Prozess gegen mutmaßliche Linksextremist*innen vor dem OLG Dresden

Hallo Forum + Lage-Team,

seit Anfang September läuft vor dem Staatsschutzsenat des OLG Dresden ein Prozess gegen vier mutmaßliche Linksextremist*innen, welcher rechtsstaatlich als sehr umstritten gilt.
Auch eher konservativ geframte Medien berichten mittlerweile von einer Beweislage, welche für eine Rechtfertigung eines Einleiten eines § 129 StGB-Verfahrens (Bildung einer kriminellen Vereinigung), eine Evokation des Verfahrens zum Generalbundesanwalt und insbesondere die mittlerweile fast ein Jahr andauernde U-Haft einer Angeklagten nicht ausreichen.

Auch läuft mittlerweile ein Ermittlungsverfahren des StA Chemnitz gegen Beamt*innen der für die Ermittlungen gegen die Angeklagten zuständigen „Soko Linx“ des LKA Sachsen, aufgrund einer mutmaßlichen Durchstechung von persönlichen Daten, Bilder etc. der angeklagten Personen an u.a. das rechtsextreme Compact-Magazin.

Eine Einordnung des Verfahrens in der Lage würde mich sehr freuen.
Danke für eure Arbeit!

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Mittlerweile gibt’s eine Zusammenfassung zur linksextremen Gewalt und diesem Fall:

Es wird Zeit, diesen Themenvorschlag noch mal zu erneuern.

Das Verfahren steht kurz vor dem Ende, die Beweislast scheint eher mäßig zu sein, dennoch fordert die Staatsanwaltschaft im Abschlussplädoyer ganze 8 Jahre Haft für Lina E., die schon seit zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft sitzt.

Unabhängig davon, wie der Fall ausgeht, würde ich mir wünschen, ein Schlaglicht auf diesen Fall zu werfen. Sollte es tatsächlich zu einer Verurteilung zu einer langjährigen Haftstrafe kommen wäre eine Einordnung ebenso wichtig, wie wenn sich herausstellt, dass die Beweislast nicht ausreicht.

Die Forderung von 8 Jahren Haft erscheint mir jedenfalls, selbst wenn wir davon ausgehen, dass sie die vorgeworfenen Straftaten begangen hat, recht hoch zu sein, wenn man bedenkt, dass sie keine Vorstrafen hat. Hier wird der Strafrahmen meiner Meinung nach in einer Art ausgereizt, die mit den Grundsätzen der Strafzumessung nur mit viel Mühe in Einklang zu bringen ist, was den bitteren Beigeschmack einer politischen Justiz erzeugt. Alles zwischen 3 und 4 Jahren hätte ich noch nachvollziehen können, mit viel gutem (oder besser: bösen) Willen auch noch 5, aber 8 erscheint mir kaum haltbar.

Als Neonazis jedenfalls vor den vermeintlichen Taten Lina E’s schweren Landfriedensbruch mit über 100.000 Euro Schaden in Connewitz, dem letzten Wohnort von Lina E. begangen haben, endete das ganze mit Bewährungsstrafen.

Dadurch entsteht hier der Eindruck, dass die linke Reaktion auf den braunen Straßenterror unverhältnismäßig härter bestraft werden soll, was leider ein regelmäßiger Eindruck im Bereich der politischen Straftaten ist. Ich hoffe daher sehr, dass wenn die Richter zu einem Schuldspruch kommen, ein angemessenes Strafmaß gewählt wird.

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Für folgenden Tatvorwurf eine Verurteilung zwischen 3-4 Jahren?

Es gibt diesen einen Überfall im Januar 2019 auf einen Kanalarbeiter in Leipzig, den die Bundesanwaltschaft in ihrem Plädoyer am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht Dresden hervorhebt. Die Tat sei „herausragend im schlechtesten Sinne“, die physischen und psychischen Folgen für das Opfer seien verheerend. Der Mann habe einen mehrfachen Schädelbruch erlitten und bis heute eine Metallplatte in der rechten Gesichtshälfte, damit die Augenhöhle nicht herunterrutsche. Zudem müsse er täglich Schmerzmittel nehmen und habe obendrein seine Arbeit verloren – und das nur, weil er „eine falsche Mütze“ aufhatte. Diese Mütze mit einem Logo einer bei Rechtsextremen beliebten Kleidungsmarke wurde dem Mann, der damals seinen ersten Tag in der Firma hatte, zum Verhängnis.

Die Anklage ist überzeugt, dass Lina E. und ihre Komplizen den Mann als Mitglied der rechtsextremen Szene, das er jedoch nicht ist, eine Lektion erteilen wollten. E., die als Rädelsführerin einer linksextremen, kriminellen Vereinigung angeklagt ist, soll das Opfer mit ausgesucht und dann herbeieilende Kollegen davon abgehalten haben, dem Mann zu helfen, während ihre Komplizen ihn unter anderem mit Schlagstöcken so verprügelten, dass die Tat „in der Nähe eines versuchten Tötungsdelikts“ liege. Wegen dieser und weiterer sechs Taten, bei denen insgesamt 15 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden, wird der 28 Jahre alten Lina E., die aus Hessen stammt und in Leipzig studierte, sowie drei Männern, ebenfalls Mittzwanzigern, die aus Leipzig, Berlin und Dresden stammen, seit September 2021 der Prozess gemacht.

[…]

Lina E. komme dabei eine besondere Rolle zu. Sie habe mehr als zwei Jahre lang einen bestimmenden und prägenden Einfluss auf die Gruppe gehabt, Trainings koordiniert, Opfer unmittelbar ausgewählt, Tatwerkzeuge besorgt sowie Mittäter für Überfälle gewonnen. „Sie war die treibende und steuernde Kraft der Gruppe“ und habe „gesteigerte kriminelle Energie“ bewiesen, sagte Geilhorn. Man habe es hier „mit einem besonders schweren Fall von Rädelsführerschaft“ zu tun, weshalb die Anklage für die nicht vorbestrafte Lina E. eine Freiheitsstrafe von acht Jahren forderte. FAZ

Da kommen mir 8 Jahre eher milde vor.

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Wenn der Vorwurf ein (versuchtes) Tötungsdelikt wäre, ja, dann wären 8 Jahre angemessen. Aber so weit geht nicht mal die Staatsanwaltschaft, eine Tötungsabsicht liegt hier definitiv nicht vor.

Der Vorwurf ist daher mindestens gefährliche Körperverletzung, höchstens schwere Körperverletzung (wenn die geschilderten Verletzungen für eine „dauerhafte Entstellung“ taugen), der Strafrahmen für letzteres liegt bei 1 bis 10 Jahren. Die Forderung nach 8 Jahren liegt hier im oberen Bereich - und das ist sonst eigentlich nur bei Wiederholungstaten bzw. ordentlichem Vorstrafenregister üblich.

Wäre der Mann zu Tode gekommen wären wir bei Körperverletzung mit Todesfolge (dh. absichtliche Körperverletzung mit nicht gewolltem Todeserfolg) und einem Strafrahmen von 3 bis 15 Jahren. In diesem Falle wäre ein Strafantrag der Staatsanwaltschaft im Bereich von 7-10 Jahren nachvollziehbar.

Für die anderen beiden Angeklagten werden ja auch „nur“ 3 Jahre und 3 Monate sowie 2 Jahre und 9 Monate gefordert, wobei diese Strafrahmen möglicherweise damit zusammen hängen, dass man ihnen noch weniger nachweisen kann, daher ist es schwer, hier zu beurteilen, ob die Forderungen angemessen sind. Es macht jedenfalls den Eindruck, als wollte man speziell an Lina E. ein Exempel statuieren und sie zur neuen Ulrike Meinhof / Gudrun Ensslin aufbauen. Mit dieser Strafmaß-Forderung tut sich die Staatsanwaltschaft einfach keinen Gefallen.

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Auch ich würde mich weiterhin freuen, wenn das Thema in der Lage aufgegriffen wird. Die Aktualität ist durch die, meiner Meinung nach, extrem hohe Strafforderung der GBA wieder größer denn je. Vielleicht würde es sich allerdings noch mehr anbieten, dass Thema nach der Urteilsverkündung (voraussichtlich 10. Mai) zu behandeln.
Bezüglich der hohen Strafforderung ggü. Lina E. stoßen mir mehrerer Punkte sauer auf. Zum einen ist der Fakt zu nennen, dass selbst die GBA das Vorliegen einer „Smoking Gun“ negiert hat. Weiter ist Lina E. nicht vorbestraft. Zudem liegen ein der Großteil der Beweise und Indizien für das vorliegen einer Gruppenstruktur im Sinne eine kriminellen Vereinigung gem. § 129 StGB, welche das Strafmaß drastisch anhebt, in den Aussagen eines Kronzeugen, dessen Aussagemotive mehr als umstritten sind. Insgesamt macht es zum einen den Eindruck, es solle mit der zu erwartenden hohen Strafe ein politisches Exempel statuiert werden, zum anderen erscheint es, als wolle die GBA nicht das Gesicht verlieren, wenn Lina E. aufgrund der mittlerweile 2,5 Jahre langen U-Haft möglicherweise schon den Großteil ihrer Strafe hinter abgesessen hätte und zeitnah entlassen wird.
Zuletzt – auch wenn ein Vergleich von Strafmaßen immer mit Vorsicht zu genießen ist – mutet es schon komisch an, dass Ralf Wohlleben wegen Beihilfe zu acht Morden des NSU eine Strafforderung von zwölf Jahren und eine Verurteilung zu zehn bekommen hat und hier eine Strafforderung von acht Jahren im Raum steht.
Daneben bietet der Fall viel Anlass, einen Blick auf die mediale Berichterstattung zu werfen, die von Sexismus (Bild, Focus) und Weiterleiten von Akten an das rechtsextreme Compact-Magazin und andere Medien geprägt war. Zwischenzeitlich wurde wegen des Weiterleitens von Akten an Unberechtigte z.B. gegen einen Beamten der „Soko Linx“ des LKA Sachsen ermittelt (mittlerweile eingestellt).

Insgesamt liegt hier also ein Sachverhalt vor, der es meiner Meinung nach verdient hätte, mal in der Lage aufgedröselt zu werden.

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Wenn man das mit solchen Urteilen vergleicht…

…ist die Strafandrohung und das gesamte Verfahren ein schlechter Witz.

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Die eine Strafe ist nicht zu hoch, sondern mMn die andere zu niedrig.

Wenn du eine Diskussion über die generelle Strafzumessung machen willst und anführen willst, dass höhere Strafen (z.B. für Gewalttaten) generell besser seien, kannst du das natürlich tun. Ich lehne diese Forderungen - wie hoffentlich der Großteil des Forums - klar ab, aber es steht dir natürlich frei, diese Auffassung zu formulieren.

In diesem Thread geht es jedoch um spezifische Strafforderungen in einzelnen Fällen, die an der aktuell üblichen Praxis gemessen werden. Es geht daher nicht um die Frage: „Sollten Strafen generell höher oder niedriger sein“, sondern um die Frage: „Warum wird in diesem spezifischen Fall eine höhere Strafe gefordert, als es in mehr oder weniger vergleichbaren Fällen in der Vergangenheit der Fall war“, daher: „Wie wird die Abweichung von der aktuellen Praxis der Strafzumessung begründet?“ oder auch „Fordert die Staatsanwaltschaft hier eine ungewöhnlich hohe Strafe, weil es um eine Person aus dem linken Spektrum geht?“.

Das sind einfach ganz andere Fragen als die (i.d.R. stets populistische) Debatte über generell höhere Strafen. Zu dieser Forderung sage ich nur: Dass wir heute ein auf Resozialisation ausgerichtetes Strafrecht haben (zu dem es auch gehört, Leute nicht „möglichst lange wegzusperren“) ist ein riesiger sozialer Fortschritt, höhere Strafen haben weder in der Vergangenheit (siehe im Mittelalter übliche Körperstrafen), noch in der Gegenwart (siehe Todesstrafe in den USA) zu weniger Kriminalität geführt, sodass ich diese Forderung als „konservativen Reflex“ bezeichnen würde.

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Die Herausforderung ist m.E. - und ganz nebenbei, ich bin kein Jurist - auch die Motivabwägung. Handelt es sich um persönlich Gründe - Eifersucht, Neid etc. - ist eine schnelle Resozialisierung sicher der richtige Weg. Ist jemand in extremistischen Kreise sozialisiert, wo also Gewalt zur Durchsetzung von politischen Zielen erwünscht und angestrebt ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass das zum Umdenken führt. Der Prozess wird ja von der Drohung bei indymedia.org begleitet, jede Strafe und jede weitere Strafermittlung in der Szene, durch Gewalt zu beantworten (bereits aktiv umgesetzt).

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