Eine Verteidigung der Schuldenbremse

Leider ist es auch ein Systemversagen, genauer: Versagen unserer Ausgestaltung des Systems Demokratie. Solange Politiker gewählt werden, weil sie großzügig konsumtive Wohltaten verteilen, statt in den Werterhaltung der über viele Jahrzehnte Infrastruktur sowie in Zukunftsthemen wie z.B. Klima- und Umweltschutzschutz, Bildung, Pflege, Digitalisierung etc. zu investieren, solange birgt das System Demokratie Anreize für Staatsverschuldung, dem keine entsprechenden Werte gegenüber stehen.

Eine Schuldenbremse sollte daher nicht pauschal eine Schwarze null verlangen. Eine Schuldenbremse,sollte vielmehr eine Verschuldung zur Finanzierung von Ausgaben, die keine Neu-Investitionen sind, verbietet und ihn gleichzeitig zum Erhalt der gesellschaftlichen Infrastruktur verpflichten.

D.h., der Staat müsste konsumtive Ausgaben sowie Ersatz-/Erhaltungsinvestitionen aus seinen laufenden Einnahmen finanzieren.

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Ich habe mal eine grundsätzliche Frage. Ich, vor vielen Jahren einmal Volkswirtschaftslehre studiert, aber weder in dem Fach beruflich, noch in Forschung oder Lehre in dem Bereich tätig, versuche immer wieder, herauszufinden, was wohl ein guter Grund sein könnte für die immer wieder postulierte Behauptung:

„Ein Staat ist nicht wie ein Privathaushalt und nicht wie ein Unternehmen. Daher kann der Staat unbegrenzt Schulden aufnehmen“

Ich habe immer wieder diejenigen, die so etwas sagen, nach einer Begründung gefragt. Ich habe noch nie eine bekommen, die mich überzeugt hätte. Das heißt nicht, dass es die nicht gäbe (dazu wird dieses Postulat einfach zu oft aufgestellt). Das heißt nur, dass ich es nicht verstehe.

Kann mir jemand von Euch jemand das erklären?

Wie kann das langfristig funktionieren kann, wenn der Staat Jahr für Jahr mehr Schulden aufnimmt als er tilgt. Solange die Verhältnisse stabil und die Zinsen niedrig sind, scheint das zu funktionieren. Wenn aber die Anleihenkäufer Sorge haben, der Staat könnte seine Schulden nicht mehr tilgen, bricht der Staatshaushalt zusammen und die Währung zugleich mit.

Ehrlich gemeinte Frage!

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Es ist mir nicht klar, ob das ökonomisch an irgendeiner Stelle wirklich Sinn ergibt (mein Eindruck ist eher, dass es ziemlicher Unsinn ist). Natürlich haben wir ein Kreditgeld-System, aber der aus dem Beitrag hervorgehende „Alternativlosigkeit“ von Rettungspaketen finde ich befremdlich. Ein Ökonom hat mal gesagt: „Kapitalismus ohne Insolvenz ist wie Religion ohne Hölle“.

Was aber das gewichtigere Argument ist: ohne eine Begrenzung der Staatsverschuldung sind die Euro-Verträge und damit auch das Mandat der EZB als wesentliche umsetzende Institution ab dem Punkt nicht mehr glaubwürdig, an dem bei hohem Schuldenstand die Zinsen beginnen, zu steigen (entweder, weil die Investoren anfangen, an der Schuldentragfähigkeit zu zweifeln oder wegen zu hoher Ausgaben Inflation befürchtet wird). Sie muss dann eigentlich sagen: „Wir pfeifen auf unser Mandat, wir stehen vor der Wahl zwischen errodierender Geldwertstablilität und Finanzkollaps der Staaten, und da wissen wir, was wir wählen“ (tatsächlich denke ich, dass diese Entscheidung implizit im Grunde schon getroffen wurde). Es ist aber einfach nur unredlich, zugunsten des bequemen Geldverteilens heute den absehbar damit einhergehenden zukünftigen ökonomischen und gesellschaftlichen Schaden und die enorme unkontrollierte (relative) Umverteilungswirkung billigend in Kauf zu nehmen.

Ich möchte beide Maxime ungern gegeneinander ausspielen, letzten Endes muss man einfach beides im Kopf haben. Wenn man eine maximal effektive Dekarbonisierung verbunden mit minimaler Neuverschuldung verbinden möchte muss man einen Co2-Zertifikate benutzen, ähnlich wie die FDP das vorgeschlagen hat. Auch wenn das ohne begleitende Maßnahmen wie sozialen Ausgleich, gezielte Subventionen und evtl. auch Verbote allerdings kaum durchzusetzen ist, hat man hier aber doch ein sehr effektives und mit Blick auf Neuverschuldung günstiges Instrument das unbedingt der zentrale Pfeiler der Klimapolitik werden muss. Die Gleichung je mehr Klimaschutz desto mehr Schulden sind nötig lasse ich nicht gelten, das ist eine Ausrede um 1. keine effizienten Marktinstrumente wie den Zertifikatehandel benutzen zu müssen und 2. um politischen Widerständen auszuweichen, da nicht an anderer Stelle eingespart werden muss oder Steuern erhöht werden müssen.

Kennst du die Modern Monetary Theorie? Die beschäftigt sich mit dieser Frage - kurz gefasst bessgt, das es weniger darauf ankommt, wieviel Geld ausgegeben wird sondern wofür es ausgegeben wird.

Das bedeutet: Geld für Schulen & Bildung, für Infrastruktur (Straßen, Brücken, Schienen, Glasfaser), für Polizei und allgemein funktionierende Behörden sind ok - Ausgaben, die vor allem dem Prestige der Politiker dienen oder Wahlkampf-Geschenke nicht.

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Ich würde es mal versuchen und freue mich auf einen spannenden Diskurs :slight_smile:

Der den erste Unterschied wie beide Parteien sich verschulden hatte vor kurzem in einem anderen Thema hier dargelegt das du meines Wissens auch gelesen hast, oder soll ich das hier nochmal anführen?

Ein anderes Thema welches aber zugegeben noch sehr Kontrovers diskutiert wird ist die Frage ob der Währungserzeuger und derjenige der die, in der Gesellschaft zu akzeptierende Währung vorgibt überhaupt verschulden muss!

Theorien wie MMT und andere blasen ja genau in dieses Horn. Ich arbeite schon einige Zeit an diesem Thema und finde immer wieder neu Aspekte die das Thema nicht einfacher machen.

Grundsätzlich hat der Staat mit einer eigenen Notenbank und Währung die Möglichkeit soviel Geld zu drucken wie er will. Das Problem ist ja vereinfacht gesagt nur die Wert und Preisstabilität. Weil man genau damit historisch schlechte Erfahrungen gemacht hat wurde im Nachkriegsdeutschland und später in der EU die Zentralbank von Staat „entkoppelt“. Wobei das eigentlich auch nicht wirklich stimmt aber nehmen wir das mal so hin.
Selbiges Argument kommt vom DIW zu einer Stellungnahme zum Thema MMT. Darin wird darauf verwiesen das es Grundsätzlich nicht falsch ist aber nur ein begrenztes Gut einen stabilen Wert hat. Wenn man also unendlich Geld drucken würde fehlt die Möglichkeit der Stabilität.

Nun ist es aber so das wir uns über letzten Jahre durch die Abkehr von Bretton-Woods und von der Goldbindung immer mehr genau in Richtung „offene“ Währung bewegen und dies weiter tun. Somit wäre so etwas wie MMT eigentlich nur der logische nächste Schritt sofern man die „Probleme“ in den Griff bekommen würde.
Das dieses Prinzip schon in der Realen Geldpolitik mancher Länder angekommen ist zeigen Beispiele wie Japan, und USA.
Wenn man jetzt wieder auf meine Erklärung zur Verschuldung von Staaten zurückkommt muss man sagen, das Prinzip Gelddruck funktioniert aktuell in Ländern mit einer stabilen Wirtschaft ohne Probleme.
Was die MMT-ler und andere meiner Meinung nach außer acht lassen ist die Tatsache das wir das Wirtschaftssystem umbauen müßten damit dieser Gelddruck überall und „immer“ stabil funktioniert.

Solange das Staatseinkommen von der Wirtschaft direkt abhängig ist, solange wird es Staaten geben die Pleite gehen können. Das die Staaten Pleite gehen liegt ja nicht daran das der Staat sich übermäßig verschuldet, sondern das rein Rating so schlecht wird das er kein Geld mehr bekommt. Das Rating wiederum wird so schlecht weil das Wirtschaftswachstum zu schlecht ist.

Bin gespannt ob dir das als Anfang weiterhilft.
VG

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Weil Staatsschulden immer falsch verstanden werden und einfach keine Verschuldung wie im Privatleben darstellt. Die in meinen Augen künstlich herbeigeredete Generationenfrage stellt sich hier einfach nicht.

Das ist genau auch meine Frage!

Ganz banal, Privatperson, Unternehmen, Staat sind unterschiedlich Akteure in jeglicher Hinsicht (Struktur, Einkommen, Absicherungssysteme etc.). Also warum sollten für alle Akteure die selben Bedingungen bei Schulden gelten ? Du gehst halt per se von einem universellen Begriff von Schulden aus, deswegen müssen die auch zurückgezahlt werden. Ultimativ ist hier das Alltagsverständnis von Schulden eine Tautologie. Schulden sind etwas dass man begleichen muss also sind Schulden ein Problem weil man sie begleichen muss, warum man Schulden den begleichen muss, in welchem Umfang und zu welchen Bedingungen bleibt außenvor.
Die Privatperson muss Schulden bezahlen, weil es staatliche Zwangsmittel gibt, welche das garantieren. Das gleiche gilt zumindest formell auch für Unternehmen. Solche zentralisierten Zwangsmittel gibt es dem Staat gegenüber nicht. Es gibt strukturelle Zwänge die sind allerdings wesentlich diffuser und abhängig von verschiedenen Bedingungen. Vor allem aber sind diese strukturellen Zwänge keine marktwirtschaftlichen Naturgesetze, welche eine grundsätzliche Ablehnung von Schulden begründen könnten. Dies impliziert das Gesetz jedoch. Das es gleich zu Verfassungsartikel wurde unterstreicht diesen seltsamen Blick auf Schulden jedoch.

Aber wirklich ich negiere nicht, dass Schulden materielle Verpflichtungen mit sich bringen, ich sage lediglich das es keine sinnvolle Begründung ist zu sagen (staatliche)Schulden seien per se ein Problem. So grundsätzlich je nach (wirtschaftlicher) Relevanz der Länder (als Absatzmarkt, natürliche Ressourcen, politische Stabilität oder im Fall von Griechenland Stabilität eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes) gibt es sowohl für privatwirtschaftliche Investoren als auch andere Länder oder internationale Organisationen, genug Anreize auch Länder die „pleite“ gehen zu unterstützen bzw. Ländern Raum zulassen, um mit den eigenen Schulden freier umzugehen als jede Privatperson das je könnte. Natürlich kann das auf alles mögliche Auswirkungen haben, gerade Griechenland hat es ja mehr oder minder die eigene Souveränität gekostet. Allerdings gilt halt hier die Frage wie viel Souveränität man denn Überhaupt in einem Wirtschafts- und Währungsraum hat der defacto von einen wirtschaftliche extrem starken und großen Staat dominiert wird.

Das ist schon sehr polarisiert. Es geht ja nicht, um unbegrenzte Schulden Aufnahme. Zumal hier die Gläubiger sehr viele verschiedene Akteure sind und diese sich auch konstant verändern ist wohl auch die Betrachtung einer Gesamtschuld schon sehr relativ zu bewerten. Da mit unterschiedlichen Schuldern unterschiedliche Zwangsmittel bzw. Risiken einher gehen.

Auch ist Frage der Schulden abhängig von der Theorie welche als analytische Grundlage dient. Entsprechend ist die Frage der Stabilität hier zentral. Ist die Stabilität relativ unabhängig von den Schulden, dann sind andere Faktoren entscheidend dafür ob Schulden zu einem Problem werden können oder nicht. Vor allem gilt dann aber auch, unabhängig davon wie verschuldet ein Staat ist, dass so ziemlich alles zum größeren Problem, da höheres Risiko, wird. Entsprechend würden bspw. Zinsen nicht durch die Höhe der Schulden steigen sondern durch die Instabilität des Landes. Das Problem der Schulden wird dabei nur zum konkreten Problem der dahinter liegen abstrakteren Probleme.

Zunächst hat der Staat keine „Lebenserwartung“ wie eine Privatperson oder das spezifische Geschäftsmodell eines Unternehmens, die einen zeitlichen Rahmen für eine Rückzahlung setzen würde. UK hat vor einiger Zeit Anleihen gekündigt und zurückgezahlt, die - wenn ich mich richtig erinnere - vor 300 Jahren ausgegeben wurden.

Als zweiten Aspekt hat der Staat die Kontrolle über den gesetzlichen Rahmen, in dem die Kreditaufnahme stattfindet und, wenn er über eine eigene Zentralbank verfügt (was in der Eurozone nur eingeschränkt zutrifft), auch das Monopol zur „Erzeugung“ des Vertragsgegenstands - anders gesagt: er definiert die Spielregeln.

Und schließlich wird die Werthaltigkeit von Staatsschulden durch das ökonomische Potential und die Vermögen der Volkswirtschaft „gedeckt“, auf die der Staat durch Besteuerung jederzeit Zugriff hat und die die Schuldenhöhe in der Regel deutlich übersteigen. Das setzt aber die Bereitschaft der Bevölkerung voraus, die Besteuerung über sich ergehen zu lassen - der oben genannte 2. Aspekt bietet ja einen Ausweg…

Ein Staat kann sich also rein technisch betrachtet fast beliebig verschulden, allerdings würde die Werthaltigkeit, die den bestehenden Zahlungsversprechen zugemessen wird, sinken - entweder, indem die Renditen steigen, und/oder (wenn die Notenbank dies verhindert) indem der Außenwert sinkt, weil andere Währungen als wertstabiler angesehen werden. Die interessante Frage ist, was passiert, wenn alle Währungsräume in dieses Spiel einsteigen…

Im Prinzip ist die Idee, dass Staatsschulden vom (privaten) Kapitalmarkt finanziert werden, sodass sich der „Markt“ (als Summe seiner Teilnehmer) eine Meinung zu deren Werthaltigkeit bildet und dies über die Preise transparent wird, ja schon ziemlich gut - der Markt funktioniert halt leider nicht (mehr), wenn große Kapitalsammelstellen zum Kauf verpflichtet werden und er durch eine Zentralbank kurzgeschlossen wird, die beliebige Mengen aufkaufen kann. Unter diesem Aspekt sind wir eigentlich mittlerweile im Blindflug und der Begriff "Kapitalmarkt " ist eher missverständlich.

Kannst Du mich auf diesen Beitrag verlinken, dann lese ich es gerne nochmal nach.

Offenbar mangels Kenntnis dieses Beitrags verstehe ich nur noch Bahnhof.

Ich würde sagen spezifisch Deutschland hat damit schlechte Erfahrungen gemacht, fluide Währungen sind ja doch sehr weit verbreitet. Daher ist das auch eine sehr spezifisch deutsche Diskussion und vor allem ist es auch eine Diskussion, welche spezifische zeitliche Komponente hat und eng verbunden ist mit dem aufkommen der Ideologie der Austerität, wie auch generell neokonservativer Vorstellungen.

Wenn mal ganz polemisch sein will könnte, man auch sagen, dass die Inflation in der Weimarer Republik und damit Betonung der Preistabilität heute, auch Resultat daraus ist dass historisch immer noch sehr stark der Eindruck vorhanden ist der Aufstieg der Nazis sei vor allem ein Produkt der Wirtschaftskrise und nicht der reaktionären Ideologien der Deutschen gewesen. Entsprechend beschäftigt man sich stark damit den Preis stabil zuhalten und die Wirtschaft zu stärken und weniger damit die immer noch vorhandenen völkischen Vorstellungen der Deutschen zu bekämpfen :wink:

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Kann man das etwas konkreter machen? Ich kann mir halt schwer vorstellen, jemandem Geld zu leihen, wenn ich von vornherein weiß, dass der im Nachhinein die Vertragsbedingungen ändern kann.
Oder anders herum: Sind nicht auch bei Staatsschulden die Verträge am Anfang klar ausformuliert?

Ist das nicht genau das Problem, was bei fortschreitender Staatsverschuldung immer unterstellt wird, nämlich, dass die Lasten auf die kommende Generation verschoben werden? Eigentlich kommt mir bei dieser Beschreibung schon wieder eine Parallele mit dem Privatkredit in den Sinn, nämlich, dass man Sicherheiten vorweisen muss, die dann im Zweifelsfall liquidiert werden.

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Eine Religion, in der die Mehrheit der Glaubensanhänger damit rechnen müssen, in der Hölle zu landen, wird einen schweren Stand haben. Genauso geht es eine (privatwirtschaftlich organisierten) Wirtschaftssystem, in dem die Mehrheit der Unternehmungen Verluste einfahren. Aber genau das ist der Fall, wenn in einem Währungsraum z. B. im Verlauf eines Jahres die Gesamtverschuldung nicht steigt. Dann kann im selben Zeitraum auch das Geldvermögen nicht gestiegen sein. Und das wiederum bedeutet, dass die Eigentümer der ganzen privaten Unternehmen im Schnitt keinen monetären Überschuss erzielt haben. In so einer Situation werden die Eigentümer der Unternehmen geneigt sein, dem ausbleibenden Profiten hinterherzusparen, was für alle übrigen Marktteilnehmer noch geringere Profitmöglichkeiten bedeutet. Das nenne wir Wirtschaftskrise. Und der Weg aus der Wirtschaftskrise ist regelmäßig, dass Vater Staat solange mit schuldenfinanzierten Ausgaben die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stützt, bis das (im besten) Fall die Wirtschaftsakteure aus eigener schuldenfinanzierter Investitionstätigkeit wieder übernehmen. Klappt das, wie im Falle Japans (und aus demographischen Gründen nun auch im ganzen Rest der „entwickelten“ Länder) nicht mehr, wird aus der Notfalloperation deficit spending eine Dauereinrichtung.
Daher: Insolvenzen sind nur solange systemverträglich, wie sie Ausnahme darstellen.

Du verwechselst Koch und Kellner. Wer auf einem riesigen Berg Euros sitzt, der kann entscheiden, diese nicht mehr an Unternehmen X oder Privatperson Y zu verleihen. Aber zur Abnahme von Staatsanleihen gibt es gar keine Alternative. Wohin denn mit dem Geld? Meinst du, ein Pensionsfonds kann sich dafür die entscheiden, die jeden Monat reinströmenden Milliarden unters Kopfkissen zu legen? Als Sichtanlage bei Finanzinstituten parken geht auch nicht, weil die Negativzinsen fordern. Es gibt gar keine Alternative, als Staatsanleihen, wenn man den Gesamtmarkt der Geldanlage betrachtet. Andere Anlageformen sind in den notwendigen Volumina gar nicht auf dem Markt verfügbar. Zudem kommt die gesetzliche Auflage für viele institutionelle Investoren, in „sichere“ und liquide Anlagen zu investieren. Selbst wenn die wollten, könnten die nicht ein paar Dutzen Mrd in Gemälde von Da Vinci stecken oder Bitcoins oder was sich Lieschen Müller sonst noch als Alternative zu Staatsanleihen vorstellen mag.
Zu guter Letzt bietet die EZB durch ihre Ankaufgarantie ja auch eine guten Deal für die (Erst-)Abnehmer von Staatsanleihen.

Außer dem Ausstieg aus diesem Wirtschaftssystem, das sich mittlerweile über den ganzen Globus mit einigem Erfolg verbreitet hat, gibt es gar keine Alternative zu endlos steigenden Schulden. Und wenn Unternehmen nicht mehr für ihre Investitionstätigkeit diese Schulden aufnehmen, weil z. B. die Bevölkerung in der ganzen entwickelten Welt absehbar schrumpft und somit Investitionen in neue Anlagen nicht in dem Maße sinnvoll sind wie zur Zeit der Babyboomer, dann kann das nur der Staat sein (bzw. von ihm kontrollierte Akteure). Und da der Staat Herr über die (nationalen) Währungen ist, kann das auch sehr, sehr lange gut gehen. Zumindest im Vergleich zu der Disruption, die der Wechsel zu einem anderen Wirtschaftssystem (hat davon überhaupt jemand eine Vorstellung) bedeuten würde.

Nein, das funktioniert natürlich nicht. Denn „der Markt“ wird ja gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten an der Schuldentragfähigkeit zweifeln. Das ist aber gerade der Moment, in dem der Staatshaushalt die Wirtschaft stützen müsste, um das ökonomische Potential der Volkswirtschaft zu erhalten. Das erhöht sich ja nicht, wenn Unternehmen massenhaft Pleite gehen, Arbeitskräfte ihren Job verlieren, in die Infrastruktur, Ausbildung und Gesundheitsversorgung nicht mehr investiert wird, die jungen, mobilen, gut ausgebildeten Arbeitskräfte in prosperierende Ausland abwandern, etc.

Der Unterschied zu einzelnen Unternehmen, für die sich ein Sparprogramm lohnen kann, ist die systemische Bedeutung, die Staatsausgaben haben. Das sind dann eben nicht 0,00001% der Wirtschaftsleistung, auf die massiver Spardruck ausgeübt wird, sondern ~50% in der entwickelten Welt.

Zusätzlich muss man sich das Heerdenverhalten „des Marktes“ vor Augen führen. Was gestern als solide, kann heute marode sein. Es geht ja nicht um objektive Kriterien, sondern um eine Wette darauf, wie die Mehrheit der übrigen Markteilnehmer die Lage einschätzen.

MMT bekannt oder sollen wir da nochmal drüber?

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Ne, kannte ich tatsächlich nicht. Aber Wikipedia:

Solche abseitigen Mindermeinungen gibt es immer. Ich bin zwar schon sehr lange raus aus dem Studium, habe aber mein Leben lang volkswirtschaftliche Themen verfolgt. Mir ist keiner der als „führende Vertreter“ genannten Namen geläufig.

Ich habe leider weder Zeit noch wirklich Lust, die Prämissen dieser abseitigen Theorie zu diskutieren.

Nach kurzer Recherche: Es gibt keinen theoretischen Unterbau, mit dem man die „Theorie“ falsifizieren könnte (damit ist sie auch keine Theorie mehr und auch nicht wissenschaftlich). Da wundert es auch nicht, dass ich keine ernstzunehmenden empirischen Studien zuzüglich gefunden habe.

Diese Richtung einer Geld“theorie“ ist innerhalb der Volkswirtschaftslehre vergleichbar mit Prof. Hendrik Streeck, Dr. Sucharit Bhakdi oder Herr Wolfgang Wodak innerhalb der Virologie.

Wer die Schuldenbremse als neoklassisches Übel ansieht (wobei auch ich die Ausgestaltung der Schuldenbremse nicht richtig finde), der findet in dieser MM“T“ sehr gute Argumente, weil sie quasi eine Mischung aus Perpetuum Mobilem und staatswirtschaftliches Schlaraffenland bietet. Mit der ökonomische Realität hat das nichts zu tun.

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AH hier muss leider widersprechen! Das alles andere als eine Mindermeinung! In den USA gibt eine sehr große Bewegung angeführt durch die Ökonomin Stephanie Kelton. Dadurch schwappt das Ganze nun von Land zu Land. Es ist auch nicht wirklich falsch weil es, wie oben schonmal versucht zu beschreiben, nur die aktuelle Lage anders darstellt. Da einige wichtige Zusammenhänge etwas vernachlässigt werden kann das natürlich nicht als 1:1 umgesetzt werden aber dadurch das die Zentralbanken überall Anleihen der Staaten aufkaufen kommen wir schon in diese Richtung, wodurch sich die Vertreter auch bestärkt fühlen. Auch in Deutschland verfolgen einige der „Top-Ökonomen“ dieses Thema. Peter Bofinger oder Jens Südekum oder Sebastian Dulin können dem Ganzen durchaus etwas abgewinnen.

Diese Richtung einer Geld“theorie“ ist innerhalb der Volkswirtschaftslehre vergleichbar mit Prof. Hendrik Streeck, Dr. Sucharit Bhakdi oder Herr Wolfgang Wodak innerhalb der Virologie.

Dieser Aussage hier würde ich damit vehement widersprechen. Wir befinden uns immer noch in den Wirtschaftswissenschaften und das ist eine Sozialwissenschaft und keine Naturwissenschaft. Empirische Nachweise in der Ökonomie sind fast immer davon abhängig wie sich die Menschen verhalten. Zudem sind die Systeme die wir nutzen und immer weiter umgebaut haben keine 100 teilweise nicht mal 50 Jahre alt. Hier immer gleich davon auszugehen es ist wie es ist oder gar in den Lehrbüchern steht ist der größte Fehler der Ökonomie überhaupt.

Wir sind nicht mehr in diesem steifen System das nach dem Krieg errichtet wurde. Wir haben uns von Dollar und Gold gelöst und wir müssen anders Denken lernen was das Geld betrifft wenn wir für die Zukunft anders handeln können wollen. Sinnfreie Diskussionen über eine Schuldenbremse bringen uns einfach nicht weiter. Wir haben auf dem Geldmarkt ganz andere Probleme zu lösen.

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Aber einen wissenschaftlichen Anspruch sollte man schon haben. Wenn es keine theoretische Grundlage gibt, die es möglich macht, die Postulate der MM"T" zu falsifizieren, sind sie wie Verschwörungs"theorien": Die lassen sich nämlich auch nicht verifizieren, sondern beweisen sich inhärent selbst.

Und was ich nicht falsifizieren kann, kann ich auch nicht empirisch belegen.

Ich gebe Dir recht: Auch die „herrschenden“ volkswirtschaftlichen Theorien können viele in den letzten Jahren zu beobachten Phänomene nicht wirklich zufriedenstellend erklären (z.B. weil trotz massiver Ausweitung der Geldmenge - Nullzinspolitik, massenhaftes Aufkaufen von Staatsanleihen (auf dem Sekundärmarkt, wohlgemerkt!) - auch dann keine Inflation einsetzt, wenn die Produktionskapazitäten ausgelastet sind.

… und da sind wir wieder. Diskussionen über die Schuldenbremse werden mit dem Argument „sinnfreien“ und Postulaten und Annahmen aus nicht falsifizierbaren „Theorien“ vom Tisch gewischt und die Diskussion beendet. Dabei sind noch so viele Fragen offen. Ich kann nur jeden, der eine solche Position vertritt, auffordern, mal gedanklich über drei Generationen hinweg durchzuspielen, was passiert, wenn:

  • der Staat die Staatsschulden schneller anhäuft, als der Wert des gesellschaftlichen Vermögen (Infrastruktur, Bildung, etc.) wächst - d.h. die Staatsquote steigt kontinuierlich - repräsentiert der Staat irgendwann die komplette makroökonomische Nachfrage?
  • die Notenbanken unabhängig sind, also eben nicht dem Staat „frisch gedrucktes Geld“ zur Verfügung stellen (sie kaufen ja die Staatsanleihen nur auf dem Sekundärmarkt, ermöglichen so den Banken weitere Kreditvergabe, damit die Unternehmen investieren).

Die Behauptung, diese Staatsschulden müssen nicht zurück bezahlt werden, ist eine Schimäre. Sie werden selbstverständlich zurück bezahlt! Und zwar aus den Einnahmen einer neuen (und meist noch höheren) Kreditaufnahme. Die bei Ablauf der Laufzeit wieder zurück bezahlt werden müssen. Usw.

Wenn nun den Ausgaben des Staates nicht entsprechende Werte gegenüber stehen, weil der Staat mit der Verschuldung nicht nur Neu-Investitionen (Bildung, Strassen, Digitalisierung, kommunale Immobilien, Klimaschutz, Umweltschutz, …) getätigt hat, sondern auch konsumptive Ausgaben (z.B. Sozialleistungen) oder Ersatzinvestitionen (Instandhaltung von Infrastruktur), passiert irgendwann das, was wir in der Euro-Krise mit Griechenland, Italien, Spanien, Portugal, Irland, etc. erlebt haben: Die Menschen haben immer weniger vertrauen in die Fähigkeit des Staates, seine hohen und immer weiter wachsenden Schulden zu refinanzieren, d.h. seine Kredite zurück zu bezahlen. Dann steigen die Zinsen (= Preis für die Inkaufnahme von Risiken), immer schneller, würgen die Kreditaufnahme von Unternehmen und Privaten ab und damit die (noch verbliebende) Nachfrage aus diesen Sektoren, der Staat, der sich nicht mehr finanziere kann, muss seine Nachfrage ebenfalls einschränken, die Wirtschaftsleistung bricht zusammen und wir haben eine fundamentale Währungs- und Wirtschaftskrise.

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