ich schätze eure differenzierte Berichterstattung sehr und freue mich jede Woche auf das Neuerscheinen der Lage. Ich habe den Eindruck, ihr wählt eure Worte mit Bedacht und seid euch bewusst darüber, dass Sprache Wirklichkeit schafft. Deswegen traue ich mich, euch meinen Eindruck zur Berichterstattung über Israel und Palestina aus der letzten Lage rückzumelden.
Ihr habt das Thema eröffnet mit „…die Lage dort in Israel, speziell im Gazastreifen, wird immer schlimmer…“ (Min: 46). Im Konflikt zwischen den beiden Ländern spielt Land, Kontrolle über Land und Vertreibung aus dem Land eine große Rolle. Deswegen finde ich es besonders problematisch in der Anmoderation den palestinensichen Gazastreifen als israelisch zu betiteln. Natürlich kann das ein Versehen sein und es ist sicher schwierig, dass im Nachhinein viele Menschen jedes eurer Worte auf die Goldwaage legen. Diesen sprachlichen Fehler finde ich dennoch bemerkenswert, da Israel zunehmend palestinensische Gebiete besetzt und Palestinenser*innen vertreibt. Ich finde es wichtig diesem (völkerrechtswidrigen) Vorgehen durch sprachliche Genauigkeit entgegenzutreten und den Gazastreifen eindeutig als palestinensisch zu markieren.
Von mir auch vielen Dank dafür, dass ihr dieses schwierige, aber dringende Thema so ausführlich behandelt habt. Ich sehe den sprachlichen Fehler, der oben angesprochen wurde nicht so dramatisch, wichtiger ist wie gesagt, dass dieses Thema in der öffentlichen Wahrnehmung neben anderen Krisen nicht untergeht.
Was das Interview angeht, fand ich es gut, dass ihr herausgearbeitet habt, dass eine kritische Haltung zum Gaza-Krieg bzw. die Forderung nach einer Zwei-Staaten-Lösung eben keine Israel-feindliche Haltung ist sondern im (Sicherheits-)Interesse von Israel selbst liegt.
In einem anderen Beitrag (Link) hatte ich einen Artikel von UPI verlinkt, in dem das ein amerikanischer Beamter einmal sehr direkt formuliert hat, wie kontraproduktiv das harte Vorgehen der Israelis war und ist:
Former State Department counter-terrorism official Larry Johnson told UPI: „The Israelis are their own worst enemies when it comes to fighting terrorism. They are like a guy who sets fire to his hair and then tries to put it out by hitting it with a hammer.They do more to incite and sustain terrorism than curb it.“
Das Merz aber stattdessen einen besonders weichen Kurs gegenüber Israel fährt wird den Israelis langfristig also eher schaden als nützen. Wie auch im Podcast gesagt wurde: „Gute Freund sagen einem auch, wenn man etwas falsch macht“.
Auch von mir vielen Dank für das Interview. Ich fand es toll, dass ihr mit eurem Gast herausgearbeitet habt, dass die Unterstützung Israels und Kritik an fehlerhaftem Verhalten der Regierung Israels keineswegs im Gegensatz zueinander stehen. Das scheint mir im deutschen Diskurs oft missverstanden, der dazu neigt Kritik schnell in eine antisemitische Ecke zu stellen.
Was mich allerdings wundert, ihr seid - wie ihr in letzter Zeit oft betont - der größte Politikpodcast in Deutschland. Und ihr seid auch oft sehr meinungsstark und richtet klare Forderungen an unsere Regierung (mindestens implizit). Warum springt ihr trotzdem nicht über euren Schatten und fordert endlich von der neuen Regierung sich stark für eine humanitäre Waffenruhe ohne Vorbedingungen einzusetzen. Oder zumindest für die Einhaltung internationalen Rechts, notfalls unter Ausübung diplomatischen bis wirtschaftlichen Drucks?
Mir scheint wir sind alle bestürzt über die Lage in Gaza, aber keiner mit der Reichweite ist bereit den Shitstorm zu riskieren, den das Eintreten für das Richtige mit sich bringen kann.
Ich würde gern zwei Punkte zum Abschnitt über den Gaza-Streifen hinzufügen, da ich finde, dass diese im Podcast missverständlich ausgedrückt wurden.
Israel will nicht - wie im Podcast gesagt - den Gaza-Streifen erneut besetzen, sondern seine Besatzung massiv ausweiten und das Gebiet wieder besiedeln. Besetzt ist das Gebiet allerdings durchgängig seit 1967, auch wenn Israel seine Siedlungen im Gaza-Streifen 2005 aufgegeben und zerstört hat. Sehen kann man das unter anderem daran, dass Israel das Bevölkerungsverzeichnis führt (https://www.gov.il/en/departments/units/population_registrar_unit).
Außerdem möchte ich anmerken, dass ich die Interviewführung mit Ofer Waldman in Teilen problematisch und unnötig provokativ finde. Besonders die folgende Fragestellung fand ich wirklich nicht in Ordnung: „Rechtfertigt denn dieses Massaker vom 7. Oktober 2023 […] nicht das Vorgehen der Regierung Netanyahu? Muss da nicht einmal eisern durchgekehrt werden?“ (Bei etwa 51:50 Ulf Buermeyer.) Diese Frage und Formulierung finde ich angesichts der systematischen Kriegsverbrechen, die Israel und die israelische Armee seit anderthalb Jahren begehen, angesichts der menschengemachten Hungersnot, absolut unangemessen.
Gerade bei diesem Thema, zu dem in Deutschland ein sehr polarisierter, emotionaler und oft faktenfremder Diskurs geführt wird, sollte die Lage nicht noch weiter zu Polemisierung beitragen. Frühere Beiträge in der Lage zu dem Thema fand ich sehr gut, analytisch klar und nah an den Fakten. Das würde ich mir weiter wünschen.
Interessant, ich hatte die Frage komplett anders gewertet. Quasi als Steilvorlage für den Interviewpartner, wie das oft mit so provokanten Fragen der Fall ist. Das machen die Hosts ja öfter - also die Position der Gegenseite mit einer wirklich provokanten Frage darzustellen, um dem Interviewpartner eine Gelegenheit zu geben, auf dieses von der Gegenseite häufig genannte Argument einzugehen. Man hätte es natürlich anders formulieren können, um sich als Hosts selbst stärker davon zu distanzieren, alá „Manche Befürworter des israelischen Vorgehens berufen sich darauf, dass…“. Ich finde es schwer, zu sagen, was die bessere Wirkung auf den Zuhörer hat.
Ich glaube, diese Frage wurde gewissermassen als anwaltliche Frage gestellt für die Menschen, die eben genau der Meinung sind, der 7.Oktober rechtfertige quasi jede grausame Rache. Ich glaube auch, Ofer Waldman hat das so verstanden und entsprechend aufschlussreich geantwortet.
Bei allem, was hier von Podcastern und indirekt von der Regierung gefordert wird, vergessen hier einige die Beziehung zwischen Deutschland und Israel und auch, wie diese international gesehen wird.
Für uns ist es relativ leicht, das Handeln der israelischen Regierung zu verurteilen und uns zu positionieren.
Durch die Geschichte der beiden Länder ist Deutschland jedoch buchstäblich das letzte Land, das Israel wegen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen kritisieren darf.
Es bräuchte schon extrem viel diplomatisches Fingerspitzengefühl, hier eine klare Botschaft zu senden, ohne die Antwort zu erhalten, dass gerade wir uns zu dem Thema enthalten sollten.
Aus realpolitischer Sicht wäre außerdem die Frage, was wir damit aktuell bezwecken wollen. Außer unser Gewissen zu beruhigen, dass sich unsere Regierung positioniert hätte.
Ist das so? Und wenn ja: Ist das gerecht oder sinnvoll?
Ich glaube kaum ein anderes Land hat es wie Deutschland geschafft, die Fehler der Vergangenheit klar zu benennen und aufzuhören, die Fehler der Vergangenheit zu glorifizieren. Es ist auch völlig klar, dass keiner der Heute in der Politik verantwortlichen noch irgend etwas direkt mit den Nazi-Verbrechen zu tun hat. Im Gegenteil: Wir haben tatsächlich aus den Fehlern unserer Urgroßeltern gelernt und gerade deshalb positioniert sich Deutschland in allen möglichen internationalen Konflikten ja immer so deutlich auf der Seite der Menschenrechte.
Also gerade gegenüber dem Deutschland von 2025 fände ich den Vorwurf, dass man sich nicht zu Menschenrechtsverletzungen äußern dürfe, weil man selbst vor über 80 Jahren die schwersten Menschenrechtsverletzungen begangen hat, falsch.
Aber das ist eben der Punkt, der in Israel-Threads schon öfters genannt wurde:
Die pro-israelische Seite in der Diskussion interpretiert unsere historische Verantwortung („Nie wieder“) speziell im Hinblick auf Israel und ist dadurch bereit, Israel weniger zu kritisieren, als sie andere Staaten für die gleichen Handlungen kritisieren würde.
Die Gegenseite interpretiert unsere historische Verantwortung („Nie wieder“) genereller auf alle Staaten bezogen und eben explizit nicht nur auf Israel. Deshalb ist es für diese Seite völlig unverständlich, wie man bei israelischen Kriegsverbrechen wegschauen kann, während man sich gleichzeitig in allen anderen Konflikten ganz klar gegen Kriegsverbrechen positioniert.
Ich bin da recht klar auf der zuletzt genannten Seite - so wie wir es, mit Recht, als Zeichen von Antisemitismus sehen, wenn Israel in negativer Sicht anders behandelt wird als andere Staaten, muss das auch in positiver Hinsicht gelten. „Mit zweiterlei Maßen zu messen“ ist generell abzulehnen, daher verbittet es sich auch, Israel mit Samthandschuhen anzupacken, wenn man jedes andere Land in der gleichen Situation härter angehen würde. Ansonsten öffnen wir uns gegenüber dem - auch häufig von Antisemiten genannten - Vorwurf, dass wir die Palästinenser unsere Schuld abzahlen lassen. Denn das ist das Resultat, wenn wir den Palästinensern quasi sagen: „Sorry, aber eure Menschenrechte können wir nicht verteidigen und Kriegsverbrechen gegen Euch können wir nicht klar benennen, weil wir damals ganz schlimme Dinge mit den Vorfahren eurer heutigen Peiniger gemacht haben“. Das erscheint weder fair, noch gerecht, noch sinnvoll. Weder haben die Palästinenser wegen unserer historischen Greueltaten weniger Menschenrechte, noch haben die Israelis wegen unserer historischen Greueltaten mehr „Rechte auf nicht-kritisierte Kriegsverbrechen“.
Nur, um das klar zu machen: Ich erkenne die deutsche Schuld am Holocaust absolut an und denke auch, dass wir Israel bis heute noch dafür um Entschuldigung bitten müssen und habe daher absolut nichts dagegen, auch heute noch Akte der Wiedergutmachung zu leisten. Aber solche Akte dürfen eben nicht zu Lasten anderer Parteien gehen.
Was soll internationale Diplomatie generell bezwecken?
Wir gehen davon aus, dass diplomatische Reaktionen zumindest einen gewissen Einfluss auf andere Staaten haben. Wenn Deutschland sich hier klar gegen den aktuellen Gaza-Kurs der israelischen Regierung stellen würde - zusammen mit vielen anderen Ländern - ist das zumindest ein Zeichen an die israelische Zivilgesellschaft, die ebenfalls dagegen ist, dass sie nicht alleine steht. Dass eine klare Positionierung Deutschlands alleine jetzt nicht sofort den Konflikt beenden wird, ist klar - aber das sollte man auch nicht erwarten.
Ohne jetzt Position in der Frage zu beziehen, ob und wie die Bundesregierung sich hier verhalten soll: Seit wenigen Wochen nach dem 7. Oktober taucht in Interviews und Artikeln immer mal wieder auf, dass das Verhalten Deutschlands bezüglich Nahost auch in den Beziehungen zu anderen Staaten diplomatische Folgen hat. Grade in den Ländern, die man hinsichtlich Russland auf „unsere“ Seite ziehen wollte, wurde Vertretern Deutschlands wohl regelmäßig ein Doppelstandard vorgeworfen. Ohne das inhaltlich bewerten zu wollen, kann eine Veränderung der deutschen Position hier diplomatische „Kosten“ sparen, selbst wenn man hinsichtlich des eigentlichen Themas mutmaßlich wenig Einfluss auf die israelische Regierung hätte.
Ich würde sagen, weder noch. Und auch deinen restlichen Ausführungen stimme ich zu. Es ging mir aber nicht um das Soll, bei dem wir übereinstimmen, sondern um das Ist.
Und da sage ich auch nicht, dass Deutschland sich rauszuhalten hat. Aber eben, Fingerspitzengefühl. Um einen Vergleich zu ziehen: Stellt euch vor, Japan würde in einem Konflikt eine Atombombe zünden. Wäre es für uns nicht moralisch viel einfacher, dies zu verurteilen, als für die USA? Die exakt das diesem Land in der Vergangenheit angetan haben? Das meine ich einfach.
Verstehe ich, aber die Regeln der internationalen Diplomatie sind aktuell dank den USA weitestgehend ausgesetzt. Israel zieht die aktuellen Maßnahmen durch, weil Trump hinter ihnen steht und wahrscheinlich gerade mit Filzstiften Pläne für sein Ferien-Ressort kritzelt. Da ist sowohl denen, als auch den USA völlig egal, wie Deutschland dazu steht.
Dass es trotzdem ein unter Umständen wichtiges Zeichen ist, Haltung zu zeigen, finde ich auch.
Weiß ich nicht. Also mir fällt spontan kein Land ein, das aktuell auf der Seite Russlands ist und bereit wäre, ab sofort die Ukraine zu unterstützen, sobald Deutschland Israel kritisieren würde.
Ich finde einfach das Bild mit der Freundschaft aus dem Podcast sehr passend. Und das kennt jeder: Manchmal werden Freundschaften auf die Probe gestellt. Und die Frage, ob man als guter Freund lieber unterstützend oder ehrlich sein soll, die haben wir uns auch alle schon einmal gestellt.
Nun findet sowas auf Staatenebene statt und ist noch viel komplexer und dazu sterben und leiden jeden Tag Menschen in Palästina.
Ich hoffe einfach, dass Deutschland hier bald eine gute Antwort findet, beneide die Regierung aber nicht um das Problem.
Diplomatische „Kosten“ meint was anderes, als völlige Verhaltensänderungen. Ich wollte hier aber auch nicht so tief in die Feinheiten diplomatischer Beziehungen einsteigen, sondern nur darauf hinweisen, dass es realpolitische Gründe für eine andere Politik geben kann. Ob man diese Gründe teilt, oder nicht, ist ja eine zweite Frage.
Ich stimme zu, dass Kritik als Privatperson immer einfacher zu äußern ist als als öffentliche Vertreterin. Gleichzeitig erwarte ich von deutschen Politikerinnen den Mut unbequeme Tatsachen anzusprechen und den Gegenwind auszuhalten. Grade wegen dem durch die Deutschen verübten Holocaust haben deutsche Bürger und Politikerinnen in meinen Augen die historische Verantwortung die Vertreibung und Ermordung von Menschen zu verurteilen egal von welchem Land die Verbrechen verübt werden. Keine eindeutige und konsequente Kritik an den Menschenrechts-Verletzungen durch die israelische Regierung zu üben, ist für mich der Versuch das eigene Gewissen reinzuwaschen. Wir können die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht wieder gut machen, in dem wir uns mit Kritik an Israel zurückhalten. Ich bin bereit mit der historischen Schuld Deutschlands zu leben, um Verzeihung zu bitten und zu reflektieren zu was die systematische Ungleichbehandlung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen geführt hat und dazu aufzufordern, genau das zu beenden.
Ein einfaches Gedankenexperiment genügt, um diese Position als gefährlich zu erkennen. Lass uns annehmen, Israel würde tatsächlich schwerste Menschenrechtsverletzungen begehen. Vielleicht vertreibt man die restlichen Palästinenser durch Waffengewalt und wer bleibt wird erschossen oder eingesperrt. Die USA steht bekanntlich hinter Israel. Also müsste Deutschland bis zum Ende still halten und Israel Unterstützung zuflüstern?
Und wenn dann die internationalen Institutionen mit einigen Jahren Verspätung endlich entscheiden, dass Israel einen Genozid begangen hätte, dann sagen wir Hupsi, das ist ja jetzt doof. Nun stehen wir schon wieder auf der Seite der Völkermörder. War aber auch doof für uns. Wir wollten ja eigentlich nicht, aber unser Völkermord an den Juden verbietet uns Völkermord durch Israel entgegen zu treten und zu verhindern.
Wer das Vermächtnis der NS-Aufarbeitung so versteht, hat Geschichte in meinen Augen nicht verstanden.
Nein, das sehe ich ehrlich gesagt überhaupt nicht so. Gerade weil die USA dieses (zeitlebens ungesühnte) Verbrechen beging, erwarte ich von einer aktiven Geschichtsaufarbeitung (, die es in den USA meines Wissens kaum gab), dass sie Japan sofort in den Arm fallen. Wissen sie doch, was der unerzwungene Einsatz der Atombombe für eine menschliche Katastrophe ist.
Nicht nur einmal. Aber bisher war die Antwort bei mir immer: Ja-Sager sind keine Freunde. Im Gegenteil, oft machen sie alles nur noch schlimmer. Ja-Sager sind Lügner und quasi Populisten auf Individualebene.
Klar, im ersten Schock muss ich eine Person auch auffangen und ihr Unterstützung geben, aber bald darauf muss auch deutlicher Widerspruch auf Fehlverhalten stattfinden, sonst denkt die Person auf Dauer, dass das was sie macht in Ordnung ist.
Wahre Freunde feiern eine Intervention, um Freunde aus dem Dreck zu ziehen und richten keine Selbstmitleidsparty aus. Und wahre Freundschaft hält auch mal Konflikte aus, solang sie fair behandelt werden.
Das sehe ich komplett anders. Erstens haben Deutschland und Israel erst ein „Beziehung“ seit Israel als Staat auch international anerkannt wurde, zum anderen ist es genau aus der historischen Verantwortung heraus die Aufgabe Deutschlands andere Länder zu ermahnen ähnliche Menschenrechtsverletzungen von Rechts außen zuzulassen wie wir es damals getan haben. Vorsichtig formuliert!
Jedes Land der Welt kann von Rechts außen übernommen werden und mehr oder weniger Menschenverachtend geführt werden. Deutschland war da nicht die große Ausnahme. Ich sehe es als Aufgabe zu ermahnen wozu das alles geführt hat!
Hier wabert ja mal wieder einiges an „gefühtem Wissen“ durch den Thread, vielfach getragen von der Hybris, dass Deutschland auf seinem Weg vom Weltmeister der Völkermorde (20. Jahrhundert) zum „Weltmeister der Vergangenheitsbewältigung“ (Norbert Frei) nun ganz besonders aufpassen muss, dass der einzige jüdische Staat auf diesem Planeten nicht allzu sehr auf die schiefe Bahn gerät.
Dabei kommen dann auch solche Sätze heraus, die faktisch einfach nicht haltbar sind. Es gibt keinen eindeutigen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Aufnahme deutsch-israelischer Beziehungen und der „internationalen Anerkennung“ Israels.
Zu den Fakten: Der Staat Israel wurde am 14. Mai 1948 gegründet - „international anerkannt“ war er von wichtigen Staaten bereits einige Tage später, u. a. durch die USA und die Sowjetunion. Es folgten viele weitere und im August 1949 wurde Israel vollwertiges Mitglied der UN. Israel war also schon über 15 Jahre „international anerkannt“, als die Bundesrepublik Deutschland und Israel 1965 diplomatische Beziehungen aufnahmen. Vorher gab es m. W. formal gesehen keine Anerkennung Israels durch einen deutschen Staat. Die DDR hat Israel bis zu ihrem Untergang nicht diplomatisch anerkannt, sondern stattdessen lieber Staaten unterstützt, die Krieg gegen Israel führten. Nur der Vollständigkeit halber: Die beiden deutschen Staaten wurden übrigens erst 1973 in die UN aufgenommen.
Ergo: Dafür, dass ein deutscher Staat gar nicht und ein anderer erst recht spät diplomatische Beziehungen zu Israel aufnahm, gab es sicher eine Menge von Gründen. Aber dass Israel vorher nicht „international anerkannt“ gewesen wäre, ist mit Sicherheit keiner davon.
Danke für die schöne Geschichtsstunde der ich auch nicht widerspreche! Nur hat es nichts mit meiner Aussage zu tun. Ich gebe zu ich habe es sehr verkürzt.
Gemeint war zumindest etwas anderes bezogen auf die Aussagen auf die meine Antwort folgte.
Beziehungen zum Staat Israel konnten wenn überhaupt erst aufgebaut werden seit es den Staat gibt. Und das hat genau wie du sagst nichts mit unserer Vergangenheit zu tun.
Nach dieser Logik dürfte Deutschland den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auch nur mit „Fingerspitzen“-Gefühl kritisieren aber wohl kaum Waffen an die Ukraine liefern, oder? Schließlich sind durch den Russland-Feldzug der Nazis über 10 Millionen sowjetische Zivilisten ums Leben gekommen.
Und genau diese Aussage finde ich halt merkwürdig, denn diese Bedingung war ja seit 1949 gegeben. Nur hat es in einem Falle noch über 15 Jahre gedauert, bis diplomatische Beziehungen aufgenommen wurden und im anderen Falle wurden sie nie aufgenommen.
Und dass die Gründung von zwei deutschen Staaten 1949, die Gründung Israels 1948 sowie die Beziehungen zwischen den dreien „nichts mit unserer Vergangenheit zu tun“ hätten, ist aus meiner Sicht entweder demonstrative Ignoranz oder gewollte Geschichtsklitterung.
Dabei wird halt immer wieder vergessen, dass der „Feldzug“ Deutschlands sich nicht nur gegen Russland richtete und dass der Vernichtungskrieg vor allem jene Gebiete traf, die heute Belarus und die Ukraine umfassen. Das Argument wäre also: Deutschland darf der Ukraine nicht helfen, sich gegen einen Angriff Russlands zu verteidigen, weil es in den 1940ern selbst die Ukraine angegriffen hat. Klingt für mich nicht sehr überzeugend.
Es ist generell schon sehr „telling“, wie groß bei einigen das Bedürfnis zu sein scheint, den arabisch-israelischen Konflikt mit allem Möglichen zu analogisieren - nicht nur mit den größten Verbrechen, die Deutschland je begangen hat, sondern auch auch mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine, der komplett anders gelagert ist.
Es ist für mich noch mehr „telling“ passende Vergleiche auf Krampf umzubiegen, damit sie zur eigenen Position passen. Deine Kritik ignoriert nämlich, dass es unerheblich ist, ob der Vernichtungskrieg vor allem jene Gebiete traf, die heute kein Teil des Rechtsnachfolgers der Sowjetunion mehr sind.
Der Vernichtungskrieg galt der Sowjetunion als Ganzes und hat sich so dort auch ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Das betrifft ebenso Ukrainer und Belarussen, ebenso wie auch Russen, Kirgisen usw… Hätten die Nazis gekonnt, sie hätten sicher auch vor Wladiwostok nicht Halt gemacht. Und seien wir ehrlich, gelitten haben fast alle Regionen der Sowjetunion. Entweder durch die Mobilisierung, Tod von Söhnen, Hunger und vielem anderen mehr.
Daher ist der Vergleich meiner Meinung nach durchaus treffend. Der Fehler ist eher schwerste Kriegsverbrechen gegen Zivilisten auf der anderen Seite scharf kritisieren und auf der anderen Seite zu bagatellisieren oder erklären zu wollen.
Das ist ebenso falsch wie all jene, die Russlands handeln in der Ukraine mit Sicherheitsbedenken und angeblich gebrochenen Versprechen versuchen zu bagatellisieren und zu rationalisieren.