Gibt es Chancengleichheit in Deutschland?

Das ist nicht der erste Thread zu diesem Thema.

Ein gutes Beispiel für das was ich eben meinte: Du findest vermutlich, dass das eine total sachliche Aussage ist - wohingegen ich sie ziemlich emotional finde. Im Unterschied dazu fand ich meine Kritik an der Infragestellung von Chancengleichheit als Ziel in diesem Thread durchaus sachlich - nur wurde darauf eben nicht mit Argumenten reagieret (etwa „das hast du falsch verstanden“ oder „deine Schlussfolgerung stimmt nich“), sondern vor allem mit persönlichen Vorwürfen - u. a. mit dem der Emotionalisierung.
Im Übrigen gilt für Deinen Post genau dasselbe, was du diesem Thread attestierst: Ein Argumentieren alleine aufgrund unbelegter persönlicher Einschätzungen, Wahrnehmungen und Wertungen, ohne Bezug auf irgendwelche Studien oder Daten. Was genau soll uns das sagen? :wink:

Zugegeben, das Beispiel kam aus der Hüfte und ist unrund.

Meine Intention war nur festzustellen, das es durchaus auch Menschen gibt, die mehr Chancengleichheit für nicht erstrebenswert halten aus evt persönlichen Motiven, und daher eher konträr dazu agieren

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Schade, dass Du Frage nur mit Gegenfrage beantwortest.

Ich halte es nicht für sinnvoll ein Ziel von 100% anzustreben, da es IMHO schlichtweg völlig unrealistisch ist. Wir können uns aber vielleicht darauf verständigen, dass Deutschland mittelfristig unter die TOP20 und langfristig -entsprechend seiner Wirtschaftskraft- unter die TOP10 kommen sollte.

Ich kenne aber auch keinen Index, der dies mal ein wenig differenzierter betrachtet, welche direkten und indirekten Einflussfaktoren da alles eine Rolle spielen. Einfach nur Unmengen an Geld wo drauf zu schütten und dann regelt es sich schon … glaube ich nicht dran.

Haken dran, liegt sicherlich nahe. Aber auch da sehe in in meiner anekdotischen Evidenz viele Fälle, die die vorhandenen Angebote gar nicht nutzen. Es wird -egal wieviel Geld Du drauf schüttest- immer auch von der Erziehung, Bildung und Intelligenz der Eltern abhängen. Wie willst Du das auflösen?

Ich habe ja nicht gesagt, dass man unbedingt versuchen soll, die 100 % zu erreichen, sondern dass man so nah wie möglich daran herankommen sollte. Wir können uns aber wie gesagt auch gerne drauf einigen, das da wesentlich mehr passieren könnte und auch sollte.

Auch dass es vor allem darum gehen würde, Geld zu verteilen, habe ich nicht gesagt. Wenn wir mal als Beispiel mal das Bildungssystem nehmen: Die von Dir genannten Kriterien Erziehung und Bildung sind ja nicht naturgegeben, sondern eben durch entsprechende Politik gestaltbar. Da gibt es auf der einen Seite ganze Regalmeter voller Studien darüber, wie und warum soziale Ungleichheiten durch das Bildungssystem nicht ausgeglichen, sondern zum Teil sogar verstärkt werden - samt Vorschlägen, wie man das ändern könnte. Deren Umsetzung kostet natürlich auch Geld - für Personal, für dessen Qualifikation, für Infrastruktur etc. - aber die Ausgaben sind natürlich kein Selbstzweck.

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Ich habe noch mal ein wenig nach Untersuchungen zum Thema gesucht und bin auf den sehr spannenden IFO Bericht Ein Herz für Kinder gestoßen.

Learnings daraus:

  • Die Wahrscheinlichkeit ans Gymnasium zu gehen (als quasi-Voraussetzung für die spätere Hochschulreife) korreliert sehr stark mit der Frage, wieviele Eltern am Gynasium waren.

  • Die Korrelation mit dem Einkommen der Eltern (als wichtiger Faktor bzw. Proxy für den sozioökonomischen Status einer Familie) ist zwar auch deutlich, aber doch wesentlich geringer als die Frage nach dem Abitur der Eltern

  • Migrationshintergrund der Eltern macht den Besuch eines Gymnasiums unwahrscheinlicher. Der Effekt ist aber wesentlich geringer als die Vorbildung der Eltern oder das Einkommen

  • Kind eines alleinerziehenden Elternteils zu sein ist ähnlich nachteilig wie aus einem Doppelmigrationshaushalt zu kommen

  • Kinder aus Haushalten mit Erwerbslosen sind am meisten benachteiligt

Anhand alternativer Kennzahlen und Datenquellen zeigt die Forschung deutlich, dass Chancenungleichheit im Bildungssystem in Deutschland allgegenwärtig ist. Dieses Auseinanderklaffen der Bildungschancen von sozioökonomisch begünstigten und benachteiligten Kindern lässt sich bereits in der frühkindlichen Bildung beobachten und setzt sich dann auf allen weiteren Bildungsstufen sowie außerschulischen Bereichen fort (vgl. Maaz 2020). Besonders problematisch daran ist, dass sich der Bildungsstand in den früheren Bildungsstufen auf den Erfolg in späteren Bildungsstufen auswirkt und sich Benachteiligungen somit über die Bildungslaufbahn aufsummieren (z.B. Cunha und Heckman 2007).

Die Probleme beginnen also schon in der frühkindlichen Bildung, denn so die Autoren, Kinder von Eltern mit Abitur haben eine 14% höhere Wahrscheinlichkeit die Kita zu besuchen und 12% höher bezogen auf den Migrationshintergrund. Der fehlende Kita-Besuch resultiere dann schon im jungen Alter von 3-7 in einem Gefälle der Sprachkompetenz. Besonders tragisch sei das, da fehlende Sprachkompetenz sich oftmals verfestige und dann auch in der Schullaufbahn die Startchancen verschlechtere.

Trotz Schulpflicht und gemeinsamer Beschulung lasse sich schon in der Grundschule ein unterschiedlicher Kompetenzerwerb im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich in Abhängigkeit des Bildungsstandes der Eltern feststellen. Die Autoren nennen hierfür aber keine Gründe.

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Letztlich findet sich auch die Beobachtung, dass Kinder aus bessergestellten Familien bei gleichen Leistungen 2,5x häufiger die Schullaufbahnempfehlung Gymnasium bekommen als solche aus schlechter gestellten Familien. Sie reihen noch weiter Zahlen aneinander. Eine Kausalität bleiben sie leider schuldig. Liegt es an der häuslichen Förderung/Forderung, an Überforderung von Eltern, an Vorbildern oder der Fähigkeit besser gestellter Familien den Lehrer verbal einzuschüchtern? Leider bleiben die Autoren hier sehr vage.

Sie schließen aber mit klaren Handlungsempfehlungen, die mir zwar vor allem Symptome zu bekämpfen scheinen. Aber das ist besser als nichts und daher absolut unterstützenswert. Und ehrlich gesagt kosten sie verglichen mit den Folgen schlechter Bildung auch nicht viel:

  1. Frühkindliche Bildungsangebote für benachteiligte Kinder ausbauen
  2. Familien benachteiligter Kinder bei der Erziehung unterstützen
  3. Die besten Lehrkräfte an Schulen mit vielen benachteiligten Kindern bringen
  4. Nachhilfeprogramme für benachteiligte Kinder früh und kostenfrei anbieten
  5. Aufteilung auf unterschiedliche weiterführende Schulen verschieben
  6. Mentoring-Programme für benachteiligte Kinder fördern

Viele dieser Ideen setzen wir in Deutschland bereits in Ansätzen um sind aber sicher noch nicht am Ende des Weges. Von daher würde ich den Befund fehlender Bildungsgerechtigkeit auch weiterhin zurückweisen, aber zugeben dass es in einem gewissen Maß Bildungsungerechtigkeit gibt. Diese ist aber erkannt und Maßnahmen sind eingeleitet. Sie lassen sich aber auch nicht von heute auf morgen umsetzen, vor allem wenn besonders kluge Menschen in einer Panikreaktion mehrfach monatelang die Schulen schließen und versäumen Schulen und Lehrer auf wirkungsvolles digitales Unterrichten vorzubereiten.

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Hier gehen wieder zwei Aspekte durcheinander. Das eine 1) ist die Verteilung der Jobs mit verschiedenen Qualifikations-/Vergütungsprofilen. Das andere 2) ist die Frage wie diese aus den verschiedenen Schichten besetzt werden.

Wie können Aspekt 1 völlig unberührt lassen und Aspekt 2 gerechter gestalten, in dem wir darauf verzichten (überspitzt formuliert), begabte Arbeiterkinder aus zu bremsen und dafür unbegabte Akademikerkinder am goldenen Nasenring die Karriereleiter hoch zu ziehen.

Bei Chancengleichheit müssten auch diese Arbeitskräfte den gesellschaftlichen Querschnitt durch alle Schichten abbilden.
Mir scheint fast, dass die Beharrungskräfte der Chanzenungerechtigkeit weniger darauf aus sind bestimmte Gruppen von der Karriere abzuhalten sondern viel mehr dass ihr eigener Nachwuchs nicht in Jobs gerät, an deren Stigmatisierung sie kräftig mitwirken.
Und vielleicht ertappe ich mich da auch selbst.

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Eine relative Betrachtung halte ich für wenig zielführend. Top20 werden wir auch, wenn es wo anders ungerechter wird. Im Gegenteil sollten wir versuchen in absoluten Werten gerechter zu werden und auch andere Länder auf diesem Weg zu unterstützen.

Wir könnten zunächst die low hanging fruits angehen. Nichts tun, weil die letzten 10% schwierig sind, ist sicherlich keine gute Option. Es gibt mutmaßlich andere Einflussfaktoren außer dem freiwilligen Verzicht auf die Nutzung chancengerechter Angebote.

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Sind die 2,5x häufiger auf alle Kinder mit vergleichbarer Leistung gerechnet oder nur auf die Untergruppe die sich gerade so an der Grenze zur Empfehlung bewegt?

Wenn es nur diese Untergruppe betrifft, dann glaube ich liegt das vorwiegend daran, dass Lehrer wohl oft auch dann Empfehlungen aussprechen wenn die Eltern vorher ohnehin klar gemacht haben, dass die Kinder mit oder ohne Empfehlung aufs Gymnasium geht, einfach um sich weitere Diskussionen oder gar Beschwerden bei der Schulleitung zu sparen.

Zu mehr Gerechtigkeit gehört in meinen Augen auch, dass man generell viele Tätigkeiten gesellschaftlich aufwertet (natürlich auch hinsichtlich Bezahlung). Dann würde vielleicht dieses Abitur um jeden Preis als Standard bei Akademikerkindern sich etwas abnehmen.

Hier gibt es meines Erachtens einen konservativen Teufelskreis.
Da sie die Menschen im Grunde für faul halten, brauchen sie ein starkes Gefälle, dass die Menschen stets zu mehr Leistung antreibt. Es muss also eine Kellertreppe abschreckender Tätigkeiten geben, die nur noch von der maximalen Stigmatisierung durch Arbeitslosigkeit unterboten werden.

Ich muss beim lesen der Diskussion an dieses Video denken:

https://youtu.be/4K5fbQ1-zps?feature=shared

Ja, ist in den USA, aber einige Fragen, die der Coach gestellt hat sind für die Chancengleichheit in Deutschland genauso relevant. Hat man whärend Corona auch gesehen. Die Kinder mit einem eigenen Zimmer und damit Ruhe zum lernen, einem eigenen Computer oder Zugang dazu, haben einen Vorteil. Bei Eltern, die Nachhilfe finanzieren können, haben die Kinder bei Schwächen einen Vorteil. Geld spielt eine Rolle. Die Netzwerke der Eltern spielen eine Rolle. Soziale Codes wie ich mich in welchem Rahmen verhalte, wie ich rede etc. spielt eine Rolle. Ob ich als Kind vorbelastet bin, weil meine alleinerziehende Mutter die Strom oder Gasrechnung nicht bezahlten kann, spielt eine Rolle weil es prägend ist. Wenn ich mein Studium komplett selbst finanzieren muss und Papa und Mama gar nichts beisteuern können, dann hat der, der sich nicht um Miete, Essensgeld etc. kümmern muss einen Vorteil. Zu Lehrern, die ausländischen Kindern automatisch eher die Hauptschule als eine höhere Schule empfehlen, gibt es doch mittlerweile auch zahlreiche Erhebungen. Mir fällt bei diesen ganzen Debatten immer wieder auf, dass die priveligierten Leute wirklich oft nicht sehen, was sie alles für Privilegien haben.

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Das ist ein tolles Video @Alba .

Schaut es euch an. Dauert nur gute 4 Minute.

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Dann möchte ich auch das Monopoly-Experiment noch mal in Erinnerung rufen.

Leider hat diese Studie ein ähnliches Problem wie viele in den letzten Jahren publizierte psychologische Studien: fehlende Replizierbarkeit (Quelle).

Man sollte die Ergebnisse deshalb mit Vorsicht genießen. Die Studienlage ist sehr viel weniger eindeutig, als dein Video vermuten lässt.

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Ja, definitiv. Das Experiment funktioniert deshalb, weil es gleichzeitig auch den Spieltrieb und das Belohnungszentrum ansprechen. Den anderen bankrott zu machen ist ja Spielziel und fühlt sich deshalb richtig an.
Das entscheidende ist aber gar nicht, ob der Reiche sich unsozial verhält. Das Entscheidende ist, dass er, obwohl er mit seinem Vorteil jede Spielrunde konfrontiert wird, dies ausblendet, wenn er für sich den Erfolg bewertet. Genauso ist es für Erfolgreiche im wahren Leben unangenehm, wenn sie damit konfrontiert werden, dass sie nicht alle ihrer Privilegien ihrem Fleiß und Hartnäckigkeit zu verdanken haben.

Du solltest ergänzen, dass dieses Verhalten bei allen Beteiligten gleich war, egal aus welcher sozialen Schicht sie kamen.

Wenn wir schon munter Videos teilen. Wenn ich Stories lese wie die von Mashood Khan, dann habe ich vor solchen Menschen höchsten Respekt !! Vielleicht sollten wir ihn mal fragen, was den Kids in seinem alten Wohnblock am besten helfen würde. Gelder für solche Programme / Sozialarbeiten bringen mMn viel mehr, als immer nur die Gießkanne für alle zu fordern.

Ja, auch das. Weiß nicht mehr in welchem Film das Zitat vorkam, aber es hat mir gefallen:
„Keiner will die Armen vom Stiefel der Unterdrückung befreien. Nein, jeder will der Stiefel sein.“

edit: laut Bing aus dem Film „Hügel der blutigen Stiefel“

Es ist schon ein bisschen lustig. In diesem Forum wird links und rechts wo immer möglich der Neoliberalismus gebasht. Aber dann wird die dicke fette Nebelkerze der Chancengleichheit nicht einmal als solche erkannt. Nicht mal dann, wenn der geduldige @faust euch mit der Nase drauf stößt.

Wer an den Verhältnissen von Armut und Reichtum grundsätzlich nichts auszusetzen hat, und lediglich an der dafür notwendigen moralischen Rechtfertigung bisschen feilen möchte, der wird mit Chancengleichheit tatsächlich glücklich. Wer hingegen mit Armut und Reichtum an sich ein Problem hat, der muss eben an deren gesellschaftliche Ursachen ran.

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