Demokratie in Frankreich / übermäßige Polizeigewalt

Ich verweise noch einmal auf die Dokumentation von arte: Im Namen der Sicherheit - Die neuen Waffen - Die ganze Doku | ARTE .
Die Ursachen der Gewalt (und damit die legitime Straffreiheit der gewalttätigen Ordnungshüter) auf die Banlieues, auf die dort lebenden Migrant*innen, auf die sogenannten Gelbwesten zu schieben ähnelt die Denkweise in den USA, dort sind die schwarzen Menschen die gefährlichen Verbrecher.
Die sozialen Ungleichheiten und die Diskriminierung von Minderheiten führen in Frankreich, in den USA und überall auf der Welt zur Gewaltexplosion. Die Aufgabe demokratischer und fortschrittlicher Regierungen ist aber diese Verhältnisse zu ändern, also die Armut und nicht die Armen bekämpfen.
Wie in der Doku zu sehen, sind es die gleichen Polizisten, die in den Banlieues und auf Demos gegen friedliche Menschen schiessen.

Das bestreite ich auch nicht - also weder bestreite ich, dass Polizeigewalt ein Problem in Frankreich ist (gleiches gilt für Deutschland!) noch bestreite ich, dass sich Polizeigewalt klassischerweise besonders stark gegen die Ärmsten richtet und leider kaum ein Staat ernsthaft bemüht ist, Polizeigewalt aufzuklären, sondern hier stets zuerst versucht wird, alles zu vertuschen. Auch bestreite ich nicht, dass dagegen vorgegangen werden muss, weil darin in der Tat eine Gefahr für die Demokratie liegt.

Auch stimme ich dir zu, dass man die Gewaltprobleme am besten durch mehr soziale Gerechtigkeit bekämpfen sollte, statt einfach mehr (gewaltbereitere) Polizisten auf das Problem zu werfen (im Prinzip das, was in den USA etwas ungeschickt als „Defund the Police“ bezeichnet wurde, daher mehr Geld in die Prävention, weniger Geld in die Repression).

Das Problem ist nur: Das sind - sowohl in den USA als auch in Frankreich als auch in Deutschland - alles Dinge, die langfristig geändert werden müssen. Kurzfristig geht es darum, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten - brennende Vorstädte, so verständlich der Frust der abgehängten Menschen in den Vororten auch sein mag, kann ein Staat einfach nicht ignorieren.

Naja, das ist auch eine sehr einseitige Sichtweise, denn „friedlich“ waren die Opfer meist nicht. Das heißt nicht, dass es kein unangemessen großer Gewalteinsatz seitens der Polizei sei - das Missverhältnis von Unfriedlichkeit der Demonstration und Gewalteinsatz der Polizei besteht durchaus in vielen Fällen. Aber es ist eben nicht so, dass die Polizei im großen Maßstab das (Gummigeschoss-)Feuer auf eine vollkommen friedliche Demonstration eröffnen würde, sondern i.d.R. sind das immer sehr unübersichtliche Gemengelagen, an denen auch auf Seiten der Demonstranten immer einige massive Gewalttäter involviert sind. Dieses Framing von „Die bösen Polizisten schießen auf die friedlichen Menschen“ halte ich wie gesagt für sehr einseitig - das mag im Einzelfall durchaus mal so sein (und wird dann leider fast nie juristisch aufgearbeitet), aber in der Masse gibt es einfach auf beiden Seiten in den aktuellen Massenprotesten in Frankreich viel, viel mehr Grautöne als nur Schwarz und Weiß.

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Ich finde dieses Argumentation falsch und gefährlich. Wir haben es ja nicht mit zwei gleichwertigen Parteien zu tun. Auf der einen Seite sind es private Aktivist:innen bzw. Akteur:innen, die zwischen Wahlen nur über ein begrenztes Set an Möglichkeiten verfügen, ihrer Meinung zu Beachtung und ggf. zur Durchsetzung zu verhelfen. Auf der anderen Seite ist es die Polizei als Exekutivorgan eines Gemeinwesens, dass zumindest der liberalen Theorie nach u. a. genau dazu da ist, diese Möglichkeit der Meinungsäußerung zu schützen, nicht aber sie de facto zu bekämpfen. Ich kenne mich mit französischem Recht nicht aus, nehme aber mal an, dass das auch dort so sinngemäß in der Verfassung steht.

Es gibt dann natürlich auch noch die marxistische Theorie, die sagt, dass der bürgerliche Staat vor allem dazu da ist, Eigentumsrechte und Kapitalinteressen sowie das Funktionieren des Staates abzusichern - das passt dann schon eher zu Deiner „Demokratie ist ein Luxus“-These. Aber mit welchem Recht regen wir uns dann über Staaten wie China oder Russland auf? Dann könnte man auch schulterzuckend sagen „die haben halt weniger Luxus und einen anderen Umgang mit gesellschaftlichen Konflikten“. Sprich: Man endet mit dieser Art der Argumentation schnell in einer Mischung aus Lamoryanz und Zynismus.

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Das ist immer das Dilemma beim Demonstrationsrecht.

Auf der Seite der Demonstranten reicht das Spektrum von wahrhaft friedlichen Demonstranten, die sich mit Plakaten und Rufen versammeln und Forderungen aufstellen, bis zu organisierten Gruppen, die Autos in ganzen Straßenzügen anzünden, brennende Barrikaden errichten und Molotovcocktails auf Polizisten werfen. Zu allem Überfluss gibt es dann noch eine dritte Partei in dem Konflikt: Kriminelle, die das Chaos nutzen, um zu plündern (ich sage ausdrücklich, dass dies in aller Regel nicht die gleichen Leute sind, die legitim protestieren!).

Die Aufgabe des demokratischen Rechtstaates ist es nun, gleichzeitig:
a) den friedlichen Demonstranten zu ihrem Demonstrationsrecht zu verhelfen
b) den Rechtstaat (und das eigene Personal) gegen die unfriedlichen Demonstranten zu verteidigen
c) die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, daher Plünderungen zu verhindern

Und das ist die Situation, in der sich ein Staat wie Frankreich dann befindet.

Auf der Seite der Polizei und der politischen Verantwortlichen reicht das Spektrum ebenfalls von völlig gesetzestreuen Menschen, die einfach nur diesen Clusterfuck lösen wollen, über autoritäre Hardliner, die diese Chance nutzen wollen, die Macht des Staates zu demonstrieren bis hin zu geradezu kriminellen Elementen, die das Chaos gezielt nutzen, um rassistisch motivierte Straftaten zu ermöglichen.

Das ist die komplexe Gemengelage, in der sich die Situation in Frankreich abspielt. Wir tun uns in der Debatte keinen Gefallen, wenn wir bei den Demonstranten nur den friedlichen Teil und bei der Polizei nur die Fälle übertriebener Gewaltanwendung sehen wollen und davon ausgehend Forderungen formulieren.

Es klingt immer doof und gewaltapologetisch, aber man muss schon anmerken, dass es zu keiner Gewalt gegen die Demonstranten kommen würde, wenn die Demonstrationen durchweg friedlich verlaufen würden. Aber das tun sie halt nie. Leider. Es schaukelt sich immer hoch, weil es auf beiden Seiten Menschen gibt, die ein Interesse daran haben, die Eskalationsspirale weiter zu drehen.

Natürlich ist der Staat hier in einer stärkeren Verantwortung, natürlich darf der Staat gewalttätige Demonstranten nicht als Rechtfertigung benutzen, um friedliche Demonstranten mit unangemessener Gewalt zu behandeln. Aber in der Praxis wird es immer zu solchen Fällen kommen, weil die Gemengelage eben so unübersichtlich und unbeherrschbar ist. Es ist wie gesagt ein klassisches Dilemma, für das es keine einfachen Lösungen gibt.

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Ich weiß nicht, auf welche Erfahrungen Du Dich beziehst, aber für mich klingt das alles ziemlich theoretisch. Ich habe persönlich schon mehr als genug vollkommen friedliche Demos erlebt, die wortwörtlich auseinandergeprügelt wurden. Und selbst wenn es auf einer Demo 10 Flaschenwürfe gibt, ist für mich mehr als fraglich, ob es legitim ist, deshalb eine Demo mit Tausenden Teilnehmer:innen gewaltsam aufzuösen. So etwas passiert aber regelmäßig, und zwar m. E. nicht wegen einzelnen „Hardlinern“ oder weil die „Gemengelage eben so unübersichtlich ist“, sondern weil die jeweilige Polizeiführung bzw. das jeweilige Innenministerium das so wollen.
Das ist nämlich ein entscheidender Unterschied: Demonstrierende oder Aktivist:innen handeln erst mal individuell - bei der Polizei hingegen ist es im Zweifelsfall ziemlich egal, was der einzelne Mensch will, das ist klar hierarchisch strukturiert.

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Das stimmt in dieser Pauschalität einfach nicht. Siehe ganz aktuell an der Debatte um den Einsatz von Schmerzgriffen gegen friedliche (!) Demonstranten der letzten Generation (->
Schmerzgriff als rechtsstaatliche Zwangsmaßnahme)

Natürlich erhöht sich der Gewalteinsatz von Seiten der Polizei, je mehr Widerstand und auch Gewalt von den Demonstranten ausgeht, aber dass die Polizei in manchen Situationen auch bereit ist, Gewalt gegen friedliche Demonstranten einzusetzen, sollte man nicht völlig leugnen.

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Hallo @FredZucco.

ich wohne bereits seit einigen Jahren in Frankreich, und was du hier aufführst, vor Allem die Machtkonzentration um den Präsidenten ist schon ziemlich störend. Aber jedes mal wenn ich einen Franzosen darauf anspreche wird die unstabile 4ème république als Gegenbeispiel erwähnt und das die „pays latins“ nicht so diszipliniert sind. Man argumentiert immer dass man keine konstruktive Koalitionen bilden könne usw. In Spanien ist die Situation auch nicht super stabil obwohl das System viel näher am Deutschen ist, in Italien …
Was mit der NUPES passiert ist, ist ja schonmal fast eine Revolution im französischen Politikgebilde.

Bezüglich der Rentenreform gab es kurz nach der Benutzung vom 49:3 ein Interview in der LdN über genau dieses Thema … also es wurde schon erwähnt, wenn auch noch nicht super ausführlich.

Naja … man muss auch sehen dass es in den letzten Jahren stark bergab mit den Sozialleistungen und Sozialerrungenschaften geht. Die sind in Deutschland bereits seit 10-20 Jahren weg. Also Schröder seine Reformen gemacht hat gab es in Deutschland auch Massendemos.
Die Frage ist eher ob die Art und Weise wie die über die Reform kommuniziert wird die richtige ist, und ob sie inhaltlich auch richtig ist? Ich denke da vor Allem an das Interview und die Erfahrung von Karl Gustaf Scherman der eine ähnliche Reform in Schweden durchgeboxt hat.

Ich ehrlich gesagt bisher nicht, und ich war auf einigen Demonstrationen.
Nochmal: Ich sage nicht, dass wir kein Problem mit Polizeigewalt hätten oder dass es nicht regelmäßig zu Fällen kommen würde, in denen übertriebene Polizeigewalt gegen sehr kleine Verstöße eingesetzt würde.

Aber eine vollkommen friedliche Demonstration (z.B. während des Bildungsstreiks 2009 oder auch die übliche Fridays-for-Future-Demo) wird üblicherweise nicht Opfer von Polizeigewalt.

Auf anderen Demonstrationen - typischerweise solche gegen Naziaufmärsche - habe ich hingegen auch schon viel übertriebene Polizeigewalt gesehen. Aber in diesen Fällen gab es eben auch immer einen „schwarzen Block“, welcher der Polizei als Rechtfertigung diente. Wie gesagt, das macht den oft übertriebenen Gewalteinsatz der Polizei nicht legitim, aber es erklärt die Zusammenhänge.

Wie gesagt, da haben wir keinerlei Dissens. Ich stimme absolut zu, dass die Polizei die Aufgabe hat, die Situation möglichst zu deeskalieren, häufig aber das Gegenteil passiert, was dann zu unverhältnismäßiger Gewaltanwendung der Polizei führt (kurz: Polizeigewalt). Ich möchte nur, dass man auch die Gegenseite versteht, gerade die Problematik, dass die Polizei gleichzeitig den Rechtstaat als auch das Demonstrationsrecht verteidigen muss, also gleichzeitig Strafgesetze durchsetzen muss, dabei aber - wie du völlig richtig sagst - auch die Rechte der Demonstrierenden achten muss. Das ist einfach ein unmöglicher Auftrag, denn du kannst die Flaschen/Böller/Steinewerfer nicht aus der Menge ziehen (dabei werden immer auch Unbeteiligte zu Schaden kommen!), du kannst sie aber auch nicht einfach gewähren lassen (und damit positiv bestärken).

Das ist aber eben nicht der Regelfall, sondern die Ausnahme, wie @Tricia in dem Thread ja auch sehr schön schilderte. Keine krasse Ausnahme, aber eben auch nicht die Mehrheit. Von den 999 Klimaklebe-Aktionen, die reibungsfrei ablaufen, hört man eben nicht „Die Polizei hat sich prima verhalten“, aber von der einen Aktion, bei der ein „Problempolizist“ meint, einen Schmerzgriff androhen oder gar anwenden zu müssen, berichten die Medien natürlich, eben weil es ein besonderer Fall ist (und es wird in unserer Bubble zum Dauerthema).

Das tut doch niemand. Dass einzelne Polizisten mal massive Fehler begehen, ist klar - auch unter Polizisten gibt es einen gewissen prozentualen Teil, der im falschen Job ist (und der Staat tut in der Tat viel zu wenig, diese schwarzen Schafe auszusondern, siehe Seehofers Kampf gegen Studien).

Man kann es auch anders sagen:
Wenn friedliche Demonstranten auf friedliche Polizisten stoßen gibt es in der Regel kein Problem.
Aber schon ein paar Problembären auf einer der Seiten führen ganz schnell dazu, dass sich eine Spirale der Eskalation in Bewegung setzt. Und zur Sicherheit nochmal: Ja, ich denke auch, dass der Staat hier in einer stärkeren Verantwortung ist, als die Demonstrierenden. Dennoch bin ich gegen dieses Schwarz-Weiß-Malen alá „die grundsätzlich böse Polizei greift grundsätzlich friedliche Demonstranten an“.

Ich denke, wir sind uns alle einig, dass sowohl die Sozialreformen unter Rot-Grün 1998-2005 als auch die jetzigen Reformen in Frankreich extrem mies kommuniziert wurden (und die Agenda 2010 auch schlecht durchdacht war, aber das ist ein anderes Thema) und mit einer besseren Kommunikation vermutlich auch einiger Druck vom Kessel genommen werden könnte.

Die skandinavischen Länder sind uns auch in diesem Bereich, wie in so vielen Bereichen, deutlich voraus.

Aber die Proteste gegen die Agenda 2010 kann man auch nicht mit dem vergleichen, was aktuell in Frankreich passiert. Die Proteste gegen die Agenda 2010 waren einfach nahezu durchweg friedlich, typische Gewerkschaftsveranstaltungen halt.

Doch, du :slight_smile:


Vorhin sagtest du noch, es gäbe diese Gewalt bei friedlichen Demos nicht, jetzt ist es plötzlich die Ausnahme…

Dass es in Ausnahmefällen mal anders ist, liegt schlicht daran, dass wir es mit Menschen zu tun haben, nicht mit Maschinen. Das ist bedauerlich, aber auch unvermeidbar. Menschen machen (bisweilen auch schwere und unverzeihliche) Fehler, aber ich bleibe dabei, dass nahezu immer, wenn Demonstrationen wirklich friedlich sind, es zu keiner Polizeigewalt kommt. Daher stemme ich mich so klar gegen pauschale Darstellungen, als würden ständig überall „böse Polizisten über friedliche Demonstranten herfallen“.

Ausnahmen gibt es immer, wenn wir nicht gerade über Naturgesetze reden, jedenfalls immer, wenn wir über menschliches Verhalten reden. Aber die Probleme, die wir in Frankreich sehen, kommen eben dadurch zu Stande, dass die Demonstrationen nicht nur friedlich sind. Gewalt gegen Demonstranten gab es auch in Frankreich am ersten Mai z.B. nicht auf den zentralen, friedlichen Demonstrationen der Gewerkschaften in der Mitte von Paris, die von bis zu 100.000 Menschen besucht wurden, sondern an anderen Orten… und das ist exakt das gleiche, das wir auch in Deutschland immer wieder sehen.

Bei der klassischen Anti-Nazi-Demo gibt es fast immer eine sehr friedliche Demonstration (üblicherweise von den Gewerkschaften, viele Familien mit Kindern anwesend…) die auch sehr friedlich verlaufen und auf denen es folglich auch nicht zu Polizeigewalt kommt - und es gibt eben Abenteuer-Demonstranten. Zu denen gehörte ich übrigens auch, ich habe auch gerne Katz- und Maus mit der Polizei gespielt und versucht, irgendwie über die Absperrungen auf die Route der Nazi-Demo zu kommen, um dann dafür zu sorgen, dass die Nazi-Demo nicht weiter kann. Dazu musste dann auch mal eine Polizeikette durchbrochen werden - und dabei habe ich dann auch mal mehr Gewalt abbekommen, als mir lieb gewesen wäre. Ich habe nie aktive Gewalt gegen Polizisten ausgeübt (also mit dem Ziel gehandelt, irgendwen zu verletzen), aber mir ist durchaus auch klar gewesen, dass auch Steinewerfer bei den Aktionen beteiligt waren.

Nochmal: Ja, die Polizei reagiert viel zu häufig mit viel zu viel Gewalt auf viel zu kleine Vergehen. Ich bestreite sicherlich nicht, dass es nicht regelmäßig zu übertriebener Polizeigewalt kommt. Aber ich bestreite, dass sich Polizeigewalt an vollständig friedlichen Demonstrationen entlädt. Das ist weder in Deutschland, noch in Frankreich der Fall. In beiden Ländern kommt es zu unverhältnismäßiger Polizeigewalt in aller Regel eben nicht auf den großen Zentraldemonstrationen, sondern dort, wo auch auf der Seite der Demonstranten einige Menschen mit einem etwas „robusteren“ Demonstrationsverhalten auftreten.

Das soll keine Täter-Opfer-Umkehr sein, ich verurteile die oft übertriebene Polizeigewalt und teile auch die Meinung, dass Straftaten durch Polizisten regelmäßig nicht erfolgreich juristisch aufgearbeitet werden, geschweige denn politisch. Ich sage nur, dass es auch auf der Seite der Demonstranten Menschen gibt, die Steine oder Molotovcocktails werfen oder Autos anzünden…

Damit wiederholst Du - trotz meines Einwandes (der zugegeben „nur“ auf eigenem Erleben beruht) ohne zusätzliche Argumente Deine These, dass das entscheidende Kriterium für Polizeigewalt ist, ob eine Demo „friedlich“ ist oder nicht. Das Wort „üblicherweise“ finde ich übrigens ziemlich polemisch - es suggeriert, dass hier jemand behauptet hätte, Polizeigewalt gegen friedliche Demos sei die Regel - das hat aber niemand getan. Ich habe nur festgestellt, dass es sie gibt.

Hier geht es aber um etwas ganz anderes als „Friedlichkeit“. Ein „schwarzer Block“ (was auch immer das konkret sein soll) ist ja per se nichts „unfriedliches“. Sondern es ist genau das, was Du beschreibst: Ein Vorwand für die Polizei, gewalttätig gegen Demos vorzugehen, und zwar egal ob diese „friedlich“ sind oder nicht. Damit ist aber das Kriterium „friedlich“ hinfällig. Das bedeutet dann aber auch, dass die Polizei entscheidet, wie sie mit Demos umgeht und dass sie das eher nach dem „Klientel“ der Demoteilnehmer:innen ausrichtet, als nach der Tatsache wie „friedlich“ die Demo ist. An dem Punkt denke ich musst Du Dich für eine der beiden Argumentationen entscheiden.

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zweiter Teil

Das stimmt schlicht nicht. Auch beim Umgang mit konkreten Straftaten, die aus Demonstrationen heraus begangen werden, gibt es enorme Handlungsspielräume und in der Praxis sehr starke Differenzen. Diese reichen vom völligen ignorieren bis eben hin zur gewaltsamen Auflösung der gesamten Demonstration. Und es gibt diverse Zwischenformen. Zum Beispiel existieren seit über 20 Jahren extra Polizeieinheiten, die nur dazu da sind, auf Demos Straftaten gerichtsfest zu dokumentieren und entsprechende Verhaftungen durchzuführen. Sprich: Auch hier gibt es unterschiedliche Möglichkeiten für die Polizei, mit der von Dir als so „unmöglich“ beschriebenen Situation umzugehen. Und ich denke auch hier ist es kein Zufall, dass bei bestimmten Demos eher der eine Weg und bei anderen ein anderer gewählt wird.

Das ist nun die dritte Argumentation: Nun ist es wieder das individuelle Verhalten einzelner Polizist:innen, das für Polizeigewalt verantwortlich sein soll. Das passt aber m. E. weder zum ersten Argument (Polizeigewalt gegen friedliche Demos gibt es nicht), noch zum zweiten (wenn die Polizei einen bestimmten Vorwand findet, gibt es durchaus Polizeigewalt auch gegen friedliche Demos).

Wenn wir keinen Dissens haben, wie Du betonst, verstehe ich nicht, warum Du Dich mit so viel Aufwand gegen die Aussage wendest, dass es sehr wohl Polizeigewalt gegen friedliche Demos gibt, und zwar nicht weil einzelne Beamte (hier gendere ich mal nicht) „austicken“, sondern weil es eine entsprechende politische oder polizeitaktische Entscheidung dazu gab.

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Ich möchte insofern einhaken , als dass ich Polizeigewalt nicht als „krasse Ausnahme“ stehen lassen kann . Dazu ist es eben doch zu häufig.

Einer Person die nur blockiert ( ob jetzt Straße oder Castor Transporte) und ihren eigenen Körper als „Argument“ vorbringt nur Schmerzgriffe anzudrohen ( und es gibt ja auch die Personen die dann die Blockade verlassen)
Ist schon eine unfassbare Gewalt.
Der Schaden der da schon entsteht ist gewaltig.

Das ist eine moralische Verletzung in gewaltigem Ausmaß.

Und das ist leider keine krasse Ausnahme, sondern wurde bis dato einfach ausgeübt.

Und nun liegt plötzlich der Fokus auf dieser Form von Gewalt. Der staatlich gelenkten , in der Ausbildung trainierten systematisch angewandten Gewalt.

Und nur die Polizei selbst und die Öffentlichkeit können das in Ordnung bringen. Aber stell dich mal gegen Polizei wenn die meinen sie hätten recht . ( ich hab schon unberechtigt Bußgeld bezahlt weil ich angeblich nicht angeschnallt war)

Die Wege sich zu wehren sind schwer zu bestreiten und das wiegt dann alles doppelt schwerer .
Es ist das krasse Ungleichgewicht von Macht

Und dazu höre ich irgendwie nie was

Es gibt sogar Vereine und Initiativen die Menschen in Deutschland die Opfer solcher Gewalt psychologisch betreuen .
Und die gibt es ja weil Bedarf ist.

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Okay, vielleicht reden wir einfach nur aneinander vorbei.

Ich habe mich an Aussagen gestört, wie z.B. „sind es die gleichen Polizisten, die in den Banlieues und auf Demos gegen friedliche Menschen schiessen.“. Darin habe ich eine sehr schwarz-weiße Darstellung und Verallgemeinerung gesehen und deshalb hier versucht zu relativieren.

Wir sind alle ganz klar gegen Polizeigewalt - insofern haben wir in der Tat keinen Dissens. Aber die Frage, wie wir z.B. „friedliche Demonstration“ definieren, ist vermutlich einfach eine andere. Je nachdem, wo man sich im politischen Spektrum befindet, wird man die Grenze zur Unfriedlichkeit anders definieren. Von „Konservativ“ bis „Staatskritisch“ wird die Grenze an anderen Stellen gezogen:
a) Öffentliche Kundgebungen (z.B. der Gewerkschaften) auf Marktplätzen mit Volksfeststimmung
b) Spontandemonstrationen
c) Sitzblockaden
d) Festkleben / Anketten
e) Aggressive Schlachtrufe (z.B. „ACAB“)
f) Vermummung und bedrohliches Verhalten
g) Überwindung von Polizeiketten
h) Aktive Gewaltanwendung

Desto höher die Demonstration auf dieser Skala ist, desto wahrscheinlich wird ein Gewalteinsatz der Polizei - und damit steigt auch das Risiko für übertriebene Polizeigewalt. Nochmal: Das heißt nicht, dass es nicht auch schon bei Spontandemonstrationen oder Sitzblockaden mal zu übertriebener Polizeigewalt kommen würde, aber das ist nicht der Normalfall. Und Polizeigewalt auf einer angemeldeten, öffentlichen Kundgebung (Fall a) ohne jedes Element von b bis h kommt in Deutschland nahezu nie vor.

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Das ist doch genau mein Punkt: Es ist eine komplexe Gemengelage, die man nicht zu sehr vereinfachen sollte. Polizeigewalt kann viele Gründe haben, bei denen die Schuldfrage jeweils anders zu beurteilen ist. Ein Polizist, der in einer völlig friedlichen Situation „austickt“, ist individuell schuld (insofern dieses Verhalten für die Polizei nicht erwartbar war, daher im Auswahlprozess keine Fehler gemacht wurden und auch in der Ausbildung keine Auffälligkeiten festgestellt wurden), bei einem Polizeieinsatz mit unverhältnismäßiger Gewalt liegt die Schuld vor allem bei der Einsatzleitung und in manchen Situationen ist Polizeigewalt einfach ein trauriger Kollateralschaden, der sich nie zu 100% vermeiden lässt (wie viel Gewalt in welcher Situation zulässig ist, ist stets eine komplexe Abwägung - und hier werden zwangsläufig immer mal Fehler gemacht werden, weil der Polizist vor Ort oder die Einsatzleitung die Situation z.B. falsch einschätzt oder, wie bei den Polizisten, die meinen, Schmerzgriffe bei friedlichen Demos seien in Ordnung, die rechtliche Lage falsch einschätzt. Deshalb steigt die Gefahr für Polizeigewalt mit der Zahl solcher Abwägungen, und die Zahl dieser Abwägungen steigt mit der Unfriedlichkeit der Demonstration - auf der typischen DGB-Marktplatz-Demo müssen einfach keine Abwägungen getroffen werden, die fehlgehen könnten…)

Die Verantwortung liegt natürlich immer auch beim Staat und solche Fälle müssen in jedem Fall deutlich besser aufgeklärt werden, als das aktuell der Fall ist (auch hier haben wir denke ich keinen Dissens), der Unterschied ist eher, dass du die Sache von einer sehr idealistischen Position aus betrachtest, während ich versuche, mich in die Situation der Beamten vor Ort hineinzuversetzen und anerkenne, dass hier viele komplexe Entscheidungen und Abwägungen in kurzer Zeit getroffen werden, was immer mal wieder zu Problemen führen wird.

Du hast hier ein „keine“ überlesen. Ich zitiere nochmal (Hervorhebung durch mich):

Auch hier sind vielleicht Definitionen wichtig. Eine krasse Ausnahme wäre ein Auftreten in unter einem von 100 Fällen. Daher: Auf 100 Klimakleber kommt maximal eine Schmerzgriff-Androhung oder ein Schmerzgriff.

Eine Ausnahme ist nach meiner Definition alles zwischen 1 und 20%. Daher: in 80-99% der Fälle (also der mehr als qualifizierten Mehrheit) wird keine Polizeigewalt ausgeübt. Das dürfte die Situation im Hinblick auf die Schmerzgriff-Androhungen (oder gar Durchführungen) sein.

Das meine ich, wenn ich sage, dass es eine Ausnahme, aber keine krasse Ausnahme sei.

Im Rest des Beitrages gebe ich dir absolut Recht. Wie gesagt, ich sehe hier eigentlich keinen Dissens in der Sache, sondern nur in der Darstellung. Dass gegen Polizeigewalt unbedingt stärker vorgegangen werden muss und Polizeigewalt (z.B. auch die Androhung von Schmerzgriffen) erhebliche Auswirkungen auf das Opfer haben kann und jeder Fall von Polizeigewalt aufgeklärt werden muss und Konsequenzen für die Beamten haben muss, da sind wir uns absolut einig. Auch darüber, dass die Ausbildung der Polizei deutlich stärker auf Deeskalation ausgerichtet werden muss, sind wir uns einig. Ebenso sind wir uns wohl einig, dass wir dringend eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte brauchen und Gesetze, die verhindern sollen, dass Fehlverhalten von Polizisten gerichtsfest dokumentiert werden können, ein riesiges Problem sind (siehe die Diskussion darüber, ob Video- und Tonaufnahmen von öffentlichen Polizeieinsätzen rechtswidrig sind).

Ich finde es etwas schade, dass ich in eine Richtung gedrängt werde, die ich eigentlich nicht vertrete. Ich versuche nur, die Sache möglichst differenziert zu betrachten und kritisiere daher zu schwarz-weiße Darstellungen.

Ich weiß nicht, wen Du mit diesen ganzen impliziten Zuschreibungen meinst, aber ich habe weder vereinfacht, noch unzulässig verallgemeinert oder „Schwarz-Weiß-Bilder“ gezeichnet, habe niemals von einer „Schuldfrage“ gesprochen oder irgendwen in irgend eine „Ecke gedrängt“ - ich habe übrigens auch nie etwas über Banlieues gesagt. Ich habe mich lediglich an Deiner Argumentation einer „Eskalationsspirale“ gestört, die für das Ausmaß von Polizeigewalt bei Demonstrationen letztlich das Verhalten der Demonstrierenden verantwortlich macht. Dem habe ich mehrfach widersprochen, wobei Du auf meine Einwände und Argumente m. E. nicht wirklich eingegangen bist. Du hast dann unterschiedliche andere, sich zum Teil widersprechnde Begründungen für Polizeigewalt vorgebracht, auf die ich in meinen letzten beiden Posts eingegangen bin. Und nun bist Du mit Deiner „Skala“ halt im Kern wieder zu Deiner ursprünglichen Argumentation zurückgekehrt. Und die würde ich immer noch so beurteilen, wie ich es in meiner ersten Antwort auf Dich getan habe - insofern können wir diesen Disput jetzt auch gut beenden.

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Nein, ich mache die Demonstrierenden nicht verantwortlich, sondern aller höchstens mitverantwortlich in dem Sinne, dass durch illegale Verhaltensweisen von Demonstrierenden eine Erhöhung der Gefahr eintritt. Der Kern der Aussage ist jedoch nicht die Verantwortung (ich habe doch mehr als einmal gesagt, dass der Staat natürlich eine höhere Verantwortung trägt!), sondern schlicht Ursachen und Wirkungen zu verdeutlichen.

Polizeigewalt ist nie gerechtfertigt. Das habe ich mehr als einmal gesagt.
Aber ich will erklären, welche Zustände und Verhältnisse die Gefahr der Entstehung von Polizeigewalt erhöhen.

Und im Kern ging es bei allen diesen Aussagen um die Zustände in Frankreich und eben die Beobachtung, dass wenn die Vorstädte brennen und hunderte Polizisten teilweise schwer verletzt werden, eine massive Gewaltspirale im Gang ist - und hier haben dann in der Tat auch die Demonstrierenden, die brennende Barrikaden errichten oder Autos anzünden eine Mitschuld. Ebenso wie die Versuche von Demonstranten, eine Polizeikette zu durchbrechen (wie gesagt, ich habe bei sowas selbst mehr als einmal teilgenommen!), eben eine erhebliche Gefahr setzen, dass es zu Polizeigewalt kommen kann. Das macht die Polizeigewalt nicht besser, aber zeigt ein wenig das Dilemma, in der sich der Staat befindet.

Gerade in Bezug auf Frankreich finde ich es halt problematisch, darauf zu zeigen, dass die Polizei mit harten Bandagen kämpft, wenn gleichzeitig die Vorstädte brennen. Da will ich mich einfach nicht auf eine Seite stellen.