LdN 373 Krankenhaustransparenzgesetz

Liebes LdN-Team,

Ich betrachte die Situation des Gesundheitswesens als seit 20Jahren im Bereich Anästhesie-, Intensiv- und Notfallmedizin tätiger Arzt. Ich bin derzeit in leitender Position tätig, mit Zusatzausbildungen im Bereich Krankenhausmanagement und Qualitätsmanagement, und ich habe in allen Versorgungsstufen, vom Grund- und Regelversorger bis zum Maximalversorger, gearbeitet. Mein Eindruck ist, sowohl persönlich wie auch von den Berichten der Kollegen, dass die Allermeisten, sei es ärztlich, wie auch pflegerisch, einen sehr guten Job zu machen, und zwar auf allen Versorgungsstufen, und dass es andersherum auch überall Pfusch gibt, auch an der Uniklinik (gruseliges Bsp. s. Netflix “Bad surgeon”, auch dieser Kollege war an einer deutschen Uniklinik beschäftigt [1]).

Ein zentraler Aspekt der Gesundheitspolitik rund um die geplante Krankenhausreform mit “Nebenkriegsschauplatz” Transparenzregister ist die konsequente Nicht-Beteiligung der Akteure (Krankenhäuser, Niedergelassene, Pflegedienste, Hebammen, Rettungsdienste, uswusf.) vor Ort. Herr Prof. Lauterbach hat sich mit einer sehr universitär geprägten, von sich selbst überzeugten Expertenkommission umgeben, die aus einer “Elfenbeinturmperspektive” zentral das Gesundheitswesen umzuorganisieren versucht, ohne wirklich Ahnung von den Bedingungen vor Ort zu haben (was primär nicht so schlimm ist) und die sich hierfür aber auch gar nicht zu interessieren scheinen (was fatal ist).

Von Seiten der Bundespolitik werden konsequent einige Mythen und Narrative bedient, die durch ständige Wiederholung aber nicht richtiger werden, die aber von der Presse (und leider auch von Euch als Lage der Nation) gerne und zumeist völlig kritiklos übernommen werden. Als einen der wenigen differenzierteren Artikel kann ich diesen hier aus der Zeit [2] empfehlen.

weiter (LdN 373 Krankenhaustransparenzgesetz - #17 von docpelle)…

Das Problem des Krankenhaustransparenzgesetzes ist, dass es a) ohne valide Qualitätsmarker versucht eine b) Qualität der Krankehäuser zu messen, die aber eine Qualität des Arztes ist und c) wie Sie ja korrekt diskutieren, dies auch noch zu spät tut. In Deutschland mangelt es an Qualität. Diese sollte aber durch Stichproben der Behandlungen erfolgen, Patientenindividuell. Das ist die einzige Möglichkeit, dass korrekt zu tun. Das wird auch gemacht, die sog. Ärztliche Stelle. Aber diese Kontrolle ist unzweifelhaft mangelhaft. Ärzte sollten in ihrem Handeln kontrolliert werden, und Ärzte die hier wiederholt durch schlechte Qualität, wie zum beispiel unerklärtes Abweichen von Leitlinien; Beandlungsempfehlungen und aktuellen Studien, ihre Lizenz verlieren.

Ihre Darstellung macht mich deswegen so wütend, weil es jetzt schon so ist, dass Patienten mit irgendwelchen dubiosen Informationen in die Praxis kommen, Vorstellung von ach so tollen Ärzten haben, die fachlich untragbar sind, aber tolle Selbstdarsteller, die Informationen bei Google und Spiegel recherchieren, die einfach falsch sind. Es ist so mühselig das dann richtig zu stellen - und oft gelingt es auch nicht, weil die Patienten dann von diesem Müll derart überzeugt sind, dass sie sich auch nicht mehr umstimmen lassen. Das ist für mich okay, aber am Ende des Tages wird der Patient schlecht behandelt und schadet sich selbst. Und dieses Verhalten wird, da es nach meinem Kenntnisstand kein tragbares Qualitätsmessinstrument neben der Einzelfallanalyse gibt, durch das Gesetz und Ihre Ausführungen noch schlimmer werden. Bitte, bitte, lassen Sie das. Was Sie da sagen stimmt einfach nicht. Warum sagt Ihnen das bei so vielen Hintergrundgesprächen keiner? Dieses Gesetz ist gefährlich. Qualität in der Medizin ja! dringend! Bitte! - aber so wird es ein Schein von Qualität zum Schaden des Patienten und der Patientinnen. Bitte bitte lassen Sie es, so einen Unsinn zu propagieren. Ich werfe Ihnen nicht vor, dass Sie das nicht verstehen - wie sollen Sie? Das verstehen ja Leute nicht, die wie der grüne Kollege Jahrezehtelang dabei waren, aber dann sollten Sie das nicht mit so einer Entschlossenheit noch gut heißen.

Also, ich habe niemanden gehört, der möchte, dass alles so bleibt wie es ist. Bitte die Kritik am Transparenzgesetz nicht verwechseln mit Zustimmung zur aktuellen Situation.

Also, wie könnte die Alternative sein? Jetzt kommt meine ganz persönliche Meinung:
Die eigentlichen Probleme sind: der Verlust des Vertrauensverhältnisses zwischen Patientin und Ärztinnen, die hierarchische Struktur, der mangelnde Umgang mit Fehlern und ethische Entscheidungen unter wirtschaftlichem Druck treffen zu sollen.

Diese Probleme werden nicht durch eine Todesfall- oder andere Statistiken gelöst. Aber sie sind auch nicht unlösbar. Es gibt andere Bereiche, die das schon hervorragend gelöst haben.

Vorbild könnte zum Beispiel die Luftfahrt sein. Auch dort arbeiten einzelne Menschen, die eine sehr hohe Verantwortung tragen und wo einzelne menschliche Fehler den Tod von Menschen zur Folge haben kann, und auch dort gab und gibt es Hierarchien. Das ist in manchen mit der Medizin vergleichbar.

In aller Kürze: jeder Pilotin und jedes Crewmitglied, der/die nicht allein im Cockpit sitzt, muss jedes Jahr ein CRM Training (Crew Ressourcen Management) über 3 Tage absolvieren. Inhalt: - im Notfall zählt nicht die Hierarchie, sondern das Können. - In kritischen Situationen ist das Wissen im Team vorhanden, jede Meinung ist unabhängig von Status gleichwertig gefragt. (Wenn die Pflege im Krankenhaus ernsthaft mitreden dürfte und könnte, würde vieles besser laufen).
Und: es müsste sich die Sicht durchsetzen, dass wir aus Fehlern lernen. Bedeutet: das Fehlermanagement im Krankenhaus müsste Weisungsbefugnis erhalten.

Mit diesen Maßnahmen könnte wieder Vertrauen einkehren, die wichtigste Komponente von allen. Die allermeisten Menschen, die in der Medizin arbeiten sind wohlmeinend, wollen für andere da sein und für Menschen wirklich etwas verbessern. Das Wissen und das Können ist vorhanden. Wenn verhindert wird, dass einzelne Menschen durch Ego, Narzissmus oder aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus nachteilig für Patienten entscheiden, ist viel gewonnen.
Ja, damit werden nicht alle Probleme gelöst, aber wir würden wirklich einen Schritt weiter kommen.

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Wenn man Prof. Lauterbach zuhört, scheint es eine Art “Verschwörung der Länder” gegen den Bundesgesundheitsminister zu geben: Die Länder scheinen Missstände im Gesundheitswesen systematisch vertuschen zu wollen, um nicht die Kontrolle über das System an die mündigen Bürger abgeben zu müssen. Das Transparenzregister soll hier Abhilfe schaffen und endlich Licht ins Dunkel bringen. Tatsächlich bringt das Transparenzregister absehbar erstmal einen Haufen Mehrarbeit, denn jemand muss diese Daten einpflegen, und dies werden - neben jetzt schon diversen Berichten und unfassbaren Mengen an Dokumentation - auch wieder die Krankenhäuser mit ihrer sowieso schon engen Personaldecke stemmen müssen. Wie ihr in Eurem Beitrag in der LdN feststellt, sind bereits sehr viele Daten aus dem geplanten Transparenzregister schon online, aber eben nicht in der “richtigen” Form und nicht in Zuordnung zu den geplanten Leistungsgruppen. Wäre also die Frage, warum man die Leistungsdaten, die es jetzt schon gibt, nicht einfach anders aufbereitet (wohl gemerkt: Bitte von Seiten des Bundes oder der Gesundheitsministerien der Länder, nicht der Häuser) und sich die Leistungsgruppen im Transparenzregister des Bundes ganz spart (um die es, bingo, durch die Hintertür, nämlich eigentlich geht: Also darum, mit Einführung der Bundes-Leistungsgruppen im Transparenzregister in Vorwegnahme der geplanten Krankenhausreform schonmal an der Krankenhausplanungshoheit der Länder vorbei vollendete Tatsachen zu schaffen).

Tatsächlich besteht gar kein Dissens darüber, Qualität abbilden zu wollen, und das wird ja auch heute bereits getan (auch wenn es in der öffentlich Wahrnehmung nicht der Fall zu sein scheint - auch dieses Narrativ wird vom Bundesgesundheitsministerium und insbesondere der Person Prof. Lauterbach nach Kräften bedient und viel zu oft von der Presse ungeprüft übernommen). Nur ist das Transparenzregister mit den von oben übergestülpten Leistungsgruppen pauschal über alle und alles eher nicht der richtige Weg, um regionale Unterschiede adäquat abbilden zu können: Nordrhein-Westfalen ist nicht Niedersachsen ist nicht Brandenburg ist nicht Bayern. Hierin liegt das Problem, und nicht in der Betrachtung von Qualität an sich, an der ja alle - auch die Krankenhäuser selbst - Interesse haben, jedenfalls die, die gute Arbeit machen und die dies natürlich auch gerne dargestellt sehen wollen. Und natürlich kann man auch beim Thema Qualitätsmanagement und Transparenz immer noch Dinge weiter verbessern, darum geht es nicht.

weiter (LdN 373 Krankenhaustransparenzgesetz - #18 von docpelle)…


Es gibt das Narrativ, dass, je kleiner ein Krankenhaus, umso schlechter die Qualität sei. Wo kommt das her? Gibt es Zahlen hierzu? Nein, keine validen. Man kann natürlich ersatzweise Abrechnungsdaten heranziehen, was Herr Prof. Lauterbach auch tut, was aber völlig unseriös ist. Warum? Ein Beispiel: Ein Patient kommt mit unklaren, aber lebensbedrohlichen Symptomen (bedingt ansprechbar, Atemnot, schlechter Sauerstoffgehalt des Blutes, Patient hat erbrochen, vielleicht Erbrochenes eingeatmet) in die Notaufnahme eines kleinen Hauses mit allgemeiner Innerer Medizin. Hier wird sehr schnell eine Computertomographie des Kopfes angefertigt, es zeigt sich eine Einblutung unterhalb der Schädeldecke, die auf das Gehirn drückt und die operativ-neurochirurgisch entfernt werden muss. Der Internist in der Notaufnahme telefoniert sich die Finger wund, vergeblich: Kein neurologisch-neurochirurgisches Zentrum kann (oder mag?) den Patienten übernehmen. Der Patient verstirbt. Das ungeeignete kleine Krankenhaus rechnet den Fall natürlich ab (denn es hat ihn ja behandelt und entsprechenden Aufwand gehabt). Aus den Daten geht hervor, dass die Qualität schlecht war, was sogar stimmt, aber ein völlig verzerrtes Bild liefert: Der Qualitätsmangel liegt nicht an dem Haus, sondern an den fehlenden adäquaten regionalen Versorgungsstrukturen. Das Haus hatte diesen Patienten nie bestellt und nie haben wollen, scheint aber ein Qualitätsproblem zu haben. Es gibt unzählige von diesen Fällen, in die man auch das von Euch in der LdN genannte Beispiel mit dem Herzinfarkt und der Sterblichkeit Deutschland vs. Dänemark eingruppieren kann.

NOCHMAL: Patienten werden in Deutschland nicht deshalb schlecht versorgt, weil Krankenhäuser die Versorgung übernehmen, die das nicht können (nur, um sich zu bereichern). Sondern vielmehr ist es so, dass die Zentren bzw. Maximalversorger schon heute bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben kapazitär überfordert sind. Deshalb versterben bereits heute Menschen in Deutschland, bzw. müssen über weite Strecken verlegt werden, mit möglicherweise kritischer Verschlechterung des Zustandes. Es gibt hier keine belastbaren staatlichen Strukturen, die bei der Lösung helfen. Wenn eine Übernahme durch einen Maximalversorger klappt, ist es oft reines Glück oder persönliche Beziehungen, viel zu oft geht es schief. In der geplanten Krankenhausreform gibt es zu diesem unfassbar riesigen Problem keinerlei Lösungsansatz, sondern es ist noch eine Verschärfung des Problems zu erwarten (s.u. “kalter Strukturwandel”)

weiter (LdN 373 Krankenhaustransparenzgesetz - #19 von docpelle)…


Was wir in Deutschland statt der Konzentration auf Maximalversorger brauchen, sind sichere und verlässliche regionale Versorgungsnetzwerke, die an die lokalen Gegebenheiten angepasst sind: Patienten können oft sehr gut, oft sogar besser, in kleinen Häusern versorgt werden: Gerade hier sind oft Spezialisten tätig (anders als von Prof. Lauterbach oder den Uniklinika behauptet), im übrigen kommen diese (nicht nur, aber auch) sogar oft von den Uniklinika und sind dann als Chef- oder Oberärzte in den kleineren Häusern tätig. Die kleineren Häusern können gut mit Spezialwissen PLUS allgemeiner, breit aufgestellter Medizin den “Großen” den Rücken frei halten, insbesondere auch in der Zusammenarbeit mit anderen Häusern, die wieder ihre eigenen Spezialisierungen haben. Die “Großen” brauchen wir GERADE NICHT (anders als behauptet) für hochkomplexe Einzelprozeduren (dafür sind die “Kleinen” wie gesagt oft selbst erstaunlich gut aufgestellt), sondern für multidisziplinäre Aufgaben gebündelt an einem Ort, wo die Maximalversorger tatsächlich ihre Stärken ausspielen. Beispiel: Ein Patient bekommt in einem kleinen, spezialisierten Haus eine Schulteroperation von einem Experten. Er erleidet nach der OP aber eine Lungenarterienembolie als Komplikation, also ein lebensbedrohliches Gerinnsel in der Lungenschlagader, und benötigt zur Therapie eine Herz-Lungenmaschine (ECMO). Hier muss dann der entsprechende Maximalversorger einspringen und schnell und sicher Hilfe zur Verfügung stellen, und er darf sich hier nicht herausziehen dürfen, was leider immer wieder passiert.

Qualität in der Medizin ist nicht so einfach zu messen. Ich teile die Sorge, dass Patienten mit schlechter Prognose, mit Vorerkrankungen, oder allein aufgrund ihres Alters möglicherweise nicht mehr adäquat behandelt werden, wenn Krankenhäuser befürchten müssen, sich hiermit ihre Qualitätszahlen zu zerschießen. Auch ist z.B. Sterblichkeit allein kein Qualitätsmangel, und auch Überleben ist nicht per se Zeichen für gute Qualität: So gibt es Fälle, bei denen Patienten nach erfolgloser OP nicht versterben sollten (und überflüssige Intensivtherapie erhielten), um Mindestzahlen der chirurgischen Fachabteilung nicht zu gefährden, obwohl die Situation aussichtslos war und nur noch Leiden mit sich brachte. Intensivmedizin am Lebensende ist auch so ein Thema: Patienten werden, aus falschen Vorstellungen heraus, oder weil im Vorfeld - teils über Monate - nicht mit ihnen oder den Angehörigen gesprochen wurde, am Lebensende auf die Intensivstation verlegt. Hier macht es aufgrund der Versäumnisse in der Vorgeschichte oft viel Arbeit, kostet viele Gespräche, usw. (was übrigens derzeit alles nicht vergütet wird), um dem Patienten gerade KEINE (überflüssige) Intensivtherapie antun zu müssen, sondern ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen. Dies ist kein Qualitätsmangel.

weiter (LdN 373 Krankenhaustransparenzgesetz - #20 von docpelle)…


Neben den o.g. Ausführungen zum Thema Krankenhausreform gibt es das große Thema des drohenden “kalten Strukturwandels”, also der unmittelbar drohenden unkontrollierten Schließung von Häusern bzw. dem Herunterfahren von Leistung aus wirtschaftlichen Gründen, und dies noch bevor Transparenzregister und Krankenhausreform überhaupt greifen können. Der Umgang mit diesem Thema ist eine gesundheitspolitische Bankrotterklärung des Bundesgesundheitsministeriums. Dieses Problem besteht UNMITTELBAR. Also: Die Versorgung unserer Patienten ist derzeit schon, aber zunehmend mehr und UNMITTELBAR gefährdet, und das scheint kaum jemandem, der nicht im System steckt, bewusst zu sein. Hiermit geht natürlich auch niemand von den Krankenhäusern in der Nachbarschaft hausieren. Verwiesen sei hier exemplarisch auf die jüngste Pressekonferenz der deutschen Krankenhausgesellschaft [3] und die Stellungnahme des Marburger Bundes [4]. Und ja, natürlich sind das Interessenvertreter der Häuser bzw. der Ärzte. Das macht die Ausführungen aber nicht per se falsch.

Ich bin eigentlich ein begeisterter Hörer und Abonnent der LdN, hätte mir beim Thema Gesundheitsreform und (kalter) Strukturwand aber einen noch differenzierteren, umfassenderen Umgang mit dem Thema von Euch gewünscht, ganz so, wie ich es an anderer Stelle von Euch gewohnt bin. Ich würde mich freuen, wenn Ihr Eure Recherchen auch hier so aufstellen könntet, dass neben den Aussagen von Prof. Lauterbach und der Regierungskommission auch andere, kritische Quellen und Stimmen Platz finden und so ein differenziertes Gesamtbild entsteht, was ich bisher leider noch vermisse.

Vielen Dank für Euer Engagement und Eure Mühe, macht ansonsten weiter so!

Quellen:

  1. Netflix: Bad Surgeon (Bad Surgeon: Liebe unter dem Messer | Netflix – offizielle Webseite , Trailer, s. https://www.youtube.com/watch?v=_VNn2eXRTeM)
  2. Krankenhausreform: "Völlig irre, sich so eine unausgegorene Reform auszudenken" | ZEIT ONLINE
  3. Pressekonferenz | Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V.
  4. Susanne Johna: Kalter Strukturwandel muss gestoppt werden | Marburger Bund Bundesverband

Kann es sein, dass dieser Aspekt des kommenden KHVVG der Grund für den enormen Widerstand der Krankenhäuser ist (Quelle)?

Eingeführt werden soll zudem ein nach Bundesländern und Leistungsgruppen differenziertes Vorhaltebudget, die bisherigen Fallpauschalen werden entsprechend abgesenkt. Die Vorhaltepauschalen werden für die Leistungsgruppen gezahlt, wenn deren Qualitätskriterien sowie Mindestvorhaltezahlen grundsätzlich erfüllt werden und von den Ländern entsprechend zugewiesen wurden.

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Dafür gibt es ja stattdessen höhere Vorhaltepauschalen, oder nicht?

Kleiner Hinweis an dieser Stelle: Bitte fair und sachlich bleiben.
Allzu emotionale Beiträge können wir leider nicht freigeben.
Danke

Ja, richtig, aber die Vorhaltepauschalen sind ein zweischneidiges Schwert: Einerseits können (und werden) sie helfen, den bekannten “Hamsterradeffekt”, also das Bestreben, immer und immer mehr Leistung zu generieren, zu stoppen. Andererseits war genau dies (also Mehrleistung zu generieren um Kosten zu decken) bisher im Grunde die einzige Möglichkeit der Häuser, sich finanziell zu retten. Das wird zukünftig über die minimale Restmenge an DRG-Erlösen nicht mehr funktionieren (das ist politisch so gewollt und eigentlich auch gut so), dies wird aber zu unkontrollierten Schließungen und unkontrolliertem Zurückfahren an Leistung führen (Stw. kalter Strukturwandel), denn von anderer Stelle kommt das Geld ja auch nicht (hier ist man wieder bei den Länden, die bis heute ihrer gesetzlichen Verpflichtung der Investionskostenfinanzierung im Rahmen der dualen Krankenhausfinanzierung in keiner Weise ausreichend nachkommen).

Genau diese Vorhaltepauschalen sind der Dreh- und Angelpunkt: Diese sollen zukünftig nach Zugehörigkeit zu Leistungsgruppen vergeben werden, und diese werden zentral zugeordnet werden, und werden (exakte Definitionen auf Bundesebene habe ich da noch nicht gefunden? Gibt es da schon was Definitives?) zu pauschal gestrickt zu sein, um regionale Besonderheiten ausreichend zu berücksichtigen (meine persönliche Einschätzung). Wenn ein Haus zentral nicht einer Leistungsgruppe zugeordnet wird, kann es in diesem Bereich keine adäquaten Erlöse mehr generieren. Das bedeutet: Nicht mehr die Expertise vor Ort entscheidet (und hier gab es bisher durchaus auch schon gute Zertifizierungen und Kontrollen, die die Expertise geprüft haben, und man hätte das auch problemlos noch weiter ausbauen können), sondern eine zentrale Steuerung und Zuordnung nach bürokratischen Regeln entscheidet. Noch extremer würde das mit der von den Ländern stark kritisierten Level-Zuordnung (ist diese jetzt vom Tisch? Ich weiß es nicht), denn hier hätte (nach der ursp. Planung) z.B. ein Haus mit Akutkardiologie und Herzkatheter diese Leistung nur dann anbieten dürfen, wenn es als Level-II-Haus klassifiziert worden wäre, also z.B. ebenfalls bestimmte Leistung im Bereich Chirurgie vorhält, welche mit dem Herzkatheter gar nichts zu tun haben.

Warum muss ich als Patient überhaupt vergleichen? Warum wird nicht einfach die Qualität der Krankenhäuser regelmäßig überprüft und ggf. nachgebessert? Wenn ich akut einen Herzinfarkt habe, kann ich nicht erst recherchieren, dann muss ich schnell ins Krankenhaus. Und selbst wenn ich Zeit zum Recherchieren habe, z.B. bei einer notwendigen Krebs-OP, dann wollen natürlich alle in die Klinik mit der besten Aussattung und der besten Statistik. Das führt doch dann dazu, dass ich mich entweder nächste Woche mit großem Risiko oder in einem halben Jahr mit niedrigem Risiko operieren lasse. Nur muss ich dann hoffen, dass der Krebs bis dahin nicht streut.
Krankenhäuser, Arztpraxen, Schulen, Kitas usw. sollen einfach überall gute Qualität liefern!
Ich will nicht vergleichen und um Termine oder Plätze kämpfen müssen.
Ich zahle Steuern, damit diese Infrastruktur bereitgestellt wird!

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Grundsätzliche Zustimmung zu @Henriette.

Ich schätze es ist nach wie vor nur eine (kleine) Gruppe die so an das Thema herangeht. Viele halten sich doch immer noch an die Klassiker: „Die Klinik ist gut zu erreichen“ oder „Die Ärztin ist so nett“.

Aber auch dafür brauche ich am Ende einen Bewertungsmaßstab. Ich muss ja irgendwie herausfinden was überhaupt an Qualität möglich ist, und dann die finden, denen geholfen werden muss auf dem Weg zur bestmöglich erreichbaren Qualität.

Ein wenig überspitzt könnte man sagen, das was du beschreibst war bisher das Ziel, hat aber leider nicht geklappt. Jetzt hofft man (die Politik) das andere (die Öffentlichkeit/Medien, notfalls aber auch der Bürger) sich des Problems annehmen. Was ich sogar verstehen kann, an der deutschen Kleinstaaterei und Besitzstandswahrung sind schon viele gescheitert.

Wir schaffen es, Papierbögen zu normen (z.B. DIN A4), die Qualität von Bier zu sichern („gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot“) und alle Autos regelmäßig zum TÜV zu schicken. Da können wir doch bestimmt auch festlegen, welche Ausstattung ein Krankenhaus haben und welche Ausbildung/Fortbildungen ein Arzt gemacht haben muss, um eine bestimmte Operation durchzuführen. Warum soll das jetzt auf den Bürger abgewälzt werden? Ich muss doch auch nicht im Laden nachmessen, ob der Briefbogen in den Briefumschlag passt oder woraus das Bier besteht. Ich will mich nicht mit all diesem Mist beschäftigen müssen. Ich will auch nicht mit anderen Patient’innen konkurrieren müssen, denn irgendwer hat dann die A-Karte und muss im schlechteren Krankenhaus operiert werden, weil die guten alle ausgebucht sind.

Dazu: Völlig richtig! Und das wird ja bereits getan: Jeder Mitarbeiter im Rettungsdienst weiß, dass ein Patient mit akutem, also massivem, “richtigen” Herzinfarkt (sog. ST-Hebungsinfarkt oder STEMI) in ein Krankenhaus mit Akut-Herzkatheter gehört. Und auch bei anderen Erkrankungen ist das bekannt. Es gibt Zertifizierungen (Chest-pain-unit, Cardiac-arrest-Center, Peer-Review-Verfahren, uswusf.), die sehr gut heute schon Qualität abbilden und dies sehr viel exakter vor Ort tun, als die Vorschläge aus der Gießkanne aus der Bundespolitik können. Man könnte diese Verfahren sowie lokale Netzwerke und Kooperationen durch finanzielle (und damit personelle) Unterstützung intensiv unterstützen und fördern. Und man könnte die großen Zentren zwingen, z.B. Patienten schnell und notfallmäßig zu übernehmen, wenn es notwendig ist. Man müsste die notwendigen Ressourcen vor Ort (wo man weiß, wo was gebraucht wird) zur Verfügung stellen. Will man aber alles nicht, denn dazu bräuchte es Vertrauen, und man müsste Kontrolle an regionale Akteure abgeben, und hier liegt das Problem.

Es gibt m.M. nach einer zentrales Problem in der Gesundheitspolitik: Das gesamte bundespolitische Agieren ist von einem tiefsitzenden Misstrauen gegen alle Akteure im Gesundheitswesen geprägt, je regionaler, desto ausgeprägter: Man geht davon aus, dass zunächst einmal niemand - sei es der Rettungsdienst, die Pflege, die Hebammen, die Therapeuten, und die Ärzte - auf dem Boden intrinsischer Motivation Freude an guter Arbeit und/ oder Interesse daran hat, Patienten zu helfen. Sondern dass alle (ähnlich wie vielleicht in der Wirtschaft? Ich weiß es nicht) nach Gewinnoptimierung streben, im besten Fall noch unter Betrachtung der “Kundenzufriedenheit” (aber auch nur da, wo es der Gewinnvergrößerung dient). Das ist schon insoweit unlogisch, als dass die meisten Akteure Ihren “Gewinn”, also ihr Gehalt, durch Änderung des Verhaltens gar nicht verändern - also auch nicht verbessern - können (und das ist auch gut so). Aber: Diese politische Einstellung führt dazu, dass alles schlechtgeredet (s.a. u.g. Herzinfarktversorgung Deutschland vs. Dänemark, s.a. LdN 373 Krankenhaustransparenzgesetz - #29 von docpelle ) wird, überall nach Fehlern gesucht wird, alle ständig alles in unfassbarem Detailreichtum dokumentieren und sich für alles rechtfertigen müssen. Dies erzeugt einen unfassbaren Frust, was sehr viele - gerade in der Pflege, aber auch bei den Ärzten - aus dem Beruf heraustreibt und den Fachkräftemangel massiv befeuert.

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Diesen Bewertungsmaßstab gibt es in der Medizin nicht, Medizin ist (leider) kein DinA4-Blatt. Auch Sterblichkeit (wenn auch gut objektivierbar und dadurch gerne verwendet, eignet sich nur bedingt, s.a. meine Ausführungen an anderer Stelle ( LdN 373 Krankenhaustransparenzgesetz - #19 von docpelle )). Gutes Beispiel für schlechtes Umgehen mit Qualitätsdaten ist die von Herrn Prof. Lauterbach immer wieder gern hervorgekramte Infarktsterblichkeit Deutschland vs. Dänemark (leider auch durch die LdN kritiklos übernommen, z.B. s. https://x.com/pottjohannes/status/1770894906132681168?s=46 ), die in Deutschland angeblich (aufgrund der bei uns angeblich schlechten Versorgung) dreifach so hoch sei. Das ist so nicht wissenschaftlich belegbar, denn die verwendeten OECD-Daten sind hierfür nicht geeignet, kurzes Beispiel: Die Aussage der OECD-Statistik zur Sterblichkeit beruht auf der Krankenhaussterblichkeit, d.h. weder Patienten die das Krankenhaus nicht mehr lebend erreichen sind mit erfasst, noch die, die bereits nach 4 Tagen entlassen sind. So würde z.B. auch eine schlechte rettungsdienstliche Versorgung mit erhöhter Vor-Ort-Sterblichkeit von schwerkranken Patienten, also vor Erreichen des Krankenhauses, eine niedrigere Krankenhaussterblichkeit zur Folge haben (was mit den Daten vereinbar wäre aber natürlich auch wieder nicht sein muss, reine Spekulation! Aber es zeigt die schwierige Interpretierbarkeit der Daten). Es gibt noch diverse andere Aspekte, die z.B. hier einmal aufgearbeitet sind: Hohe Infarktsterblichkeit in Deutschland – woran liegt‘s? ).

Ja, und das ist ja auch alles festgelegt: Es gibt Strukturvoraussetzungen, Facharztanerkennungen, Mindestzahlen, Pflichtfortbildungen (mind. 50 Stunden für Ärzte im Jahr, die die Kollegen oft zum erheblichen Teil in ihrer knappen Freizeit absolvieren), lokale Zertifizierungen und zertifizierte Zentren, Peer-Review-Verfahren, uswusf. Prof. Lauterbach und sein Beraterstab suggerieren nur, dass das alles erst noch erfunden werden muss (mein Eindruck), was aber in keiner Weise stimmt. Dass es überall Verbesserungpotential gibt, bestreitet keiner. Aber man könnte gut auf den schon bestehenden Strukturen aufbauen ohne alles kaputtmachen zu müssen.

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Den Vergleich Deutschland Dänemark finde ich auch schwierig. Da gibt es sicher so viele Faktoren, dass man gar nicht genau sagen kann, woher der Unterschied kommt. Da kann man auch behaupten, dass man seltener Herzinfarkte hat, wenn man mehr Mehrwert- und Einkommenssteuer zahlt, was in Dänemark ja der Fall ist. Korrelation oder Kausalität?

Ich hatte im Laufe meines Lebens schon viele Odysseen durch viele Arztpraxen, weil mir keiner helfen konnte und jeder auch etwas anderes gesagt hat, was ich habe und was man dagegen tun soll. Mal ging es um ein Hautproblem, mal um die Zähne und mal um einen Narbenbruch. Bei letzterem ging ich zum Hausarzt, zum Internisten, zum Hautarzt und zum Gynäkologen und jeder hat gesagt: „Ich weiß nicht, was das ist, aber ich bin nicht zuständig.“
In der Familie habe ich noch mindestens vier weitere Personen, die auch schon solche Odysseen erlebt haben. Es kann doch nicht sein, dass es Glückssache ist, ob man die richtige Diagnose und Behandlung erhält.
Deshalb bin ich dringend dafür, die Qualität der medizinischen Versorgung zu kontrollieren und ggf. zu verbessern. Und nicht noch mehr Verantwortung auf die Patient’innen abzuwälzen.

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Mich würde interessieren, was sollte man denn auf die bestehenden Strukturen aufbauen?

Jetzt mal eine ganz neue Idee in die Runde geschmissen: Wir lassen das alles mit der Qualitätsmessung, die eh so gut wie nicht möglich ist wie ich hier lese und wir reduzieren auch einen Großteil der Dokumentationspflichten (da bin ich ganz bei u.a. @docpelle, das lenkt die Leute nur von der eigentlichen Arbeit ab ohne wirkliche Erfolge). Sicherlich kann man noch mehr vereinfachen.

Dafür bekommt jeder Bürger sein Krankenhaus-Versorgungszentrum, über seinen Wohnort, zugewiesen. Das Krankenhaus-Versorgungszentrum bekommt für jeden Bürger für den es verantwortlich ist einen fixen Betrag x. Jeder Bürger bekommt einmal im Jahr einen digitalen bundesweit einheitlichen Fragebogen zur Erhebung seiner gefühlten Gesundheit.

Liegt ein Krankenhaus-Versorgungszentrum über dem Bundes-Durchschnitt bekommen die Mitarbeiter für das Jahr einen Bonus. Liegt es darunter gibt es abgestufte Maßnahmen zur Verbesserung der Lage.

Jetzt sind die Leute vor Ort dafür zuständig ihre Bürger bestens zu Versorgen. Ob das am besten mit 5 Hubschraubern, oder 10 dezentralen Versorgungszentren, oder eine enge Kooperation mit den Niedergelassenen, oder einer Gesundheits-App geschehen sollte liegt in der Verantwortung vor Ort, jeder kann für sich selber die passende Lösung suchen + umsetzen.

Bei den bestehenden Konzepten könnte man z.B. verbessern:

  • Personalressourcen schaffen (=Stellen = Geld) zur strukturierten Aus- und Weiterbildung und zur Vor-Ort-Qualitätsüberprüfung durch die Mitarbeiter selbst, z.B. durch Messung und Aufarbeitung von Qualitätsindikatoren (s. z.B. Qualitätssicherung Intensiv-/Notfallmedizin: Peer Review ). Die Umsetzung und Aufarbeitung von so etwas kostet extrem viel (Führungs-)Arbeit, die viele in ihrer Freizeit machen, in die dann eben u.U., mindestens in Teilen, unterbleibt. Pflegerische, studentische und Assistenzärztliche Weiterbildung hängt auch ganz oft an persönlichem Engagement Einzelner, und wird ebenso viel zu viel in der Freizeit gemacht, oder dann eben nicht.
  • Förderung regionaler Netzwerke auf Augenhöhe innerhalb der Versorgungstufen (also horizontal: So hat z.B. ein Haus möglicherweise eine herausragende Onkologie, ein anderes eine entsprechende Chirurgie) sowie zwischen den verschiedenen Versorgungsstufen (vertikal), also vom kleineren (u. ggf. spezialisiertem Haus mit eingeschränkten Gesamtangebot zum Maximalversorger). Auch hierfür müssten Personalressourcen her, d.h. so etwas müsste ganz konkret finanziell gefördert werden. Zudem müsste es eine verpflichtende Übernahme von schweren Fällen durch z.B. Maximalversorgung von kleinen Häusern geben, es müsste eine verpflichtende Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“ alle Beteiligten geben. Das könnte man alles gesetzlich regeln, wenn man wollte. Und auch eine stärkere Einbindung der Rettungsleitstellen als wirkliche Vermittlungsstellen mit Weisungbefugnis wären absolut sinnvoll: Es kann nicht sein, dass ein Arzt stundenlang herumtelefoniert, um einen Patienten in ein geeignetes Zentrum zu verlegen. Natürlich müssten dann auch die übernehmenden Häuser entsprechend gestärkt werden, keine Frage.
  • gesetzliche Vorgabe einer wirklich funktionierenden Digitalisierung, die hilft bei der Dokumentation, Abbilden von Prozessen, nach fachgesellschaftlicher (=medizinisch-inhalticher) Vorgabe bzw. enger Abstimmung, und das mit Sicherstellung Bundes-, besser europaeinheitlichen, Geräte- und Herstellerunabhängigen, Schnittstellen.
    Das aber nur paar Ideen auf die Schnelle, hier ließe sich extrem viel machen, wenn man es in die Regionen gäbe und nicht von Berlin aus am Schreibtisch regeln wollte. Es wäre auch nicht überall gleich.