Grundrechtsverwirkung - sinnvolle Maßnahme gegen Rechtsextreme in der AfD?

Es wird derzeit viel über ein mögliches AfD-Verbot diskutiert.
Dass diese Idee allerdings auch ihre Probleme mitbringt, ist klar.

Im Politikteil-Podcast der Zeit wurde daher von der ehemaligen Verfassungsrichterin Frau Lübbe-Wolf die Idee geäußert, einzelne Politiker der AfD könnten ihre Grundrechte verwirkt haben. Kann man die AfD verbieten? Sollte man sie verbieten? - Das Politikteil | Podcast on Spotify

Diese Maßnahme gegen Feinde der Demokratie sieht das Grundgesetz explizit vor. Ich zitiere Art. 18: „Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.“

Sollte man also konkret z.B. Höcke im Zuge einer dahingehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Teilnahme an Wahlen verbieten?

Ich würde mich freuen wenn Ulf und Philipp darüber diskutieren könnten.

Vielen Dank,
Timon

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Bernd Höcke finde ich persönlich brandgefährlich, er hat so viel Ähnlichkeit mit einem Mann, mit dem man Deutschland im Ausland noch mindestens 1.000 Jahre sehr schlecht in Verbindung bringen wird.
Ich sage nur, wehret den Anfängen. Was man konkret gegen ihn machen kann, kann ich nicht beurteilen. Dass man gegen so viel Hass und Volksverhetzung etwas tun sollte ist für mich glasklar mit einem aufrichtigen JA zu beantworten.
Eine Demokratie, die solche staatsfeindlichen Leute frei gewähren lässt, tut der Gesellschaft keinen Gefallen, sondern schürt den Hass nur noch.
Das gilt im Übrigen genauso für die Frauen von Storch und Weidel.

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Bernd? Ich dachte, das Meme hätte sich totgelaufen ^^

Zum Thema:
Die Grundrechtsverwirkung ist generelle ein sehr scharfes Schwert und man muss sich wirklich fragen, ob man dieses Schwert schwingen will. Es wäre ein historisches Novum und birgt natürlich auch Gefahren - auch wenn Dammbruchargumente generell schwierig sind ist es dennoch fraglich, ob wir dieses Instrument wirklich etablieren wollen. Hätte das BVerfG z.B. den Anträgen auf Grundrechtsverwirkung 1960 zugestimmt, wäre es durchaus denkbar, dass man dieses Mittel dann auch im Rahmen der Notstandsgesetze gegen die 68er eingesetzt hätte.

Im konkreten Fall wird man sich ähnlich wie beim letzten NPD-Verbotsverfahren, welches ja an der geringen Bedeutung der NPD gescheitert ist, auch fragen müssen, ob der Einsatz einer so scharfen Maßnahme für Fälle wie Höcke wirklich notwendig ist, also sehen wir wirklich die realistische Gefahr, dass Höckes Kampf gegen die FDGO auch nur im Ansatz erfolgreich sein könnte?

Also in den (gescheiterten) Anträgen gegen Nazis 1960 und 1972 wurde von der Bundesregierung auch versucht, den Betroffenen das Wahlrecht abzuerkennen. 1960 ging man sogar so weit, dem Betroffenen nicht nur das passive Wahlrecht (also die Wählbarkeit) entziehen zu wollen, sondern sogar das aktive Wahlrecht. 1972 war man da etwas vernünftiger und hat es auf das passive Wahlrecht begrenzt, was auch Sinn macht.

Bei Höcke würde man wohl auch nur das passive Wahlrecht, also das Recht, sich selbst wählen zu lassen, angreifen. Der Entzug des aktiven Wahlrechts ist einfach nicht logisch zu erklären, selbstverständlich hat auch der übelste Neonazi das Recht, zu wählen, davon geht bei ihm schließlich keine größere Gefahr aus als von jedem anderen rechtsextrem-wählenden Bürger auch…

Generell haben wir es - gerade was die Frage nach der Notwendigkeit betrifft - wieder mit dem typischen Prophylaxe-Paradoxon zu tun. Wenn wir Höcke jetzt die Grundrechte entziehen erscheint es u.U. übertrieben, aber wenn wir zu lange warten ist es u.U. nicht mehr möglich. Den richtigen Zeitpunkt für diesen Schritt zu wählen ist daher von enormer Bedeutung.

Gegen die Grundrechtsverwirkung spricht zudem, dass wir Höcke damit zum politischen Märtyrer machen und die AfD natürlich sagen wird „sie konnten uns politisch nicht besiegen, deshalb mussten sie unsere Spitzenkandidaten verbieten!“.

Ich hoffe einfach, dass es nicht dazu kommen muss, dass wir tatsächlich eine Grundrechtsverwirkung aussprechen müssen. Denn faktisch würde die Notwendigkeit einer Grundrechtsverwirkung bedeuten, dass unsere Demokratie auf tönernen Füßen steht. Eine Grundrechtsverwirkung darf daher nur das letzte Mittel sein, wenn alles andere versagt.

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AfD-Verbot? Nein danke …
Wir haben es doch schon beim Verbotsversuch der NPD erlebt und sollten lernen: das dauert „unendlich“ lange und der Ausgang ist sehr ungewiss. Darauf kann man doch nicht bauen und unsere Kräfte „verschwenden“. Neben den notwendigen gesellschaftlichen Änderungen - und bitte nicht nur den Parteien überlassen - gibt es einen „einfachen“ und gangbaren und schnelleren Weg: die „Grundrechtsverwirkung“ nach §18 Grundgesetz. Man verliert damit das Recht, sich auf diese Grundrechte zu berufen; man verliert das Recht auf politische Aktivität. Und das lässt sich bei einzelnen Personen viel „einfacher“ nachweisen bzw. begründen und wird damit auch viel schneller wirksam. Das Bundesverfassungsgericht kann Björn Höcke für eine bestimmte Zeit das Recht entziehen, sich ins Parlament wählen zu lassen. Das könnte das politische Aus bedeuten für den derzeitigen Fraktionsvorsitzenden der AfD in Erfurt. Warum traut sich niemand?

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Grundrechtsverwirkung ist laut Herrn Möllers kaum denkbar ohne vorherige strafrechtliche Verurteilung. Interview Christoph Möllers (Carolin Emcke)

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Dass ich Bedenken „provozieren“ würde, war mir klar, aber so schnell???
Lasst uns doch lieber nach Möglichkeiten suchen, diese dann auch finden und anwenden!
Leseempfehlung für eine differenzierte Betrachtung für die Juristen unter uns: Wehrhafte Demokratie – Verfassungsblog

Tja, zufällig gerade das Interview gehört. :wink:
Ich denke, ein Verbotsverfahren wäre aktuell aussichtsreicher.

Liebes Lage-Team,
wie so oft, fand ich auch die aktuelle Folge gut und informativ. Sandra Schulz hat ihre Rolle super ausgefüllt und ihr habt klasse harmoniert.

Zum Thema „AFD“ habe ich eine Anmerkung:
Ulf Buermeyer hat beim Thema „Parteiverbotsverfahren“ ein Zeit-Online Interview mit der ehem. Verfassungsrichterin Frau Lübbe-Wolf angeführt. Dieses Interview habe ich auch vor einiger Zeit gehört (sehr empfehlenswert!). In diesem Interview hat Sie neben unterschiedlichen Formen von Parteiverboten auch die verfassungsrechtliche Möglichkeit der Einschränkung von Grundrechten für Einzelpersonen erklärt. Diese weitgehenden Einschränkungen können wohl ausschließlich vom Bundesverfassungsgericht verfügt werden und beispielsweise die Redefreiheit oder die Freiheit einer Partei anzugehören einschränken. Diese Form der rechtlichen Bekämpfung rechtsextremer Tendenzen finde ich deutlich interessanter als ein Parteiverbotsverfahren. Denn ein Verbot der AFD halte ich für gesellschaftlich höchst riskant aufgrund der hohen Umfragewerte. Die Bekämpfung der AFD als Partei gelingt nur politisch und mit Strukturverbesserungen (Bildung, Wirtschaft, Verkehr, Sicherheit) ganzer Regionen.
Eine Identifikationsfigur wie B. Höcke jedoch mit den Instrumenten eines Rechtsstaats zu bekämpfen halte ich für zwingend wichtig. Dieser Mensch und einige seiner AnhängerInnen sind brandgefährlich für ein freiheitlich demokratisches Deutschland und Europa und haben ihre Bestrebungen schon oft genug unter Beweis gestellt.

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Vor einer Diskussion über die Verwirkung von Grundrechten kann man nur warnen: Sie würde enorme Ressourcen binden, aber den Aufstieg des Neo-Faschismus in Deutschland nicht bremsen.

Jedes einzelne Verfahren müsste einzeln vor dem BVerfG angestrengt werden - und es würde nur eine Person daran hindern, bestimmte Grundrechte wahrzunehmen. Aber was heißt das dann konkret? Beispiel Meinungsfreiheit: Darf sich die Person dann gar nicht mehr äußern? Wäre das dann eine Art Schweigegebot in der Öffentlichkeit? Es fehlt dazu an jeder gesetzlichen Konkretisierung, was die Verwirkung in der Praxis bedeuten soll.

Außerdem sind alle Demagogen ersetzbar. Klar, wenn Höcke und Weidel tatsächlich wegfallen würden, schwächt das die AfD kurzfristig, aber es werden sich neue, vielleicht noch radikalere Hetzer finden, und die alten werden zu Märtyrern.

Nein, der Art. 18 GG ist aus guten Gründen totes Recht. Wir sollten alle Kraft auf zwei Felder konzentrieren:

  • AfD bekämpfen, auch mit einem Parteiverbotsverfahren, zumindest in SN, ST, TH
  • Bewusstsein für die Demokratie stärken - auch dadurch, dass wir deutlich machen, welche Positionen wir im demokratischen Diskurs nicht akzeptieren.
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Ich stimme grundsätzlich zu und kann die Punkte gut nachvollziehen.

Ich habe einfach die große Sorge, dass die einzelnen BürgerInnen, die wehrhafte Demokratie verstehen und leben sollen, dann doch in der schweigenden Mehrheit stumm bleiben. Bei einem Blick in die Zukunft der nächsten 20 Jahre brauche ich nicht viel Fantasie, um genug gesellschaftlichen Sprengstoff zu finden, der rechtsextreme Bewegungen fördert oder sogar in Regierungsverantwortung bringt:

  • Flucht (Klima und Krieg als Ursachen)
  • Süßwassermangel - auch in Deutschland
  • Missstände in der Pflege und Altersarmut durch den demografischen Wandel
  • etc.

Ich glaube, dass das WählerInnenpotenzial für die AFD/rechtsextreme Parteien in ganz Deutschland zu finden ist und die „neuen“ Bundesländer aufgrund benannter Strukturschwächen derzeit nur die Vorboten sind. 30% sind auch bundesweit unter bestimmten Voraussetzungen denkbar.

Ob nun rechtliche Maßnahmen gegen Einzelne, Gruppen oder ganze Parteien die Lösung sind ist sicherlich diskutierbar. Wichtig jedoch ist, dass der Rechtsstaat die juristischen Instrumente, die er zur Verfügung hat, auch effektiv und zeitgerecht nutzt. Der Staat muss in der Lage sein Signale zu senden, die für Demokratiefeinde eine Warnung und für die schweigende Mehrheit vertrauensstiftend sind. Das damit nur die Symptome bekämpft werden ist völlig klar. Die Ursachen für (Rechts-)Extremismus werden u.a. in Ihrem aktuellen Buch ja dezidiert beleuchtet - nämlich so ziemlich alles was Wohlstand und Bildung gefährdet.

Danke für den Austausch.

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Ich freue mich, dass du das so verstanden hast. Genauso ist unser Buch nämlich gemeint: ein antifaschistisches Buch, ohne dass wir das Thema Rechtsextremismus explizit überhaupt erwähnen. Die beste Bekämpfung des Rechtsextremismus besteht immer noch darin, die realen Sorgen und Nöte der Menschen zu erkennen und Lösungen zu finden. Nein, Migration ist keine berechtigte Sorge, sondern Projektionsfläche für ganz andere Probleme - aber diese müssen wir angehen. Genau über diese Probleme, die wir lösen müssen, weil sie den Menschen Angst machen, über die aber viel zu wenig gesprochen wird, haben wir unser Buch geschrieben.

Ich fürchte nämlich, dass wir uns die gesamte politische Bildung schenken können, wenn wir es nicht schaffen, unseren Staat so zu finanzieren, dass die Menschen wenigstens ein Mindestmaß an Geborgenheit und „Service“ (Bahn, Digitalisierung) empfinden.

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Höcke als Ministerpräsident von Thüringen wäre so ein Szenario das es zu verhindern gilt.
Ohne ein Verbotsverfahren oder andere rechtsstaatliche Mittel müsste die Themenauswahl anders gewichtet werden. Leider wird die CDU bei der Themenauswahl wieder versuchen auf den rechten Zug aufzuspringen. Von daher wäre eine entsprechende Nachhilfe bei den Parteien und ihren Mitgliedern wichtig welche Themen dem rechten Rand nützten, damit diese Themen nicht aufgegriffen werden.

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Ich habe lange drüber nachgedacht, aber: Nein, ich will es nicht glauben, dass ein Volljurist und Hüter unserer Gesetze einen Grundgesetzartikel für „tot“ erklärt. (Die guten Gründe kann ich nicht erkennen.) Es wurde doch in der LdN361 hinlänglich erklärt, wie schwer und kaum durchführbar ein Verbot der AfD sein wird. Und das lassen wir so stehen, ohne nach Alternativen zu schauen?

Nur über Artikel 18 GG ließe sich noch ein Mehrheitsführer Höcke in Thüringen verhindern. Die Voraussetzungen sind doch gegeben. Wo bleibt die Anklage? Statt dessen „verschwenden“ wir Ressourcen für einen Antrag auf Verbot der gesamten Partei, der Jahre / Jahrzehnte dauern wird. (Vgl. LdN361)

Totes Recht ist eine objektive Beschreibung für den Umstand, dass der Artikel seit Inkrafttreten des Grundgesetzes nie mit Leben gefüllt wurde. Er war einfach nie relevant, daher quasi „tot“.

Totes Recht ist in diesem Sinne Recht, welches lange Zeit besteht, aber nie angewandt wird, weil es offenbar in der Vergangenheit nie nötig war. Das kann sich natürlich nun ändern, der Artikel kann nun mit Leben gefüllt werden, wenn man das will, aber es sprechen gute Gründe dafür, das nicht zu tun, weil die Nachteile - gerade im Hinblick auf die Freiheitsrechte insgesamt - die Vorteile deutlich überwiegen könnten.

Insofern vertrete ich auch die Meinung, dass Art. 18 GG aus gutem Grund „tot“ in dem Sinne ist, dass er nie angewandt wurde - und auch tot bleiben sollte.

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Was wäre denn eine konkrete Konsequenz, wenn das Gesetz mal angewandt würde?

In unserem Szenario hier würde es ja erst einmal nur Höcke treffen, der per Gericht bestätigt als Faschist bezeichnet werden darf. Wenn sich das BVerfG auf solche Urteile des VS usw stützt, dann hätte andere Bürgerinnen und Bürger doch nichts zu befürchten?

Und warum ist es ein schlechtes Argument, wenn sich wer strafbar gemacht hat und deshalb 5 Jahre nicht in politische Ämter darf, aber Volksverhetzung von Höcke nehmen wir einfach so hin ohne rechtliche Konsequenzen für ihn?

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Ich halte daran fest: es ist einfacher, gegen einzelne Personen belastendes Material zusammenzustellen und erfolgreich Art. 18 GG anzuwenden, als ein Parteiverbotsverfahren über Jahre mit einer Sammlung von tausenden von Seiten „allgemeiner und unspezifischer“ Aussagen „der Partei oder ihrer Vertreter“ erfolgreich zu bestreiten. Die „belastenden“ persönlichen Aussagen sind klar und eindeutig einzelnen Personen zuzuordnen. Die Beweisführung in meinen Augen viel einfacher, weil konkreter zu führen. Dazu braucht man auch keine V-Leute, alles öffentlich zugänglich.

Ich vermisse ehrliche und offene Argumente gegen die praktische Anwendung von Art. 18 GG.

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Ja so kann man auch argumentieren, war für mich aus der Formulierung nicht klar erkennbar.
Es wurde schon versucht ihn anzuwenden, aber leider nicht erfolgreich - warum auch immer.

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Mit Widerstand gegen die Neonazis und ihrem Ausschluss von der Wählbarkeit

Jetzt mit 75 Jahren Grundgesetzt muss unsere Demokratie die stärksten Angriffe abwehren. Und dazu liegen die Möglichkeiten in unserer Verfassung bereit und müssen endlich auch genutzt werden. Aber für ein Parteiverbot vor den Wahlen 2024 ist es jetzt einfach zu spät. In diesem Fall bin ich desillusioniert und schwer enttäuscht. Aber es gibt doch Hoffnung: einzelnen (führenden) Mitgliedern das aktive und das passive Wahlrecht zu entziehen sowie die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden (nach Artikel 18 GG). Man nimmt damit der Partei die entscheidenden Spitzen und schwächt sie zumindest, besser als nichts.

Jurist und Journalist Prof. Dr. Heribert Prantl beschreibt sehr eindringlich in seiner Kolumne vom 28.12.2023 „Demokratische Mobilmachung“ in der SZ (Kolumne von Heribert Prantl: Demokratische Mobilmachung - Meinung - SZ.de) was zu tun ist. Ich kann diesen Artikel nur sehr empfehlen, aber leider auch kostenpflichtig. Von totem Recht keine Spur …

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Dass man versuchen könnte, Art. 18 GG anzuwenden, bezweifelt glaube ich niemand. Wenn Ulf Art. 18 „aus guten Gründen“ als „totes Recht“ bezeichnet meint er damit wohl, dass es eben gute Gründe dafür gibt, warum er in der Vergangenheit nicht (erfolgreich) angewandt wurde und dass diese guten Gründe auch heute noch Gültigkeit haben, sodass es besser wäre, wenn Art. 18 GG totes Recht bliebe.

Ob man diese Position vertritt hängt mMn davon ab, wie dramatisch man die aktuelle Situation bewertet. Art. 18 GG ist im Prinzip das „letzte Mittel“ im Waffenschrank des Staates (nur Bundesregierung, Landesregierungen und der Bundestag sind Antragsbefugt!), also das Mittel, das man rausholt, wenn alles andere scheitert.

Man kann im Hinblick darauf, dass mit der AfD erstmals eine zumindest in Teilen rechtsextreme Partei in Reichweite ist, stärkste Partei zu werden, natürlich argumentieren, dass nun dieser Punkt gekommen ist. Aber es spricht vieles dafür, dass andere Verfahren sinnvoller sind.

Die Verfahren werden dennoch ähnlich lange dauern, möglicherweise ist die Schwelle sogar höher. Man muss hier bedenken, dass wir mit der Grundrechteverwirkung extrem tief in die Rechte eines Menschen eingreifen, man könnte argumentieren, sogar stärker als mit einer Haftstrafe. Die Verfahren müssen daher auch wasserdicht sein, die Tatsache alleine, dass einzig das BVerfG nach Antrag von Bundestag/Bundesreigerung/Landesregierung überhaupt eine Entscheidung fällen kann zeigt schon, dass diese Verfahren alles andere als einfach sind.

Meinetwegen sind die Verfahren nur halb so komplex, aber dafür bringen sie auch nur einen winzigen Bruchteil dessen, was ein Parteiverbot bringen könnte.

Ich fürchte, realistisch betrachtet passiert das Gegenteil. Die AfD würde jede Grundrechtsverwirkung eines ihrer Spitzenpolitiker mit dem Wahlausschluss von Oppositionellen in Russland oder anderen Autokratien vergleichen und die Partei würde möglicherweise von der Märtyrerrolle eher profitieren, als dass es ihr schaden würde. Die Festungshaft hat Hitlers Ansehen in der Bevölkerung übrigens auch nicht geschadet, sondern eher geholfen…

Weniger juristisch formuliert könnte ich mir vorstellen, dass auch das BverfG zu dem Schluss kommen würden, dass das Erstarken der AfD in der schlechten Kommunikation und Politik der etablierten Parteien liegt. Die AfD kann ja für deren Versagen nichts, folglich sollte sie auch nicht darunter leiden, dass die aktuelle Politik einfach die Menschen nicht erreicht. Dann muss eben konstruktiver Politik gemacht werden und weniger Streit untereinander stattfinden.
Das BverfG muss eben das mildeste Mittel wählen. Und das sehe ich bei besserer Politik der etablierten Parteien und nicht bei einem Verbot der AfD.

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