Israel & Nahost: Waffenruhe, „limited campaign“ oder Bodenoffensive. Wie geht es weiter?

Darum ging es in meinem Post ja aber gar nicht :slight_smile:

Ich bin dafür, über Siedlergewalt zu berichten. Sehr sogar. Aber eben exakt und genau, auf Basis von Fakten. Darum ging es mir.

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Lieber Ulf,

ich verstehe deine Haltung hier ehrlich gesagt nicht. Es ist schlicht Fakt, dass die Aussage „Siedler fahren fast täglich los, um Palästinenser zu erschießen“ für den Zeitraum (auf den sich die Aussage bezog) von 2009 bis mindestens zum 07.10.2023 nicht korrekt ist.

Der Zeitraum umfasst 5391 Tage. Für diesen Zeitraum verzeichnet die UN 50 Tote durch „israeli civilian settler violence“

Das sind 0,00927 Tote pro Tag. Oder aber: ein Toter alle 107 Tage. (Tatsächlich ist der Zeitraum noch länger, weil die Statistik bereits am 01.01.2008 einsetzt)

Ihr habt eine große Reichweite und eine entsprechend große Verantwortung. Welche Folgen Falschmeldungen für jüdisches Leben in Deutschland haben können, hat das Beispiel des angeblich von einer israelischen Bombe getroffenen Krankenhauses gezeigt. Am Ende stellte sich heraus, dass es eine Rakete der Hamas war. Doch am nächsten Tag gab es die ersten Meldungen über Davidsterne an Hauseingängen.

Es gibt wirklich genug erwiesene Siedlergewalt und Missstände in der WestBank. Über all das muss und sollte man unbedingt berichten. Gerade jetzt, wo sich die Situation zuspitzt. Warum also an dieser offensichtlichen Falschaussage festhalten, die Israel unnötig dämonisiert, wo es doch genug Fakten gibt, die das Unrecht, was den Palästinesern zweifellos widerfährt sehr gut abbilden. Warum nicht einfach sagen „Wir haben da vor zwei Folgen in einem Segment von über einer Stunde einen Satz gesagt, der ungenau war und der die Situation in der Westbank nicht korrekt wiedergibt.“ Das wäre vielleicht sogar ein guter Anlass, um die tatsächlich stattfindende Siedlergewalt nochmal zu thematisieren, ich glaube, vielen ist gar nicht bewusst, wie ausgeprägt die Diskriminierung in der Westbank ist.

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Ich würde gerne noch mal zum ursprünglichen Thema zurückkehren, nämlich der Frage, was nach dem aktuellen Millitäreinsatz im Gaza-Streifen kommen wird bzw. wie effektiv dieser langfristig sein wird.

Der Historiker Michael Wolffsohn hat in der FR (Link) eine Bodenoffensive im Gaza-Streifen für prinzipiell unverzichtbar:

Sie ist prinzipiell unverzichtbar, denn nur eine bedingungslose Kapitulation von Hamas und Islamischem Dschihad wird ein Ende der Terrorherrschaft nach innen und außen ermöglichen.

Ich frage mich, ob das wirklich die Mehrheitsmeinung der israelischen Bevölkerung ist. Denn objektiv kann ich persönlich diese These nicht teilen:

Israel hatte den Gaza-Streifen bis 2005 für 38 Jahre besetzt gehalten und trotzdem ist die Hamas dort relativ schnell nach dem Abzug an die Macht gekommen. Und selbst wenn die Bodenoffensive es schafft alle bekannten Anführer der Hamas zu töten oder gefangen zu nehmen, wer sagt, dass nicht innerhalb kürzester Zeit neue Nachfolger kommen?

Kurz gesagt:
Was will Israel diesmal anders machen, als in den letzten 50 - 60 Jahren? Denn wenn es keinen echten langfristigen Plan gibt, dann ist das, was gerade im Gaza-Streifen passiert, am Ende nur Rache. Und damit wird sich Israel meiner Ansicht nach langfristig schaden.

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Bisher hat Israel zwei Varianten versucht:

  1. Gazastreifen selbst besetzen
  2. Truppen abziehen und Gaza mehr oder weniger sich selbst überlassen und abschotten

Zwischendurch hatte Israel nun behauptet, Gaza „nicht besetzen zu wollen“. Quelle im Telegraph

Die Idee ist wohl, z.b. die PLO oder eine ähnliche, weniger extreme Organisation als neue Machthaber einzusetzen, ohne selbst Gaza besetzen zu müssen.

Erst im Juli gab es ja Proteste gegen Hamas, weil sie die Stromversorgung nicht ausreichend sicherstellen konnten. Quelle
Hamas hat diese Proteste dann gewaltsam niedergeschlagen Quelle

Mir ist aber nicht klar, wie man so eine Organisation an der Macht halten will, ohne selbst das Gebiet zu besetzen und ohne einen Bürgerkrieg auszulösen. Vielleicht stünden dann israelische Truppen ausserhalb des Gazastreifens, aber würden dann den Streifen regelmäßig betreten und dort als Staatsmacht auftreten?
Man könnte das dann technisch gesehen als nicht besetzt werten, weil keine permanenten Truppen stationiert sind.

Die Krux ist, dass ein Friedensprozess nur nach Ausschaltung der Hamas möglich ist. Diese hat das größte Interesse am Fortdauern des Konfliktes - ein Versöhnungs- und Annäherungsversuch würde die Hamas existentiell bedrohen. Ein Waffenstillstand zum jetzigen Zeitpunkt hätte nur noch mehr Terror, Bomben und Raketen als Folge und würde den Frieden in weite Ferne Rücken.

Aber ist es nicht genau das, was Israel will?

Das geht schon, z.B. indem man die favorisierte Gruppe mit überlegender Feuerkraft und Ausbildung ausstattet. Aber natürlich weiß Israel auch, dass das sehr schnell in’s Auge gehen kann, wenn sich die favorisierte Gruppe dann doch radikalisiert oder sie mit der Hamas langfristig doch kooperiert.

Solche „technischen Definitionen“ helfen nicht weiter. Die Bevölkerung Gazas würde sich weiter - aus gutem Grund - als besetzt wahrnehmen.

Exakt, aber gilt das nicht auch für rechtsextreme, Pro-Siedler-Parteien in der Regierung Israels? Es ist schwer möglich, sich vorzustellen, dass die Palästinenser die Waffen niederlegen, wenn Israel weiter Jahr für Jahr neue illegale Siedlungen baut, damit neues Land raubt, neue Palästinenser vertreibt usw.

Wie gesagt, egal, wie sehr wir die Taten der Terrororganisation Hamas aus sehr guten Gründen verachten - wir dürfen nicht den Fehler machen, davon auszugehen, dass die Ursachen für die massive Gewalt nur bei den Palästinensern liegen. Keine komplexe Lage ist monokausal, auch diese nicht!

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Allen arabischen/muslimischen Ländern sind die Palästinenser auch egal. Palästinensische Flüchtlinge außerhalb von Gaza leben in erbärmlichen Zuständen und dienen nur als „Kanonenfutter“ und Rechtfertigung im Krieg gegen die Juden/Israel.

Man könnte sich ja mal dafür einsetzen, dass das UNRWA aufgelöst wird, Palästinenser nicht den Flüchtlingsstatus vererbt bekommen und endlich die Chance auf einen Pass und Rechte haben. Aber dann hätte man ja niemanden mehr der Israel dauerhaft Probleme bereitet und noch viel schlimmer: man müsste Israel anerkennen.

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Verstehe ich dich richtig? Es sollen sich die Palästinenser bzw. deren Nachfahren nach 70 Jahren mit ihrer Vertreibung „abfinden“ aber Israel beruft sich bei der Herleitung seines Gebietsanspruches u.A. auf seine historischen Siedlungen von vor 2000 Jahren?

Ist das nicht ein etwas dünnes Argument?

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Was vor 2000 Jahren war, sollte tatsächlich keine Rolle spielen, außer für die Folklore, so wie Deutsche sich auf „Hermann den Cherusker“ beziehen.

Tatsache ist aber: Die wohnen da jetzt. Seit 75 Jahren in einem eigenen Staat. Und auch aus den arabischen Staaten wurden damals Hunderttausende Juden vertrieben, die dann aber in Israel integriert und israelische Staatsbürger wurden. Und genau das wurde eben den Palästinensern von den umliegenden arabischen Staaten großteils verweigert, die sich aber gerne die nicht-israelischen Teile des ehemaligen britischen „Mandatsgebiets“ Palästina einverleibt haben (bis sie sie im Sechstagekrieg wieder verloren). Abgesehen von denjenigen, die tatsächlich in den letzten Jahrzehnten durch die israelische Siedlungspolitik vertrieben wurden, lebt von den vor 75 Jahren – nach einem von arabischer Seite geführten und verlorenen Krieg – Vertriebenen heute so gut wie niemand mehr.

Israel existiert jetzt halt, und wenn nicht durch irgendwelche zukünftigen historischen Umwälzungen die Hamas doch noch zu ihrem gewünschten Genozid an den israelischen Juden kommt, dann ist die Existenz Israels ein Fakt wie die Oder-Neiße-Grenze, oder dass die weißen Amerikaner nicht mehr nach Europa zurück migrieren werden. Wer das nicht akzeptiert, ist praktisch nichts weiter als ein palästinensischer Erika Steinbach.

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Auch wenn ich mich hier schon dazu geäußert habe, geht es mir ja eigentlich weniger um die historische Schuldfrage sondern darum, wie man den Konflikt wirklich entschärfen kann.
edit:
Bei „Mit offenen Karten“ gibt es einen sehr übersichtlichen aber nicht ganz aktuellen (9 Monate alt) Überblick zum Nahost-Konflikt:

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Bei SPIEGEL gibt es ein interessantes Interview mit Uriel Abulof, Politikwissenschaftler aus Tel Aviv, der die israelische Seite veranschaulicht, u.a. warum Israel sich nicht auf einen Waffenstillstand o.ä. einlassen wird:

Die Forderung nach einem Waffenstillstand klingt erst mal nach etwas, worauf sich alle einigen können. Wenn du eine friedfertige Person bist, ergibt das sehr viel Sinn. Aus einer israelischen Perspektive ergibt das allerdings überhaupt keinen Sinn. Der Ruf nach einem Waffenstillstand klingt für uns nach einem Aufruf, uns zu töten.

Die Hamas hat niemals eingewilligt, aufzuhören. In den Köpfen der Israelis bedeutet ein Waffenstillstand einen weiteren 7. Oktober. Wir würden vielleicht einige Gefangene austauschen und hätten für ein oder zwei Jahre Ruhe. Aber dann würde es wieder beginnen.

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Gewagte Frage: Woher wissen wir eigentlich, dass es der Hamas „uneigennützig“ um die Menschen im Gazastreifen geht?
Es handelt sich um eine wirtschaftlich sehr erfolgreiche Terrororganisation, deren Geschäftsmodell bei politischer Entspannung gefährdet ist. Wohlmöglich ist deren Ziel einfach nur „Zündeln“, um die Einnahmen (Spenden aus dem arabischem Raum) wieder sprudeln zu lassen???

Spekulation, aber ich denke, das ist differenziert danach, ob es sich um die Führung oder nicht.

Gibt es so naive Menschen, die überhaupt glauben, dass es der Hamas „uneigennützig“ um die Menschen im Gazastreifen geht? Die Hamas ist schließlich nicht die Frieden-Und-Freiheit-Für-Gaza-Organisation sondern die Niemals-Frieden-Niemals-Verhandeln-Bis-Israel-Vernichtet-Ist-Organisation.

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Jung & Naiv Aufwachen #456: Nahost-Berichterstattung von ARD & ZDF

Es wird gut dargelegt, wie sich die deutsche Presselandschaft intern verhält und in welchen Konflikten sie sich befindet. Es wird auch die einseitige Berichterstattung in den Medien im Mittleren Osten thematisiert.

Nahostkonflikt: Jetzt Krieg, wann Frieden? | Alena Jabarine & Tomer Dreyfus

Schöner Talk zwischen einer palästinensischen Israelin und einem jüdischen Israeli zum Thema, allerdings etwas sehr zäh.

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Ich fand es gut.

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Ich glaube, Tilo Jung dürfte zu den schlechtesten Quellen überhaupt gehören, wenn es um Nahost geht.

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Tolle Behauptung, magst Du erklären worauf diese beruht? Soweit ich weiss ist Jung regelmässig selbst sowohl in Israel als auch in Gaza gewesen, kennt Menschen auf beiden Seiten, etc.

Edit: Und zumindest im Interview mit Jabari und Dreyfus ist er ja gar nicht „die Quelle“, sondern seine Interviewpartner.

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Wenn man sich nur einseitige deutsche Nachrichten anhören möchte, dann ist Tilo Jung sicher nicht die richtige Quelle. Wenn man eine ausgewogene Sicht der Lage hören möchte, dann ist Tilo Jung (bzw. dessen Gäste) inhaltlich eine sehr gute Quelle. Die Frage ist, was man hören will. Wie viel hast du denn von den Gesprächen gehört, die ich verlinkt habe?

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