Einordnung Prozess zu Lina E

Lieber Ulf und Philip,

momentan wird dem Prozess von Lina E. auf Twitter und in den Medien viel Aufmerksamkeit geschenkt und sehr kontrovers diskutiert. Ich bin kein Jurist und kann das Verfahren bzw. das zugemessene Strafmaß nicht beurteilen, aber ich würde mich sehr über eine Einordnung und eure Gedanken dazu freuen, v.a. auch weil hier auch wieder der 129 zur Anwendung kam und ihr das neulich schon im Zusammenhang mit der letzten Generation diskutiert habt.

Ein Kritikpunkt richtet sich in der ganzen Diskussion gar nicht direkt gegen das Urteil selbst, sondern daran, dass Rechtsextremisten bei ähnlichen Vorwürfen geringere Strafmaße zugemessen bekommen (z.B. bei diesen Fällen hier oder hier). Gefühlt deckt sich das auch mit meiner anekdotischen Evidenz, aber die ist natürlich sehr selektiv. Vielleicht habt ihr da mehr Einsichten, wie stichhaltig diese Behauptung ist?

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Siehe dazu auch diesen Thread:

Die von der Staatsanwaltschaft geforderten 8 Jahre sind es zumindest nicht geworden, was schon mal zu begrüßen ist. Dass es zu einer Verurteilung gekommen ist möchte ich hier nicht kritisieren, weil ich zu wenig über die konkrete Beweislage weiß und davon ausgehe, dass das Gericht seinen Schuldspruch gut begründen kann.

Das Strafmaß von 5 Jahren erscheint mir im Hinblick auf die Vorwürfe vertretbar, wie im oben verlinkten Thread hatte ich 3-4 Jahre für angemessen und 5 Jahre noch für vertretbar eingestuft, die geforderten 8 Jahre aber für völlig überzogen gehalten. Dass Lina E jetzt bis zur Rechtskraft der Strafe erst Mal wieder frei ist, ist schon mal ein Schritt in die richtige Richtung.

Grundsätzlich finde ich es schade, dass es so weit kommen musste, aber hier musste der Staat auch klar machen, dass wir keine Situation wie in der Weimarer Republik haben wollen, in denen „Rotfront“ und Rechtsextremisten sich Straßenschlachten leisten und gegenseitig überfallen. Das kann halt einfach nicht toleriert werden, egal wie verständlich das Motiv der Betroffenen in diesem Fall ist, wenn sie sich vom Staat im Stich gelassen fühlen und das Gefühl bekommen, der Staat tue nicht genug gegen Rechts (was leider wohl auch nicht ganz falsch ist).

Ich denke, mit dem Urteil kann man leben. Wie gesagt, ein oder zwei Jahre weniger wären schön gewesen, aber da Lina E schon zweieinhalb Jahre in Untersuchungshaft verbracht hat wird sie sehr schnell die Möglichkeit zum Erlass der Reststrafe auf Bewährung bekommen, daher lange einsitzen wird sie wohl nicht mehr müssen…

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Ich vermute du hast dich hier einfach unglücklich ausgedrückt. Aber nur um Klarheit herzustellen. Meinst du, dass das Gericht anders urteilt weil es ein politisches Statement senden wollte? Das wäre doch gar nicht die Aufgabe eines Strafgerichts.

Grundsätzlich sollte Justitia blind sein. Wenn die Anklagepunkte gegen Lina E. so korrekt sind, wovon ich wegen des Urteils ausgehe, dann muss sie zwangsläufig hart (was auch immer das heißt) verurteilt werden, denn das Gewaltmonopol liegt beim Staat, nicht bei gewalttätigen Freischärlern von links oder rechts.

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Nein, ich denke, das Urteil musste - wenn die Beweisaufnahme ergibt, dass die Lina E zu Last gelegten Taten auch zutreffen - in jedem Fall im Bereich einer mehrjährigen Haftstrafe ausfallen, für eine Bewährungsstrafe waren die zur Last gelegten Taten zu schwerwiegend (und für einen Freispruch die Aussagen des „Aussteigers“ wohl zu glaubhaft). Die Frage ist lediglich, wie weit das maximale Strafmaß (10 Jahre) ausgeschöpft werden darf, soll oder muss.

Die Staatsanwaltschaft wollte hier mit ihrer Forderung von 8 Jahren offensichtlich ein Exempel statuieren (juristisch noch vertretbar, aber mMn schon sehr grenzwertig), das Gericht hat - völlig vertretbar - eine Strafe von 5 Jahren und 3 Monaten für angemessen erachtet. Ich als jemand mit eher linkem Bias hätte mir 3-4 Jahre gewünscht, weil ich im Rahmen der Strafzumessung die Motivation, gegen Rechtsextreme Gewalt vorgehen zu wollen, etwas positiver berücksichtigt hätte. Aber das sind eben Beurteilungsspielräume, die natürlich auch eine politische Dimension haben (der konservative Law&Order-Richter wird z.B. in solchen Fällen oft härter urteilen als ein weniger konservativer Richter).

Das Urteil soll dabei natürlich auch eine Signalwirkung haben, daher auch ein Statement aussenden - aber das hatte wenig Einfluss auf das Strafmaß. Es soll dennoch klar symbolisieren, dass der Rechtsstaat keine „Selbstjustiz“ in Form von organisierten Gewaltaktionen - auch nicht gegen Nazis - tolerieren wird.

Das hat auch der Richter deutlich gemacht, indem er in der Urteilsverkündung betont hat, dass er es zwar für ein achtenswertes Motiv hält, Rechtsextremen entgegenzutreten, das Gewaltmonopol aber beim Staat liege und deshalb solche Angriffe auch als schwere Straftaten verurteilt werden müssen.

Die Politik hat da ja ebenfalls eingestimmt, indem Faeser z.B. direkt in die Presse ging und nochmal bestärkt hat, dass es „keine Selbstjustiz geben darf“.

Natürlich ist es keine Aufgabe von Gerichten, „politische Statements“ zu senden, aber man muss sich bewusst sein, dass letztlich alles Handeln eine politische Ebene hat - vor allem hat jedes Strafurteil eine politische Ebene im Hinblick auf die positive und negative Generalprävention… das ist auch so gewollt und in Ordnung, so lange sich alles im Rahmen der Gesetze bewegt und verhältnismäßig ist, was im vorliegenden Fall zuzutreffen scheint.

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Da ihr euch auszukennen scheint:

In der Diskussion wird oft bemängelt, dass es keine klaren Beweise gäbe, dass die Zeugen unglaubwürdig sind (da politische Gegner der Angeklagten) und dass es sich um einen Indizienprozess handelt. Wie ist das zu beurteilen? Und sind Indizienprozesse juristisch tatsächlich kritischer zu bewerten? Mein Verständnis bisher war, dass das nicht unüblich ist.

Und ist die Anwendung von 129 hier gerechtfertigter als bei der Letzten Generation?

Was ich mich auch frage und etwas ungläubig war beim lesen ist die doch sehr lange Untersuchungshaft? Bestand Fluchtgefahr oder wie kann es sein das ein Junger Mensch eventuell zu Unrecht (bei möglichem Freispruch) so lange festgehalten wird?

Nur mal zum Vergleich wie gezielte körperliche Angriffe von Neonazis so juristisch geahndet werden (ja, ich weiß, dass die Fälle nicht 1:1 übertragbar sind):

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Ronen Steinke hat in der SZ einen mMn ausgewogenen Kommentar verfasst, ist aber leider hinter der Paywall: Urteil gegen Lina E. in Dresden: Staat duldet auch keine "gute" Selbstjustiz - Meinung - SZ.de

Er betont auch die Notwendigkeit, Selbstjustiz gar nicht erst aufkommen zu lassen. Er weist aber auch darauf hin, dass die sächsische Politik nach allen Regeln der Kunst gegen die linke Szene vorgeht, während der Eindruck entsteht, dass die rechte Seite wesentlich zahmer angefasst wird. Anscheinend wurde gerade dieser Prozess mit gewaltigem Aufwand von den Behörden öffentlichkeitswirksam verfolgt.
Steinke weist darauf hin, dass das Gericht wenig Spielraum hatte und nur verhandeln kann, was von den Behörden auf den Tisch kommt.

Gleichzeitig kritisiert er die übliche Hufeisentheorie und macht einen klaren Unterschied zwischen massiver Gewalt der rechten Szene gegen alle möglichen Minderheiten, wohingegen die Gewalt der linken Szene öfter als nicht reaktiv zur rechten Gewalt entsteht.
Interessant fand ich den Schlussgedanken, dass durch die offensichtlich unterschiedlichen Maßstäbe des Staates gegen rechte und linke Gewalt es der linken Szene leicht gemacht wird, von ihren sehr wohl vorhandenen Problemen abzulenken und jedwede Kritik als politisiert abzutun.

Der Kronzeuge war wohl ein langjähriges Mitglied der Gruppe und hat auch von speziellen Trainings berichtet unter Leitung von Lina E… Von daher ist das Strafmaß wohl in Ordnung. Hier sollte nicht zu viel Hufeisenrhetorik rein, denn dies hier ist keinen Deut besser als die Gewalt der Rechtsradikalen. Jeder Radikalismus ist stets abzulehnen, besonders wenn er zu Gewalt führt. Und hier scheint Lina E. genau darauf gezielt aus gewesen zu sein.

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Dass es im Grunde keinen Unterschied zwischen der „linken und rechten Gewalt“ gibt IST ja gerade das Hufeisenargument - siehe dagegen die Argumentation von Steinke, die @Numeno referiert hat.

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Teile des Urteils sind jetzt online. Hier kann man ganz gut sehen, was genau vorgeworfen wurde und zum Teil auch, welche Beweise berücksichtigt wurden.

Also der Zeuge, der Lina E am stärksten belastet hat, war kein „politischer Gegner“, sondern ein ehemaliger Mitstreiter. Auch hier kann man natürlich argumentieren, dass er eigene Gründe zur Belastung hat, weshalb seine Aussagen auch hinterfragt und mit anderen Beweisen abgeglichen werden. Zudem gibt es da den Ladendetektiv und die Polizisten, die Lina E auf der Flucht nach der Tat vom 13/14. Dezember festgenommen haben. Dazu noch alle Beweise, die bei den Durchsuchungen gesichert wurden, was wohl auch einiges war.

Dass es sich das Gericht hier nicht leicht gemacht hat, wird schon daran klar, dass es ein Prozess mit 97 Verhandlungstagen war. Das zeigt auch, wie viel Beweismaterial und Zeugenaussagen hier berücksichtigt wurde. Ich habe wenig Zweifel daran, dass die Beweise für eine Verurteilung ausreichen - dass die Verteidigung argumentiert, es seien alle nur Indizien, ist normal, wenn der Täter nicht auf frischer Tat mit noch blutigen Händen angetroffen wird - und dass Unterstützer von Lina E diese Version verbreiten, ist ebenso normal. Aber es lagen mMn weit mehr Beweise vor, als nur Indizien.

In jedem Fall, schließlich geht es hier nicht um den Plan der gemeinschaftlichen Begehung von Nötigungen oder anderen kleinen Delikten, sondern zumindest um die gemeinsame Begehung von gefährlichen Körperverletzungen, durch die auch mindestens ein Mensch in konkrete Lebensgefahr gebracht wurde. Dazu verweise ich auf meinen Beitrag zur Reform des § 129 StGB.. Ich denke, wir wollen schon, dass z.B. Neonazi-Gruppen, die sich für gefährliche Körperverletzungen zusammenschließen, als kriminelle Vereinigungen verfolgt werden können, oder? Dann muss das gleiche aber auch für andere Gruppen gelten, unabhängig davon, ob wir deren politische Position teilen.

Ihr (Ex-?)Freund Johann G ist seit zwei Jahren untergetaucht, daher muss man wohl davon ausgehen, dass Lina E es ihm gleich getan hätte.

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Ah danke für die Info.

Was ich bei einer Einordnung ebenfalls interessant fände, wäre auf das folgende Zitat der Bundesanwaltschaft einzugehen: „Es gibt keine gute politische Gewalt.“ (gefunden bei: Fünf Jahre und drei Monaten für Lina E. - ZDFheute)

Ich finde es könnte gut diskutiert werden, ob eine solche Aussage in ihrer Absolutheit theoretisch wie praktisch richtig ist, wobei ich leider nicht weiß, ob sie hier nicht aus dem Zusammenhang gerissen bzw. ganz fallbezogen gemeint war.

Naja, kannst du ein Beispiel für gute politische Gewalt nennen?

Wenn wir über konkrete Notwehr / Nothilfe reden, ist die Gewalt nicht primär politisch (dh. auch wer in einer Notwehrlage das Maß der erforderlichen Gewalt überschreitet, weil er „es dem politischen Gegner mal richtig zeigen will“ würde bestraft; sobald also politische Motive bei der Notwehr eine beherrschende Rolle spielen, wird es auch hier problematisch).

Ansonsten fallen mir nur die typischen Diskussionen im Hinblick auf das Widerstandsrecht ein, hier gäbe es natürlich „gute politische Gewalt“, wenn die öffentliche Ordnung z.B. nach einem erfolgreichen Reichsbürger-Putsch (unwahrscheinlich, ich weiß…) tatsächlich zusammengebrochen wäre und rechtsextreme Gruppierungen die Bevölkerung terrorisieren würden. Aber diese Szenarien sind generell nur theoretischer Natur, die Bedeutung des Widerstandsrechts geht aus gutem Grund (und rein logisch) nicht über einen reinen Symbolcharakter hinaus.

Ich glaube das typische Beispiel aus der Moralethik wäre die Frage, ob jemand den an die Macht strebenden „jungen“ Hitler umbringen dürfte, noch bevor er beginnt Gegner und Minderheiten systematisch zu verfolgen oder umzubringen.

Ich denke unser juristisches System verneint das aus sehr gutem Grund.

Wollen vielleicht schon. Passiert aber nicht. Das allerhöchste ist, dass solche Vereinigungen alle paar Jahre mal nach Vereinsrecht „verboten“ werden, was bedeutet, dass sie ihre Symbole dann nicht mehr so einfach offen präsentieren können und unter anderem Namen oder einfach nur etwas dezenter auftreten müssen.

Das sehe ich anders. Ja, der Staat könnte noch mehr tun, gerade hier in der Ecke Bochum/Dortmund gibt’s da einige Fälle, wo ich auch mehr erwarten würde. Aber zu sagen, der Staat würde gar nicht gegen rechtsextreme kriminelle Vereinigungen vorgehen, ist nicht haltbar.

Dieser Fall hier ist sehr gut mit dem Fall Lina E. vergleichbar, er ist quasi auch einer der Auslöser für den Tatkomplex um Lina E. Hier haben sich Rechtsextreme zusammengeschlossen, um Flüchtlingsunterkünfte, linke Wohnprojekte und generell die linke Szene in Leipzig Connewitz anzugreifen, die Täter wurden zu Haftstrafen zwischen 2 Jahren und 4 Monaten bis zu 6 Jahren verurteilt (im Fall Lina E waren die Haftstrafen zwischen 2 Jahren und 5 Monaten bis zu 5 Jahren und 3 Monaten, also vergleichbar).

In diesem Fall („Sturm 34“) hat der BGH nach Revision der Staatsanwaltschaft, die bemängelt hat, dass das Landgericht die Angeklagten nicht wegen § 129 StGB verurteilt hat, der Revision stattgegeben, daher: Auch hier wurde eine kriminelle Vereinigung vom BGH angenommen.

Also es gab bisher mehrere große Fälle von rechtsextremen Gruppierungen, die wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ verurteilt wurden.

Zu den von dir genannten Vereinsverboten kommt es in der Regel dann, wenn eine Verurteilung wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung wenig aussichtsreich ist, weil z.B. noch keine hinreichenden Taten begangen wurden oder der Zusammenhang zur Organisation nicht bewiesen werden kann („Combat 18“, „Blood & Honor“ und co. sind da typische Beispiele).

Vereinsverbote sind daher eher präventive Maßnahmen, die wesentlich niedrigschwelliger sind, eben weil im Verwaltungsrecht nicht die strengen strafrechtlichen Prinzipien gelten. § 3 Abs. 1 VereinsG ist halt gerade im Hinblick auf Rechtsextremismus wesentlich offener als der schon relativ offene § 129 StGB…

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Danke für die Beispiele.

Diese Leute wurden nicht nur wegen „krimineller Vereinigung“ zu diesen Haftstrafen verurteilt, sondern auch wegen etlicher damit in Zusammenhang stehender Delikte, u.a. „Herbeiführen von Sprengstoffexplosionen“ – was interessanterweise eigentlich bereits eine Katalogstraftat für eine terroristische Vereinigung nach § 129a ist.

Ich zitiere ebenfalls mal aus Wikipedia:

Die Staatsanwaltschaft erhob auch Anklage wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, da der Sturm 34 keineswegs nur eine „Sauf- und Schlägertruppe“ gewesen sei. Der Richter sprach die Angeklagten in diesem Punkt aber frei, da es am Gruppenwillen gefehlt habe. Die Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil in diesem Punkt Revision beim Bundesgerichtshof ein. Dieser urteilte, dass der Sturm 34 durch seine Zielsetzungen eine kriminelle Vereinigung war und gab damit der Revision statt. Der Prozess wurde an das Landgericht Dresden zurückverwiesen, welches im Urteil vom 13. April 2011 die Bildung einer kriminellen Vereinigung als gegeben sah. Im Januar 2013 bestätigte das Landgericht Dresden eine Verurteilung von fünf Rädelsführern von Sturm 34 wegen schwerer Körperverletzung, Sachbeschädigung und Bildung einer kriminellen Vereinigung zu Bewährungs- und Geldstrafen (!).

Mag sich jeder seine eigenen Gedanken zu machen.

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@Daniel_K die Fälle kenne ich auch und ich finde es gut, wenn gleiches Maß angelegt wird.

In den von dir genannten Fällen ist es aber auch interessant, sich ein paar der Details der Fälle aus Sachsen anzuschauen. Bei der Kameradschaft Dresden und deren Überfall auf Connewitz erinnere ich mich, dass ein Tatverdächtiger in Chemnitz einsaß und der ihn betreuende Justizvollzugsbeamte ebenfalls bei dem Überfall dabei war. Obwohl das lange bekannt war, wurde er erst drei Jahre später aus dem Dienst suspendiert und erst sechs Jahre später überhaupt angeklagt.

Die lange Abstand der Tat zum Urteil sorgte auch dafür, dass die meisten Tatbeteiligten mit Bewährungsstrafen bekamen.

Im Fall der Gruppe Freital war es so, dass erst die Bundesanwaltschaft das Verfahren an sich ziehen musste gegen den Widerstand der sächsischen Justiz, da diese nur ein paar verwirrte Einzeltäter erkennen wollte und keine terroristische Vereinigung.Die wurden sogar von einem befreundeten Polizisten vor Razzien gewarnt. Auch zum Verfassungsschutz gab es Kontakte.

Und dann gibt es da noch Fälle, bei denen schwere Körperverletzung von Journalisten mit Bewährung bestraft wurde.

In Sachsen gab es andererseits auch Fälle wie den vom Jenaer Pfarrer Lothar König, der öfter an Anti-Nazi Demos teilnahm (zusammen mit Verdi, den Grünen, etc.) und gegen den dann die sächsische Justiz wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelte inklusive Durchsuchung des Pfarrhauses und TKÜ. Das Verfahren wurde schließlich eingstellt und die Staatsanwaltschaft musste eingestehen, dass Beweise manipuliert und entlastendes Material vorenthalten wurde.

Das sind alles so ein paar Fälle, die mir in den Sinn kommen, die natürlich ihre eigenen Besonderheiten haben und die ich als Laie nicht beurteilen kann. Aber ich verstehe, dass der Eindruck entsteht, dass die Justiz gegen Linke mit aller Härte vorgeht, während bei Rechten weniger hart vorgegangen wird. Vielleicht ist das auch nur mein Eindruck, weil ich lange in Sachsen gelebt habe und mir die Fälle dort aufgefallen sind. Wenn das so ist wäre es schön, mehr von Fällen zu lesen, in denen Rechtsextremisten ihrer Tat nach angemessen verurteilt werden.

Vielleicht kennt ja jemand eine Übersicht dazu?

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Am 7. November 1968 verpasst Beate Klarsfeld dem NSDAP-Mitglied und Bundeskanzler der BRD Kurt Georg Kiesinger auf dem CDU-Parteitag in Berlin eine Ohrfeige. Serge Klarsfeld wird später gegenüber der FAZ sagen, das erlittene Hämatom sei „eher braun als blau“ gewesen. Beate Klarsfeld wird daraufhin im Eilverfahren zu einem Jahr Haft verurteilt. Begründet wird diese Höchststrafe im Eilverfahren damit, dass politische Überzeugungen nicht mit Gewalt durchgesetzt werden dürften. (Die Haftstrafe wird später auf vier Monate auf Bewährung reduziert; Beate Klarsfeld muss sie aufgrund ihrer französischen Staatsbürgerschaft nicht antreten.)

Am 22. März 1971 wird der SS-Obersturmbannführer, Gestapo-Chef und maßgeblich an der Organisation der Judenvefolgung beteiligte Kurt Lischka auf dem Heimweg von der Arbeit in der Mittagspause an einer Straßenbahnhaltestelle in Köln von drei Männern überfallen, unter ihnen Serge Klarsfeld. Seine Ehefrau Beate Klarsfeld hatte die Wege Lischkas ausgekundschaftet. Einer der Komplizen Klarsfelds versetzt Lischka einen Schlag mit einem Schlagstock auf den Kopf. Die Entführung misslingt. Beate Klarsfeld kündigt an, noch mehr als 300 weitere Entführungen vornehmen zu wollen. Sie kommt für zwei Wochen in Untersuchungshaft.

Der internationale Protest gegen die Inhaftierung Klarsfelds und weitere Demonstrationen gegen Lischka führen schließlich mit dazu, dass ein geplantes, aber von einem FDP-Bundestagsabgeordneten verzögertes deutsch-französisches Abkommen 1975 in Kraft gesetzt wird („Lex Klarsfeld“). Dieses Abkommen ermöglicht die Prozesse gegen und schließlich die Haftstrafen für die NS-Verbrecher Kurt Lischka, Herbert Hagen und Ernst Heinrichsohn. Um die Prozesseröffnung Lischkas zu beschleunigen werden in Köln mehrmals die Scheiben von dessen Büro eingeworfen.

Im Mai 2015 erhalten Beate und Serge Klarsfeld von Bundespräsident Joachim Gauck das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

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