Nun ja, du sagst es ja schon: Welche Wahl haben sie denn? Nicht, dass ich ein großer Freund dieses Ansatzes wäre. Aber das Lob des verantwortungsvollen Handelns kann man doch wohl nur den machen, dem überhaupt die Alternative offen stünde, oder?
Die Vorstellung einer solchen dystopischen zukünftigen Gesellschaft erlaubt übrigens einen vernichtenden Rückschluss auf die gegenwärtige Gesellschaft. Denn die Trennlinie zwischen diesen beiden befürchteten Klassen verläuft genau nach demselben Prinzip, das auch heute schon gilt: Bedürfnisse mit Zahlkraft werden erfüllt, Bedürfnisse ohne werden es schlechter oder auch gar nicht. Und das ist selbstverständlich gewollt.
Ist unsere Form des Kapitalismus ohne stetiges Wachstum und ressourcenschonend möglich?
Welche Wohlstandsverluste wären damit verbunden?
Bedeutet kein Wachstum der Wirtschaft zugleich ein Ende des Fortschritts?
Zur Umsetzung: wie macht man das schmackhaft? Ein Marketing der Nachhaltigkeit statt des Konsum?
Also wie müsste die Kommunikation zur Veränderung sein?
Braucht man tatsächlich alle 1-2 Jahre die neuste Smartphone Generation? Ist man sonst nicht mehr erreichbar oder bremst man sonst den Fortschritt? Sind die Entwicklungssprünge so gravierend?
Um mal ein Beispiel zu nennen.
Zuerst sollte man vielleicht die Frage klären, was eigentlich der Sinn des ganzen ist? Ist es „Wohlstand“? Was ist das? Was ist „Fortschritt“? Diese Frage nach dem „was soll das Ganze eigentlich“ wird viel zu wenig gestellt und schon gar nicht beantwortet, sondern immer nur impliziert: Mehr, Wachstum, Konsum.
Wenn man dagegen die meisten Menschen privat fragt, was für Sie ein erfüllendes Leben darstellt, dann sind das Dinge wie Gesundheit (und die Versorgung bei Krankheit), Gemeinschaft, materielle Sicherheit (aber nicht unbedingt abgefahrener Luxus) und natürlich auch ein paar „Annehmlichkeiten“ wie Urlaub, etc.
In der öffentlichen Debatte werden diese Bedürfnisse dann mit Wachstum und „freier Wirtschaft“ verknüpft, ohne dass diese Verbindung in irgendeiner Form belegt wird. Ein unglaublicher Propagandaerfolg der wirtschaftsliberalen Ideologie.
Ich persönlich halte das Wachstum-Mantra nicht nur für nicht notwendig für das erreichen eines „guten Lebens“ für möglichst viele Menschen, sondern sogar für hinderlich. Wir verwenden aktuell einen erheblichen Teil unserer gesellschaftlichen und natürlichen Ressourcen für ein recht arbiträr definiertes „Wachstum“ (des monetären Werts der Waren in der Volkswirtschaft) – diese Ressourcen könnten aber auch in andere gesellschaftliche Projekte investiert werden, die kurz- und langfristig erheblich mehr Menschen ein „gutes Leben“ ermöglichen würden.
Freier, flächendeckender ÖPNV
Maximal gut ausgestattete und personell betreute Schulen
Bekämpfung der Arten- und Klimakrise
Massiver Ausbau der kommunalen und schulischen Jugend- und Sozialarbeit
vieles, vieles mehr
Ein erster wichtiger Schritt wäre es, in der öffentlichen Debatte die Entwicklung dieser Dinge und nicht das „Wirtschaftswachstum“ zu betonen. Politik wird am Ende für die „lauteste“ Statistik gemacht.
Also was wäre aus menschlicher und gesellschaftlicher Sicht Wohlstand?
ein Dach über dem Kopf, mit Strom und fließend Wasser
ausreichend Nahrung zur Verfügung
eine gesicherte und für jeden gleich zugängliche Gesundheitsversorgung
soziale Kontakte und Bindungen, u.a. Familie
eine grundlegende Mobilität
ein grundlegendes Gefühl von Beständigkeit und Sicherheit
eine sinnstiftende Aufgabe oder Tätigkeit
die Möglichkeit, eigene Interessen und Hobbys zu verfolgen
Was wäre demnach Fortschritt?
Obige Punkte allen Menschen gleichermaßen zu gewährleisten (?)
Unser aktuelles wirtschaftsliberales System ermöglicht zwar in unterschiedlichen Ausprägungen viele diese Punkte. Allerdings nicht alle und nicht für jeden in gleichem Umfang.
In der Resonanztheorie von Hartmut Rosa lässt sich vielleicht eine Perspektive finden, um diese Fragen zu beleuchten. Rosa argumentiert, dass ein erfülltes Leben nicht nur von äußeren Erfolgen oder materiellem Wohlstand abhängt, sondern auch von der Qualität unserer Beziehung zur Welt. Dabei spielt die „Weltreichweite“ eine zentrale Rolle - das Streben danach, eine tiefe und resonante Verbindung zu unserem Umfeld zu entwickeln.
Wenn Verbundenheit ein Ziel ist, scheint mir die kapitalistische Wachstumslogik und die damit verbundenen Entfremdungserscheinungen in die falsche Richtung zu gehen.
Die Frage ist vielleicht wieder wessen Ziele. Wenn das Ziel ist, eine Umverteilungsmaschine von unten nach oben am Laufen zu halten, passt es wieder alles.
„…wie auch die große Mehrheit der Bevölkerung solche Vorstellungen von Verzicht und Rückschritt ablehnt. Selbst wenn das eine funktionierende Lösung wäre: Ich halte dies in einer Demokratie nicht für durchsetzbar - zumindest nicht rechtzeitig, bevor wir noch viel mehr Kipppunkte überschritten haben.“
Wenn ich dich da zitieren darf.
Muss ein Umschwenken auf eine Lebensweise, die unsere begrenzten Ressourcen berücksichtigt, zwangsläufig mit Verzicht und Rückschritt verbunden sein?
Das mit dem Verzicht ist doch eher eine kommunikative Frage. Wenn ein erfolgreiches Marketing mir einredet, alle zwei Jahre ist ein neues Handy nötig, spiegelt das ja keine realen Bedürfnisse wieder, sondern künstlich suggerierte Bedürfnisse.
Ich sehe da auch ein gravierendes kommunikatives Element
Logischerweise, so tickt unser System ja im Grunde.
Anekdotisch zum Thema Sinnhaftigkeit des Tuns, um mal einen Punkt rauszugreifen:
Die freiwilligen Jahre bei der Bundeswehr hab ich (sicher auch gepaart mit einer gewissen jugendlichen Naivität) als Dienst an oder für die Gesellschaft empfunden.
Bin danach in die Industrie, ins Marketing gegangen. 7 Tage die Woche für ein sehr kleines Gehalt Produkte verkaufen und vermarkten. Als mein Chef dann halb scherzhaft sagte „Sie müssen mehr arbeiten, ich muss mein Haus auf Sylt noch bezahlen“, hab ich die Sinnhaftigkeit meines Tuns hinterfragt und gekündigt.
Nun im sozialen Bereich und Bildungssektor sehe ich einen gesellschaftlichen Sinn in meiner Arbeit und konnte dabei mein Gehalt quasi verdoppeln (immer noch vergleichsweise bescheiden, aber spricht nicht gegen den Wechsel).
Will sagen, da ja der Markt nach Angebot und Nachfrage entscheidet, läge der Ball letztlich nicht im Spielfeld bei uns Kunden?
Wäre als der Ansatz weniger, das bestehende Wirtschaftssystem „gewaltsam“ zu verändern, sondern kommunikativ primär die „wirklichen“ realistischen Bedürfnisse darzustellen und den Weg zu einer verträglicheren Lebensweise, ohne direkt nur auf den Verzicht zu schielen?
Ja, die entsprechende Industrie samt Marketing wird vehement dagegen schiessen.
Und dieser Ansatz dauert, ob wir diese Zeit noch haben, weiß ich nicht. Überzeugung wirkt jedoch meist nachhaltiger als Verbote und Druck.
Ich glaube die Nachfrage nach Lehrerinnen, Pflegekräften, Erzieherinnen, Sozalareiter*innen etc. ist sehr hoch. Dennoch gibt es in den Bereichen, soweit ich es mitbekomme, schlechte Arbeitsbedingungen, Unterbezahlung und zu viele Überstunden. Von der unbezahlten Care-Arbeit ganz zu schweigen.
Und gerade in diesen Bereichen ist es schwer, für bessere Arbeitsbedingungen zu Streiken, da im Falle eines Streiks eben nicht die Maschinen still stehen, sondern bspw. OPs nicht durch geführt, Kinder, Jugendliche, Alte oder Kranke nicht betreut oder gepflegt werden.
Daher würde ich in Frage stellen, dass Regulierung durch Angebot und Nachfrage wirklich zu den Ergebnissen führt, die letztlich uns als Gesellschaft wichtig sind.
Stimmt, was bei Produkten funktioniert, scheitert im sozialen Bereich.
Hier wäre auch ein Umdenken nötig.
Doch warum erhält eine gut ausgebildete, hochqualifizierte und empathische Pflegefachkraft oder Lehrkraft weniger Anerkennung als ein Mann Industriekaufmann im Vertrieb eines Automobilzulieferers?
Wird dessen Tätigkeit und Wertschöpfung für die Gesellschaft derart höher bewertet? Weil es um unmittelbar zählbaren Gewinn geht?
Wir haben (im Großen und Ganzen) unsere gesellschaftlichen Maßlatten an dem monetären Wert einer Handlung ausgerichtet. Das lässt sich gut an der Bezahlung verschiedener Berufe nachvollziehen, aber zum Beispiel auch daran, wie ernst Menschen unterschiedlicher Vermögensgruppen im öffentlichen Diskurs genommen werden. Reiche Menschen werden oft automatisch als Experten für praktisch jedes Thema akzeptiert und angehört (ironischerweise insbesondere auch dann, wenn es um die Förderung der Belange von weniger reichen Menschen geht).
Dieser Widerspruch lässt sich meiner Meinung nach auch nicht auflösen, solange wir den sprichwörtlichen Wert unserer Gesellschaft ausschließlich über wirtschaftliche Kenndaten ermitteln.
Nur so als Gedankenexperiment: wenn die Regierung jeden Monat die aktuellen Zahlen zum gesellschaftlichen Engagement präsentieren würde und es einen „Rat der Gemeinwohl-Weisen“ gäbe, dessen Mitglieder in jeder Talkshow die neusten Erkenntnisse darüber, wie viele Menschen sich engagieren und wie man dieses Engagement verbessern könnte diskutieren, dann würden ehrenamtlich engagierte Menschen wohl automatisch eine sehr viel mehr Aufmerksamkeit und gesellschaftliches Prestige erfahren.
Das gleiche mit Bildung: wenn wir unsere nationale Identität auf allen Ebenen der Gesellschaft eng mit dem Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen verknüpfen würden, dann würden sich die Parteien darin überbieten, neue „Bildungs-Förderprogramme“ oder „Bildungs-Entlastungspakete“ zu schnüren. Jede politische Initiative müsste sich daran messen lassen, wie es sich auf die Bildungschancen der Mittelschicht, die Aufstiegsmöglichkeiten sozial prekärer Kinder und die Spitzenforschung in Deutschland auswirkt.
Wem das absurd vorkommt, sollte mal ein wenig darauf achten welchen massiven Anteil die Wirtschaftsnachrichten am öffentlichen Diskurs haben. Ohne, dass dies in irgendeiner Form sachlich begründet werden kann, soweit ich das nachvollziehen kann.
In unserer Gesellschaft wird vorwiegend das als relevant bewertet, was ein €-Schild außen kleben hat.
Daher auch der Versuch, Gesundheitswesen, Pflege und Infrastruktur als gewinnorientierte Bereiche zu etablieren. Was nur sehr bedingt erfolgreich ist.
Also heißt, man muss sich dem Diktat der Gewinnorientierung alternativlos anschließen?
Wäre eine traurige Perspektive….und keine sehr zukunftsträchtige
Im wahrsten Sinne des Wortes, leider. Ich persönlich habe festgestellt, dass es mir sehr gut tut einfach selbst an den Stellschrauben die ich für gesellschaftlich wichtig halte zu drehen: ich habe eine solidarische Landwirtschaft mit gegründet und bin dort im Vorstand aktiv, bin Schulelternsprecher an unserer Grundschule und kandidiere jetzt für den Gemeinderat bei der kommenden Kommunalwahl. Das sind Aufgaben die Spaß machen und genau da ansetzen, wo ich mir auch in der Breite der Gesellschaft Veränderung und veränderte Wertschätzung wünsche.
Im Kleinen kann ich da auch tatsächlich Veränderungen bewirken: mit der Solawi versorgen wir 50 Familien mit lokalem Gemüse ohne Gewinnabsicht, im benachbarten Hof habe ich geholfen, eine sechsteilige Summe öffentlicher Fördergelder für die Renovierung der Scheune einzuwerben, in der ein Zentrum für gesellschaftliches Engagement entstehen soll. Hat alles zwei Jahre gedauert und viel Arbeit gekostet, aber am Ende sieht man’s auch.
Ich bin da sicher kein Zünglein an der Waage der Gesellschaft, aber wenn das genug andere Menschen einfach auch machen, dann verändert sich auch im Großen etwas. Wichtig ist einfach, dass man vom Reden ins Tun kommt, hat bei mir allerdings auch recht lange gedauert.
Weil der Industriekaufmann eines Automobilzulieferers letztlich aus dem Portemonnaie von privaten Autokäufern bezahlt werden, während die Pflege- oder Lehrkraft aus staatlichen Budgets. Das ist zunächst auch erst einmal richtig, weil wir eine dem Markt überlassene Bildung oder Pflege (wie wir sie in den USA beobachten können) nicht so funktioniert, wie wir es für richtig halten.
Aber ganz offensichtlich führen unsere parlamentarische Prozesse nicht dazu, dass solche Budgets den Präferenzen der Menschen nach Bildung oder Pflege entsprechen. Eigentlich sollte man erwarten, dass Wähler eher Parteien wählen, die eine bessere Bildung und Pflege glaubhaft versprechen. Und diese Politiker würden dann das Haushaltsbudget (oder die Sozialbeiträge) so umgestalten, dass der Staat Pflege und Lehrer mehr nachfragt, so dass sie „teurer“ werden, d.h. besser bezahlt werden. Mit der Folge, dass mehr Menschen LehrerInnen oder PflegerInnen werden wollen.
Und finanzieren könnte man das z.B., in dem die Subventionen für Individualverkehr (z.B. Pendlerpauschale und Dienstwagenprivileg) gekürzt werden, so dass die Nachfrage nach Automobilen sinkt und damit auch die Nachfrage nach Personal dort. Deren Gehälter würden mittel- bis langfristig zurück gehen. Mit der Folge, dass weniger Menschen Industriekaufleute in der Automobilindustrie werden wollen.
Nur so nebenbei (und daher off-topic: Die Politik, mehr noch die Ministerial- und Verwaltungsbürokratie könnte das lösen, in dem sie Lehrer und Pfleger besser bezahlt. Nur: (1) Aus welchem Budget? und (2): Beim aktuellen Mangel an qualifizierten und unqualifizierten Personal ist das ein Nullsummenspiel: Wenn dann mehr Menschen Lehrer und Pflege werden, müssen die Arbeitgeber von z.B. Busfahrern, Lokführern und Kindererziehern die Gehälter erhöhen. Die (seit Jahrzehnten absehbare!) Personalknappheit wird Gehaltskosten in der gesamten Volkswirtschaft nach oben treiben, so dass Unternehmen, die keine Leistung „am Mann“ erbringen müssen, in Regionen auswandern, in denen das Gehaltsgefüge es noch erlaubt, ihre Produkte zu global wettbewerbsfähigen Konditionen anbieten zu können. Oder aber, wir lassen mehr Menschen in unsere Volkswirtschaft kommen und integrieren sie schnell und gut …
Da habe ich den Eindruck, dass wir Ökos das seit den 70/80ern versucht haben und bis heute nicht wirklich „durchkamen“, weil der politische Wille nicht da war.
Kennst Du Beispiele? Ich habe das Gefühl, viele Verbote in unserer Gesellschaft funktionieren recht gut.
Und ich sehe ehrlich gesagt auch nicht, wo die Überzeugung herkommen soll solange die Werbeindustrie soviel Ressourcen da rein steckt diese im Interesse ihrer Kunden zu ändern.
Ich habe irgendwie Zweifel, dass wir politische Veränderungen bewerkstelligen, indem wir die dafür vorgesehenen Werkzeuge der Demokratie beiseite legen und uns auf das Spielfeld der Werbetreibenden begeben und gegen einen haushoch überlegenen Gegner spielen in der Hoffnung wir können Überzeugungen besser beeinflussen als die.
Bei diesen Diskussionen wird immer zuviel der Begriffe in einem Haufen geworfen. Wachstum, Kapitalismus, Neoliberalismus,
Marktwirtschaft etc.
Eines muss man sich bewusst machen ohne gleich wieder Diskussionen über MMT loszutreten. Wir haben aktuell einen Bundeshaushalt, also Staatseinnahmen aus diversen Quellen von ca. 300Mrd. Euro. selbiges noch für alles Bundesländer zusammen.
Wenn die GESAMT-Wirtschaft nicht einzelne Unternehmen, sondern immer das Gesamte weniger Gewinn erwirtschaftet oder weniger Leute beschäftigt etc, dann sinken die Steuereinnahmen und die Sozialeinnahmen, hingegen steigen die Sozialausgaben.
Wir haben aktuell schon Probleme mit dieser Riesen Menge Geld richtig umzugehen und Zukunftsfördernd einzusetzen. Wie sollte das aussehen wenn wir mit weniger auskommen müßten bei gleicher Bevölkerungsgröße?
Jeder der Wachstum pauschal in Frage stellt muss diesen Punkt erstmal beantworten. Ich habe aber noch niemand gesehen der das Tut. Es geht nicht nur darum weniger Auswahl in den Regalen zu haben, dass muss einem immer bewusst sein.