Haltungen und Strategien zu Russland/Ukrainekrieg

Ich empfehle das hier zu schauen.
Und was Verhandlungen anbelangt gibt’s einen langen Wikipediaeintrag zu Friedensverhandlungen im Ukraine Konflikt

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Ist eig offtopic, weil hier zwischendrin um Russland ging.

Hier die Zusammenfassung von Chat gbt. Das Video zu schauen ist wegen der umfassenden Einordnung besser.

Klaus Gestwa hat in einem Video acht populäre Thesen über den Ukraine-Konflikt widerlegt. Hier eine Zusammenfassung dieser Thesen:

  1. Putins Ziele sind unklar: Gestwa widerspricht dieser These und betont, dass Putins Ziele klar und strategisch motiviert sind. Russland strebt nach Kontrolle über die Ukraine, um seine geopolitische Macht auszubauen.

  2. Die Ukraine ist keine Demokratie: Gestwa zeigt, dass die Ukraine ein demokratischer Staat ist. Es gibt eine lebendige Opposition und unabhängige politische Kräfte im Land, was die These, die Ukraine sei eine Marionette des Westens oder von Oligarchen, widerlegt.

  3. Krim und Donbas gehören historisch zu Russland: Gestwa argumentiert, dass diese Regionen historisch gesehen lange zur Ukraine gehören und es keinen legitimen historischen Anspruch Russlands darauf gibt.

  4. Waffenlieferungen verlängern den Krieg: Er widerlegt die Annahme, dass westliche Waffenlieferungen den Konflikt unnötig verlängern. Stattdessen helfen sie der Ukraine, sich zu verteidigen und ihre Souveränität zu bewahren.

  5. Russische und westliche Medien lügen gleichermaßen: Gestwa betont, dass russische Medien gezielt Propaganda verbreiten, während westliche Medien im Allgemeinen objektiver berichten.

  6. Der Westen hätte den Krieg durch Verhandlungen beenden können: Verhandlungen mit Russland seien nicht möglich, da Putin kein Interesse an einem echten Frieden hat.

  7. Putin verteidigt sich nur gegen die NATO: Die These, dass Russland nur auf eine Bedrohung durch die NATO reagiert, wird ebenfalls entkräftet. Der Krieg ist ein imperialistischer Angriffskrieg.

  8. Der Konflikt betrifft uns nicht direkt: Gestwa stellt klar, dass der Krieg weitreichende geopolitische Konsequenzen hat, die auch Europa und den Westen direkt betreffen.

Diese Thesenchecks sind Teil seiner Analyse, um populistische und falsche Behauptungen über den Krieg zu entkräften

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Ich spreche von der Eskalationsspirale zwischen der NATO und Russland. Die Ukraine hat gar nicht die Möglichkeiten zu eskalieren bzw. würde durch Maßnahmen mit westlichen Waffen, die die NATO-Russland-Eskalation um eine Sprosse nach oben versetzen, die weitere westliche Unterstützung riskieren.

Es kann sich jeder selbst ein Bild machen, ob dieser Beitrag für oder gegen Ihre Lesekompetenz spricht.

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Btw….wie Russland angesichts des Hinweises von Kanzler Scholz zu Friedensverhandlungen reagiert, stellt sich die Frage wer mit wem verhandeln soll.
Laut Russland sind weder die Ukraine noch der „kollektive, von des USA gesteuerte Westen (Europa)“ von Russland akzeptierte Gesprächspartner.
Also demnach soll die USA zusammen mit Russland festlegen, wie die Situation in Europa auszusehen hat.

Zitat: Der Kreml hat auf den Vorstoß von Bundeskanzler Olaf Scholz für stärkere diplomatische Bemühungen um Frieden in der Ukraine zurückhaltend reagiert. „Was eine friedliche Beilegung des Konflikts in der Ukraine betrifft, zeichnen sich bislang keine greifbaren Konturen ab“, sagte Dmitri Peskow, Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Man höre Erklärungen aus verschiedenen europäischen Ländern. „Aber wir hören dazu nichts aus dem Land, das diesen Prozess steuert, das den kollektiven Westen dirigiert“, sagte Peskow mit Blick auf die USA.

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Russland ist rundum von Ländern umgeben, die seiner aktuellen Politik nicht wohl gesonnen sind. Statt zu verhandeln, könnte man Russland also einfach in einen Viel-Fronten-Krieg verwickeln. Russland wird wohl kaum mit Atomraketen gegen die NATO reagieren, sondern eher öffentlich toben und im Hinterzimmer eine neue Friedensordnung verhandeln.
Allerdings wäre das dann nicht zu Putins Bedingungen, sondern auf Augenhöhe.

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Die Eskalationsspirale sieht übrigens so aus:

  • Russland greift Ukraine an.
  • NATO-Länder beschließen wirtschaftliche Sanktionen.
  • Russland bombardiert Städte.
  • NATO-Länder liefern Waffen zur Selbstverteidigung.
  • Russland bombardiert Städte und begeht kriegsverbrechen.
  • NATO-Länder liefern Waffen zur Selbstverteidigung.
  • Russland erschießt Zivislisten mit auf dem Rücken gebundenen Händen.
  • NATO-Länder liefern Waffen zur Selbstverteidigung.
  • Russland köpft ukrainischen Kriegsgefangenen vor laufender Kamera.
  • NATO-Länder liefern Waffen zur Selbstverteidigung.
  • Russland greift gezielt die Strom- und Wärmeversorgung an, damit Zivislisten im Winter erfrieren.
  • NATO-Länder liefern Waffen zur Selbstverteidigung.
  • Russland droht, bei den nächsten Waffen die die Ukraine zur Selbstverteidigung geliefert bekommt ist die rote Linie überschritten und es gibt Atomschläge auf Berlin.
  • NATO-Länder liefern Waffen zur Selbstverteidigung.
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Kleiner Metakommentar am Rande:

Ich finde es schon bemerkenswert, wie hier Kreml-Narrative wiedergekäut werden.

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Wann die Eskalationsspirale angefangen hat und wer den ersten Schritt gemacht hat ist mühselig bzw. sicherlich Gegenstand der subjektiven Einschätzung. Ich denke wir können uns aber einigen, dass es in den 1990er und 2000er neben Annährungsinitativen auch zu substanzielle Irritationen zwischen NATO-Ländern und Russland kam. Eine unvollständige und subjektive Liste in grob chronologischer Reihenfolge wäre beispielsweise:

  • (Russland entsteht am 1.1.1992)
  • Russland verstößt in zwei Tschetschenienkriegen gegen Menschenrechte
  • mehrere NATO-Länder greifen völkerrechtswidrig Jugoslawien an
  • mehrere NATO-Osterweiterungsrunden
  • NATO-Pläne eines Raketenschirms, der Russlands nukleare Zweitschlagfähigkeit einschränken würde
  • Putin wirbt im Bundestag für Zusammenarbeit
  • Russland unterstützt NATO-Länder im Afghanistankrieg logistisch
  • mehrere NATO-Länder greifen völkerrechtswidrig den Irak an

Schließlich hält Putin 2007 eine Rede bei der Münchener Sicherheitskonferenz, wirbt nochmals für Zusammenarbeit und eine multipolare Weltordnung, kritisiert aber auch diverse aktuelle US-amerikanische Rechtsbrüche und warnt vor der Gefahr, dass dadurch die internationale Rechtsordnung entwertet wird. Für mich persönlich klingt die Rede nach dem (ehrlichen oder scheinbaren) Versuch eine Eskalation zu vermeiden.

Im Jahr 2008 haben diverse NATO-Länder erst einseitig erkärt, dass der Kosovo nicht mehr zu Serbien gehört, d.h. unter Androhung von Gewalt Grenzen verschoben und dann hat die NATO beschlossen, dass die Ukraine und Georgien langfristig Teil der NATO werden sollen. Spätestens seitdem dreht sich die Eskalationsspirale und dagegen konnten leider auch die Deeskalationsversuche von beispielsweise Merkel nichts mehr ändern.

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Das tut die sogenannte Friedensbewegung seit Ausbruch des Krieges. Besser als jede Trollarmee.

… und deswegen darf Russland die Ukraine überfallen. Bzw. müssen wir akzeptieren, dass sie einen guten Grund haben, die Ukraine zu überfallen.

Schließlich wollten wir mal einen Raketenschirm bauen, der uns vor russischen Raketen geschützt hätte. Und russische Nachbarländer wollen nicht von Russland bedroht und erobert werden und wollen daher lieber der NATO beitreten.

Ganz klar, die Schuld liegt mindestens hälftig bei der NATO. Mindestens.

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Eine schöne Formulierung für „ich pick’ mir mal raus, was so zu meiner Argumentation passt“.

Auch die Interpretation von Putins Rede auf der Münchner Sicherkeitskonferenz (SiKo) als „Werben für Zusammenarbeit“ und „Versuch, eine Eskalation zu vermeiden“ finde ich recht eigenwillig.
Dort faselte Putin etwas von Demokratieverlust und zunehmender Gewalt, nachdem er kurz zuvor etwa Alexander Litwinenko und Anna Politowskaja ermorden ließ. Außderem bezeichnete er in der Rede die NATO-Osterweiterung, die er 2004 selbst noch als völlig unproblematisch eingeordnet hatte (siehe hier) auf einmal als einen „provozierenden Faktor“. Zugleich brachte er dort das Narrativ der Garantien ins Spiel, die die NATO angeblich Russland gegeben hätte und die nun gebrochen würden. Sprich: Putin hat auf der SiKo 2007 bewusst und gezielt den Weg der Kooperation verlassen und den Spin genau für die Narrative gesetzt, auf die er später u. a. bei seinen Angriffen auf die Ukraine zurückgriff und die sich auch in so manchem Kopf in Deutschland festgesetzt zu haben scheinen.

Wer sich für die tatsächlich komplexe und vielschichte Geschichte der NATO-Osterweiterung interessiert, dem sei Mary Sarotte’s Buch Not One Inch (Link zur deutschen Übersetzung hier) empfohlen. Die Autorin hat diverse Archive durchforstet und rekonstruiert die unterschiedlichen Phasen auf der Grundlage unterschiedlicher Primärquellen. Hier gibt es auch eine längeres Interview mit ihr zu dem Buch (auf Deutsch):

Sicherlich purer Zufall, dass hier steht, dass die NATO beschließt, wer bei mir Mitglied werden „soll“ und nicht etwa, dass Länder ein Beitrittsgesuch stellen und die NATO dann darüber entscheidet - wie es eben in der Realität war und ist.
De facto bedeutete der Beschluss beim NATO-Gipfel in Bukarest 2008, dass sich (u. a.) die USA mit ihrem Wunsch, Georgiens Beitrittswunsch anzunehmen, nicht durchsetzen konnte, weil (vor allem) Deutschland und Frankreich dagegen waren. Beschlossen wurde letztlich eine Kompromissformel, die - wie wir heute alle wissen, aber auch damals schon vielen klar war - das Papier nicht wert war, auf dem sie stand. Der Vorschlag dazu kam von Merkel. Und am nächsten Tag wurde Putin nach Bukarest eingeladen und nahm erstmal an einem NATO-Gipfel teil. Was für eine krasse Eskalation seitens der NATO!!! Die „friedensstiftende“ Reaktion Russland erfolgte dann wenige Monate später in Form der militärischen Besetzung von Teilen Georgiens durch Russland.

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Schön, dass wir beide uns zumindest in dieser Hör- und Leseempfehlung einig sind! Das Gespräch ist ein wirklich schönes Beispiel einer erkenntnissuchenden und zivilisierten Streit- bzw. Diskussionskultur! :slight_smile:

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Die „Kritikwürdigkeit“ zu vergleichen ist schwer. Aber das Problem an (1) ist, dass es über eine oberflächliche ethisch/moralische Bewertung nicht hinausgeht. Klar, Angriffkrieg ist unzulässig und eigentlich müssen die Grenzen von 2014 wiederhergestellt werden. Aber an diesem Punkt muss man sich ja fragen, wie sich dieses Ziel erreichen lässt und darf dabei nicht vergessen, dass manchmal das Ziel nicht die Mittel heiligt.

Wenn man also an einem Ziel festhält, muss man auch darlegen, wie es sich erreichen lässt, wenn nicht zu erwarten ist, dass es sich von allein einstellt. Und hier hört es dann bei der Fraktion (1) auf. Es gibt ja durchaus einen Konflikt: Waffenlieferungen alleine scheinen nicht zu reichen, aber selbst eingreifen will man nicht. Es entsteht ein Limbozustand, in dem täglich tausende Menschen sterben. Die Fraktion (1) müsste jetzt eigentlich ein Lösungsangebot für diesen Konflikt präsentieren. Das bleibt aber aus. Kritik an diesem Ausbleiben einer Antwort auf den o. g. Konflikt hört man nur selten, da viele Leitmedien der Fraktion (1) angehören.

In diese Kerbe schlägt nun das BSW (und auch die AfD), da beide ein gutes Gespür dafür haben, wann es sich lohnt, sich gegen den „Mainstream“ zu stellen. Beiden Parteien ist natürlich völlig klar, dass ihre Meinung niemanden interessiert. Der Ausgang des Krieges in der Ukraine liegt nicht in deutschen Händen - auch wenn das manchmal suggeriert wird. Daher nutzen sie die Thematik einfach, um sich als Anti-Mainstrem zu präsentieren und sind nur deshalb erfolgreich, weil die Mainstreammeinung tatsächlich Unzulänglichkeiten aufweist, die gerne verschwiegen werden.

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So einfach ist es dann doch nicht.

Eingeschränkte Waffenlieferungen mit Vorgaben, dass die Ukraine diese Waffen nicht effektiv gegen Russland nutzen darf, scheinen alleine nicht zu reichen.

Es ist doch genau das Problem:
Der Westen liefert der Ukraine seit Beginn des Krieges immer nur das aller nötigste, damit die Ukraine den Krieg nicht verliert. Erst wurden nur reine Defensivwaffen geliefert, dann die ewige Diskussion über Kampfpanzer, dann die ewige Diskussion über Kampfflugzeuge, dann die ewige Diskussion über weit-reichende Raketen, dann die ewige Diskussion, ob diese auch gegen Ziele in Russland eingesetzt werden dürfen…

Also es ist bei weitem nicht so, dass man sagen könnte: „Waffenlieferungen reichen nicht, aktiv eingreifen will man nicht“, denn „Waffenlieferungen“ ist mehr als ein binäres 0 oder 1… hätten wir von Tag 1 einfach mal alles geliefert und die Ausbildung von Panzer- und Kampfjet-Besatzungen eingeleitet, würde die Situation ganz anders aussehen. Es ist gerade diese Tatsache, dass der Westen immer nur das nötigste geliefert hat, die zu diesem „Limbozustand“ geführt hat, zu diesem „Abnutzungskrieg“.

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Das glaube ich nicht. Im Gegenteil haben alle Ausweitungen der Erlaubnisse und Lieferungen keine Änderungen am Frontverlauf nachsichgezogen. Du offenbarst genau das Problem, dass sich ein gewisses Meinungslager aktuell immer nur tiefer in die eigene Argumentation zurückzieht, anstatt sich selbst zu kritisieren. Beispiel hier: Meinung: Waffenlieferungen werden zum Sieg der Ukraine führen. Realität: stimmt nicht. Konsequenz: Noch mehr/anderer/schnellere Waffenlieferungen.

Das Muster besteht also darin, dass man bei Fehlschlag der eigenen Argumenation den Fehlschlag immer daran begründet, dass der Argumenation nicht extensiv genug gefolgt wurde. Bei Corona war das genauso. Als die Lockdowns nicht die gewünschten Wirkungen zeigte, war die einzuge Erkenntnis, die man zuließ, dass die Lockdowns eben nicht drastisch genug waren. Ich finde das absurd. So bohrt man sich argumentativ in ein Loch. Die Medien müssen schnell aus diesem Muster raus, sonst treiben sie die Populisten

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Ich finde die Argumentation nicht schlüssig. Natürlich muss man, nachdem man ein Ziel formuliert hat, sich auch darüber Gedanken machen, wie dieses erreicht werden kann. Aber das gilt ja für alle möglichen Ziele, also auch für alle drei hier beschriebenen Positionen (1-3). Das allein sagt aber über das Ziel an sich nichts aus. Mit welcher Begründung bewertest du denn (1) als ausschließlich ethisch-moralisch und was ist daran oberflächlich? Das Ziel ist ja zum rechtlich definiert (auch wenn du das m. E. mit dem Wort „eigentlich“ etwas abtust) und zum anderen ein strategisches sowie ein immanent politisches.

Dass Argument, dass Waffenlieferungen allein nicht reichen, sondern dass es notwendiger Weise eines Einsatzes von Truppen aus unterstützenden (NATO-)Ländern bräuchte, um Ziel (1) tatsächlich zu erreichen ist nach meiner Wahrnehmung vor allem ein Talking Point von Wagenknecht & Co., also von Position 3. Das Argument ist aber aus meiner Sicht inkonsistent, weil es den status quo zur Grundlage für die Forderungen von Position (1) macht. Das würde aber nur Sinn ergeben, wenn Position (1) die bisherige Ukrainepolitik bestimmt hätte - heißt konkret: wenn die Ukraine wirklich die Unterstützung bekommen hätte, die sie benötigt, ud zwar rechtzeitig. Die Realität sieht aber anders aus: Gerade Deutschland ist ja ein gutes Beispiel dafür, dass der Diskurs eben nicht nur aus Position (1) besteht, sondern auch Position (3) sehr stark ist und Position (2) - zu der aus meiner Sicht eindeutig auch Scholz und die SPD zu zählen ist - dadurch definiert ist, einen Kompromiss zwischen (1) und (2) herzustellen. Das hat u. a. zu sehr zähen Entscheidungsprozessen bei der Lieferung einzelner Waffensystem geführt und dazu, dass die Ukraine diese erst mit sehr viel Verzögerung und teilweise gar nicht erhalten hat. Und damit will ich nicht sagen, dass einige dieser Systeme an sich ein „Gamechanger“ gewesen wären (auch das ist m. E. eher ein Talking Point von (3), sondern dass es z. B. strategisch einen riesigen Unterschied gemacht hätte, wenn die Ukraine bestimmte Waffensystem schon bei ihrer Gegenoffensive im Herbst 2022 zur Verfügung gehabt hätten und nicht erst, nachdem die russische Armee ein halbes Jahr Zeit hatte, sich buchstäblich einzugraben.
Das ist jetzt nur ein Beispiel. Insgesamt ist der Unterschied zwischen dem, was (1) fordert und dem, was tatsächlich passiert ist, enorm. Ein zweiter Effekt ist, dass bis heute niemand weiß, was eigentlich genau das Ziel von (2) ist. Das geht nicht nur mir persönlich so. Auch die Diskussion hier im Thread hat gezeigt, dass die Position sehr unterschiedlich verstanden werden kann. Und auch Experten (wie Carlo Masala) sagen immer wieder, dass sie bis heute nicht verstanden haben, was genau eigentlich das Ziel der Bundesregierung ist. Dieselbe Kritik kommt übrigens auch von Position (3).
Um es zuzuspitzen: Position (1) und Position (3) müssen sagen, wie ihr jeweiligen Ziel erreicht werden soll. Da sehe ich bei (3) die größeren Defizite. Bei Position (2) ist aber noch nicht mal klar, was eigentlich genau das Ziel ist. Die Position ist lediglich grob definiert als Zwischenposition zwischen (1) und (3). Und genau darauf geht der von dir zurecht beschriebene „Limbozustand“ zurück - nicht darauf, dass die Forderungen von (1) nicht weit genug gingen.

Du proklamierst hier, dass deine Sichtweise korrekt wäre, obwohl es dafür ebenso wenig Evidenz gibt wie für die Gegenansicht.

Fakt ist: Wie viel man wie schnell liefert hat einen Einfluss darauf, wie effektiv eine Maßnahme ist.
Fakt ist auch: „Too little too late“ ist grundsätzlich nicht effizient.
Fakt ist auch: Eine militärische Überlegenheit an Masse (Soldaten, Ausrüstung) kann durch Qualität zumindest teilweise kompensiert werden, gerade für die verteidigende Seite.

Natürlich kann man darüber streiten, ob mehr und schnellere Waffenlieferungen den Kriegsverlauf maßgeblich positiv beeinflusst hätten, dass sie einen Einfluss gehabt hätten, kann man hingegen nicht bestreiten. Und man kann nicht darüber streiten, dass zu wenig, zu späte Waffenlieferungen jedenfalls keinen positiven Einfluss hatten.

Der Vergleich zu Corona passt hier auch einfach nicht, eben weil „Waffenlieferungen“ in jedem Fall einen Einfluss auf das Kräfteverhältnis in einem militärischen Konflikt haben, während man darüber streiten kann, welche Maßnahmen einen Einfluss auf ein Pandemiegeschehen haben. Letzteres ist einfach wesentlich „komplexer“.

Wir vertreten hier einfach diametral entgegengesetzte Meinungen, wenn du die Position vertrittst: „Egal, was man wie schnell der Ukraine geliefert hätte, die Ukraine würde sowieso verlieren“. Und das ist im Kern die Position, die du hier vertrittst - und die teile ich eindeutig nicht.

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Das wäre tatsächlich mal die entscheidende Frage:

Wenn man zum Schluss kommt, die Waffenlieferungen des Westens hatten keinen gewünschten Effekt (was war eigentlich genau gewünscht?), und die Schlussfolgerung ist nun man stellt seitens des Westens die Waffenlieferungen komplett ein, was wäre dann der Effekt?

Spricht irgendwie niemand klar aus…

Erstens ist es - nach allem was ich von einschlägigen Militärexperten weiß, ist es nicht besonders sinnvoll, militärische Kräfteverhältnisse ausschließlich aufgrund von Veränderungen des Frontverlaufs zu analysieren. Zweitens widerspricht das ja überhaupt nicht dem Argument von Daniel und mir, dass man das, was tatsächlich passiert ist, nicht an Forderungen messen kann, die niemals umgesetzt wurden.

Deinen Hinweis, dass es grundsätzlich wichtig ist, die eigenen Prämissen und Erwartungen zu hinterfragen, finde ich gut und richtig. Ich würde auch inzwischen sagen, dass bei Corona viele Ewartungen überzogen waren - zum Beispiel die Erwartung, das Virus komplett eliminieren zu können - und bin genau deshalb auch für eine umfassende Aufarbeitung der Pandemiepolitik. Aber darüber hinaus sind beide „Fälle“ m. E. nicht wirklich gut vergleichbar.
Bezogen auf poliitsche Strategien zum Ukrainekrieg gilt das dann aber eben auch wieder für alle drei Positionen, nicht nur für (1). Und wie gesagt geht es bei Weitem nicht nur um die Rückeroberung von Gebieten, sondern zum Beispiel auch darum, wie wirksam Raketen abgeschossen werden können, die auf zivile Ziele in ukrainschen Städten abgefeuert werden - und da bringt jedes einzelne gelieferte Luftverteidigungssystem einen zählbaren Fortschritt. Und da wäre dann z. B. meine Frage an Vertreter von (3) warum sie auch das mit ihrer Forderung nach einem Ende jeglicher Waffenlieferungen kategorisch ausschließen.

Auch hier verstehe ich deinen Impuls, das kann allerdings auch schnell zu einer Worthülse werden („Wenn XY nicht passiert, stärkt das die Populisten“). Ja, wenn z. B. Scholz Ziele formuliert („whatever it takes for as long as it takes“), aber seine Politik dann einer ganz anderen Strategie folgt („too little too late“), erzeugt das Widersprüche, Enttäuschung und Frust. Aber auch das wäre aus meiner Sicht eher eine Kritik, die sich gegen (2) richtet als gegen (1).

Ja, das will ich nich bestreiten. Die Diskussion bringt ja auch nichts, weil keiner weiß was gewesen wäre, wenn. Es geht mit eher um das Meta-Phänomen, dass Meinungen/Argumentationen, die sich als herrschend herausstellen - sicher oft im zurecht - trotz Änderung der Faktenlage nicht ausreichend selbst kritisieren. Im Podcast gab es ja gerade dieses Interview, in dem der Erfolg der Populisten besprichen wurde, und ich meine, dieses Muster kam da auch zur Sprache. Mir fällt das als medialer Beobachter schon stark auf, wie leicht man es den Populisten aktuell macht, indem man so gänzlich auf Selbstreflektion verzichtet.
Vielleicht ist das hier auch nicht der passende thread für diese Kritik. Wenn ihr lieber drüber diskutieren wollt, wo die Front jetzt läge, wenn die 40 statt 30 Marder und im April statt im Juni 2023 (oder wann auch immer) geliefert worden wären, dann bitte. Da möchte ich natürlich nicht mit langweiligen Metadiskussionen über mediale Argumentatiosnmuster ins Wort fallen :slight_smile:

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