Israel & Nahost-Konflikt - Folgen in und für Deutschland - Demonstrationen

Dabei muss man allerdings beachten, dass die Palästinenser, die in Israel bleiben durften, die glücklichen sind, die nicht im Rahmen der Nakba vertrieben wurden, während die im Westjordanland zu einem großen Teil gerade diejenigen mit Vertreibungserfahrung sind. Dazu kommt, dass die Israelis, die in Israel „Tür an Tür“ mit Palästinensern leben, wohl auch eher die „progressiven“ sind, während die Israelis, die gezielt illegale Siedlungen im Westjordanland gegründet haben, in der Regel (nicht: ausnahmslos!) eher Hardliner sind. Die Voraussetzungen sind in beiden Fällen jedenfalls denkbar unterschiedlich.

Solche absoluten Aussagen sind natürlich immer schwierig, aber grundsätzlich gehe ich davon aus, dass es ähnlich ausgehen würde, wie in Bergkarabach: Fast niemand wird sich der neuen, historisch feindlich gesinnten Staatsmacht unterwerfen wollen, einige werden aktiv (para)militärisch dagegen kämpfen wollen (dh. auch nicht friedlich abziehen) und wenn dieser Kampf aussichtslos wird, werden die allermeisten wohl fliehen.

Ich glaube, wir reden hier von einer wirklich kleinen Minderheit, die realistisch verbleiben könnte. Und deren Sicherheit hinge stark von der Stabilität des palästinensischen Staates ab, denn sonst würde es leider wohl zu antisemitischen Ausschreitungen kommen.

Wir sollten daher schon realisieren, dass eine Zwei-Staaten-Lösung mit der Räumung von fast 700.000 Menschen einhergehen würde, weshalb nachvollziehbar ist, warum aus pro-israelischer Sicht eine Zwei-Staaten-Lösung größtenteils tot ist, weil der Preis dafür aus pro-israelischer Sicht zu hoch ist. Dabei darf man natürlich aber auch nicht vergessen, dass Israel durch den immer wieder - mit Recht - kritisierten und dennoch fortgesetzten Siedlungsbau dieses Preis selbst in die Höhe getrieben hat. Die größten Opfer einer solchen Räumung wären wohl die Kinder, die in den älteren Siedlungen geboren wurden und sich folglich nicht freiwillig für dieses „Risiko“ entschieden haben - und die nichts anderes kennen, als das Leben in diesen Siedlungen. Die mit einer Räumung verbundene Entwurzelung ist eine Härte, die man jedenfalls bedenken muss.

Ganz so einfach ist es auch hier wieder nicht. Dazu mal eine Anekdote: Ich habe mal eine Reisegruppe von internationalen Studierenden durch Berlin begleitet. Darunter war ein arabischer Israeli. In einem Berliner Museum traf der auf eine Palästinenserin, deren Familie aus dem Libanon nach Berlin gekommen war. Sie kamen relativ schnell drauf, dass ihre Großeltern im selben Dorf im heutigen Israel gelebt hatten. Die Großeltern des Studis sind zurückgekehrt, die der Frau nicht. Bei der Bewertung der Besatzung waren sich beide übrigens ziemlich einig, aber über die Bewertung Israels haben sich die beiden richtig in die Flocken gekriegt.

Auch hier ist es deutlich komplexer. Auch innerhalb Israels ist es nicht immer gleich und es sind nicht immer nur „Progressive“, die mit- oder zumindest nebeneinaneder leben, ohne sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Und die Menschen die in den Siedlungen leben sind mitnichten alle religiöse und/oder nationalistische Fanatiker:innen. Gerade um Jerusalem gibt es jede Vororte (mit der für Vorstädte typischen Bevölkerung), die jenseits der 1967er-Grenze liegen und daher offiziell „Siedlungen“ sind.

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Daniel hat zu deinem Vorschlag des Zusammenlebens sicher alles wichtige gesagt. Mir ist nur noch wichtig hierauf Bezug zu nehmen.

Die Israelis müssen nicht zwangsläufig nun aus Hilfslosigkeit Waffen kaufen.Tatsächlich lässt die israelische Regierung aktuell Waffen austeilen, damit die Israelis in der Westbank sich „wehren“ können.

Das sieht dann halt teils so aus, dass Rechtsextreme, die in der Debatte über unsere Position zu Israel stets (und auch vor dem 07.10.2023) eine viel zu geringe Rolle spielen, in ein palästinensisches Dorf fahren und dort Menschen umbringen oder Eigentum vernichten.

Und begründet wird das nun mit Furcht vor Terror. Ganz mein Humor. Die aufrechten Deutschen von Freital und Rostock waren sicher auch nur verängstigt.

Dabei haben die Israelis in illegalen Siedlungen das Privileg, dass ihre Siedlungen durch Militär oder Polizei aktiv beschützt werden. Palästinenser haben dieses Glück nicht. Du betreibst hier aus meinen Augen eine klassische Täter-Opfer Umkehr.

Ich weiß nicht, auf wen oder was du dich mit dieser Aussage beziehst, aber ich habe es sicherlich nicht „begründet“, und schon gar nicht gut geheißen, dass irgendwer loszieht um andere Menschen zu ermorden.

Wenn Du mir erklärst, wo ich mich in meiner Aussage angeblich auf „Täter“ bezogen habe, setze ich mich mit diesem Vorwurf gerne auseinander. Da ich das aber nicht getan habe, ist er einfach nur Unsinn. Die Bemerkung mit dem Waffenkauf bezog sich ganz eindeutig weder auf „illegale Siedlungen“, noch auf Leute, die losziehen, um Unschuldige zu töten.
Scheinbar ist es für manche Menschen nur schwer möglich, sich auch nur mal für ein paar Minuten empathisch mit der Angst und Trauer Zigtausender Israelis zu sein, ohne sofort dem Drang nachgeben zu müssen, diese durch Verweise auf das kriminelle Handeln eines bestimmten Milieus oder auf das Leid anderer zu relativieren. Das finde ich gelinde gesagt schade.

Bitte diskutiert wieder sachlicher @Barnabas @Veche

Ich beziehe mich auf den von mir zitierten Abschnitt:

Ich frage mich einfach wie hilflos die Westbank-Siedler tatsächlich sind, dass sie Waffen zum Schutz benötigen. Die Realität sieht anders aus, Teile der israelischen Siedler und des Militärs machen gemeinsame Sache bei Mord und Vertreibung der Palästinenser aus dem Westjordanland.
Ganz frisch gibt es dazu einen Kurzbeitrag der Tagesschau.

Darin geht es um herzensgute (meine ich wirklich so) israelische Siedler, die Palästinensern bei der Ernte helfen, damit diese sicher vor rassistischen Übergriffen radikaler israelischer Siedler sind. Unter den Augen des Militär kommen dann tatsächlich Siedler und vertreiben die Palästinenser. Die Aktivistin ruft die Polizei, doch statt die Palästinenser zu schützen, wird diese, die Aktivistin und das Kamerateam festgenommen.

Für mich klingt das nicht so als bräuchten Israelis in der Westbank verstärkten Schutz. Traumatisiert sollten eher die Palästinenser sein, die von solchen und anderen Übergriffen (siehe hierzu auch [2]) betroffen sind.

[1] Gefährliche Ernte im Westjordanland: Gewalt durch radikale Siedler | tagesschau.de
[2] Israel. Auf dem Weg in den Gottesstaat? | Weltspiegel Doku | ARD Mediathek

Bezogen auf diese Menschen liest sich deine Einlassung für mich wie eine klassische Täter-Opfer Umkehr. Auf mich wirkt das wie eine Argumentation á la „Die Siedler im Westjordanland können kaum anders als ihre Gated Communities mit Armeeschutz zuverlassen, zu den benachbarten Palästinensern zu fahren und vor lauter Angst diese zu vertreiben oder zu erschießen.“

Das finde ich höchst problematisch.

Und unabhängig davon gilt natürlich trotzdem der übliche Disclaimer. Was die Hamas am 07.10. getan hat war ein ungeheuerliches Verbrechen. Für jeden dieser Menschen habe ich nur Verachtung übrig.

Nur gebietet unsere Geschichte nicht nur die Existenz des Staates Israels und jüdisches Leben zu schützen. Nein, es gebietet auch staatliche Diskriminierung, Unterdrückung und willkürliche Gewalt gegenüber von Minderheiten uneingeschränkt zu verurteilen. Ganz ehrlich, ich habe nicht den Eindruck, dass du diese Lektion aus unserer Geschichte gezogen hast, denn deine Sympatien stellen sich mir sehr einseitig dar.

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Genauso ist es! Dass die Aussage „Juden haben zu viel Einfluss“ antisemitisch ist, hatte ja nicht ich mir ausgedacht. Es ist doch offensichtlich, dass z.B. rechtsextremer Antisemitismus sich auf ganz andere Weise äußert als muslimischer. Letzterem liegen ja nicht primär rassistische Fantasien von der Überlegenheit einzelner Ethnien zugrunde, sondern primär politische und israelbezogene Ressentiments. Und weil unterschiedliche Arten von Antisemitismus unterschiedliche Ursachen und Folgen haben, macht es keinen Sinn, alle in einen Topf zu werfen.
Ich bin überzeugt, dass es von der Rhetorik der Sprecher:innen abhängt, ob die Debatte um muslimischen Antisemitismus zu sinnvollen Erkenntnissen führt oder sich in plumpen populistischen Parolen ergeht (darin besteht für mich „Othering“, nicht im sachlichen Ansprechen eines vorhandenen Problems).
Dass antisemitische Tendenzen in der Binnenlogik etwa eines geflüchteten Palästinensers durchaus nachvollziehbar sein mögen, heißt im Übrigen nicht, dass wir diese Haltung hier dulden müssen oder sollten!

Das ist ein wirklich gutes Interview (aus meiner bescheidenen Sicht):

Der Titel ist etwas irreführend.
Was mir besonders gut gefällt, ist die Kritik an unserer Sprache und unseren Sprachbildern.

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@headcheat hat in einem Beitrag in einer anderen Diskussion (Link) hier im Forum bereits auf die aktuelle Folge Jung und Naiv hingewiesen.

Darin heißt es, die ARD hätte ein 54-seitiges Dokument mit „Sprachregelungen“ zum Thema Nahost-Konflikt an seine Redaktionen ausgegeben, die weit über alles hinaus gehen, was sonst so üblich ist um z.B. Organisationen korrekt zu betiteln.

Als ich das hörte, dachte ich, dass kann wirklich wahr sein. Überall laufen Leute herum, schreien „Lügenpresse“, „Staatsmedien“ und so weiter. Und was macht die ARD? Sie gibt all diesen Leuten neue Argumente. Einfach so. Wer immer das bei der ARD zu verantworten hatte, hat sehr vielen Menschen, die die öffentlich-rechtlichen Medien verteidigen, einen großen Bärendienst erwiesen.
Von dem Futter, den solche Aktionen, den Verbreitern von anti-semitischen Verschwörungstheorien liefern, will ich gar nicht erst anfangen.

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Ist diese Behauptung von Thilo Jung irgendwo belegt?

Hier ist der Youtube-Link mit Timecode:

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Das ist ja nur die Wiederholung der Behauptung. Ein Beleg ist das nicht. Oder?
Wer ist denn der Typ?

Wird von einer Linken Zeitung offenbar bestätigt:

https://linkezeitung.de/2023/10/29/hamas-kaempfer-bitte-vermeiden-die-parteiische-sprachregelung-der-ard/

Mit link zum Dokument:

Du meinst wer Tilo Jung ist, oder Stefan, sein Podcast-Kollege (unten rechts im Bild) ?

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Problematisch finde ich beispielsweise diesen Absatz hier:

“… nach unserem Austausch in der 10:30 Uhr heute noch mal ein Blick auf die Formulierungen in der Berichterstattung über Nahost. Wie bereits gestern geschrieben, müssen wir das von Tag zu Tag anschauen, beispielsweise ob und wie wir das Wort ‘Krieg’ verwenden. Heute gibt es diese Hinweise und Bitten: Wir sprechen weiterhin von ‘Angriff/en aus Gaza auf Israel’ oder ‘Terrorangriff/e auf Israel’. Es kann aber auch ‘Krieg gegen Israel’ verwendet werden. Was unbedingt vermieden werden muss, sind Worte wie ‘Gewaltspirale’ – und auch ‘Eskalation in Nahost’ beschreibt die aktuelle Lage seit Samstag nicht ausreichend. Die Situation ist komplexer. Bitte passt auch auf, wie wir das Wort ‘Angriff’ genau verwenden: In dieser Situation sind es ‘Gegenangriffe von Israel auf Gaza’. Es ist verkürzt zu sagen oder schreiben ‘Angriffe auf Israel und Gaza’.”

Es stehen natürlich auch viele „normale“ Erläuterungen in dem Dokument, und die sind auch nicht komplett ungewöhnlich, wie bei Tilo Jung auch erläutert wird. Aber es sind eben die paar heiklen Stellen dazwischen, die nicht hätten sein dürfen, meiner Meinung nach.

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Was ist daran problematisch?

Der Begriff „Krieg“ ist beispielsweise im Völkerrecht definiert. Denn sollte man nicht nach Tageslage auslegen.

edit: Oder die Tatsache, dass Worte wie „Gewaltspirale“ nicht genannt werden sollen. Das lese ich so, als sollten hier Formulierungen, die eine eventuelle Mitschuld von Israel (am gesamten Nahost-Konflikt) bedeuten könnten, um jeden Fall vermieden werden.

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Also, das ARD-Dokument, auf das Du hier referenziert, scheint eine umfassend recherchierte (mutmaßlich ständig aktualisierte) Informationssammlung als Handreichungen für Redakteure und Journalisten.

Es reflektiert offensichtlich den Wunsch, ein falsches Framing in diesem hochkomplexen Thema ARD-weit zu vermeiden. Das empfinde ich als sehr löblich.

Ich habe nicht alls 47 Seiten gelesen. Aber für die Seiten, die ich überflogen haben, kann ich sagen: Es scheint mir sehr ausgewogen, durchaus nicht israel-unkritisch.

Ich finde es für ein so großes Medienhaus sehr legitim, das Wording, mit dem über dieses hochkomplexe Thema aus dem Hause berichtet wird, zu steuern, um zu vermeiden, dass einzelne Redakteure in der Eile über falsches Framing stolpern.

Ich empfehle jedem die Lektüre dieser Handreichungen, auch für die eigenen Beiträge hier im Forum!

Ich wünschte, es gäbe so etwas über den Klimawandel!!!

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Da weißt du mehr als Wikipedia: „Trotz intensiver Diskussionen konnte man sich nicht auf eine einheitliche völkerrechtliche Definition einigen, die den Begriff des Krieges eingrenzend beschreibt.“

Wikipedia definiert Krieg so: „Als Krieg wird ein organisierter und unter Einsatz erheblicher Mittel mit Waffen und Gewalt ausgetragener Konflikt bezeichnet, an dem planmäßig vorgehende Kollektive beteiligt sind. Ziel der beteiligten Kollektive ist es, ihre Interessen durchzusetzen.“

Und warum sollte die ARD Formulierungen toll finden, die Israel eine Mitschuld geben? Zumal du die gegebene Begründung für den Verzicht auf die Worte ignorierst…

Die klassische Definition, nachzulesen z.b. hier

setzt für einen Krieg staatliche Akteure voraus und eine Kriegserklärung. Man kann sich natürlich darüber streiten ob das heutzutage noch so gilt. Aber es nach Tageslage zu ändern halte ich dennoch für falsch. Und einseitig nur von einem „Krieg gegen Israel“ zu sprechen, ist mMn völlig unseriös.
Und nicht umsonst wird seit Jahren vom Nahost-Konflikt gesprochen. Israel selbst dürfte wohl auch kein Interesse haben, dass Übergriffe auf Palästinenser im Westjordanland unter dem Gesichtspunkt von Kriegsverbrechen untersucht werden.

Die Erklärung halte ich für sehr dünn, den die Bezeichnung „Eskalation“ impliziert ja gerade, dass die Terroranschlägen der Hamas im Kontext eines größeren, komplexeren Konfliktes zu sehen sind.
Und dann zu sagen, dass „Eskalation“ das Thema zu unterkomplex erscheinen ließe, kommt mir widersinnig vor.

Eigentlich zeigt die Quelle insbesondere, wie unsinnig es wäre, die Definition des „klassischen Kriegsbegriffs“, der seit 1928 immer weniger (bis praktisch keine) Relevanz hat, heute noch als Grundlage für die Sprachregelungen im umgangssprachlichen Kontext zu verwenden.

Nach klassischer Definition herrscht auch in der Ukraine kein Krieg. Und der Vietnamkrieg war m.W.n. auch keiner. Wie steht es um den Irakkrieg?

Völkerrechtler könnten sich zudem sicherlich kontrovers darüber austauschen, ob die Hamas die Anforderungen an einen Staat gem. Drei-Elementen-Lehre erfüllt…