Erstmal muss man differenzieren. Ja, eine Beschneidung bei männlichen Kindern ohne medizinische Indiktation erscheint mir auch zuhöchst fragwürdig, aber es ist keineswegs gleichzusetzen mit der Genitalverstümmlung von Mädchen und Frauen. Eine Beschneidung hat in der Regel keine ähnlich schwerwiegenden negativen Folgen, eine weibliche Genitalverstümmlung hingegen zeichnet die betroffenen Personen für’s Leben, und zwar ausgesprochen schwerwiegend. Es ist wirklich nicht gleichzusetzen.
Es sind nicht nur Juden und Moslems. In den USA ist die Beschneidung männlicher Kinder auch in der gesamtgesellschaft weit verbreitet. Dort werden heute immer noch fast 60% der männlichen Neugeborenen beschnitten, und das sind bei weitem nicht alles Moslems und Juden. Gerade im deutsch-christlich geprägten mittleren Westen beträgt die Quote bei Beschneidungen in den USA 75%.
Grundsätzlich hätte ich nichts gegen ein Beschneidungsverbot von Kleinstkindern ohne medizinische Indikation, aber zum Einen halte ich das nicht für politisch durchsetzbar („jüdische Kultur“ in Deutschland mit einem Verbot einzuschränken wird in jedem Fall zu einem massiven Aufschrei führen, was historisch nachvollziehbar ist!), zum anderen müsste ein derartiges Verbot mindestens auf EU-Ebene kommen, weil sonst der Weg in’s Ausland derart einfach und kurz ist, dass diese Behandlungen dann eben standardmäßig in den Nachbarländern stattfinden würden.
Der Schaden durch Beschneidungen bei Jungen ist auch so gering, dass man argumentieren könnte, dass ein Verbot auch ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Religionsfreiheit sei. Ich würde das so nicht argumentieren (weil die tatsächlichen Schäden tatsächlich sehr umstritten sind und ich der Religionsfreiheit keine so starken Sonderrechte zubillige, wie es leider Praxis ist…), aber es wäre definitiv eine vertretbare Position.
Anyways, da die Rede von „religiösen Praktiken, die nicht mit unseren Werten vereinbar sind“ war und die Beschneidung von männlichen Kindern explizit durch den Gesetzgeber parteiübergreifend 2012 „legalisiert“ wurde, ist schon definitorisch klar, dass der Fall männlicher Beschneidungen nicht in diese Aufzählung passt, weil sie offensichtlich zumindest mit den Werten der im Bundestag vertretenen Parteien (und damit legitimiert vom Wähler) zu vereinbaren scheint (was auch immer man davon halten mag, steht auf einem anderen Blatt!).