Israel & Nahost: Waffenruhe, „limited campaign“ oder Bodenoffensive. Wie geht es weiter?

Ich weiß wirklich nicht, wieso du dieses tote Pferd reitest. Wir haben schon mehrfach auf die Quellen hingewiesen, nämlich die Berichte im Spiegel und in der Süddeutschen Zeitung. Es tut mir sehr leid, aber ich bin von Berlin aus nicht in der Lage, jeden einzelnen von Siedlern erschossenen Palästinenser persönlich zu exhumieren, um deine Anforderungen an unsere Berichterstattung zu erfüllen. Daher weiß ich leider auch nicht aus eigener Anschauung, wie viele Palästinenser nun wann genau erschossen werden. Und genau aus diesem Grund geben wir unsere Quellen an.

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Zur Lage nach dem 07.10. wurde auch beim NDR-Podcast „Streitkräfte und Strategien“ eingegangen (an Minute 21:30)

Demnach gab es alleine seit dem 07.10. über 160 gewaltsame Angriffe, wobei die Siedler in vielen dieser Vorfälle von Soldaten begleitet und teilweise auch aktiv unterstützt wurden. Es wird davon ausgegangen, dass durch diese Übergriffe seit dem 07.10. über 1000 Palästinenser im Westjordanland ihre Unterkünfte verloren haben, also systematisch Bewohner und Landwirte im erweiterten Umfeld der illegalen Siedlungen vertrieben wurden. Dazu gibt es mindestens 7 Tote in den letzten vier Wochen. Auch wurde explizit genannt, dass einige Minister der Regierung Netanjahu diese Ausschreitungen ausdrücklich öffentlich begrüßen, was ein gigantisches Problem ist.

Hier zeigt sich einmal mehr, wie wichtig es ist, nicht alle Palästinenser für die Handlungen der Hamas verantwortlich zu machen, denn radikale Kräfte nutzen genau diese Gleichsetzung, um nun gezielte Angriffe auf palästinensische Zivilisten zu rechtfertigen, um ihre Siedlungen zu erweitern. Sie nehmen „Rache“ an der Hamas, indem sie unbeteiligte Zivilisten angreifen, vertreiben und teilweise auch töten. Das muss mit der gleichen Deutlichkeit abgelehnt werden wie der Terror der Hamas, insbesondere, weil die nun nach dem 07.10. von Siedlern vertriebenen Palästinenser keine Chance auf einen rechtsstaatlichen Schutz haben. Und das ist ein todsicheres Rezept für gegenseitige Selbstjustiz - und das ist in letzter Instanz Terror. Kurzum: Von den 1000 nun vertriebenen werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einige in Terrororganisationen landen, weil sie darin die einzige Chance für „Gerechtigkeit“ in Form von „Rache“ sehen.

Wer das nicht klar als Teil-Ursache des Terrorismus sieht und auch so benennt, betrachtet den Konflikt einfach sehr, sehr einseitig. Ja, religiös-bedingter Antisemitismus ist auch eine Ursache und wir können munter darüber streiten, welche Ursache stärker wirkt, aber wir sollten uns zumindest einig sein, dass beides ursächlich ist. Wer stattdessen eine monokausale Ursache propagiert („Die Lebensumstände der Palästinenser spielen keine Rolle, das Problem ist einzig der religiöse Judenhass“) verkürzt den Konflikt drastisch. Monokausale Erklärungsansätze werden der Komplexität der Situation nicht mal im Ansatz gerecht, sondern können immer nur dazu dienen, einen einfachen Schuldigen zu benennen.

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Die leider weder in den Shownotes noch hier im Forum verlinkt wurden.

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Ich glaube die Quelle ist dieser Link der sich in dem Shownotes befindet: Angriff auf Israel: Nach der Attacke der Hamas steigt die Spannung auch im Westjordanland - DER SPIEGEL

In dem Text ist von zahlreichen Angriffen israelischer Siedler seit 2022 mit teils erheblicher Sachbeschädigung und der Vertreibung von mehr als 1.000 Palästinensern die Rede, sowie von einem Todesfall bei einem „groß angelegten Angriff“ im Februar. Weiter werden 31 Tote „bei Zusammenstößen mit der israelischen Armee oder Siedlern“ seit dem Hamas-Überfall genannt.

Um die Position zu unterstützen, hier ein Bericht von einem Tagesschau-Team, das genau solche Angriffe miterlebt hat.

Darin wird gezeigt wie Siedler unter Militärschutz Palästinenser bei der Ernte vertreiben. Die dann zu Hilfe gerufene Besatzer-Polizei verhaftet dann auch gleich lieber das Kamerateam und die Palästinenser statt die radikalen Siedler oder das Militär. Der Grund, Störung eines Militäreinsatzes.

Wenn die Vertreibung von Zivilisten ein Militäreinsatz ist, die das Kamerateam stört, ist das nicht ein Kriegsverbrechen?

Der Link entstammt diesem Beitrag:

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Handelt es sich nicht einfach um eine ungenaue Formulierung?
Vielleicht wäre es manchmal am besten, die Fackeln und Mistgabeln im Schuppen zu lassen.
Ich glaube wir alle profitieren enorm von der Arbeit der beiden und falls sich doch einmal herausstellt, dass auch Menschen in der Öffentlichkeit keine Roboter sind, dann zeigt es nicht mehr, als das Fehler oder Ungenauigkeiten einfach menschlich sind.
Ich kann nicht sagen wie viele Ungenauigkeiten und Fehler ich zu dem Thema artikuliert habe, aber es werden viele sein.
Ich finde wir schulden ihnen alle Wertschätzung dafür das sie ihre wunderbare Arbeit kostenlos zur Verfügung stellen und zu mindestens mich bereichern.

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Das ist letztlich eine Definitionsfrage. Kriegsverbrechen setzen eigentlich voraus, dass Staaten sich in einem Kriegszustand befinden. Weder Israel, noch das Westjordanland (bzw. die palästinensische Autonomiebehörde), betrachten sich gegenseitig als im Krieg befindlich. Andererseits operiert hier das israelische Militär außerhalb der israelischen Staatsgrenzen, was man wiederum als kriegsähnliche Handlung betrachten kann.

Fest steht jedenfalls, dass schon die israelischen Siedlungen selbst, vor allem aber natürlich damit in Verbindung stehende Vertreibungen, Enteignungen oder gar Tötungen klare Verstöße gegen das Völkerrecht sind. Nimmt man daher einen Krieg an, wäre man bei Kriegsverbrechen, nimmt man keinen Krieg (oder eine analoge Situation) an, nicht.

Letztlich ist das aber irrelevant, da auch ohne Krieg die schwerwiegenden Verstöße gegen das Völkerrecht schlicht unerträglich und durch absolut nichts zu rechtfertigen sind.

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Manche möchten hier ein Eingeständnis, dass es eben meistens keine Morde sondern „nur“ Sachbeschädigungen sind mit dem Ziel, die Leute zu vertreiben.
Warum das so viel besser ist, Leute aus ihren Häusern zu vertreiben und einer Perspektivlosigkeit zu überlassen, denn sie können ja nirgends hin, um sich was neues aufzubauen. Das einzige sind Flüchtlingscamps, wo sie dann dank Hilfsorganisationen irgendwie überleben - die momentan übrigens teilweise die Hilfe einstellen mussten. Darüber könnten wir dann diskutieren.

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Ich habe eben das hier in einer DM geschrieben:

„Vor 7 Tagen gab es einen ähnlichen Bericht in unserer Tageszeitung, am nächsten Tag klebte der Bericht mitsamt einer antisemitischen Karikatur und einem Davidstern an der Tür des jüdischen Gemeindezentrums neben dem ich wohne.

Ich weiß, es mag wie eine Lappalie aussehen und vielleicht bin ich da auch zu sensibel, aber ich erlebe hier regelmäßig, wie kleinste Details dazu führen, dass der Polizeischutz nebenan wieder erhöht werden muss. Deswegen ist es für mich leider kein so unwichtiges Detail.“

Mir geht es wirklich nicht um ein Schuldeingeständnis. Ich schätze die Arbeit der beiden sehr und ich fände es begrüßenswert, wenn das Thema Siedlergewalt nochmal aufgegriffen wird.

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Die Gewalt der Siedler gibt es ja trotzdem, unabhängig, ob sie sich gegen Eigentum oder Menschenleben richtet.
Wenn nun Antisemiten das als Vorwand nutzen, ihre Hassbotschaften unter die Leute zu bringen, darf das kein Grund sein, die Berichterstattung darüber zu vermeiden.
Ich habe nach der zweiten Mail von Avaaz, doch bitte einen Aufruf an Präsident Biden zu unterschreiben, dass er sich für einen Waffenstillstand einsetzen möge, damit nicht noch mehr Kinder in Gaza sterben müssten, den Newsletter abbestellt. Es fehlt auf beiden Seiten der Wille, die Taten der eigenen Seite als solche anzuerkennen und es wird sich nur auf das Leid fixiert, das die Gegenseite produziert.

Darum ging es in meinem Post ja aber gar nicht :slight_smile:

Ich bin dafür, über Siedlergewalt zu berichten. Sehr sogar. Aber eben exakt und genau, auf Basis von Fakten. Darum ging es mir.

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Lieber Ulf,

ich verstehe deine Haltung hier ehrlich gesagt nicht. Es ist schlicht Fakt, dass die Aussage „Siedler fahren fast täglich los, um Palästinenser zu erschießen“ für den Zeitraum (auf den sich die Aussage bezog) von 2009 bis mindestens zum 07.10.2023 nicht korrekt ist.

Der Zeitraum umfasst 5391 Tage. Für diesen Zeitraum verzeichnet die UN 50 Tote durch „israeli civilian settler violence“

Das sind 0,00927 Tote pro Tag. Oder aber: ein Toter alle 107 Tage. (Tatsächlich ist der Zeitraum noch länger, weil die Statistik bereits am 01.01.2008 einsetzt)

Ihr habt eine große Reichweite und eine entsprechend große Verantwortung. Welche Folgen Falschmeldungen für jüdisches Leben in Deutschland haben können, hat das Beispiel des angeblich von einer israelischen Bombe getroffenen Krankenhauses gezeigt. Am Ende stellte sich heraus, dass es eine Rakete der Hamas war. Doch am nächsten Tag gab es die ersten Meldungen über Davidsterne an Hauseingängen.

Es gibt wirklich genug erwiesene Siedlergewalt und Missstände in der WestBank. Über all das muss und sollte man unbedingt berichten. Gerade jetzt, wo sich die Situation zuspitzt. Warum also an dieser offensichtlichen Falschaussage festhalten, die Israel unnötig dämonisiert, wo es doch genug Fakten gibt, die das Unrecht, was den Palästinesern zweifellos widerfährt sehr gut abbilden. Warum nicht einfach sagen „Wir haben da vor zwei Folgen in einem Segment von über einer Stunde einen Satz gesagt, der ungenau war und der die Situation in der Westbank nicht korrekt wiedergibt.“ Das wäre vielleicht sogar ein guter Anlass, um die tatsächlich stattfindende Siedlergewalt nochmal zu thematisieren, ich glaube, vielen ist gar nicht bewusst, wie ausgeprägt die Diskriminierung in der Westbank ist.

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Ich würde gerne noch mal zum ursprünglichen Thema zurückkehren, nämlich der Frage, was nach dem aktuellen Millitäreinsatz im Gaza-Streifen kommen wird bzw. wie effektiv dieser langfristig sein wird.

Der Historiker Michael Wolffsohn hat in der FR (Link) eine Bodenoffensive im Gaza-Streifen für prinzipiell unverzichtbar:

Sie ist prinzipiell unverzichtbar, denn nur eine bedingungslose Kapitulation von Hamas und Islamischem Dschihad wird ein Ende der Terrorherrschaft nach innen und außen ermöglichen.

Ich frage mich, ob das wirklich die Mehrheitsmeinung der israelischen Bevölkerung ist. Denn objektiv kann ich persönlich diese These nicht teilen:

Israel hatte den Gaza-Streifen bis 2005 für 38 Jahre besetzt gehalten und trotzdem ist die Hamas dort relativ schnell nach dem Abzug an die Macht gekommen. Und selbst wenn die Bodenoffensive es schafft alle bekannten Anführer der Hamas zu töten oder gefangen zu nehmen, wer sagt, dass nicht innerhalb kürzester Zeit neue Nachfolger kommen?

Kurz gesagt:
Was will Israel diesmal anders machen, als in den letzten 50 - 60 Jahren? Denn wenn es keinen echten langfristigen Plan gibt, dann ist das, was gerade im Gaza-Streifen passiert, am Ende nur Rache. Und damit wird sich Israel meiner Ansicht nach langfristig schaden.

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Bisher hat Israel zwei Varianten versucht:

  1. Gazastreifen selbst besetzen
  2. Truppen abziehen und Gaza mehr oder weniger sich selbst überlassen und abschotten

Zwischendurch hatte Israel nun behauptet, Gaza „nicht besetzen zu wollen“. Quelle im Telegraph

Die Idee ist wohl, z.b. die PLO oder eine ähnliche, weniger extreme Organisation als neue Machthaber einzusetzen, ohne selbst Gaza besetzen zu müssen.

Erst im Juli gab es ja Proteste gegen Hamas, weil sie die Stromversorgung nicht ausreichend sicherstellen konnten. Quelle
Hamas hat diese Proteste dann gewaltsam niedergeschlagen Quelle

Mir ist aber nicht klar, wie man so eine Organisation an der Macht halten will, ohne selbst das Gebiet zu besetzen und ohne einen Bürgerkrieg auszulösen. Vielleicht stünden dann israelische Truppen ausserhalb des Gazastreifens, aber würden dann den Streifen regelmäßig betreten und dort als Staatsmacht auftreten?
Man könnte das dann technisch gesehen als nicht besetzt werten, weil keine permanenten Truppen stationiert sind.

Die Krux ist, dass ein Friedensprozess nur nach Ausschaltung der Hamas möglich ist. Diese hat das größte Interesse am Fortdauern des Konfliktes - ein Versöhnungs- und Annäherungsversuch würde die Hamas existentiell bedrohen. Ein Waffenstillstand zum jetzigen Zeitpunkt hätte nur noch mehr Terror, Bomben und Raketen als Folge und würde den Frieden in weite Ferne Rücken.

Aber ist es nicht genau das, was Israel will?

Das geht schon, z.B. indem man die favorisierte Gruppe mit überlegender Feuerkraft und Ausbildung ausstattet. Aber natürlich weiß Israel auch, dass das sehr schnell in’s Auge gehen kann, wenn sich die favorisierte Gruppe dann doch radikalisiert oder sie mit der Hamas langfristig doch kooperiert.

Solche „technischen Definitionen“ helfen nicht weiter. Die Bevölkerung Gazas würde sich weiter - aus gutem Grund - als besetzt wahrnehmen.

Exakt, aber gilt das nicht auch für rechtsextreme, Pro-Siedler-Parteien in der Regierung Israels? Es ist schwer möglich, sich vorzustellen, dass die Palästinenser die Waffen niederlegen, wenn Israel weiter Jahr für Jahr neue illegale Siedlungen baut, damit neues Land raubt, neue Palästinenser vertreibt usw.

Wie gesagt, egal, wie sehr wir die Taten der Terrororganisation Hamas aus sehr guten Gründen verachten - wir dürfen nicht den Fehler machen, davon auszugehen, dass die Ursachen für die massive Gewalt nur bei den Palästinensern liegen. Keine komplexe Lage ist monokausal, auch diese nicht!

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Allen arabischen/muslimischen Ländern sind die Palästinenser auch egal. Palästinensische Flüchtlinge außerhalb von Gaza leben in erbärmlichen Zuständen und dienen nur als „Kanonenfutter“ und Rechtfertigung im Krieg gegen die Juden/Israel.

Man könnte sich ja mal dafür einsetzen, dass das UNRWA aufgelöst wird, Palästinenser nicht den Flüchtlingsstatus vererbt bekommen und endlich die Chance auf einen Pass und Rechte haben. Aber dann hätte man ja niemanden mehr der Israel dauerhaft Probleme bereitet und noch viel schlimmer: man müsste Israel anerkennen.

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Verstehe ich dich richtig? Es sollen sich die Palästinenser bzw. deren Nachfahren nach 70 Jahren mit ihrer Vertreibung „abfinden“ aber Israel beruft sich bei der Herleitung seines Gebietsanspruches u.A. auf seine historischen Siedlungen von vor 2000 Jahren?

Ist das nicht ein etwas dünnes Argument?

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