüchtlinge gut für unsere Wirtschaft sind (Stichwort Arbeitskräftemangel). Beide Teilargumente hat Lücke widerlegt.
Daher finde ich diesen Ansatz der Lage schwierig. Die Motivation Flüchtlinge aufzunehmen ist eine humanitäre und keine ökonomische. Sich letzteres Argument irgendwie hinzubiegen führt nur zu Unglaubwürdigkeit.
Das sehe ich im Prinzip genauso. Was die Berechnung des wirtschaftlichen „Schadens“ oder „Nutzens“ angeht: ich denke auf die 1% BIP Netto Kosten könnte das zutreffen, was du sagst. Also vielleicht ist nicht alles mit eingerechnet worden. Allerdings positiv wie negativ (Nutzung von öffentlicher Infrastruktur etc.). Insofern weiß ich nicht ob eine genauere Rechnung unbedingt qualitativ anders ausfallen würde.
Was er über die Studien gesagt hat, halte ich dagegen für sehr belastbar: die Studien, die es gibt (und da haben sich zumindest einige sicher detaillierte Gedanken gemacht) zeigen keinen signifikanten ökonomischen Vor- oder Nachteil. Ich interpretiere das so, dass Flüchtlinge im Rahmen der Unsicherheit der Rechnung unserem Wirtschaftssystem weder „schaden“ noch „nutzen“.
Das kann man jetzt aber auch positiv interpretieren. Wir können also unserer humanitären Verpflichtung nachkommen, ohne dass es uns wirtschaftlich nennenswert etwas kostet. Und so sollte man das dann m.E. auch framen. Eine Aussage, dass wir durch die Geflüchteten nennenswerte wirtschaftliche Vorteile hätten, würde dagegen - nach dem was ich im Interview gehört habe - einem Faktencheck nicht standhalten und ist daher m.E. ungeschickt weil angreifbar.
Zu Bezahlkarte und Pullfaktor:
Hier wird behauptet, die Bezahlkarte sei völlig ungeeignet als Instrument der Abschreckung, bzw. Sozialleistungen wären eh keine Pullfaktoren, da die Sozialleistungen viel zu gering seien um größere Beträge davon abzuzweigen und in die Heimatländer zu überweisen.
Diese Behauptung ist nicht zutreffend. Man braucht sich nur mal mit Asylsuchenden unterhalten. Oder man lese sich mal das Interview mit der Familie des Solinger Attentäters im Spiegel durch (Anschlag von Solingen: Interview mit der Familie des mutmaßlichen Täters Issa Al H. - DER SPIEGEL).
Man verdient in Syrien pro Monat 20-30 Euro. Wenn ein Asylbewerber 50€ im Monat nach Syrien schickt, ist das natürlich eine riesige Menge Geld.
Im Spiegelinterview wird auch ganz klar gesagt, dass ihr Sohn das so vorhatte.
Auch wird hier regelmäßig behauptet, die Migrationsforschung wäre sich darüber einig, dass es keine Pullfaktoren geben würde. Auch das ist falsch. Man erhält extrem unterschiedliche Antworten, je nachdem, wen man fragt.
Maximilian Pichl z.B., ein dezidiert linker Migrationsforscher, bestreitet die Wirksamkeit von Pullfaktoren. Forscher wie Koopmans würden dem vehement widersprechen.
Es ist natürlich eine völlig legitime politische Meinung zu sagen, Migration dürfe aus humanitären Gründen nicht begrenzt und Grenzen geschlossen werden.
Ich fürchte allerdings, dass diese Positionen europaweit aktuell keine Mehrheiten mehr bekommen werden. Nahezu alle, mit denen ich mich unterhalte (und das sind überwiegend progressive Menschen) fordern mehr Steuerung und Kontrolle in diesem Bereich.
Diese Behauptung hat nie jemand aufgestellt. Herr Lücke hat im Interview gesagt:
- Geflüchtete treffen ihre Entscheidung nicht aufgrund der erwarteten Höhe der Sozialleistungen, sondern aufgrund der Erwartungen, wo sie sich eine möglichst gute wirtschaftliche Existenz aufbauen können.
- Entsprechend wirkt sich eine Einschränkung der Sozialleistungen (in der Höhe oder in der Form) nicht wie von vielen erwartet auch einschränkend auf die Migrationszahlen aus.
- Wenn das Bedürfnis besteht, Geld ins Heimatland zu überweisen, dann stellt die Bezahlkarte kein wirksames Hindernis da (weil Möglichkeiten gefunden werden, über Tauschgeschäfte Guthaben auf der Karte in Bargeld umzuwandeln).
Ja, so wie ich das wiedergegeben habe, jedenfalls meiner Erinnerung nach. Ich lasse mich durch ein Zitat gerne eines besseren belehren, mir selbst liegt das Transkript nicht vor.
Lücke hat ziemlich klar gesagt, dass Migration durch Deutschland nicht steuerbar ist. z.B. wegen der langen Grenzen. Und das eine Steuerung durch Europa auf die Kooperation der Transitländer angewiesen ist (Beispiel Türkei-Deal). Aber das man für diese Kooperation auch sinnvolle Gegenleistungen erbringen muss (z.B. mehr Visa/Visumsfreiheit oder große Geldsummen).
Bei dieser Steuerbarkeits-Debatte fehlen mir wirklich mal die Beispiele von Ländern, die sich in vergleichbaren geographischen und/oder institutionellen Situationen wie Deutschland/die EU befinden und die das toll hinbekommen. Ohne dabei massenhaft die grundlegendsten Menschenrechte zu brechen. Mir fällt da auf anhieb nichts ein, dafür jede Menge Beispiele für extrem leistungsfähige Staaten, die trotzdem an der Verhinderung von Migration gescheitert sind/scheitern.
(Bevor jemand das Beispiel Australien bringt: das Maximum an Geflüchteten, die dort per Boot versucht haben hinzukommen war im Jahr 2013 ganze 20.587. In Europa geht es um völlig andere Dimensionen, auch im Verhältnis zur Bevölkerung. Zudem ist die geographische und rechtliche Situation eine völlig andere).
Nein, er hat bestätigt, dass Deutschland allein Migration sicher nicht "kontrollieren " kann.
Ich weiß.
Und genau das ist eine Möglichkeit zur Steuerung. Das ist keine, die Deutschland allein umsetzen kann aber es zeigt eben, dass Deutschland keinesfalls machtlos ist. Und ganz explizit widerlegte es deshalb die These, dass wir uns mit der Migration - so wie sie ist - abfinden müssen.
Das heißt nicht, dass es deshalb automatisch gut ist, diese Form der Steuerung zu nutzen. Aber es wäre eben unseriös, grundsätzlich zu bestreiten, dass es geht.
Das ist aber wieder nicht das was gemeint ist, wenn mim öffentlichen Diskurs Wähler „Grenzen zu“ und Politiker Obergrenzen für Geflüchtete fordern. Wer mit dieser Argumentation versucht zu belegen, dass „Migration für Deutschland steuerbar“ ist, der fördert nur Politikverdrossenheit, weil die Politik diesem Anspruch nie gerecht werden kann.
Deutschland wird sich bei der Migration von Geflüchteten immer einem fremden Willen unterwerfen müssen: Entweder dem Willen der individuellen Geflüchteten, die in Abwesenheit anderer Managementstrukturen individuell entscheiden, in welches Land sie gehen (aktuelle Situation). Oder dem Willen einer europäischen Institution, die im Idealfall effizient Geflüchtete an der Außengrenze abfängt, registriert und dann zügig nach irgendeinem Schlüssel auf die EU-Mitglieder verteilt (wobei wir uns keiner Illusion hingeben sollten, dass der größte Teil davon nicht in Deutschland landet wegen unserer wirtschaftlichen Stärke). Oder dem Willen eines Partnerlandes oder einer internationalen Organisation (UNHCR), die die Geflüchteten noch im Ausland registrieren und dann nach einem Schlüssel auf Deutschland verteilen (bzw. im Rahmen eines Abkommens Geflüchtete gegen eigene Staatsbürger austauschen und diese dann nach Deutschland reisen lassen). Vermutlich aber einer Mischung aus allen diesen Optionen.
Wie viele Geflüchtete in dieses System verteilt werden liegt wiederum völlig außerhalb der Einflussmöglichkeit aller Beteiligten, weil es da um politische und gesellschaftliche Prozesse in anderen Ländern geht, auf die wir gar keinen Einfluss haben (ausser vielleicht ein wenig auf die Bekämpfung des Klimawandels).
Unterm Strich bleibt Deutschland nur die Möglichkeit, zur Förderung einer besseren Transparenz der Migration eine andere Institution möglichst viel Fähigkeiten zur Steuerung von Migration zu geben. Also Geld und Beamte.
Fordere ich auch - aber Kontrolle und Steuerung bedeutet nicht zwangsläufig Grenzen zu.
Es bedeutet auch:
#ausreichend Geld für Kommunen
#Unterkünfte vorhalten ist bereit stellen, keine Turnhallen (notfalls langfristig bauen lassen)
#für rasche Integration sorgen (Kurse, Arbeit, Betreuung)
#Rückführungen konsequent umsetzen, wenn Entscheidungen gefällt sind
#europäische Solidarität leben (Überweisung der Länder mit Außengrenzen)
#europäische Lastenteilung einfordern
#Polizei und Ordnungsamt ausreichend ausstatten, um Gesetze durchzusetzen
Wir tun ja so, als ob alles von alleine passiert und wir überall genug an allen haben. Dem ist aber nicht so.
Auch wichtig:
#nicht in Panik verfallen, wenn so etwas wie Solingen passiert
Kontrolle und Steuerung kann man sich haben, wenn man hingeschaut, die Ausgabe annimmt.
Ich finde es unzutreffend und darüber hinaus sehr gefährlich, wenn hier die EU als „fremder Wille“ betitelt wird, dem Deutschand „unterworfen“ werde. Damit bespielt man genau die rechtsextremen Erzählungen. Natürlich hat Deutschland einen massiven Einfluss darauf, was innerhalb der EU entschieden wird.
Ich habe den Begriff hier in Abgrenzung zur vollständig souveränen Selbstbestimmung verwendet, aber ich will damit natürlich nicht rechte narrative bedienen.
Einfluss hat Deutschland in Europa vor allem dann, wenn wir auch bereit sind einen großen Teil der Lasten zu tragen. Wir gelten ja auch zu den größten Gewinnern der Gemeinschaft, wirtschaftlich und politisch. Bei Geflüchteten werden wir auch bei einer gesamteuropäischen Lösung nicht darum herum kommen, den Löwenanteil bei uns aufzunehmen.
Und genau diese Bereitschaft hat gefehlt und im Endeffekt zum Zusammenbruch des Dublin Abkommens geführt, da alle Länder die keine Außengrenze haben die mit Außengrenze im Stich gelassen haben, kein Geld, keine Beamten, keine Übernahme von Anerkannten.
Das ist auch nicht das, worüber ich gesprochen habe. Es gibt zum Thema Migration verschiedene extreme Positionen. Von rechter Seite wird in der Tat propagiert, dass Migration die Ursache allen Übels ist und national gesteuert werden muss und auch steuerbar ist. Seitens Lage wird gesagt, dass Migration mit rechtsstaatlichen Methoden (und da geht es eben auch um EU weite Maßnahmen - siehe z.B. LdN 322) nicht steuerbar ist und auch nicht gesteuert werden muss, weil die Flüchtlinge für unsere Wirtschaft positiv sind.
Lücke (und da ist er in seiner Position nicht weit entfernt von z.B. Knaus und Koopmanns) hat gezeigt, dass beide Extrempositionen so nicht haltbar sind.
In der Lage wurde wiederholt der Türkei-Deal als Vorbild für weitere Abkommen mit Transitländern hervorgehoben. Insofern stimmt einfach nicht, was du schreibst.
Nur wird gleichzeitig richtigerweise auch betont, dass man nicht die Erwartung fördern sollte, dass wir uns dann nicht mehr mit „den Flüchtlingen“ beschäftigen müssen, sondern dass wir trotzdem Systeme zur menschlichen und wirtschaftlichen Integration von geflüchteten brauchen.
Auch Deals mit allen Transitländern werden nur zur transparenteren, nicht notwendigerweise u zu weniger Migration führen.
Dass der EU Türkei Deal als legitime Maßnahme anerkannt wird um Migration zu steuern habe ich der Lage so an keiner Stelle entnommen.
Moin. Bin etwas spät dran in dieser Diskussion aber ich musste erstmal alles vorhergehende durchlesen.
Für mich sind die besagten ca. 50 Milliarden Euro als Nettokosten für Migration(?) noch unklar. Ich habe Herr Lücke so verstanden, dass es unterm Strich mehr kostet Migration zuzulassen statt die Grenzen komplett dicht zu machen. Das kann ich mir nicht vorstellen. Wir brauchen doch Migration und das muss doch auch volkswirtschaftlich Sinn machen. Oder geht es bei den Kosten nur um die ungesteuerte Migration? Kann hier jemand mit Zahlen oder Studien helfen? Danke.