LdN319 Gesetzentwurf für Wahlrechtsreform

Mir erschließt sich die Logik für die Reduzierung der Wahlkreise noch nicht ganz: „Wir finden, dass im Ampelvorschlag die Wahlkreise nicht ausreichend repräsentiert sind, also reduzieren wir ihre Anzahl“

Die Reduzierung der Wahlkreise ist für die Union wohl weniger politisches Ziel als Mittel zum Zweck um ein Wahlrecht mit unausgeglichenen Überhangsmandaten zu rechtfertigen.

Nicht unbedingt. Eine Reduzierung der Wahlkreise wäre tatsächlich eine adäquate Maßnahme gegen Überhangmandate. Im Moment werden (ohne Überhang-/Ausgleichsmandate) 50% der Sitze an Direktkandidaten vergeben. Daher entstehen Überhangmandate grob gesagt überall dort, wo eine Partei in einem Bundesland mit der Zweitstimme weniger als die Hälfte des Stimmenanteils erhält, als ihr Anteil an den Direktmandaten. Je größer die Differenz, umso mehr Überhangmandate. (Extremfall Bayern: CSU fast alle Direktmandate, also nahezu 100%, müssten also knapp unter 50% der Zweitstimmen bekommen damit es keine Überhangmandate gibt.)

Wenn man jetzt die Anzahl der Wahlkreise reduziert und/oder die Zahl der Listensitze erhöht, ändert sich das Verhältnis. (Beispiel: Nur 40% der Sitze werden über Direktmandate vergeben. CSU bekommt also nur Überhangmandate, wenn sie unter 40% der Zweitstimmen fallen, entsprechend der Differenz.)

Natürlich ist dann die nachfolgende Argumentation: Wenn es nicht mehr so viele Überhangmandate gibt können wir die doch großzügigerweise unausgeglichen lassen. Wird aber nicht ziehen, weil keine der Ampelparteien da irgendein Interesse dran haben könnte.

Auch so eine Reduzierung wäre allerdings schlecht für die Linkspartei, auch ohne dass die Direktmandatsklausel wie von der Union vorgeschlagen auf 5 erhöht wird, denn es ist absolut nicht unwahrscheinlich, dass dann Berlin so gerrymandert wird, dass für die Linke ein Direktmandat wegfallen könnte.

Hier Modellrechnungen Wahlrechtsreform Bundestag 2023 steht wie die CSU das für eine interessante aber riskante Strategie nutzen kann.

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Das stimmt, aber so perfekt ist der Schutz nicht. Die neuen „Unabhängigen CSUler“ ziehen nämlich direkt ein und unterliegen nicht der Proportionalität. So könnte die CSU ihre 45 Leute wieder reinbringen und die restlichen können sich die 553 Mandate proportional aufteilen und die CSU hat so schon mehr! Modellrechnung: Modellrechnungen Wahlrechtsreform Bundestag 2023

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Damit könnte man vielleicht im besten Fall die Überhangmandate ausgleichen, die bei der aktuellen Parteienlandschaft und Verteilung der Wahlstimmen entstehen. Aber der grundlegende Systemfehler bleibt und kann bei geänderten politischen Verhältnissen wieder eine Vergrößerung des Bundestages erfolgen. Vielleicht haben wir in 10 Jahren nicht 6 sondern 9 Parteien im Bundestag, who knows.

Vielen Dank erst mal für den Hinweis. Dein Beitrag im Forum ist etwas kurz, deswegen musste ich mir das erstmal auf deiner verlinkten Internetseite ansehen, die ich aber sehr angenehm und ausführlich finde :slight_smile:

Ich bin kein Wahlrechtsexperte aber soweit ich es verstehe, hast du grundsätzlich recht, dass die CSU mit dem neuen Ampel-Wahlrechtsvorschlag quasi nur noch mit unabhängigen Wahlkreiskandidaten antreten könnte.
Und dann würden sie wohl auch tatsächlich nahezu alle Wahlkreise in Bayern gewinnen können, jedenfalls war es 2021 ja so (45 von 46 bayrischen Wahlkreisen an CSU).

Und du hast auch recht, dass sie mit diesen 45 direkt gewählten Bundestagsabgeordneten dann 7,53 % der Bundestagsmandate hätten, was einiges mehr wäre, als jetzt.

Aber:

  1. Da diese 45 Abgeordneten dann keiner Partei mehr angehören würden, würde die CSU damit, nach meinem Verständnis den Anspruch auf Förderung einer Partei-nahen Stiftung verlieren. Damit würde der CSU Gelder in zweistelliger Millionenhöhe entgehen.
  2. Die unabhängigen „Ex-CSUler“ wären im Bundestag doch dann auch keine Fraktion mehr und würden damit die typischen Fraktionsrechte (Quelle: Wikipedia) verlieren, oder? Das Argument ziehe ich zurück, die CSU hat ja schon heute eine gemeinsame Fraktion mit der CDU.

Falls ich mit diesen beiden Annahmen nicht falsch liege, wäre das in meinen Augen bereits ein ordentlicher De facto-Schutz, auch wenn @janlo natürlich grundsätzlich Recht hat, dass die CSU diesen Move machen könnten.

Das ist theoretisch natürlich richtig. Praktisch ist es aber zum einen so, dass eine Kappung nach dem Rasenmäherprinzip all der Überhangmandate entsteht, die durch den fehlenden Zweitstimmenanteil von 40% auf 50% (bei vollständiger Wahlkreisdominanz á la CSU) zustande kommt. Um also wieder in den derzeitigen Bereich zu kommen, müsste die CSU bei den Zweitstimmen deutlich unter 30% fallen, und dann wird es immer unwahrscheinlicher, dass sie alle Direktmandate holen. Dafür müsste man schon eine sehr seltsame Parteienlandschaft konstruieren. Es wäre dann also zwar möglich, dass es weiterhin zu Überhangmandaten kommt, die auf die eine oder andere Weise (durch Streichung oder Ausgleichsmandate) kompensiert werden müssten, aber die Zahl würde sich deutlich im Rahmen vergangener Zeiten bewegen, als es nicht als Problem wahrgenommen wurde, wenn der Bundestag 20–30 Sitze über der Sollgröße hat.

Oder um es mal konkret zu machen. Derzeit hält die CSU bei 45 von 46 Direktmandaten 11 Überhangmandate, da nur 34 Sitze von ihren Zweitstimmen gedeckt sind. Bei einer Reduzierung der Wahlkreise um 20% – also insgesamt 40% statt 50% der Mandate – blieben Bayern bloß noch 37 Wahlkreise übrig, beim derzeitigen Zweitstimmenergebnis also maximal 2–3 Überhangmandate, eine Reduzierung um ca. 75% die sich im gleichen Maße auch auf alle Ausgleichsmandate auswirken würde.

Ja, rechnerisch möglich, aber die Voraussetzung, dass sie damit alle Stimmen einsammeln würden, die sie auch jetzt bekommen, halte ich für falsch. Die Kandidaten stehen dann ganz unten auf dem Wahlzettel, es darf nicht CSU dranstehen, die Praxis wird in der Öffentlichkeit als „Schummeln“ thematisiert werden und damit Stimmen kosten, und u.U. werden sich in umkämpften Wahlkreisen vielleicht ganz plötzlich noch eine Reihe weiterer Einzelkandidaten bewerben, um Stimmen von CSU-Wählern abzugreifen, die den Namen ihres Kandidaten nicht kennen.^^

Alles in allem würde ich daher annehmen, dass eine Reihe Wahlkreise dadurch flippen würden, so dass sich der Aufwand im Ergebnis nicht lohnt.

Das erinnert mich an eine Geschichte aus Russland (Link)

In Russland gibt es bei jeder Wahl Kandidaten, die nur dazu da sind, anderen Kandidaten ihre Wählerstimmen streitig zu machen, indem sie Verwirrung stiften. Das auffälligste Beispiel stammt bei der diesjährigen Wahl aus St. Petersburg: Dort hat es der Oppositionspolitiker Boris Wischnewski mit zwei weiteren Boris Wischnewskis zu tun, die nicht nur den gleichen Namen haben, sondern ebenfalls Glatze und Bart tragen.

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